The Project Gutenberg EBook of Also Sprach Zarathustra by Friedrich Wilhelm Nietzsche Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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Friedrich Nietzsche Also sprach Zarathustra Ein Buch fuer Alle und Keinen Inhaltsverzeichnis Erster Theil Zarathustra's Vorrede Die Reden Zarathustra's Von den drei Verwandlungen Von den Lehrstuehlen der Tugend Von den Hinterweltlern Von den Veraechtern des Leibes Von den Freuden- und Leidenschaften Vom bleichen Verbrecher Vom Lesen und Schreiben Vom Baum am Berge Von den Predigern des Todes Vom Krieg und Kriegsvolke Vom neuen Goetzen Von den Fliegen des Marktes Von der Keuschheit Vom Freunde Von tausend und Einem Ziele Von der Naechstenliebe Vom Wege des Schaffenden Von alten und jungen Weiblein Vom Biss der Natter Von Kind und Ehe Vom freien Tode Von der schenkenden Tugend Zweiter Theil Das Kind mit dem Spiegel Auf den glueckseligen Inseln Von den Mitleidigen Von den Priestern Von den Tugendhaften Vom Gesindel Von den Taranteln Von den beruehmten Weisen Das Nachtlied Das Tanzlied Das Grablied Von der Selbst-Ueberwindung Von den Erhabenen Vom Lande der Bildung Von der unbefleckten Erkenntniss Von den Gelehrten Von den Dichtern Von grossen Ereignissen Der Wahrsager Von der Erloesing Von der Menschen-Klugheit Die stillste Stunde Dritter Theil Der Wanderer Vom Gesicht und Raethsel Von der Seligkeit wider Willen Vor Sonnen-Aufgang Von der verkleinernden Tugend Auf dem Oelberge Vom Voruebergehen Von den Abtruennigen Die Heimkehr Von den drei Boesen Vom Geist der Schwere Von alten und neuen Tafeln Der Genesende Von der grossen Sehnsucht Das andere Tanzlied Die sieben Siegel (Oder: das Ja- und Amen-Lied) Vierter und letzter Theil Das Honig-Opfer Der Nothschrei Gespraech mit den Koenigen Der Blutegel Der Zauberer Ausser Dienst Der haesslichste Mensch Der freiwillige Bettler Der Schatten Mittags Die Begruessung Das Abendmahl Vom hoeheren Menschen Das Lied der Schwermuth Von der Wissenschaft Unter Toechtern der Wueste Die Erweckung Das Eselsfest Das Nachtwandler-Lied Das Zeichen Erster Theil Zarathustra's Vorrede. 1. Als Zarathustra dreissig Jahr alt war, verliess er seine Heimat und den See seiner Heimat und ging in das Gebirge. Hier genoss er seines Geistes und seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahr nicht muede. Endlich aber verwandelte sich sein Herz, - und eines Morgens stand er mit der Morgenroethe auf, trat vor die Sonne hin und sprach zu ihr also: "Du grosses Gestirn! Was waere dein Glueck, wenn du nicht Die haettest, welchen du leuchtest! Zehn Jahre kamst du hier herauf zu meiner Hoehle: du wuerdest deines Lichtes und dieses Weges satt geworden sein, ohne mich, meinen Adler und meine Schlange. Aber wir warteten deiner an jedem Morgen, nahmen dir deinen Ueberfluss ab und segneten dich dafuer. Siehe! Ich bin meiner Weisheit ueberdruessig, wie die Biene, die des Honigs zu viel gesammelt hat, ich bedarf der Haende, die sich ausstrecken. Ich moechte verschenken und austheilen, bis die Weisen unter den Menschen wieder einmal ihrer Thorheit und die Armen einmal ihres Reichthums froh geworden sind. Dazu muss ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends thust, wenn du hinter das Meer gehst und noch der Unterwelt Licht bringst, du ueberreiches Gestirn! Ich muss, gleich dir, _untergehen_, wie die Menschen es nennen, zu denen ich hinab will. So segne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne Neid auch ein allzugrosses Glueck sehen kann! Segne den Becher, welche ueberfliessen will, dass das Wasser golden aus ihm fliesse und ueberallhin den Abglanz deiner Wonne trage! Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden, und Zarathustra will wieder Mensch werden." - Also begann Zarathustra's Untergang. 2. Zarathustra stieg allein das Gebirge abwaerts und Niemand begegnete ihm. Als er aber in die Waelder kam, stand auf einmal ein Greis vor ihm, der seine heilige Huette verlassen hatte, um Wurzeln im Walde zu suchen. Und also sprach der Greis zu Zarathustra: Nicht fremd ist mir dieser Wanderer: vor manchen Jahre gieng er her vorbei. Zarathustra hiess er; aber er hat sich verwandelt. Damals trugst du deine Asche zu Berge: willst du heute dein Feuer in die Thaeler tragen? Fuerchtest du nicht des Brandstifters Strafen? Ja, ich erkenne Zarathustra. Rein ist sein Auge, und an seinem Munde birgt sich kein Ekel. Geht er nicht daher wie ein Taenzer? Verwandelt ist Zarathustra, zum Kind ward Zarathustra, ein Erwachter ist Zarathustra: was willst du nun bei den Schlafenden? Wie im Meere lebtest du in der Einsamkeit, und das Meer trug dich. Wehe, du willst an's Land steigen? Wehe, du willst deinen Leib wieder selber schleppen? Zarathustra antwortete: "Ich liebe die Menschen." Warum, sagte der Heilige, gieng ich doch in den Wald und die Einoede? War es nicht, weil ich die Menschen allzu sehr liebte? Jetzt liebe ich Gott: die Menschen liebe ich nicht. Der Mensch ist mir eine zu unvollkommene Sache. Liebe zum Menschen wuerde mich umbringen. Zarathustra antwortete: "Was sprach ich von Liebe! Ich bringe den Menschen ein Geschenk." Gieb ihnen Nichts, sagte der Heilige. Nimm ihnen lieber Etwas ab und trage es mit ihnen - das wird ihnen am wohlsten thun: wenn er dir nur wohlthut! Und willst du ihnen geben, so gieb nicht mehr, als ein Almosen, und lass sie noch darum betteln! "Nein, antwortete Zarathustra, ich gebe kein Almosen. Dazu bin ich nicht arm genug." Der Heilige lachte ueber Zarathustra und sprach also: So sieh zu, dass sie deine Schaetze annehmen! Sie sind misstrauisch gegen die Einsiedler und glauben nicht, dass wir kommen, um zu schenken. Unse Schritte klingen ihnen zu einsam durch die Gassen. Und wie wenn sie Nachts in ihren Betten einen Mann gehen hoeren, lange bevor die Sonne aufsteht, so fragen sie sich wohl: wohin will der Dieb? Gehe nicht zu den Menschen und bleibe im Walde! Gehe lieber noch zu den Thieren! Warum willst du nicht sein, wie ich, - ein Baer unter Baeren, ein Vogel unter Voegeln? "Und was macht der Heilige im Walde?" fragte Zarathustra. Der Heilige antwortete: Ich mache Lieder und singe sie, und wenn ich Lieder mache, lache, weine und brumme ich: also lobe ich Gott. Mit Singen, Weinen, Lachen und Brummen lobe ich den Gott, der mein Gott ist. Doch was bringst du uns zum Geschenke? Als Zarathustra diese Worte gehoert hatte, gruesste er den Heiligen und sprach: "Was haette ich euch zu geben! Aber lasst mich schnell davon, dass ich euch Nichts nehme!" - Und so trennten sie sich von einander, der Greis und der Mann, lachend, gleichwie zwei Knaben lachen. Als Zarathustra aber allein war, sprach er also zu seinem Herzen: "Sollte es denn moeglich sein! Dieser alte Heilige hat in seinem Walde noch Nichts davon gehoert, dass _Gott_todt_ ist!" - 3. Als Zarathustra in die Naechste Stadt kam, die an den Waeldern liegt, fand er daselbst viel Volk versammelt auf dem Markte: denn es war verheissen worden, das man einen Seiltaenzer sehen solle. Und Zarathustra sprach also zum Volke: Ich lehre euch den Uebermenschen. Der Mensch ist Etwas, das ueberwunden werden soll. Was habt ihr gethan, ihn zu ueberwinden? Was ist der Affe fuer den Menschen? Ein Gelaechter oder eine schmerzliche Scham. Und ebendas soll der Mensch fuer den Uebermenschen sein: ein Gelaechter oder eine schmerzliche Scham. Ihr habt den Weg vom Wurme zum Menschen gemacht, und Vieles ist in euch noch Wurm. Einst wart ihr Affen, und auch jetzt ist der Mensch mehr Affe, als irgend ein Affe. Wer aber der Weiseste von euch ist, der ist auch nur ein Zwiespalt und Zwitter von Pflanze und von Gespenst. Aber heisse ich euch zu Gespenstern oder Pflanzen werden? Seht, ich lehre euch den Uebermenschen! Der Uebermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: der Uebermensch _sei_ der Sinn der Erde! Ich beschwoere euch, meine Brueder, _bleibt_der_Erde_treu_ und glaubt Denen nicht, welche euch von ueberirdischen Hoffnungen reden! Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht. Veraechter des Lebens sind es, Absterbende und selber Vergiftete, deren die Erde muede ist: so moegen sie dahinfahren! Einst war der Frevel an Gott der groesste Frevel, aber Gott starb, und damit auch diese Frevelhaften. An der Erde zu freveln ist jetzt das Furchtbarste und die Eingeweide des Unerforschlichen hoeher zu achten, als der Sinn der Erde! Einst blickte die Seele veraechtlich auf den Leib: und damals war diese Verachtung das Hoechste: - sie wollte ihn mager, graesslich, verhungert. So dachte sie ihm und der Erde zu entschluepfen. Oh diese Seele war selbst noch mager, graesslich und verhungert: und Grausamkeit war die Wollust dieser Seele! Aber auch ihr noch, meine Brueder, sprecht mir: was kuendet euer Leib von eurer Seele? Ist eure Seele nicht Armuth und Schmutz und ein erbaermliches Behagen? Wahrlich, ein schmutziger Strom ist der Mensch. Man muss schon ein Meer sein, um einen schmutzigen Strom aufnehmen zu koennen, ohne unrein zu werden. Seht, ich lehre euch den Uebermenschen: der ist diess Meer, in ihm kann eure grosse Verachtung untergehn. Was ist das Groesste, das ihr erleben koennt? Das ist die Stunde der grossen Verachtung. Die Stunde, in der euch auch euer Glueck zum Ekel wird und ebenso eure Vernunft und eure Tugend. Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meinem Gluecke! Es ist Armuth und Schmutz, und ein erbaermliches Behagen. Aber mein Glueck sollte das Dasein selber rechtfertigen!" Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meiner Vernunft! Begehrt sie nach Wissen wie der Loewe nach seiner Nahrung? Sie ist Armuth und Schmutz und ein erbaermliches Behagen!" Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meiner Tugend! Noch hat sie mich nicht rasen gemacht. Wie muede bin ich meines Guten und meines Boesen! Alles das ist Armuth und Schmutz und ein erbaermliches Behagen!" Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meiner Gerechtigkeit! Ich sehe nicht, dass ich Gluth und Kohle waere. Aber der Gerechte ist Gluth und Kohle!" Die Stunde, wo ihr sagt: "Was liegt an meinem Mitleiden! Ist nicht Mitleid das Kreuz, an das Der genagelt wird, der die Menschen liebt? Aber mein Mitleiden ist keine Kreuzigung." Spracht ihr schon so? Schriet ihr schon so? Ach, dass ich euch schon so schreien gehoert hatte! Nicht eure Suende - eure Genuegsamkeit schreit gen Himmel, euer Geiz selbst in eurer Suende schreit gen Himmel! Wo ist doch der Blitz, der euch mit seiner Zunge lecke? Wo ist der Wahnsinn, mit dem ihr geimpft werden muesstet? Seht, ich lehre euch den Uebermenschen: der ist dieser Blitz, der ist dieser Wahnsinn! - Als Zarathustra so gesprochen hatte, schrie Einer aus dem Volke: "Wir hoerten nun genug von dem Seiltaenzer; nun lasst uns ihn auch sehen!" Und alles Volk lachte ueber Zarathustra. Der Seiltaenzer aber, welcher glaubte, dass das Wort ihm gaelte, machte sich an sein Werk. 4. Zarathustra aber sahe das Volk an und wunderte sich. Dann sprach er also: Der Mensch ist ein Seil, geknuepft zwischen Thier und Uebermensch, - ein Seil ueber einem Abgrunde. Ein gefaehrliches Hinueber, ein gefaehrliches Auf-dem-Wege, ein gefaehrliches Zurueckblicken, ein gefaehrliches Schaudern und Stehenbleiben. Was gross ist am Menschen, das ist, dass er eine Bruecke und kein Zweck ist: was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein _Uebergang_ und ein _Untergang_ ist. Ich liebe Die, welche nicht zu leben wissen, es sei denn als Untergehende, denn es sind die Hinuebergehenden. Ich liebe die grossen Verachtenden, weil sie die grossen Verehrenden sind und Pfeile der Sehnsucht nach dem andern Ufer. Ich liebe Die, welche nicht erst hinter den Sternen einen Grund suchen, unterzugehen und Opfer zu sein: sondern die sich der Erde opfern, dass die Erde einst der Uebermenschen werde. Ich liebe Den, welcher lebt, damit er erkenne, und welcher erkennen will, damit einst der Uebermensch lebe. Und so will er seinen Untergang. Ich liebe Den, welcher arbeitet und erfindet, dass er dem Uebermenschen das Haus baue und zu ihm Erde, Thier und Pflanze vorbereite: denn so will er seinen Untergang. Ich liebe Den, welcher seine Tugend liebt: denn Tugend ist Wille zum Untergang und ein Pfeil der Sehnsucht. Ich liebe Den, welcher nicht einen Tropfen Geist fuer sich zurueckbehaelt, sondern ganz der Geist seiner Tugend sein will: so schreitet er als Geist ueber die Bruecke. Ich liebe Den, welcher aus seiner Tugend seinen Hang und sein Verhaengniss macht: so will er um seiner Tugend willen noch leben und nicht mehr leben. Ich liebe Den, welcher nicht zu viele Tugenden haben will. Eine Tugend ist mehr Tugend, als zwei, weil sie mehr Knoten ist, an den sich das Verhaengniss haengt. Ich liebe Den, dessen Seele sich verschwendet, der nicht Dank haben will und nicht zurueckgiebt: denn er schenkt immer und will sich nicht bewahren. Ich liebe Den, welcher sich schaemt, wenn der Wuerfel zu seinem Gluecke faellt und der dann fragt: bin ich denn ein falscher Spieler? - denn er will zu Grunde gehen. Ich liebe Den, welcher goldne Worte seinen Thaten voraus wirft und immer noch mehr haelt, als er verspricht: denn er will seinen Untergang. Ich liebe Den, welcher die Zukuenftigen rechtfertigt und die Vergangenen erloest: denn er will an den Gegenwaertigen zu Grunde gehen. Ich liebe Den, welcher seinen Gott zuechtigt, weil er seinen Gott liebt: denn er muss am Zorne seines Gottes zu Grunde gehen. Ich liebe Den, dessen Seele tief ist auch in der Verwundung, und der an einem kleinen Erlebnisse zu Grunde gehen kann: so geht er gerne ueber die Bruecke. Ich liebe Den, dessen Seele uebervoll ist, so dass er sich selber vergisst, und alle Dinge in ihm sind: so werden alle Dinge sein Untergang. Ich liebe Den, der freien Geistes und freien Herzes ist: so ist sein Kopf nur das Eingeweide seines Herzens, sein Herz aber treibt ihn zum Untergang. Ich liebe alle Die, welche schwere Tropfen sind, einzeln fallend aus der dunklen Wolke, die ueber den Menschen haengt: sie verkuendigen, dass der Blitz kommt, und gehn als Verkuendiger zu Grunde. Seht, ich bin ein Verkuendiger des Blitzes und ein schwerer Tropfen aus der Wolke: dieser Blitz aber heisst Uebermensch. - 5. Als Zarathustra diese Worte gesprochen hatte, sahe er wieder das Volk an und schwieg. "Da stehen sie", sprach er zu seinem Herzen, "da lachen sie: sie verstehen mich nicht, ich bin nicht der Mund fuer diese Ohren. Muss man ihnen erst die Ohren zerschlagen, dass sie lernen, mit den Augen hoeren. Muss man rasseln gleich Pauken und Busspredigern? Oder glauben sie nur dem Stammelnden? Sie haben etwas, worauf sie stolz sind. Wie nennen sie es doch, was sie stolz macht? Bildung nennen sie's, es zeichnet sie aus vor den Ziegenhirten. Drum hoeren sie ungern von sich das Wort `Verachtung`. So will ich denn zu ihrem Stolze reden. So will ich ihnen vom Veraechtlichsten sprechen: das aber ist _der_letzte_Mensch_." Und also sprach Zarathustra zum Volke: Es ist an der Zeit, dass der Mensch sich sein Ziel stecke. Es ist an der Zeit, dass der Mensch den Keim seiner hoechsten Hoffnung pflanze. Noch ist sein Boden dazu reich genug. Aber dieser Boden wird einst arm und zahm sein, und kein hoher Baum wird mehr aus ihm wachsen koennen. Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch nicht mehr den Pfeil seiner Sehnsucht ueber den Menschen hinaus wirft, und die Sehne seines Bogens verlernt hat, zu schwirren! Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebaeren zu koennen. Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in euch. Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch keinen Stern mehr gebaeren wird. Wehe! Es kommt die Weit des veraechtlichsten Menschen, der sich selber nicht mehr verachten kann. Seht! Ich zeige euch _den_letzten_Menschen_. "Was ist Liebe? Was ist Schoepfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern" - so fragt der letzte Mensch und blinzelt. Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr huepft der letzte Mensch, der Alles klein macht. Sein Geschlecht ist unaustilgbar, wie der Erdfloh; der letzte Mensch lebt am laengsten. "Wir haben das Glueck erfunden" - sagen die letzten Menschen und blinzeln. Sie haben den Gegenden verlassen, wo es hart war zu leben: denn man braucht Waerme. Man liebt noch den Nachbar und reibt sich an ihm: denn man braucht Waerme. Krankwerden und Misstrauen-haben gilt ihnen suendhaft: man geht achtsam einher. Ein Thor, der noch ueber Steine oder Menschen stolpert! Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme Traeume. Und viel Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben. Man arbeitet noch, denn Arbeit ist eine Unterhaltung. Aber man sorgt dass die Unterhaltung nicht angreife. Man wird nicht mehr arm und reich: Beides ist zu beschwerlich. Wer will noch regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich. Kein Hirt und Eine Heerde! Jeder will das Gleiche, Jeder ist gleich: wer anders fuehlt, geht freiwillig in's Irrenhaus. "Ehemals war alle Welt irre" - sagen die Feinsten und blinzeln. Man ist klug und weiss Alles, was geschehn ist: so hat man kein Ende zu spotten. Man zankt sich noch, aber man versoehnt sich bald - sonst verdirbt es den Magen. Man hat sein Luestchen fuer den Tag und sein Luestchen fuer die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit. "Wir haben das Glueck erfunden" - sagen die letzten Menschen und blinzeln - Und hier endete die erste Rede Zarathustra's, welche man auch "die Vorrede" heisst: denn an dieser Stelle unterbrach ihn das Geschrei und die Lust der Menge. "Gieb uns diesen letzten Menschen, oh Zarathustra, - so riefen sie - mache uns zu diesen letzten Menschen! So schenken wir dir den Uebermenschen!" Und alles Volk jubelte und schnalzte mit der Zunge. Zarathustra aber wurde traurig und sagte zu seinem Herzen: Sie verstehen mich nicht: ich bin nicht den Mund fuer diese Ohren. Zu lange wohl lebte ich im Gebirge, zu viel horchte ich auf Baeche und Baeume: nun rede ich ihnen gleich den Ziegenhirten. Unbewegt ist meine Seele und hell wie das Gebirge am Vormittag. Aber sie meinen, ich sei kalt und ein Spoetter in furchtbaren Spaessen. Und nun blicken sie mich an und lachen: und indem sie lachen, hassen sie mich noch. Es ist Eis in ihrem Lachen. 6. Da aber geschah Etwas, das jeden Mund stumm und jedes Auge starr machte. Inzwischen naemlich hatte der Seiltaenzer sein Werk begonnen: er war aus einer kleiner Thuer hinausgetreten und gieng ueber das Seil, welches zwischen zwei Thuermen gespannt war, also, dass es ueber dem Markte und dem Volke hieng. Als er eben in der Mitte seines Weges war, oeffnete sich die kleine Thuer noch einmal, und ein bunter Gesell, einem Possenreisser gleich, sprang heraus und gieng mit schnellen Schritten dem Ersten nach. "Vorwaerts, Lahmfuss, rief seine fuerchterliche Stimme, vorwaerts Faulthier, Schleichhaendler, Bleichgesicht! Dass ich dich nicht mit meiner Ferse kitzle! Was treibst du hier zwischen Thuermen? In den Thurm gehoerst du, einsperren sollte man dich, einem Bessern, als du bist, sperrst du die freie Bahn!" - Und mit jedem Worte kam er ihm naeher und naeher: als er aber nur noch einen Schritt hinter ihm war, da geschah das Erschreckliche, das jeden Mund stumm und jedes Auge starr machte: - er stiess ein Geschrei aus wie ein Teufel und sprang ueber Den hinweg, der ihm im Wege war. Dieser aber, als er so seinen Nebenbuhler siegen sah, verlor dabei den Kopf und das Seil; er warf seine Stange weg und schoss schneller als diese, wie ein Wirbel von Armen und Beinen, in die Tiefe. Der Markt und das Volk glich dem Meere, wenn der Sturm hineinfaehrt: Alles floh aus einander und uebereinander, und am meisten dort, wo der Koerper niederschlagen musste. Zarathustra aber blieb stehen, und gerade neben ihn fiel der Koerper hin, uebel zugerichtet und zerbrochen, aber noch nicht todt. Nach einer Weile kam dem Zerschmetterten das Bewusstsein zurueck, und er sah Zarathustra neben sich knieen. "Was machst du da? sagte er endlich, ich wusste es lange, dass mir der Teufel ein Bein stellen werde. Nun schleppt er mich zur Hoelle: willst du's ihm wehren?" "Bei meiner Ehre, Freund, antwortete Zarathustra, das giebt es Alles nicht, wovon du sprichst: es giebt keinen Teufel und keine Hoelle. Deine Seele wird noch schneller todt sein als dein Leib: fuerchte nun Nichts mehr!" Der Mann blickte misstrauisch auf. "Wenn du die Wahrheit sprichst, sagte er dann, so verliere ich Nichts, wenn ich das Leben verliere. Ich bin nicht viel mehr als ein Thier, das man tanzen gelehrt hat, durch Schlaege und schmale Bissen." "Nicht doch, sprach Zarathustra; du hast aus der Gefahr deinen Beruf gemacht, daran ist Nichts zu verachten. Nun gehst du an deinem Beruf zu Grunde: dafuer will ich dich mit meinen Haenden begraben." Als Zarathustra diess gesagt hatte, antwortete der Sterbende nicht mehr; aber er bewegte die Hand, wie als ob er die Hand Zarathustra's zum Danke suche. - 7. Inzwischen kam der Abend, und der Markt barg sich in Dunkelheit: da verlief sich das Volk, denn selbst Neugierde und Schrekken werde muede. Zarathustra aber sass neben dem Todten auf der Erde und war in Gedanken versunken: so vergass er die Zeit. Endlich aber wurde es Nacht, und ein kalter Wind blies ueber den Einsamen. Da erhob sich Zarathustra und sagte zu seinem Herzen: Wahrlich, einen schoenen Fischfang that heute Zarathustra! Keinen Menschen fieng er, wohl aber einen Leichnam. Unheimlich ist das menschliche Dasein und immer noch ohne Sinn: ein Possenreisser kann ihm zum Verhaengniss werden. Ich will die Menschen den Sinn ihres Seins lehren: welcher ist der Uebermensch, der Blitz aus der dunklen Wolke Mensch. Aber noch bin ich ihnen ferne, und mein Sinn redet nicht zu ihren Sinnen. Eine Mitte bin ich noch den Menschen zwischen einem Narren und einem Leichnam. Dunkel ist die Nacht, dunkel sind die Wege Zarathustra's. Komm, du kalter und steifer Gefaehrte! Ich trage dich dorthin, wo ich dich mit meinen Haenden begrabe. 8. Als Zarathustra diess zu seinem Herzen gesagt hatte, lud er den Leichnam auf seinem Ruecken und machte sich auf den Weg. Und noch nicht war er hundert Schritte gegangen, da schlich ein Mensch an ihn heran und fluesterte ihm in's Ohr - und siehe! Der, welcher redete, war der Possenreisser vom Thurme. "Geh weg von dieser Stadt, oh Zarathustra, sprach er; es hassen dich hier zu Viele. Es hassen dich die Guten und Gerechten und sie nennen dich ihren Feind und Veraechter; es hassen dich die Glaeubigen des rechten Glaubens, und sie nennen dich die Gefahr der Menge. Dein Glueck war es, dass man ueber dich lachte: und wahrlich, du redetest gleich einem Possenreisser. Dein Glueck war es, dass du dich dem todten Hunde geselltest; als du dich so erniedrigtest, hast du dich selber fuer heute errettet. Geh aber fort aus dieser Stadt - oder morgen springe ich ueber dich hinweg, ein Lebendiger ueber einen Todten." Und als er diess gesagt hatte, verschwand der Mensch; Zarathustra aber gieng weiter durch die dunklen Gassen. Am Thore der Stadt begegneten ihm die Todtengraeber: sie leuchteten ihm mit der Fackel in's Gesicht, erkannten Zarathustra und spotteten sehr ueber ihn. "Zarathustra traegt den todten Hund davon: brav, dass Zarathustra zum Todtengraeber wurde! Denn unsere Haende sind zu reinlich fuer diesen Braten. Will Zarathustra wohl dem Teufel seinen Bissen stehlen? Nun wohlan! Und gut Glueck zur Mahlzeit! Wenn nur nicht der Teufel ein besserer Dieb ist, als Zarathustra! - er stiehlt die Beide, er frisst sie Beide!" Und sie lachten mit einander und steckten die Koepfe zusammen. Zarathustra sagte dazu kein Wort und gieng seines Weges. Als er zwei Stunden gegangen war, an Waeldern und Suempfen vorbei, da hatte er zu viel das hungrige Geheul der Woelfe gehoert, und ihm selber kam der Hunger. So blieb er an einem einsamen Hause stehn, in dem ein Licht brannte. Der Hunger ueberfaellt mich, sagte Zarathustra, wie ein Raeuber. In Waeldern und Suempfen ueberfaellt mich mein Hunger und in tiefer Nacht. Wunderliche Launen hat mein Hunger. Oft kommt er mir erst nach der Mahlzeit, und heute kam er den ganzen Tag nicht: wo weilte er doch? Und damit schlug Zarathustra an das Thor des Hauses. Ein alter Mann erschien; er trug das Licht und fragte: "Wer kommt zu mir und zu meinem schlimmen Schlafe?" "Ein Lebendiger und ein Todter, sagte Zarathustra. Gebt mir zu essen und zu trinken, ich vergass es am Tage. Der, welcher den Hungrigen speiset, erquickt seine eigene Seele: so spricht die Weisheit." Der Alte gieng fort, kam aber gleich zurueck und bot Zarathustra Brod und Wein. "Eine boese Gegend ist's fuer Hungernde, sagte er; darum wohne ich hier. Thier und Mensch kommen zu mir, dem Einsiedler. Aber heisse auch deinen Gefaehrten essen und trinken, er ist mueder als du." Zarathustra antwortete: "Todt ist mein Gefaehrte, ich werde ihn schwerlich dazu ueberreden." "Das geht mich Nichts an, sagte der Alte muerrisch; wer an meinem Hause anklopft, muss auch nehmen, was ich ihm biete. Esst und gehabt euch wohl!" - Darauf gieng Zarathustra wieder zwei Stunden und vertraute dem Wege und dem Lichte der Sterne: denn er war ein gewohnter Nachtgaenger und liebte es, allem Schlafenden in's Gesicht zu sehn. Als aber der Morgen graute, fand sich Zarathustra in einem tiefen Walde, und kein Weg zeigte sich ihm mehr. Da legte er den Todten in einen hohlen Baum sich zu Haeupten - denn er wollte ihn vor den Woelfen schuetzen - und sich selber auf den Boden und das Moos. Und alsbald schlief er ein, mueden Leibes, aber mit einer unbewegten Seele. 9. Lange schlief Zarathustra, und nicht nur die Morgenroethe gieng ueber sein Antlitz, sondern auch der Vormittag. Endlich aber that sein Auge sich auf: verwundert sah Zarathustra in den Wald und die Stille, verwundert sah er in sich hinein. Dann erhob er sich schnell, wie ein Seefahrer, der mit Einem Male Land sieht, und jauchzte: denn er sah eine neue Wahrheit. Und also redete er dann zu seinem Herzen: Ein Licht gieng mir auf: Gefaehrten brauche ich und lebendige, - nicht todte Gefaehrten und Leichname, die ich mit mir trage, wohin ich will. Sondern lebendige Gefaehrten brauche ich, die mir folgen, weil sie sich selber folgen wollen - und dorthin, wo ich will. Ein Licht gieng mir auf: nicht zum Volke rede Zarathustra, sondern zu Gefaehrten! Nicht soll Zarathustra einer Heerde Hirt und Hund werden! Viele wegzulocken von der Heerde - dazu kam ich. Zuernen soll mir Volk und Heerde: Raeuber will Zarathustra den Hirten heissen. Hirten sage ich, aber sie nennen sich die Guten und Gerechten. Hirten sage ich: aber sie nennen sich die Glaeubigen des rechten Glaubens. Siehe die Guten und Gerechten! Wen hassen sie am meisten? Den, der zerbricht ihre Tafeln der Werthe, den Brecher, den Verbrecher: - das aber ist der Schaffende. Siehe die Glaeubigen aller Glauben! Wen hassen sie am meisten? Den, der zerbricht ihre Tafeln der Werthe, den Brecher, den Verbrecher: - das aber ist der Schaffende. Gefaehrten sucht der Schaffende und nicht Leichname, und auch nicht Heerden und Glaeubige. Die Mitschaffenden sucht der Schaffende, Die, welche neue Werthe auf neue Tafeln schreiben. Gefaehrten sucht der Schaffende, und Miterntende: denn Alles steht bei ihm reif zur Ernte. Aber ihm fehlen die hundert Sicheln: so rauft er Aehren aus und ist aergerlich. Gefaehrten sucht der Schaffende, und solche, die ihre Sicheln zu wetzen wissen. Vernichter wird man sie heissen und Veraechter des Guten und Boesen. Aber die Erntenden sind es und die Feiernden. Mitschaffende sucht Zarathustra, Miterntende und Mitfeiernde sucht Zarathustra: was hat er mit Heerden und Hirten und Leichnamen zu schaffen! Und du, mein erster Gefaehrte, gehab dich wohl! Gut begrub ich dich in deinem hohlen Baume, gut barg ich dich vor den Woelfen. Aber ich scheide von dir, die Zeit ist um. Zwischen Morgenroethe und Morgenroethe kam mir eine neue Wahrheit. Nicht Hirt soll ich sein, nicht Todtengraeber. Nicht reden einmal will ich wieder mit dem Volke; zum letzten Male sprach ich zu einem Todten. Den Schaffenden, den Erntenden, den Feiernden will ich mich zugesellen: den Regenbogen will ich ihnen zeigen und alle die Treppen des Uebermenschen. Den Einsiedlern werde ich mein Lied singen und den Zweisiedlern; und wer noch Ohren hat fuer Unerhoertes, dem will ich sein Herz schwer machen mit meinem Gluecke. Zu meinem Ziele will ich, ich gehe meinen Gang; ueber die Zoegernden und Saumseligen werde ich hinwegspringen. Also sei mein Gang ihr Untergang! 10. Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen gesprochen, als die Sonne im Mittag stand: da blickte er fragend in die Hoehe - denn er hoerte ueber sich den scharfen Ruf eines Vogels. Und siehe! Ein Adler zog in weiten Kreisen durch die Luft, und an ihm hieng eine Schlange, nicht einer Beute gleich, sondern einer Freundin: denn sie hielt sich um seinen Hals geringelt. "Es sind meine Thiere!" sagte Zarathustra und freute sich von Herzen. "Das stolzeste Thier unter der Sonne und das kluegste Thier unter der Sonne - sie sind ausgezogen auf Kundschaft. Erkunden wollen sie, ob Zarathustra noch lebe. Wahrlich, lebe ich noch? Gefaehrlicher fand ich's unter Menschen als unter Thieren, gefaehrlicher Wege geht Zarathustra. Moegen mich meine Thiere fuehren!" Als Zarathustra diess gesagt hatte, gedachte er der Worte des Heiligen im Walde, seufzte und sprach also zu seinem Herzen: Moechte ich klueger sein! Moechte ich klug von Grund aus sein, gleich meiner Schlange! Aber Unmoegliches bitte ich da: so bitte ich denn meinen Stolz, dass er immer mit meiner Klugheit gehe! Und wenn mich einst meine Klugheit verlaesst: - ach, sie liebt es, davonzufliegen! - moege mein Stolz dann noch mit meiner Thorheit fliegen! - Also begann Zarathustra's Untergang. Die Reden Zarathustra's Von den drei Verwandlungen Drei Verwandlungen nenne ich euch des Geistes: wie der Geist zum Kamele wird, und zum Loewen das Kameel, und zum Kinde zuletzt der Loewe. Vieles Schwere giebt es dem Geiste, dem starken, tragsamen Geiste, dem Ehrfurcht innewohnt: nach dem Schweren und Schwersten verlangt seine Staerke. Was ist schwer? so fragt der tragsame Geist, so kniet er nieder, dem Kameele gleich, und will gut beladen sein. Was ist das Schwerste, ihr Helden? so fragt der tragsame Geist, dass ich es auf mich nehme und meiner Staerke froh werde. Ist es nicht das: sich erniedrigen, um seinem Hochmuth wehe zu thun? Seine Thorheit leuchten lassen, um seiner Weisheit zu spotten? Oder ist es das: von unserer Sache scheiden, wenn sie ihren Sieg feiert? Auf hohe Berge steigen, um den Versucher zu versuchen? Oder ist es das: sich von Eicheln und Gras der Erkenntniss naehren und um der Wahrheit willen an der Seele Hunger leiden? Oder ist es das: krank sein und die Troester heimschicken und mit Tauben Freundschaft schliessen, die niemals hoeren, was du willst? Oder ist es das: in schmutziges Wasser steigen, wenn es das Wasser der Wahrheit ist, und kalte Froesche und heisse Kroeten nicht von sich weisen? Oder ist es das: Die lieben, die uns verachten, und dem Gespenste die Hand reichen, wenn es uns fuerchten machen will? Alles diess Schwerste nimmt der tragsame Geist auf sich: dem Kameele gleich, das beladen in die Wueste eilt, also eilt er in seine Wueste. Aber in der einsamsten Wueste geschieht die zweite Verwandlung: zum Loewen wird hier der Geist, Freiheit will er sich erbeuten und Herr sein in seiner eignen Wueste. Seinen letzten Herrn sucht er sich hier: feind will er ihm werden und seinem letzten Gotte, um Sieg will er mit dem grossen Drachen ringen. Welches ist der grosse Drache, den der Geist nicht mehr Herr und Gott heissen mag? "Du-sollst" heisst der grosse Drache. Aber der Geist des Loewen sagt "Ich will". "Du-sollst" liegt ihm am Wege, goldfunkelnd, ein Schuppenthier, und auf jeder Schuppe glaenzt golden "Du-sollst!" Tausendjaehrige Werthe glaenzen an diesen Schuppen, und also spricht der maechtigste aller Drachen "aller Werth der Dinge - der glaenzt an mir." "Aller Werth ward schon geschaffen, und aller geschaffene Werth - das bin ich. Wahrlich, es soll kein `Ich will` mehr geben!" Also spricht der Drache. Meine Brueder, wozu bedarf es des Loewen im Geiste? Was genuegt nicht das lastbare Thier, das entsagt und ehrfuerchtig ist? Neue Werthe schaffen - das vermag auch der Loewe noch nicht: aber Freiheit sich schaffen zu neuem Schaffen - das vermag die Macht des Loewen. Freiheit sich schaffen und ein heiliges Nein auch vor der Pflicht: dazu, meine Brueder bedarf es des Loewen. Recht sich nehmen zu neuen Werthen - das ist das furchtbarste Nehmen fuer einen tragsamen und ehrfuerchtigen Geist. Wahrlich, ein Rauben ist es ihm und eines raubenden Thieres Sache. Als sein Heiligstes liebte er einst das "Du-sollst": nun muss er Wahn und Willkuer auch noch im Heiligsten finden, dass er sich Freiheit raube von seiner Liebe: des Loewen bedarf es zu diesem Raube. Aber sagt, meine Brueder, was vermag noch das Kind, das auch der Loewe nicht vermochte? Was muss der raubende Loewe auch noch zum Kinde werden? Unschuld ist das Kind und Vergessen, ein Neubeginnen, ein Spiel, ein aus sich rollendes Rad, eine erste Bewegung, ein heiliges Ja-sagen. Ja, zum Spiele des Schaffens, meine Brueder, bedarf es eines heiligen Ja-sagens: _seinen_ Willen will nun der Geist, _seine_ Welt gewinnt sich der Weltverlorene. Drei Verwandlungen nannte ich euch des Geistes: wie der Geist zum Kameele ward, und zum Loewen das Kameel, und der Loewe zuletzt zum Kinde. -- Also sprach Zarathustra. Und damals weilte er in der Stadt, welche genannt wird: die bunte Kuh. Von den Lehrstuehlen der Tugend Man ruehmte Zarathustra einen Weisen, der gut vom Schlafe und von der Tugend zu reden wisse: sehr werde er geehrt und gelohnt dafuer, und alle Juenglinge saessen vor seinem Lehrstuhle. Zu ihm gieng Zarathustra, und mit allen Juenglingen sass er vor seinem Lehrstuhle. Und also sprach der Weise: Ehre und Scham vor dem Schlafe! Das ist das Erste! Und Allen aus dem Wege gehn, die schlecht schlafen und Nachts wachen! Schamhaft ist noch der Dieb vor dem Schlafe: stets stiehlt er sich leise durch die Nacht. Schamlos aber ist der Waechter der Nacht, schamlos traegt er sein Horn. Keine geringe Kunst ist schlafen: es thut schon Noth, den ganzen Tag darauf hin zu wachen. Zehn Mal musst du des Tages dich selber ueberwinden: das macht eine gute Muedigkeit und ist Mohn der Seele. Zehn Mal musst du dich wieder dir selber versoehnen; denn Ueberwindung ist Bitterniss, und schlecht schlaeft der Unversoehnte. Zehn Wahrheiten musst du des Tages finden: sonst suchst du noch des Nachts nach Wahrheit, und deine Seele blieb hungrig. Zehn Mal musst du lachen am Tage und heiter sein: sonst stoert dich der Magen in der Nacht, dieser Vater der Truebsal. Wenige wissen das: aber man muss alle Tugenden haben, um gut zu schlafen. Werde ich falsch Zeugniss reden? Werde ich ehebrechen? Werde ich mich geluesten lassen meines Naechsten Magd? Das Alles vertruege sich schlecht mit gutem Schlafe. Und selbst wenn man alle Tugenden hat, muss man sich noch auf Eins verstehn: selber die Tugenden zur rechten Zeit schlafen schicken. Dass sie sich nicht mit einander zanken, die artigen Weiblein! Und ueber dich, du Unglueckseliger! Friede mit Gott und dem Nachbar: so will es der gute Schlaf. Und Friede auch noch mit des Nachbars Teufel! Sonst geht er bei dir des Nachts um. Ehre der Obrigkeit und Gehorsam, und auch der krummen Obrigkeit! So will es der gute Schlaf. Was kann ich dafuer, dass die Macht gerne auf krummen Beinen Wandelt? Der soll mir immer der beste Hirt heissen, der sein Schaf auf die gruenste Aue fuehrt: so vertraegt es sich mit dem gutem Schlafe. Viel Ehren will ich nicht, noch grosse Schaetze: das entzuendet die Milz. Aber schlecht schlaeft es sich ohne einen guten Namen und einen kleinen Schatz. Eine kleine Gesellschaft ist mir willkommener als eine boese: doch muss sie gehn und kommen zur rechten Zeit. So vertraegt es sich mit gutem Schlafe. Sehr gefallen mir auch die Geistig-Armen: sie foerdern den Schlaf. Selig sind die, sonderlich, wenn man ihnen immer Recht giebt. Also laeuft der Tag dem Tugendsamen. Kommt nun die Nacht, so huete ich mich wohl, den Schlaf zu rufen! Nicht will er gerufen sein, der Schlaf, der der Herr der Tugenden ist! Sondern ich denke, was ich des Tages gethan und gedacht. Wiederkaeuend frage ich mich, geduldsam gleich einer Kuh: welches waren doch deine zehn Ueberwindungen? Und welches waren die zehn Versoehnungen und die zehn Wahrheiten und die zehn Gelaechter, mit denen sich mein Herz guetlich that? Solcherlei erwaegend und gewiegt von vierzig Gedanken, ueberfaellt mich auf einmal der Schlaf, der Ungerufne, der Herr der Tugenden. Der Schlaf klopft mir auf meine Auge: da wird es schwer. Der Schlaf beruehrt mir den Mund: da bleibt er offen. Wahrlich, auf weichen Sohlen kommt er mir, der liebste der Diebe, und stiehlt mir meine Gedanken: dumm stehe ich da wie dieser Lehrstuhl. Aber nicht lange mehr stehe ich dann: da liege ich schon. - Als Zarathustra den Weisen also sprechen hoerte, lachte er bei sich im Herzen: denn ihm war dabei ein Licht aufgegangen. Und also sprach er zu seinem Herzen: Ein Narr ist mir dieser Weise da mit seinen vierzig Gedanken: aber ich glaube, dass er sich wohl auf das Schlafen versteht. Gluecklich schon, wer in der Naehe dieses Weisen wohnt! Solch ein Schlaf steckt an, noch durch eine dicke Wand hindurch steckt er an. Ein Zauber wohnt selbst in seinem Lehrstuhle. Und nicht vergebens sassen die Juenglinge vor dem Prediger der Tugend. Seine Weisheit heisst: wachen, um gut zu schlafen. Und wahrlich, haette das Leben keinen Sinn und muesste ich Unsinn waehlen, so waere auch mir diess der waehlenswuerdigste Unsinn. Jetzo verstehe ich klar, was einst man vor Allem suchte, wenn man Lehrer der Tugend suchte. Guten Schlaf suchte man sich und mohnblumige Tugenden dazu! Allen diesen gelobten Weisen der Lehrstuehle war Weisheit der Schlaf ohne Traeume: sie kannten keinen bessern Sinn des Lebens. Auch noch heute wohl giebt es Einige, wie diesen Prediger der Tugend, und nicht immer so Ehrliche: aber ihre Zeit ist um. Und nicht mehr lange stehen sie noch: da liegen sie schon. Selig sind diese Schlaefrigen: denn sie sollen bald einnicken. - Also sprach Zarathustra. Von den Hinterweltlern Einst warf auch Zarathustra seinen Wahn jenseits des Menschen, gleich allen Hinterweltlern. Eines leidenden und zerquaelten Gottes Werk schien mir da die Welt. Traum schien mir da die Welt und Dichtung eines Gottes; farbiger Rauch vor den Augen eines goettlich Unzufriednen. Gut und boese und Lust und Leid und Ich und Du - farbiger Rauch duenkte mich's vor schoepferischen Augen. Wegsehn wollte der Schoepfer von sich, - da schuf er die Welt. Trunkne Lust ist's dem Leidenden, wegzusehn von seinem Leiden und sich zu verlieren. Trunkne Lust Und Selbst-sich-Verlieren duenkte mich einst die Welt. Diese Welt, die ewig unvollkommene, eines ewigen Widerspruches Abbild und unvollkommnes Abbild - eine trunkne Lust ihrem unvollkommnen Schoepfer: - also duenkte mich einst die Welt. Also warf auch ich einst meinen Wahn jenseits des Menschen, gleich allen Hinterweltlern. Jenseits des Menschen in Wahrheit? Ach, ihr Brueder, dieser Gott, den ich schuf, war Menschen-Werk und -Wahnsinn, gleich allen Goettern! Mensch war er, und nur ein armes Stueck Mensch und Ich: aus der eigenen Asche und Gluth kam es mir, dieses Gespenst, und wahrlich! Nicht kam es mir von Jenseits! Was geschah, meine Brueder? Ich ueberwand mich, den Leidenden, ich trug meine eigne Asche zu Berge, eine hellere Flamme erfand ich mir. Und siehe! Da _wich_ das Gespenst von mir! Leiden waere es mir jetzt und Qual dem Genesenen, solche Gespenster zu glauben: Leiden waere es mir jetzt und Erniedrigung. Also rede ich zu den Hinterweltlern. Leiden war's und Unvermoegen - das schuf alle Hinterwelten; und jener kurze Wahnsinn des Gluecks, den nur der Leidendste erfaehrt. Muedigkeit, die mit Einem Sprunge zum Letzten will, mit einem Todessprunge, eine arme unwissende Muedigkeit, die nicht einmal mehr wollen will: die schuf alle Goetter und Hinterwelten. Glaubt es mir, meine Brueder! Der Leib war's, der am Leibe verzweifelte, - der tastete mit den Fingern des bethoerten Geistes an die letzten Waende. Glaubt es mir, meine Brueder! Der Leib war's, der an der Erde verzweifelte, - der hoerte den Bauch des Seins zu sich reden. Und da wollte er mit dem Kopfe durch die letzten Waende, und nicht nur mit dem Kopfe, - hinueber zu "jener Welt". Aber "jene Welt" ist gut verborgen vor dem Menschen, jene entmenschte unmenschliche Welt, die ein himmlisches Nichts ist; und der Bauch des Seins redet gar nicht zum Menschen, es sei denn als Mensch. Wahrlich, schwer zu beweisen ist alles Sein und schwer zum Reden zu bringen. Sagt mir, ihr Brueder, ist nicht das Wunderlichste aller Dinge noch am besten bewiesen? Ja, diess Ich und des Ich's Widerspruch und Wirrsal redet noch am redlichsten von seinem Sein, dieses schaffende, wollende, werthende Ich, welches das Maass und der Werth der Dinge ist. Und diess redlichste Sein, das Ich - das redet vom Leibe, und es will noch den Leib, selbst wenn es dichtet und schwaermt und mit zerbrochnen Fluegeln flattert. Immer redlicher lernt es reden, das Ich: und je mehr es lernt, um so mehr findet es Worte und Ehren fuer Leib und Erde. Einen neuen Stolz lehrte mich mein Ich, den lehre ich die Menschen: - nicht mehr den Kopf in den Sand der himmlischen Dinge zu stecken, sondern frei ihn zu tragen, einen Erden-Kopf, der der Erde Sinn schafft! Einen neuen Willen lehre ich die Menschen: diesen Weg wollen, den blindlings der Mensch gegangen, und gut ihn heissen und nicht mehr von ihm bei Seite schleichen, gleich den Kranken und Absterbenden! Kranke und Absterbende waren es, die verachteten Leib und Erde und erfanden das Himmlische und die erloesenden Blutstropfen: aber auch noch diese suessen und duestern Gifte nahmen sie von Leib und Erde! Ihrem Elende wollten sie entlaufen, und die Sterne waren ihnen zu weit. Da seufzten sie: "Oh dass es doch himmlische Wege gaebe, sich in ein andres Sein und Glueck zu schleichen!" - da erfanden sie sich ihre Schliche und blutigen Traenklein! Ihrem Leibe und dieser Erde nun entrueckt waehnten sie sich, diese Undankbaren. Doch wem dankten sie ihrer Entrueckung Krampf und Wonne? Ihrem Leibe und dieser Erde. Milde ist Zarathustra den Kranken. Wahrlich, er zuernt nicht ihren Arten des Trostes und Undanks. Moegen sie Genesende werden und Ueberwindende und einen hoeheren Leib sich schaffen! Nicht auch zuernt Zarathustra dem Genesenden, wenn er zaertlich nach seinem Wahne blickt und Mitternachts um das Grab seines Gottes schleicht: aber Krankheit und kranker Leib bleiben mir auch seine Thraenen noch. Vieles krankhafte Volk gab es immer unter Denen, welche dichten und gottsuechtig sind; wuethend hassen sie den Erkennenden und jene juengste der Tugenden, welche heisst: Redlichkeit. Rueckwaerts blicken sie immer nach dunklen Zeiten: da freilich war Wahn und Glaube ein ander Ding; Raserei der Vernunft war Gottaehnlichkeit, und Zweifel Suende. Allzugut kenne ich diese Gottaehnlichen: sie wollen, dass an sie geglaubt werde, und Zweifel Suende sei. Allzugut weiss ich auch, woran sie selber am besten glauben. Wahrlich nicht an Hinterwelten und erloesende Blutstropfen: sondern an den Leib glauben auch sie am besten, und ihr eigener Leib ist ihnen ihr Ding an sich. Aber ein krankhaftes Ding ist er ihnen: und gerne moechten sie aus der Haut fahren. Darum horchen sie nach den Predigern des Todes und predigen selber Hinterwelten. Hoert mir lieber, meine Brueder, auf die Stimme des gesunden Leibes: eine redlichere und reinere Simme ist diess. Redlicher redet und reiner der gesunde Leib, der vollkommne und rechtwinklige: und er redet vom Sinn der Erde. Also sprach Zarathustra. Von den Veraechtern des Leibes Den Veraechtern des Leibes will ich mein Wort sagen. Nicht umlernen und umlehren sollen sie mir, sondern nur ihrem eignen Leibe Lebewohl sagen - und also stumm werden. "Leib bin ich und Seele" - so redet das Kind. Und warum sollte man nicht wie die Kinder reden? Aber der Erwachte, der Wissende sagt: Leib bin ich ganz und gar, und Nichts ausserdem; und Seele ist nur ein Wort fuer ein Etwas am Leibe. Der Leib ist eine grosse Vernunft, eine Vielheit mit Einem Sinne, ein Krieg und ein Frieden, eine Heerde und ein Hirt. Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine Vernunft, mein Bruder, die du "Geist" nennst, ein kleines Werk- und Spielzeug deiner grossen Vernunft. "Ich" sagst du und bist stolz auf diess Wort. Aber das Groessere ist, woran du nicht glauben willst, - dein Leib und seine grosse Vernunft: die sagt nicht Ich, aber thut Ich. Was der Sinn fuehlt, was der Geist erkennt, das hat niemals in sich sein Ende. Aber Sinn und Geist moechten dich ueberreden, sie seien aller Dinge Ende: so eitel sind sie. Werk- und Spielzeuge sind Sinn und Geist: hinter ihnen liegt noch das Selbst. Das Selbst sucht auch mit den Augen der Sinne, es horcht auch mit den Ohren des Geistes. Immer horcht das Selbst und sucht: es vergleicht, bezwingt, erobert, zerstoert. Es herrscht und ist auch des Ich's Beherrscher. Hinter deinen Gedanken und Gefuehlen, mein Bruder, steht ein maechtiger Gebieter, ein unbekannter Weiser - der heisst Selbst. In deinem Leibe wohnt er, dein Leib ist er. Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe, als in deiner besten Weisheit. Und wer weiss denn, wozu dein Leib gerade deine beste Weisheit noethig hat? Dein Selbst lacht ueber dein Ich und seine stolzen Spruenge. "Was sind mir diese Spruenge und Fluege des Gedankens? sagt es sich. Ein Umweg zu meinem Zwecke. Ich bin das Gaengelband des Ich's und der Einblaeser seiner Begriffe." Das Selbst sagt zum Ich: "hier fuehle Schmerz!" Und da leidet es und denkt nach, wie es nicht mehr leide - und dazu eben _soll_ es denken. Das Selbst sagt zum Ich: "hier fuehle Lust!" Da freut es sich und denkt nach, wie es noch oft sich freue - und dazu eben _soll_ es denken. Den Veraechtern des Leibes will ich ein Wort sagen. Dass sie verachten, das macht ihr Achten. Was ist es, das Achten und Verachten und Werth und Willen schuf? Das schaffende Selbst schuf sich Achten und Verachten, es schuf sich Lust und Weh. Der schaffende Leib schuf sich den Geist als eine Hand seines Willens. Noch in eurer Thorheit und Verachtung, ihr Veraechter des Leibes, dient ihr eurem Selbst. Ich sage euch: euer Selbst selber will sterben und kehrt sich vom Leben ab. Nicht mehr vermag es das, was es am liebsten wilI: - ueber sich hinaus zu schaffen. Das will es am liebsten, das ist seine ganze Inbrunst. Aber zu spaet ward es ihm jetzt dafuer: - so will euer Selbst untergehn, ihr Veraechter des Leibes. Untergehn will euer Selbst, und darum wurdet ihr zu Veraechtern des Leibes! Denn nicht mehr vermoegt ihr ueber euch hinaus zu schaffen. Und darum zuernt ihr nun dem Leben und der Erde. Ein ungewusster Neid ist im scheelen Blick eurer Verachtung. Ich gehe nicht euren Weg, ihr Veraechter des Leibes! Ihr seid mir keine Bruecken zum Uebermenschen! - Also sprach Zarathustra. Von den Freuden- und Leidenschaften Mein Bruder, wenn du eine Tugend hast, und es deine Tugend ist, so hast du sie mit Niemandem gemeinsam. Freilich, du willst sie bei Namen nennen und liebkosen; du willst sie am Ohre zupfen und Kurzweil mit ihr treiben. Und siehe! Nun hast du ihren Namen mit dem Volke gemeinsam und bist Volk und Heerde geworden mit deiner Tugend! Besser thaetest du, zu sagen: "unaussprechbar ist und namenlos, was meiner Seele Qual und Suesse macht und auch noch der Hunger meiner Eingeweide ist." Deine Tugend sei zu hoch fuer die Vertraulichkeit der Namen: und musst du von ihr reden, so schaeme dich nicht, von ihr zu stammeln. So sprich und stammle: "Das ist _mein_ Gutes, das liebe ich, so gefaellt es mir ganz, so allein will ich das Gute. Nicht will ich es als eines Gottes Gesetz, nicht will ich es als eine Menschen-Satzung und -Nothdurft: kein Wegweiser sei es mir fuer Ueber-Erden und Paradiese. Eine irdische Tugend ist es, die ich liebe: wenig Klugheit ist darin und am wenigsten die Vernunft Aller. Aber dieser Vogel baute bei mir sich das Nest: darum liebe und herze ich ihn, - nun sitze er bei mir auf seinen goldnen Eiern." So sollst du stammeln und deine Tugend loben. Einst hattest du Leidenschaften und nanntest sie boese. Aber jetzt hast du nur noch deine Tugenden: die wuchsen aus deinen Leidenschaften. Du legtest dein hoechstes Ziel diesen Leidenschaften an's Herz: da wurden sie deine Tugenden und Freudenschaften. Und ob du aus dem Geschlechte der Jaehzornigen waerest oder aus dem der Wolluestigen oder der Glaubens-Wuethigen oder der Rachsuechtigen: Am Ende wurden alle deine Leidenschaften zu Tugenden und alle deine Teufel zu Engeln. Einst hattest du wilde Hunde in deinem Keller: aber am Ende verwandelten sie sich zu Voegeln und lieblichen Saengerinnen. Aus deinen Giften brautest du dir deinen Balsam; deine Kuh Truebsal melktest du, - nun trinkst du die suesse Milch ihres Euters. Und nichts Boeses waechst mehr fuerderhin aus dir, es sei denn das Boese, das aus dem Kampfe deiner Tugenden waechst. Mein Bruder, wenn du Glueck hast, so hast du Eine Tugend und nicht mehr: so gehst du leichter ueber die Bruecke. Auszeichnend ist es, viele Tugenden zu haben, aber ein schweres Loos; und Mancher gieng in die Wueste und toedtete sich, weil er muede war, Schlacht und Schlachtfeld von Tugenden zu sein. Mein Bruder, ist Krieg und Schlacht boese? Aber nothwendig ist diess Boese, nothwendig ist der Neid und das Misstrauen und die Verleumdung unter deinen Tugenden. Siehe, wie jede deiner Tugenden begehrlich ist nach dem Hoechsten: sie will deinen ganzen Geist, dass er _ihr_ Herold sei, sie will deine ganze Kraft in Zorn, Hass und Liebe. Eifersuechtig ist jede Tugend auf die andre, und ein furchtbares Ding ist Eifersucht. Auch Tugenden koennen an der Eifersucht zu Grunde gehn. Wen die Flamme der Eifersucht umringt, der wendet zuletzt, gleich dem Scorpione, gegen sich selber den vergifteten Stachel. Ach, mein Bruder, sahst du noch nie eine Tugend sich selber verleumden und erstechen? Der Mensch ist Etwas, das ueberwunden werden muss: und darum sollst du deine Tugenden lieben, - denn du wirst an ihnen zu Grunde gehn. - Also sprach Zarathustra. Vom bleichen Verbrecher Ihr wollt nicht toedten, ihr Richter und Opferer, bevor das Thier nicht genickt hat? Seht, der bleiche Verbrecher hat genickt: aus seinem Auge redet die grosse Verachtung. "Mein Ich ist Etwas, das ueberwunden werden soll: mein Ich ist mir die grosse Verachtung des Menschen": so redet es aus diesem Auge. Dass er sich selber richtete, war sein hoechster Augenblick: lasst den Erhabenen nicht wieder zurueck in sein Niederes! Es giebt keine Erloesung fuer Den, der so an sich selber leidet, es sei denn der schnelle Tod. Euer Toedten, ihr Richter, soll ein Mitleid sein und keine Rache. Und indem ihr toedtet, seht zu, dass ihr selber das Leben rechtfertiget! Es ist nicht genug, dass ihr euch mit Dem versoehnt, den ihr toedtet. Eure Traurigkeit sei Liebe zum Uebermenschen: so rechtfertigt ihr euer Noch-Leben! "Feind" sollt ihr sagen, aber nicht "Boesewicht"; "Kranker" sollt ihr sagen, aber nicht "Schuft"; "Thor" sollt ihr sagen, aber nicht "Suender". Und du, rother Richter, wenn du laut sagen wolltest, was du Alles schon in Gedanken gethan hast: so wuerde Jedermann schreien: "Weg mit diesem Unflath und Giftwurm!" Aber ein Anderes ist der Gedanke, ein Anderes die That, ein Anderes das Bild der That. Das Rad des Grundes rollt nicht wischen ihnen. Ein Bild machte diesen bleichen Menschen bleich. Gleichwuechsig war er seiner That, als er sie that: aber ihr Bild ertrug er nicht, als sie gethan war. Immer sah er sich nun als Einer That Thaeter. Wahnsinn heisse ich diess: die Ausnahme verkehrte sich ihm zum Wesen. Der Strich bannt die Henne; der Streich, den er fuehrte, bannte seine arme Vernunft - den Wahnsinn _nach_ der That heisse ich diess. Hoert, ihr Richter! Einen anderen Wahnsinn giebt es noch: und der ist vor der That. Ach, ihr krocht mir nicht tief genug in diese Seele! So spricht der rothe Richter: "was mordete doch dieser Verbrecher? Er wollte rauben." Aber ich sage euch: seine Seele wollte Blut, nicht Raub: er duerstete nach dem Glueck des Messers! Seine arme Vernunft aber begriff diesen Wahnsinn nicht und ueberredete ihn. "Was liegt an Blut! sprach sie; willst du nicht zum mindesten einen Raub dabei machen? Eine Rache nehmen?" Und er horchte auf seine arme Vernunft: wie Blei lag ihre Rede auf ihm, - da raubte er, als er mordete. Er wollte sich nicht seines Wahnsinns schaemen. Und nun wieder liegt das Blei seiner Schuld auf ihm, und wieder ist seine arme Vernunft so steif, so gelaehmt, so schwer. Wenn er nur den Kopf schuetteln koennte, so wuerde seine Last herabrollen: aber wer schuettelt diesen Kopf? Was ist dieser Mensch? Ein Haufen von Krankheiten, welche durch den Geist in die Welt hinausgreifen: da wollen sie ihre Beute machen. Was ist dieser Mensch? Ein Knaeuel wilder Schlangen, welche selten bei einander Ruhe haben, - da gehn sie fuer sich fort und suchen Beute in der Welt. Seht diesen armen Leib! Was er litt und begehrte, das deutete sich diese arme Seele, - sie deutete es als moerderische Lust und Gier nach dem Glueck des Messers. Wer jetzt krank wird, den ueberfaellt das Boese, das jetzt boese ist: wehe will er thun, mit dem, was ihm wehe thut. Aber es gab andre Zeiten und ein andres Boeses und Gutes. Einst war der Zweifel boese und der Wille zum Selbst. Damals wurde der Kranke zum Ketzer und zur Hege: als Ketzer und Hexe litt er und wollte leiden machen. Aber diess will nicht in eure Ohren: euren Guten schade es, sagt ihr mir. Aber was liegt mir an euren Guten! Vieles an euren Guten macht mir Ekel, und wahrlich nicht ihr Boeses. Wollte ich doch, sie haetten einen Wahnsinn, an dem sie zu Grunde giengen, gleich diesem bleichen Verbrecher! Wahrlich, ich wollte, ihr Wahnsinn hiesse Wahrheit oder Treue oder Gerechtigkeit: aber sie haben ihre Tugend, um lange zu leben und in einem erbaermlichen Behagen. Ich bin ein Gelaender am Strome: fasse mich, wer mich fassen kann! Eure Kruecke aber bin ich nicht. - Also sprach Zarathustra. Vom Lesen und Schreiben Von allem Geschriebenen liebe ich nur Das, was Einer mit seinem Blute schreibt. Schreibe mit Blut: und du wirst erfahren, dass Blut Geist ist. Es ist nicht leicht moeglich, fremdes Blut zu verstehen: ich hasse die lesenden Muessiggaenger. Wer den Leser kennt, der thut Nichts mehr fuer den Leser. Noch ein Jahrhundert Leser - und der Geist selber wird stinken. Dass Jedermann lesen lernen darf, verdirbt auf die Dauer nicht allein das Schreiben, sondern auch das Denken. Einst war der Geist Gott, dann wurde er zum Menschen und jetzt wird er gar noch Poebel. Wer in Blut und Spruechen schreibt, der will nicht gelesen, sondern auswendig gelernt werden. Im Gebirge ist der naechste Weg von Gipfel zu Gipfel: aber dazu musst du lange Beine haben. Sprueche sollen Gipfel sein: und Die, zu denen gesprochen wird, Grosse und Hochwuechsige. Die Luft duenn und rein, die Gefahr nahe und der Geist voll einer froehlichen Bosheit: so passt es gut zu einander. Ich will Kobolde um mich haben, denn ich bin muthig. Muth, der die Gespenster verscheucht, schafft sich selber Kobolde, - der Muth will lachen. Ich empfinde nicht mehr mit euch: diese Wolke, die ich unter mir sehe, diese Schwaerze und Schwere, ueber die ich lache, - gerade das ist eure Gewitterwolke. Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung verlangt. Und ich sehe hinab, weil ich erhoben bin. Wer von euch kann zugleich lachen und erhoben sein? Wer auf den hoechsten Bergen steigt, der lacht ueber alle Trauer-Spiele und Trauer-Ernste. Muthig, unbekuemmert, spoettisch, gewaltthaetig - so will uns die Weisheit: sie ist ein Weib und liebt immer nur einen Kriegsmann. Ihr sagt mir: "das Leben ist schwer zu tragen." Aber wozu haettet ihr Vormittags euren Stolz und Abends eure Ergebung? Das Leben ist schwer zu tragen: aber so thut mir doch nicht so zaertlich! Wir sind allesammt huebsche lastbare Esel und Eselinnen. Was haben wir gemein mit der Rosenknospe, welche zittert, weil ihr ein Tropfen Thau auf dem Leibe liegt? Es ist wahr: wir lieben das Leben, nicht, weil wir an's Leben, sondern weil wir an's Lieben gewoehnt sind. Es ist immer etwas Wahnsinn in der Liebe. Es ist aber immer auch etwas Vernunft im Wahnsinn. Und auch mir, der ich dem Leben gut bin, scheinen Schmetterlinge und Seifenblasen und was ihrer Art unter Menschen ist, am meisten vom Gluecke zu wissen. Diese leichten thoerichten zierlichen beweglichen Seelchen flattern zu sehen - das verfuehrt Zarathustra zu Thraenen und Liedern. Ich wuerde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstuende. Und als ich meinen Teufel sah, da fand ich ihn ernst, gruendlich, tief, feierlich: es war der Geist der Schwere, - durch ihn fallen alle Dinge. Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen toedtet man. Auf, lasst uns den Geist der Schwere toedten! Ich habe gehen gelernt: seitdem lasse ich mich laufen. Ich habe fliegen gelernt: seitdem will ich nicht erst gestossen sein, um von der Stelle zu kommen. Jetzt bin ich leicht, jetzt fliege ich, jetzt sehe ich mich unter mir, jetzt tanzt ein Gott durch mich. Also sprach Zarathustra. Vom Baum am Berge Zarathustra's Auge hatte gesehn, dass ein Juengling ihm auswich. Und als er eines Abends allein durch die Berge gieng, welche die Stadt umschliessen, die genannt wird "die bunte Kuh": siehe, da fand er im Gehen diesen Juengling, wie er an einen Baum gelehnt sass und mueden Blickes in das Thal schaute. Zarathustra fasste den Baum an, bei welchem der Juengling sass, und sprach also: Wenn ich diesen Baum da mit meinen Haenden schuetteln wollte, ich wuerde es nicht vermoegen. Aber der Wind, den wir nicht sehen, der quaelt und biegt ihn, wohin er will. Wir werden am schlimmsten von unsichtbaren Haenden gebogen und gequaelt. Da erhob sich der Juengling bestuerzt und sagte: "ich hoere Zarathustra und eben dachte ich an ihn." Zarathustra entgegnete: "Was erschrickst du desshalb? - Aber es ist mit dem Menschen wie mit dem Baume. Je mehr er hinauf in die Hoehe und Helle will, um so staerker streben seine Wurzeln erdwaerts, abwaerts, in's Dunkle, Tiefe, - in's Boese." "Ja in's Boese! rief der Juengling. Wie ist es moeglich, dass du meine Seele entdecktest?" Zarathustra laechelte und sprach: "Manche Seele wird man nie entdecken, es sei denn, dass man sie zuerst erfindet." "Ja in's Boese! rief der Juengling nochmals. Du sagtest die Wahrheit, Zarathustra. Ich traue mir selber nicht mehr, seitdem ich in die Hoehe will, und Niemand traut mir mehr, - wie geschieht diess doch? Ich verwandele mich zu schnell: mein Heute widerlegt mein Gestern. Ich ueberspringe oft die Stufen, wenn ich steige, - das verzeiht mir keine Stufe. Bin ich oben, so finde ich mich immer allein. Niemand redet mit mir, der Frost der Einsamkeit macht mich zittern. Was will ich doch in der Hoehe? Meine Verachtung und meine Sehnsucht wachsen mit einander; je hoeher ich steige, um so mehr verachte ich Den, der steigt. Was will er doch in der Hoehe? Wie schaeme ich mich meines Steigens und Stolperns! Wie spotte ich meines heftigen Schnaubens! Wie hasse ich den Fliegenden! Wie muede bin ich in der Hoehe!" Hier schwieg der Juengling. Und Zarathustra betrachtete den Baum, an dem sie standen, und sprach also: Dieser Baum steht einsam hier am Gebirge; er wuchs hoch hinweg ueber Mensch und Thier. Und wenn er reden wollte, er wuerde Niemanden haben, der ihn verstuende: so hoch wuchs er. Nun wartet er und wartet, - worauf wartet er doch? Er wohnt dem Sitze der Wolken zu nahe: er wartet wohl auf den ersten Blitz? Als Zarathustra diess gesagt hatte, rief der Juengling mit heftigen Gebaerden: "Ja, Zarathustra, du sprichst die Wahrheit. Nach meinem Untergange verlangte ich, als ich in die Hoehe wollte, und du bist der Blitz, auf den ich wartete! Siehe, was bin ich noch, seitdem du uns erschienen bist? Der _Neid_ auf dich ist's, der mich zerstoert hat!" - So sprach der Juengling und weinte bitterlich. Zarathustra aber legte seinen Arm um ihn und fuehrte ihn mit sich fort. Und als sie eine Weile mit einander gegangen waren, hob Zarathustra also an zu sprechen: Es zerreisst mir das Herz. Besser als deine Worte es sagen, sagt mir dein Auge alle deine Gefahr. Noch bist du nicht frei, du _suchst_ noch nach Freiheit. Uebernaechtig machte dich dein Suchen und ueberwach. In die freie Hoehe willst du, nach Sternen duerstet deine Seele. Aber auch deine schlimmen Triebe duersten nach Freiheit. Deine wilden Hunde wollen in die Freiheit; sie bellen vor Lust in ihrem Keller, wenn dein Geist alle Gefaengnisse zu loesen trachtet. Noch bist du mir ein Gefangner, der sich Freiheit ersinnt: ach, klug wird solchen Gefangnen die Seele, aber auch arglistig und schlecht. Reinigen muss sich noch der Befreite des Geistes. Viel Gefaengniss und Moder ist noch in ihm zurueck: rein muss noch sein Auge werden. Ja, ich kenne deine Gefahr. Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwoere ich dich: wirf deine Liebe und Hoffnung nicht weg! Edel fuehlst du dich noch, und edel fuehlen dich auch die Andern noch, die dir gram sind und boese Blicke senden. Wisse, dass Allen ein Edler im Wege steht. Auch den Guten steht ein Edler im Wege: und selbst wenn sie ihn einen Guten nennen, so wollen sie ihn damit bei Seite bringen. Neues will der Edle schaffen und eine neue Tugend. Altes will der Gute, und dass Altes erhalten bleibe. Aber nicht das ist die Gefahr des Edlen, dass er ein Guter werde, sondern ein Frecher, ein Hoehnender, ein Vernichter. Ach, ich kannte Edle, die verloren ihre hoechste Hoffnung. Und nun verleumdeten sie alle hohen Hoffnungen. Nun lebten sie frech in kurzen Luesten, und ueber den Tag hin warfen sie kaum noch Ziele. "Geist ist auch Wollust" - so sagten sie. Da zerbrachen ihrem Geiste die Fluegel: nun kriecht er herum und beschmutzt im Nagen. Einst dachten sie Helden zu werden: Luestlinge sind es jetzt. Ein Gram und ein Grauen ist ihnen der Held. Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwoere ich dich: wirf den Helden in deiner Seele nicht weg! Halte heilig deine hoechste Hoffnung! - Also sprach Zarathustra. Von den Predigern des Todes Es giebt Prediger des Todes: und die Erde ist voll von Solchen, denen Abkehr gepredigt werden muss vom Leben. Voll ist die Erde von Ueberfluessigen, verdorben ist das Leben durch die Viel-zu-Vielen. Moege man sich mit dem "ewigen Leben" aus diesem Leben weglocken! "Gelbe": so nennt man die Prediger des Todes, oder "Schwarze". Aber ich will sie euch noch in andern Farben zeigen. Da sind die Fuerchterlichen, welche in sich das Raubthier herumtragen und keine Wahl haben, es sei denn Lueste oder Selbstzerfleischung. Und auch ihre Lueste sind noch Selbstzerfleischung. Sie sind noch nicht einmal Menschen geworden, diese Fuerchterlichen: moegen sie Abkehr predigen vom Leben und selber dahinfahren! Da sind die Schwindsuechtigen der Seele: kaum sind sie geboren, so fangen sie schon an zu sterben und sehnen sich nach Lehren der Muedigkeit und Entsagung. Sie wollen gerne todt sein, und wir sollten ihren Willen gut heissen! Hueten wir uns, diese Todten zu erwecken und diese lebendigen Saerge zu versehren! Ihnen begegnet ein Kranker oder ein Greis oder ein Leichnam; und gleich sagen sie "das Leben ist widerlegt!" Aber nur sie sind widerlegt und ihr Auge, welches nur das Eine Gesicht sieht am Dasein. Eingehuellt in dicke Schwermuth und begierig auf die kleinen Zufaelle, welche den Tod bringen: so warten sie und beissen die Zaehne auf einander. Oder aber: sie greifen nach Zuckerwerk und spotten ihrer Kinderei dabei: sie haengen an ihrem Strohhalm Leben und spotten, dass sie noch an einem Strohhalm haengen. Ihre Weisheit lautet: "ein Thor, der leben bleibt, aber so sehr sind wir Thoren! Und das eben ist das Thoerichtste am Leben!" - "Das Leben ist nur Leiden" - so sagen Andre und luegen nicht: so sorgt doch, dass _ihr_ aufhoert! So sorgt doch, dass das Leben aufhoert, welches nur Leiden ist! Und also laute die Lehre eurer Tugend "du sollst dich selber toedten! Du sollst dich selber davonstehlen!" - "Wollust ist Suende, - so sagen die Einen, welche den Tod predigen - lasst uns bei Seite gehn und keine Kinder zeugen!" "Gebaeren ist muehsam, - sagen dich Andern - wozu noch gebaeren? Man gebiert nur Unglueckliche!" Und auch sie sind Prediger des Todes. "Mitleid thut noth - so sagen die Dritten. Nehmt hin, was ich habe! Nehmt hin, was ich bin! Um so weniger bindet mich das Leben!" Waeren sie Mitleidige von Grund aus, so wuerden sie ihren Naechsten das Leben verleiden. Boese sein - das waere ihre rechte Guete. Aber sie wollen loskommen vom Leben: was schiert es sie, dass sie Andre mit ihren Ketten und Geschenken noch fester binden! - Und auch ihr, denen das Leben wilde Arbeit und Unruhe ist: seid ihr nicht sehr muede des Lebens? Seid ihr nicht sehr reif fuer die Predigt des Todes? Ihr Alle, denen die wilde Arbeit lieb ist und das Schnelle, Neue, Fremde, - ihr ertragt euch schlecht, euer Fleiss ist Flucht und Wille, sich selber zu vergessen. Wenn ihr mehr an das Leben glaubtet, wuerdet ihr weniger euch dem Augenblicke hinwerfen. Aber ihr habt zum Warten nicht Inhalt genug in euch - und selbst zur Faulheit nicht! Ueberall ertoent die Stimme Derer, welche den Tod predigen: und die Erde ist voll von Solchen, welchen der Tod gepredigt werden muss. Oder "das ewige Leben": das gilt mir gleich, - wofern sie nur schnell dahinfahren! Also sprach Zarathustra. Vom Krieg und Kriegsvolke Von unsern besten Feinden wollen wir nicht geschont sein, und auch von Denen nicht, welche wir von Grund aus lieben. So lasst mich denn euch die Wahrheit sagen! Meine Brueder im Kriege! Ich liebe euch von Grund aus, ich bin und war Euresgleichen. Und ich bin auch euer bester Feind. So lasst mich denn euch die Wahrheit sagen! Ich weiss um den Hass und Neid eures Herzens. Ihr seid nicht gross genug, um Hass und Neid nicht zu kennen. So seid denn gross genug, euch ihrer nicht zu schaemen! Und wenn ihr nicht Heilige der Erkenntniss sein koennt, so seid mir wenigstens deren Kriegsmaenner. Das sind die Gefaehrten und Vorlaeufer solcher Heiligkeit. Ich sehe viel Soldaten: moechte ich viel Kriegsmaenner sehn! "Ein-form" nennt man's, was sie tragen: moege es nicht Ein-form sein, was sie damit verstecken! Ihr sollt mir Solche sein, deren Auge immer nach einem Feinde sucht - nach _eurem_ Feinde. Und bei Einigen von euch giebt es einen Hass auf den ersten Blick. Euren Feind sollt ihr suchen, euren Krieg sollt ihr fuehren und fuer eure Gedanken! Und wenn euer Gedanke unterliegt, so soll eure Redlichkeit darueber noch Triumph rufen! Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen. Und den kurzen Frieden mehr, als den langen. Euch rathe ich nicht zur Arbeit, sondern zum Kampfe. Euch rathe ich nicht zum Frieden, sondern zum Siege. Eure Arbeit sei ein Kampf, euer Friede sei ein Sieg! Man kann nur schweigen und stillsitzen, wenn man Pfeil und Bogen hat: sonst schwaetzt und zankt man. Euer Friede sei ein Sieg! Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage euch: der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt. Der Krieg und der Muth haben mehr grosse Dinge gethan, als die Naechstenliebe. Nicht euer Mitleiden, sondern eure Tapferkeit rettete bisher die Verunglueckten. Was ist gut? fragt ihr. Tapfer sein ist gut. Lasst die kleinen Maedchen reden: "gut sein ist, was huebsch zugleich und ruehrend ist." Man nennt euch herzlos: aber euer Herz ist aecht, und ich liebe die Scham eurer Herzlichkeit. Ihr schaemt euch eurer Fluth, und Andre schaemen sich ihrer Ebbe. Ihr seid haesslich? Nun wohlan, meine Brueder! So nehmt das Erhabne um euch, den Mantel des Haesslichen! Und wenn eure Seele gross wird, so wird sie uebermuethig, und in eurer Erhabenheit ist Bosheit. Ich kenne euch. In der Bosheit begegnet sich der Uebermuethige mit dem Schwaechlinge. Aber sie missverstehen einander. Ich kenne euch. Ihr duerft nur Feinde haben, die zu hassen sind, aber nicht Feinde zum Verachten. Ihr muesst stolz auf euern Feind sein: dann sind die Erfolge eures Feindes auch eure Erfolge. Auflehnung - das ist die Vornehmheit am Sclaven. Eure Vornehmheit sei Gehorsam! Euer Befehlen selber sei ein Gehorchen! Einem guten Kriegsmanne klingt "du sollst" angenehmer, als "ich will". Und Alles, was euch lieb ist, sollt ihr euch erst noch befehlen lassen. Eure Liebe zum Leben sei Liebe zu eurer hoechsten Hoffnung: und eure hoechste Hoffnung sei der hoechste Gedanke des Lebens! Euren hoechsten Gedanken aber sollt ihr euch von mir befehlen lassen - und er lautet: der Mensch ist Etwas, das ueberwunden werden soll. So lebt euer Leben des Gehorsams und des Krieges! Was liegt am Lang-Leben! Welcher Krieger will geschont sein! Ich schone euch nicht, ich liebe euch von Grund aus, meine Brueder im Kriege! - Also sprach Zarathustra. Vom neuen Goetzen Irgendwo giebt es noch Voelker und Heerden, doch nicht bei uns, meine Brueder: da giebt es Staaten. Staat? Was ist das? Wohlan! Jetzt thut mir die Ohren auf, denn jetzt sage ich euch mein Wort vom Tode der Voelker. Staat heisst das kaelteste aller kalten Ungeheuer. Kalt luegt es auch; und diese Luege kriecht aus seinem Munde: "Ich, der Staat, bin das Volk." Luege ist's! Schaffende waren es, die schufen die Voelker und haengten einen Glauben und eine Liebe ueber sie hin: also dienten sie dem Leben. Vernichter sind es, die stellen Fallen auf fuer Viele und heissen sie Staat: sie haengen ein Schwert und hundert Begierden ueber sie hin. Wo es noch Volk giebt, da versteht es den Staat nicht und hasst ihn als boesen Blick und Suende an Sitten und Rechten. Dieses Zeichen gebe ich euch: jedes Volk spricht seine Zunge des Guten und Boesen: die versteht der Nachbar nicht. Seine Sprache erfand es sich in Sitten und Rechten. Aber der Staat luegt in allen Zungen des Guten und Boesen; und was er auch redet, er luegt - und was er auch hat, gestohlen hat er's. Falsch ist Alles an ihm; mit gestohlenen Zaehnen beisst er, der Bissige. Falsch sind selbst seine Eingeweide. Sprachverwirrung des Guten und Boesen: dieses Zeichen gebe ich euch als Zeichen des Staates. Wahrlich, den Willen zum Tode deutet dieses Zeichen! Wahrlich, es winkt den Predigern des Todes! Viel zu Viele werden geboren: fuer die Ueberfluessigen ward der Staat erfunden! Seht mir doch, wie er sie an sich lockt, die Viel-zu-Vielen! Wie er sie schlingt und kaut und wiederkaeut! "Auf der Erde ist nichts Groesseres als ich: der ordnende Finger bin ich Gottes" - also bruellt das Unthier. Und nicht nur Langgeohrte und Kurzgeaeugte sinken auf die Kniee! Ach, auch in euch, ihr grossen Seelen, raunt er seine duesteren Luegen! Ach, er erraeth die reichen Herzen, die gerne sich verschwenden! Ja, auch euch erraeth er, ihr Besieger des alten Gottes! Muede wurdet ihr im Kampfe, und nun dient eure Muedigkeit noch dem neuen Goetzen! Helden und Ehrenhafte moechte er um sich aufstellen, der neue Goetze! Gerne sonnt er sich im Sonnenschein guter Gewissen, - das kalte Unthier! Alles will er _euch_ geben, wenn _ihr_ ihn anbetet, der neue Goetze: also kauft er sich den Glanz eurer Tugend und den Blick eurer stolzen Augen. Koedern will er mit euch die Viel-zu-Vielen! Ja, ein Hoellenkunststueck ward da erfunden, ein Pferd des Todes, klirrend im Putz goettlicher Ehren! Ja, ein Sterben fuer Viele ward da erfunden, das sich selber als Leben preist: wahrlich, ein Herzensdienst allen Predigern des Todes! Staat nenne ich's, wo Alle Gifttrinker sind, Gute und Schlimme: Staat, wo Alle sich selber verlieren, Gute und Schlimme: Staat, wo der langsame Selbstmord Aller - "das Leben" heisst. Seht mir doch diese Ueberfluessigen! Sie stehlen sich die Werke der Erfinder und die Schaetze der Weisen: Bildung nennen sie ihren Diebstahl - und Alles wird ihnen zu Krankheit und Ungemach! Seht mir doch diese Ueberfluessigen! Krank sind sie immer, sie erbrechen ihre Galle und nennen es Zeitung. Sie verschlingen einander und koennen sich nicht einmal verdauen. Seht mir doch diese Ueberfluessigen! Reichthuemer erwerben sie und werden aermer damit. Macht wollen sie und zuerst das Brecheisen der Macht, viel Geld, - diese Unvermoegenden! Seht sie klettern, diese geschwinden Affen! Sie klettern ueber einander hinweg und zerren sich also in den Schlamm und die Tiefe. Hin zum Throne wollen sie Alle: ihr Wahnsinn ist es, - als ob das Glueck auf dem Throne saesse! Oft sitzt der Schlamm auf dem Thron - und oft auch der Thron auf dem Schlamme. Wahnsinnige sind sie mir Alle und kletternde Affen und Ueberheisse. Uebel riecht mir ihr Goetze, das kalte Unthier: uebel riechen sie mir alle zusammen, diese Goetzendiener. Meine Brueder, wollt ihr denn ersticken im Dunste ihrer Maeuler und Begierden! Lieber zerbrecht doch die Fenster und springt in's Freie! Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von der Goetzendienerei der Ueberfluessigen! Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von dem Dampfe dieser Menschenopfer! Frei steht grossen Seelen auch jetzt noch die Erde. Leer sind noch viele Sitze fuer Einsame und Zweisame, um die der Geruch stiller Meere weht. Frei steht noch grossen Seelen ein freies Leben. Wahrlich, wer wenig besitzt, wird um so weniger besessen: gelobt sei die kleine Armuth! Dort, wo der Staat aufhoert, da beginnt erst der Mensch, der nicht ueberfluessig ist: da beginnt das Lied des Nothwendigen, die einmalige und unersetzliche Weise. Dort, wo der Staat _aufhoert_, - so seht mir doch hin, meine Brueder! Seht ihr ihn nicht, den Regenbogen und die Bruekken des Uebermenschen? - Also sprach Zarathustra. Von den Fliegen des Marktes Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit! Ich sehe dich betaeubt vom Laerme der grossen Maenner und zerstochen von den Stacheln der kleinen. Wuerdig wissen Wald und Fels mit dir zu schweigen. Gleiche wieder dem Baume, den du liebst, dem breitaestigen: still und aufhorchend haengt er ueber dem Meere. Wo die Einsamkeit aufhoert, da beginnt der Markt; und wo der Markt beginnt, da beginnt auch der Laerm der grossen Schauspieler und das Geschwirr der giftigen Fliegen. In der Welt taugen die besten Dinge noch Nichts, ohne Einen, der sie erst auffuehrt: grosse Maenner heisst das Volk diese Auffuehrer. Wenig begreift das Volk das Grosse, das ist: das Schaffende. Aber Sinne hat es fuer alle Auffuehrer und Schauspieler grosser Sachen. Um die Erfinder von neuen Werthen dreht sich die Welt: - unsichtbar dreht sie sich. Doch um die Schauspieler dreht sich das Volk und der Ruhm: so ist es der Welt Lauf. Geist hat der Schauspieler, doch wenig Gewissen des Geistes. Er glaubt immer an Das, womit er am staerksten glauben macht, - glauben an _sich_ macht! Morgen hat er einen neuen Glauben und uebermorgen einen neueren. Rasche Sinne hat er, gleich dem Volke, und veraenderliche Witterungen. Umwerfen - das heisst ihm: beweisen. Toll machen - das heisst ihm: ueberzeugen. Und Blut gilt ihm als aller Gruende bester. Eine Wahrheit, die nur in feine Ohren schluepft, nennt er Luege und Nichts. Wahrlich, er glaubt nur an Goetter, die grossen Laerm in der Welt machen! Voll von feierlichen Possenreissern ist der Markt - und das Volk ruehmt sich seiner grossen Maenner! das sind ihm die Herrn der Stunde. Aber die Stunde draengt sie: so draengen sie dich. Und auch von dir wollen sie Ja oder Nein. Wehe, du willst zwischen Fuer und Wider deinen Stuhl setzen? Dieser Unbedingten und Draengenden halber sei ohne Eifersucht, du Liebhaber der Wahrheit! Niemals noch haengte sich die Wahrheit an den Arm eines Unbedingten. Dieser Ploetzlichen halber gehe zurueck in deine Sicherheit: nur auf dem Markt wird man mit Ja? oder Nein? ueberfallen. Langsam ist das Erleben allen tiefen Brunnen: lange muessen sie warten, bis sie wissen, _was_ in ihre Tiefe fiel. Abseits vom Markte und Ruhme begiebt sich alles Grosse: abseits vom Markte und Ruhme wohnten von je die Erfinder neuer Werthe. Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit: ich sehe dich von giftigen Fliegen zerstochen. Fliehe dorthin, wo rauhe, starke Luft weht! Fliehe in deine Einsamkeit! Du lebtest den Kleinen und Erbaermlichen zu nahe. Fliehe vor ihrer unsichtbaren Rache! Gegen dich sind sie Nichts als Rache. Hebe nicht mehr den Arm gegen sie! Unzaehlbar sind sie, und es ist nicht dein Loos, Fliegenwedel zu sein. Unzaehlbar sind diese Kleinen und Erbaermlichen; und manchem stolzen Baue gereichten schon Regentropfen und Unkraut zum Untergange. Du bist kein Stein, aber schon wurdest du hohl von vielen Tropfen. Zerbrechen und zerbersten wirst du mir noch von vielen Tropfen. Ermuedet sehe ich dich durch giftige Fliegen, blutig geritzt sehe ich dich an hundert Stellen; und dein Stolz will nicht einmal zuernen. Blut moechten sie von dir in aller Unschuld, Blut begehren ihre blutlosen Seelen - und sie stechen daher in aller Unschuld. Aber, du Tiefer, du leidest zu tief auch an kleinen Wunden; und ehe du dich noch geheilt hast, kroch dir der gleiche Giftwurm ueber die Hand. Zu stolz bist du mir dafuer, diese Naschhaften zu toedten. Huete dich aber, dass es nicht dein Verhaengniss werde, all ihr giftiges Unrecht zu tragen! Sie summen um dich auch mit ihrem Lobe: Zudringlichkeit ist ihr Loben. Sie wollen die Naehe deiner Haut und deines Blutes. Sie schmeicheln dir wie einem Gotte oder Teufel; sie winseln vor dir wie vor einem Gotte oder Teufel. Was macht es! Schmeichler sind es und Winsler und nicht mehr. Auch geben sie sich dir oft als Liebenswuerdige. Aber das war immer die Klugheit der Feigen. Ja, die Feigen sind klug! Sie denken viel ueber dich mit ihrer engen Seele, - bedenklich bist du ihnen stets! Alles, was viel bedacht wird, wird bedenklich. Sie bestrafen dich fuer alle deine Tugenden. Sie verzeihen dir von Grund aus nur - deine Fehlgriffe. Weil du milde bist und gerechten Sinnes, sagst du: "unschuldig sind sie an ihrem kleinen Dasein." Aber ihre enge Seele denkt: "Schuld ist alles grosse Dasein." Auch wenn du ihnen milde bist, fuehlen sie sich noch von dir verachtet; und sie geben dir deine Wohlthat zurueck mit versteckten Wehthaten. Dein wortloser Stolz geht immer wider ihren Geschmack; sie frohlocken, wenn du einmal bescheiden genug bist, eitel zu sein. Das, was wir an einem Menschen erkennen, das entzuenden wir an ihm auch. Also huete dich vor den Kleinen! Vor dir fuehlen sie sich klein, und ihre Niedrigkeit glimmt und glueht gegen dich in unsichtbarer Rache. Merktest du nicht, wie oft sie stumm wurden, wenn du zu ihnen tratest, und wie ihre Kraft von ihnen gieng wie der Rauch von einem erloeschenden Feuer? Ja, mein Freund, das boese Gewissen bist du deinen Naechsten: denn sie sind deiner unwerth. Also hassen sie dich und moechten gerne an deinem Blute saugen. Deine Naechsten werden immer giftige Fliegen sein; Das, was gross an dir ist, - das selber muss sie giftiger machen und immer fliegenhafter. Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit und dorthin, wo eine rauhe, starke Luft weht. Nicht ist es dein Loos, Fliegenwedel zu sein. - Also sprach Zarathustra. Von der Keuschheit Ich liebe den Wald. In den Staedten ist schlecht zu leben: da giebt es zu Viele der Bruenstigen. Ist es nicht besser, in die Haende eines Moerders zu gerathen, als in die Traeume eines bruenstigen Weibes? Und seht mir doch diese Maenner an: ihr Auge sagt es - sie wissen nichts Besseres auf Erden, als bei einem Weibe zu liegen. Schlamm ist auf dem Grunde ihrer Seele; und wehe, wenn ihr Schlamm gar noch Geist hat! Dass ihr doch wenigstens als Thiere vollkommen waeret! Aber zum Thiere gehoert die Unschuld. Rathe ich euch, eure Sinne zu toedten? Ich rathe euch zur Unschuld der Sinne. Rathe ich euch zur Keuschheit? Die Keuschheit ist bei Einigen eine Tugend, aber bei Vielen beinahe ein Laster. Diese enthalten sich wohl: aber die Huendin Sinnlichkeit blickt mit Neid aus Allem, was sie thun. Noch in die Hoehen ihrer Tugend und bis in den kalten Geist hinein folgt ihnen diess Gethier und sein Unfrieden. Und wie artig weiss die Huendin Sinnlichkeit um ein Stueck Geist zu betteln, wenn ihr ein Stuck Fleisch versagt wird! Ihr liebt Trauerspiele und Alles, was das Herz zerbricht? Aber ich bin misstrauisch gegen eure Huendin. Ihr habt mir zu grausame Augen und blickt luestern nach Leidenden. Hat sich nicht nur eure Wollust verkleidet und heisst sich Mitleiden? Und auch diess Gleichniss gebe ich euch: nicht Wenige, die ihren Teufel austreiben wollten, fuhren dabei selber in die Saeue. Wem die Keuschheit schwer faellt, dem ist sie zu widerrathen: dass sie nicht der Weg zur Hoelle werde - das ist zu Schlamm und Brunst der Seele. Rede ich von schmutzigen Dingen? Das ist mir nicht das Schlimmste. Nicht, wenn die Wahrheit schmutzig ist, sondern wenn sie seicht ist, steigt der Erkennende ungern in ihr Wasser. Wahrlich, es giebt Keusche von Grund aus: sie sind milder von Herzen, sie lachen lieber und reichlicher als ihr. Sie lachen auch ueber die Keuschheit und fragen: "was ist Keuschheit! Ist Keuschheit nicht Thorheit? Aber diese Thorheit kam zu uns und nicht wir zur ihr. Wir boten diesem Gaste Herberge und Herz: nun wohnt er bei uns, - mag er bleiben, wie lange er will!" Also sprach Zarathustra. Vom Freunde "Einer ist immer zu viel um mich" - also denkt der Einsiedler. "Immer Einmal Eins - das giebt auf die Dauer Zwei!" Ich und Mich sind immer zu eifrig im Gespraeche: wie waere es auszuhalten, wenn es nicht einen Freund gaebe? Immer ist fuer den Einsiedler der Freund der Dritte: der Dritte ist der Kork, der verhindert, dass das Gespraech der Zweie in die Tiefe sinkt. Ach, es giebt zu viele Tiefen fuer alle Einsiedler. Darum sehnen sie sich so nach einem Freunde und nach seiner Hoehe. Unser Glaube an Andre verraeth, worin wir gerne an uns selber glauben moechten. Unsre Sehnsucht nach einem Freunde ist unser Verraether. Und oft will man mit der Liebe nur den Neid ueberspringen. Und oft greift man an und macht sich einen Feind, um zu verbergen, dass man angreifbar ist. "Sei wenigstens mein Feind!" - so spricht die wahre Ehrfurcht, die nicht um Freundschaft zu bitten wagt. Will man einen Freund haben, so muss man auch fuer ihn Krieg fuehren wollen: und um Krieg zu fuehren, muss man Feind sein _koennen_. Man soll in seinem Freunde noch den Feind ehren. Kannst du an deinen Freund dicht herantreten, ohne zu ihm ueberzutreten? In seinem Freunde soll man seinen besten Feind haben. Du sollst ihm am naechsten mit dem Herzen sein, wenn du ihm widerstrebst. Du willst vor deinem Freunde kein Kleid tragen? Es soll deines Freundes Ehre sein, dass du dich ihm giebst, wie du bist? Aber wuenscht dich darum zum Teufel! Wer aus sich kein Hehl macht, empoert: so sehr habt ihr Grund, die Nacktheit zu fuerchten! Ja, wenn ihr Goetter waeret, da duerftet ihr euch eurer Kleider schaemen! Du kannst dich fuer deinen Freund nicht schoen genug putzen: denn du sollst ihm ein Pfeil und eine Sehnsucht nach dem Uebermenschen sein. Sahst du deinen Freund schon schlafen, - damit du erfahrest, wie er aussieht? Was ist doch sonst das Gesicht deines Freundes? Es ist dein eignes Gesicht, auf einem rauhen und unvollkommnen Spiegel. Sahst du deinen Freund schon schlafen? Erschrakst du nicht, dass dein Freund so aussieht? Oh, mein Freund, der Mensch ist Etwas, das ueberwunden werden muss. Im Errathen und Stillschweigen soll der Freund Meister sein: nicht Alles musst du sehn wollen. Dein Traum soll dir verrathen, was dein Freund im Wachen thut. Ein Errathen sei dein Mitleiden: dass du erst wissest, ob dein Freund Mitleiden wolle. Vielleicht liebt er an dir das ungebrochne Auge und den Blick der Ewigkeit. Das Mitleiden mit dem Freunde berge sich unter einer harten Schale, an ihm sollst du dir einen Zahn ausbeissen. So wird es seine Feinheit und Suesse haben. Bist du reine Luft und Einsamkeit und Brod und Arznei deinem Freunde? Mancher kann seine eignen Ketten nicht loesen und doch ist er dem Freunde ein Erloeser. Bist du ein Sclave? So kannst du nicht Freund sein. Bist du ein Tyrann? So kannst du nicht Freunde haben. Allzulange war im Weibe ein Sclave und ein Tyrann versteckt. Desshalb ist das Weib noch nicht der Freundschaft faehig: es kennt nur die Liebe. In der Liebe des Weibes ist Ungerechtigkeit und Blindheit gegen Alles, was es nicht liebt. Und auch in der wissenden Liebe des Weibes ist immer noch Ueberfall und Blitz und Nacht neben dem Lichte. Nodl ist das Weib nicht der Freundschaft faehig: Katzen sind immer noch die Weiber, und Voegel. Oder, besten Falles, Kuehe. Noch ist das Weib nicht der Freundschaft faehig. Aber sagt mir, ihr Maenner, wer von euch ist denn faehig der Freundschaft? Oh ueber eure Armuth, ihr Maenner, und euren Geiz der Seele! Wie viel ihr dem Freunde gebt, das will ich noch meinem Feinde geben, und will auch nicht aermer damit geworden sein. Es giebt Kameradschaft: moege es Freundschaft geben! Also sprach Zarathustra. Von tausend und Einem Ziele VieIe Laender sah Zarathustra und viele Voelker: so entdeckte er vieler Voelker Gutes und Boeses. Keine groessere Macht fand Zarathustra auf Erden, als gut und boese. Leben koennte kein Volk, das nicht erst schaetzte; will es sich aber erhalten, so darf es nicht schaetzen, wie der Nachbar schaetzt. Vieles, das diesem Volke gut hiess, hiess einem andern Hohn und Schmach: also fand ich's. Vieles fand ich hier boese genannt und dort mit purpurnen Ehren geputzt. Nie verstand ein Nachbar den andern: stets verwunderte sich seine Seele ob des Nachbarn Wahn und Bosheit. Eine Tafel der Gueter haengt ueber jedem Volke. Siehe, es ist seiner Ueberwindungen Tafel; siehe, es ist die Stimme seines Willens zur Macht. Loeblich ist, was ihm schwer gilt; was unerlaesslich und schwer, heisst gut, und was aus der hoechsten Noth noch befreit, das Seltene, Schwerste, - das preist es heilig. Was da macht, dass es herrscht und siegt und glaenzt, seinem Nachbarn zu Grauen und Neide: das gilt ihm das Hohe, das Erste, das Messende, der Sinn aller Dinge. Wahrlich, mein Bruder, erkanntest du erst eines Volkes Noth und Land und Himmel und Nachbar: so erraethst du wohl das Gesetz seiner Ueberwindungen und warum es auf dieser Leiter zu seiner Hoffnung steigt. "Immer sollst du der Erste sein und den Andern vorragen: Niemanden soll deine eifersuechtige Seele lieben, es sei denn den Freund" - diess machte einem Griechen die Seele zittern: dabei gieng er seinen Pfad der Groesse. "Wahrheit reden und gut mit Bogen und Pfeil verkehren" - so duenkte es jenem Volke zugleich lieb und schwer, aus dem mein Name kommt - der Name, welcher mir zugleich lieb und schwer ist. "Vater und Mutter ehren und bis in die Wurzel der Seele hinein ihnen zu Willen sein": diese Tafel der Ueberwindung haengte ein andres Volk ueber sich auf und wurde maechtig und ewig damit. "Treue ueben und um der Treue Willen Ehre und Blut auch an boese und faehrliche Sachen setzen": also sich lehrend bezwang sich ein anderes Volk, und also sich bezwingend wurde es schwanger und schwer von grossen Hoffnungen. Wahrlich, die Menschen gaben sich alles ihr Gutes und Boeses. Wahrlich, sie nahmen es nicht, sie fanden es nicht, nicht fiel es ihnen als Stimme vom Himmel. Werthe legte erst der Mensch in die Dinge, sich zu erhalten, - er schuf erst den Dingen Sinn, einen Menschen-Sinn! Darum nennt er sich "Mensch", das ist: der Schaetzende. Schaetzen ist Schaffen: hoert es, ihr Schaffenden! Schaetzen selber ist aller geschaetzten Dinge Schatz und Kleinod. Durch das Schaetzen erst giebt es Werth: und ohne das Schaetzen waere die Nuss des Daseins hohl. Hoert es, ihr Schaffenden! Wandel der Werthe, - das ist Wandel der Schaffenden. Immer vernichtet, wer ein Schoepfer sein muss. Schaffende waren erst Voelker und spaet erst Einzelne; wahrlich, der Einzelne selber ist noch die juengste Schoepfung. Voelker haengten sich einst eine Tafel des Guten ueber sich. Liebe, die herrschen will, und Liebe, die gehorchen will, erschufen sich zusammen solche Tafeln. Aelter ist an der Heerde die Lust, als die Lust am Ich: und so lange das gute Gewissen Heerde heisst, sagt nur das schlechte Gewissen: Ich. Wahrlich, das schlaue Ich, das lieblose, das seinen Nutzen im Nutzen Vieler will: das ist nicht der Heerde Ursprung, sondern ihr Untergang. Liebende waren es stets und Schaffende, die schufen Gut und Boese. Feuer der Liebe glueht in aller Tugenden Namen und Feuer des Zorns. Viele Laender sah Zarathustra und viele Voelker: keine groessere Macht fand Zarathustra auf Erden, als die Werke der Liebenden: "gut" und "boese" ist ihr Name. Wahrlich, ein Ungethuem ist die Macht dieses Lobens und Tadelns. Sagt, wer bezwingt es mir, ihr Brueder? Sagt, wer wirft diesem Thier die Fessel ueber die tausend Nacken? Tausend Ziele gab es bisher, denn tausend Voelker gab es. Nur die Fessel der tausend Nacken fehlt noch, es fehlt das Eine Ziel. Noch hat die Menschheit kein Ziel. Aber sagt mir doch, meine Brueder: wenn der Menschheit das Ziel noch fehlt, fehlt da nicht auch - sie selber noch? - Also sprach Zarathustra. Von der Naechstenliebe Ihr draengt euch um den Naechsten und habt schoene Worte dafuer. Aber ich sage euch: eure Naechstenliebe ist eure schlechte Liebe zu euch selber. Ihr fluechtet zum Naechsten vor euch selber und moechtet euch daraus eine Tugend machen: aber ich durchschaue euer "Selbstloses". Das Du ist aelter als das Ich; das Du ist heilig gesprochen, aber noch nicht das Ich: so draengt sich der Mensch hin zum Naechsten. Rathe ich euch zur Naechstenliebe? Lieber noch rathe ich euch zur Naechsten-Flucht und zur Fernsten-Liebe! Hoeher als die Liebe zum Naechsten ist die Liebe zum Fernsten und Kuenftigen; hoeher noch als die Liebe zu Menschen ist die Liebe zu Sachen und Gespenstern. Diess Gespenst, das vor dir herlaeuft, mein Bruder, ist schoener als du; warum giebst du ihm nicht dein Fleisch und deine Knochen? Aber du fuerchtest dich und laeufst zu deinem Naechsten. Ihr haltet es mit euch selber nicht aus und liebt euch nicht genug: nun wollt ihr den Naechsten zur Liebe verfuehren und euch mit seinem Irrthum vergolden. Ich wollte, ihr hieltet es nicht aus mit allerlei Naechsten und deren Nachbarn; so muesstet ihr aus euch selber euren Freund und sein ueberwallendes Herz schaffen. Ihr ladet euch einen Zeugen ein, wenn ihr von euch gut reden wollt; und wenn ihr ihn verfuehrt habt, gut von euch zu denken, denkt ihr selber gut von euch. Nicht nur Der luegt, welcher wider sein Wissen redet, sondern erst recht Der, welcher wider sein Nichtwissen redet. Und so redet ihr von euch im Verkehre und beluegt mit euch den Nachbar. Also spricht der Narr: "der Umgang mit Menschen verdirbt den Charakter, sonderlich wenn man keinen hat." Der Eine geht zum Naechsten, weil er sich sucht, und der Andre, weil er sich verlieren moechte. Eure schlechte Liebe zu euch selber macht euch aus der Einsamkeit ein Gefaengniss. Die Ferneren sind es, welche eure Liebe zum Naechsten bezahlen; und schon wenn ihr zu fuenfen mit einander seid, muss immer ein sechster sterben. Ich liebe auch eure Feste nicht: zu viel Schauspieler fand ich dabei, und auch die Zuschauer gebaerdeten sich oft gleich Schauspielern. Nicht den Naechsten lehre ich euch, sondern den Freund. Der Freund sei euch das Fest der Erde und ein Vorgefuehl des Uebermenschen. Ich lehre euch den Freund und sein uebervolles Herz. Aber man muss verstehn, ein Schwamm zu sein, wenn man von uebervollen Herzen geliebt sein will. Ich lehre euch den Freund, in dem die Welt fertig dasteht, eine Schale des Guten, - den schaffenden Freund, der immer eine fertige Welt zu verschenken hat. Und wie ihm die Welt auseinander rollte, so rollt sie ihm wieder in Ringen zusammen, als das Werden des Guten durch das Boese, als das Werden der Zwecke aus dem Zufalle. Die Zukunft und das Fernste sei dir die Ursache deines Heute: in deinem Freunde sollst du den Uebermenschen als deine Ursache lieben. Meine Brueder, zur Naechstenliebe rathe ich euch nicht: ich rathe euch zur Fernsten-Liebe. Also sprach Zarathustra. Vom Wege des Schaffenden Willst du, mein Bruder, in die Vereinsamung gehen? Willst du den Weg zu dir selber suchen? Zaudere noch ein Wenig und hoere mich. "Wer sucht, der geht leicht selber verloren. Alle Vereinsamung ist Schuld": also spricht die Heerde. Und du gehoertest lange zur Heerde. Die Stimme der Heerde wird auch in dir noch toenen. Und wenn du sagen wirst "ich habe nicht mehr Ein Gewissen mit euch", so wird es eine Klage und ein Schmerz sein. Siehe, diesen Schmerz selber gebar noch das Eine Gewissen: und dieses Gewissens letzter Schimmer glueht noch auf deiner Truebsal. Aber du willst den Weg deiner Truebsal gehen, welches ist der Weg zu dir selber? So zeige mir dein Recht und deine Kraft dazu! Bist du eine neue Kraft und ein neues Recht? Eine erste Bewegung? Ein aus sich rollendes Rad? Kannst du auch Sterne zwingen, dass sie um dich sich drehen? Ach, es giebt so viel Luesternheit nach Hoehe! Es giebt so viel Kraempfe der Ehrgeizigen! Zeige mir, dass du keiner der Luesternen und Ehrgeizigen bist! Ach, es giebt so viel grosse Gedanken, die thun nicht mehr als ein Blasebalg: sie blasen auf und machen leerer. Frei nennst du dich? Deinen herrschenden Gedanken will ich hoeren und nicht, dass du einem Joche entronnen bist. Bist du ein Solcher, der einem Joche entrinnen _durfte_? Es giebt Manchen, der seinen letzten Werth wegwarf, als er seine Dienstbarkeit wegwarf. Frei wovon? Was schiert das Zarathustra! Hell aber soll mir dein Auge kuenden: frei _wozu_? Kannst du dir selber dein Boeses und dein Gutes geben und deinen Willen ueber dich aufhaengen wie ein Gesetz? Kannst du dir selber Richter sein und Raecher deines Gesetzes? Furchtbar ist das Alleinsein mit dem Richter und Raecher des eignen Gesetzes. Also wird ein Stern hinausgeworfen in den oeden Raum und in den eisigen Athem des Alleinseins. Heute noch leidest du an den Vielen, du Einer: heute noch hast du deinen Muth ganz und deine Hoffnungen. Aber einst wird dich die Einsamkeit muede machen, einst wird dein Stolz sich kruemmen und dein Muth knirschen. Schreien wirst du einst "ich bin allein!" Einst wirst du dein Hohes nicht mehr sehn und dein Niedriges allzunahe; dein Erhabnes selbst wird dich fuerchten machen wie ein Gespenst. Schreien wirst du einst: "Alles ist falsch!" Es giebt Gefuehle, die den Einsamen toedten wollen; gelingt es ihnen nicht, nun, so muessen sie selber sterben! Aber vermagst du das, Moerder zu sein? Kennst du, mein Bruder, schon das Wort "Verachtung"? Und die Qual deiner Gerechtigkeit, Solchen gerecht zu sein, die dich verachten? Du zwingst Viele, ueber dich umzulernen; das rechnen sie dir hart an. Du kamst ihnen nahe und giengst doch vorueber: das verzeihen sie dir niemals. Du gehst ueber sie hinaus: aber je hoeher du steigst, um so kleiner sieht dich das Auge des Neides. Am meisten aber wird der Fliegende gehasst. "Wie wolltet ihr gegen mich gerecht sein! - musst du sprechen - ich erwaehle mir eure Ungerechtigkeit als den mir zugemessnen Theil." Ungerechtigkeit und Schmutz werfen sie nach dem Einsamen: aber, mein Bruder, wenn du ein Stern sein willst, so musst du ihnen desshalb nicht weniger leuchten! Und huete dich vor den Guten und Gerechten! Sie kreuzigen gerne Die, welche sich ihre eigne Tugend erfinden, - sie hassen den Einsamen. Huete dich auch vor der heiligen Einfalt! Alles ist ihr unheilig, was nicht einfaeltig ist; sie spielt auch gerne mit dem Feuer - der Scheiterhaufen. Und huete dich auch vor den Anfaellen deiner Liebe! Zu schnell streckt der Einsame Dem die Hand entgegen, der ihm begegnet. Manchem Menschen darfst du nicht die Hand geben, sondern nur die Tatze: und ich will, dass deine Tatze auch Krallen habe. Aber der schlimmste Feind, dem du begegnen kannst, wirst du immer dir selber sein; du selber lauerst dir auf in Hoehlen und Waeldern. Einsamer, du gehst den Weg zu dir selber! Und an dir selber fuhrt dein Weg vorbei und an deinen sieben Teufeln! Ketzer wirst du dir selber sein und Hexe und Wahrsager und Narr und Zweifler und Unheiliger und Boesewicht. Verbrennen musst du dich wollen in deiner eignen Flamme: wie wolltest du neu werden, wenn du nicht erst Asche geworden bist! Einsamer, du gehst den Weg des Schaffenden: einen Gott willst du dir schaffen aus deinen sieben Teufeln! Einsamer, du gehst den Weg des Liebenden: dich selbst liebst du und desshalb verachtest du dich, wie nur Liebende verachten. Schaffen will der Liebende, weil er verachtet! Was weiss Der von Liebe, der nicht gerade verachten musste, was er liebte! Mit deiner Liebe gehe in deine Vereinsamung und mit deinem Schaffen, mein Bruder; und spaet erst wird die Gerechtigkeit dir nachhinken. Mit meinen Thraenen gehe in deine Vereinsamung, mein Bruder. Ich liebe Den, der ueber sich selber hinaus schaffen will und so zu Grunde geht. - Also sprach Zarathustra. Von alten und jungen Weiblein "Was schleichst du so scheu durch die Daemmerung, Zarathustra? Und was birgst du behutsam unter deinem Mantel? Ist es ein Schatz, der dir geschenkt? Oder ein Kind, das dir geboren wurde? Oder gehst du jetzt selber auf den Wegen der Diebe, du Freund der Boesen?" - Wahrlich, mein Bruder! sprach Zarathustra, es ist ein Schatz, der mir geschenkt wurde: eine kleine Wahrheit ist's, die ich trage. Aber sie ist ungebaerdig wie ein junges Kind; und wenn ich ihr nicht den Mund halte, so schreit sie ueberlaut. Als ich heute allein meines Weges gieng, zur Stunde, wo die Sonne sinkt, begegnete mir ein altes Weiblein und redete also zu meiner Seele: "Vieles sprach Zarathustra auch zu uns Weibern, doch nie sprach er uns ueber das Weib." Und ich entgegnete ihr: "ueber das Weib soll man nur zu Maennern reden." "Rede auch zu mir vom Weibe, sprach sie; ich bin alt genug, um es gleich wieder zu vergessen." Und ich willfahrte dem alten Weiblein und sprach also zu ihm: Alles am Weibe ist ein Raethsel, und Alles am Weibe hat Eine Loesung: sie heisst Schwangerschaft. Der Mann ist fuer das Weib ein Mittel: der Zweck ist immer das Kind. Aber was ist das Weib fuer den Mann? Zweierlei will der aechte Mann: Gefahr und Spiel. Desshalb will er das Weib, als das gefaehrlichste Spielzeug. Der Mann soll zum Kriege erzogen werden und das Weib zur Erholung des Kriegers: alles Andre ist Thorheit. Allzusuesse Fruechte - die mag der Krieger nicht. Darum mag er das Weib; bitter ist auch noch das suesseste Weib. Besser als ein Mann versteht das Weib die Kinder, aber der Mann ist kindlicher als das Weib. Im aechten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen. Auf, ihr Frauen, so entdeckt mir doch das Kind im Manne! Ein Spielzeug sei das Weib, rein und fein, dem Edelsteine gleich, bestrahlt von den Tugenden einer Welt, welche noch nicht da ist. Der Strahl eines Sternes glaenze in eurer Liebe! Eure Hoffnung heisse: "moege ich den Uebermenschen gebaeren!" In eurer Liebe sei Tapferkeit! Mit eurer Liebe sollt ihr auf Den losgehn, der euch Furcht einfloesst! In eurer Liebe sei eure Ehre! Wenig versteht sich sonst das Weib auf Ehre. Aber diess sei eure Ehre, immer mehr zu lieben, als ihr geliebt werdet, und nie die Zweiten zu sein. Der Mann fuerchte sich vor dem Weibe, wenn es liebt: da bringt es jedes Opfer, und jedes andre Ding gilt ihm ohne Werth. Der Mann fuerchte sich vor dem Weibe, wenn es hasst: denn der Mann ist im Grunde der Seele nur boese, das Weib aber ist dort schlecht. Wen hasst das Weib am meisten? - Also sprach das Eisen zum Magneten: "ich hasse dich am meisten, weil du anziehst, aber nicht stark genug bist, an dich zu ziehen." Das Glueck des Mannes heisst: ich will. Das Glueck des Weibes heisst: er will. "Siehe, jetzt eben ward die Welt vollkommen!" - also denkt ein jedes Weib, wenn es aus ganzer Liebe gehorcht. Und gehorchen muss das Weib und eine Tiefe finden zu seiner Oberflaeche. Oberflaeche ist des Weibes Gemueth, eine bewegliche stuermische Haut auf einem seichten Gewaesser. Des Mannes Gemueth aber ist tief, sein Strom rauscht in unterirdischen Hoehlen: das Weib ahnt seine Kraft, aber begreift sie nicht. - Da entgegnete mir das alte Weiblein: "Vieles Artige sagte Zarathustra und sonderlich fuer Die, welche jung genug dazu sind. Seltsam ist's, Zarathustra kennt wenig die Weiber, und doch hat er ueber sie Recht! Geschieht diess desshalb, weil beim Weibe kein Ding unmoeglich ist? Und nun nimm zum Danke eine kleine Wahrheit! Bin ich doch alt genug fuer sie! Wickle sie ein und halte ihr den Mund: sonst schreit sie ueberlaut, diese kleine Wahrheit." "Gieb mir, Weib, deine kleine Wahrheit!" sagte ich. Und also sprach das alte Weiblein: "Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!" - Also sprach Zarathustra. Vom Biss der Natter Eines Tages war Zarathustra unter einem Feigenbaume eingeschlafen, da es heiss war, und hatte seine Arme ueber das Gesicht gelegt. Da kam eine Natter und biss ihn in den Hals, so dass Zarathustra vor Schmerz aufschrie. Als er den Arm vom Gesicht genommen hatte, sah er die Schlange an: da erkannte sie die Augen Zarathustra's, wand sich ungeschickt und wollte davon. "Nicht doch, sprach Zarathustra; noch nahmst du meinen Dank nicht an! Du wecktest mich zur Zeit, mein Weg ist noch lang." "Dein Weg ist noch kurz, sagte die Natter traurig; mein Gift toedtet." Zarathustra laechelte. "Wann starb wohl je ein Drache am Gift einer Schlange? - sagte er. Aber nimm dein Gift zurueck! Du bist nicht reich genug, es mir zu schenken." Da fiel ihm die Natter von Neuem um den Hals und leckte ihm seine Wunde. Als Zarathustra diess einmal seinen Juengern erzaehlte, fragten sie: "Und was, oh Zarathustra, ist die Moral deiner Geschichte?" Zarathustra antwortete darauf also: Den Vernichter der Moral heissen mich die Guten und Gerechten: meine Geschichte ist unmoralisch. - So ihr aber einen Feind habt, so vergeltet ihm nicht Boeses mit Gutem: denn das wuerde beschaemen. Sondern beweist, dass er euch etwas Gutes angethan hat. Und lieber zuernt noch, als dass ihr beschaemt! Und wenn euch geflucht wird, so gefaellt es mir nicht, dass ihr dann segnen wollt. Lieber ein Wenig mitfluchen! Und geschah euch ein grosses Unrecht, so thut mir geschwind fuenf kleine dazu! Graesslich ist Der anzusehn, den allein das Unrecht drueckt. Wusstet ihr diess schon? Getheiltes Unrecht ist halbes Recht. Und Der soll das Unrecht auf sich nehmen, der es tragen kann! Eine kleine Rache ist menschlicher, als gar keine Rache. Und wenn die Strafe nicht auch ein Recht und eine Ehre ist fuer den Uebertretenden, so mag ich auch euer Strafen nicht. Vornehmer ist's, sich Unrecht zu geben als Recht zu behalten, sonderlich wenn man Recht hat. Nur muss man reich genug dazu sein. Ich mag eure kalte Gerechtigkeit nicht; und aus dem Auge eurer Richter blickt mir immer der Henker und sein kaltes Eisen. Sagt, wo findet sich die Gerechtigkeit, welche Liebe mit sehenden Augen ist? So erfindet mir doch die Liebe, welche nicht nur alle Strafe, sondern auch alle Schuld traegt! So erfindet mir doch die Gerechtigkeit, die Jeden freispricht, ausgenommen den Richtenden! Wollt ihr auch diess noch hoeren? An Dem, der von Grund aus gerecht sein will, wird auch noch die Luege zur Menschen-Freundlichkeit. Aber wie wollte ich gerecht sein von Grund aus! Wie kann ich Jedem das Seine geben! Diess sei mir genug: ich gebe Jedem das Meine. Endlich, meine Brueder, huetet euch Unrecht zu thun allen Einsiedlern! Wie koennte ein Einsiedler vergessen! Wie koennte er vergelten! Wie ein tiefer Brunnen ist ein Einsiedler. Leicht ist es, einen Stein hineinzuwerfen; sank er aber bis zum Grunde, sagt, wer will ihn wieder hinausbringen? Huetet euch, den Einsiedler zu beleidigen! Thatet ihr's aber, nun, so toedtet ihn auch noch! Also sprach Zarathustra. Von Kind und Ehe Ich habe eine Frage fuer dich allein, mein Bruder: wie ein Senkblei werfe ich diese Frage in deine Seele, dass ich wisse, wie tief sie sei. Du bist jung und wuenschest dir Kind und Ehe. Aber ich frage dich: bist du ein Mensch, der ein Kind sich wuenschen _darf_? Bist du der Siegreiche, der Selbstbezwinger, der Gebieter der Sinne, der Herr deiner Tugenden? Also frage ich dich. Oder redet aus deinem Wunsche das Thier und die Nothdurft? Oder Vereinsamung? Oder Unfriede mit dir? Ich will, dass dein Sieg und deine Freiheit sich nach einem Kinde sehne. Lebendige Denkmale sollst du bauen deinem Siege und deiner Befreiung. Ueber dich sollst du hinausbauen. Aber erst musst du mir selber gebaut sein, rechtwinklig an Leib und Seele. Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf! Dazu helfe dir der Garten der Ehe! Einen hoeheren Leib sollst du schaffen, eine erste Bewegung, ein aus sich rollendes Rad, - einen Schaffenden sollst du schaffen. Ehe: so heisse ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen. Ehrfurcht vor einander nenne ich Ehe als vor den Wollenden eines solchen Willens. Diess sei der Sinn und die Wahrheit deiner Ehe. Aber Das, was die Viel-zu-Vielen Ehe nennen, diese Ueberfluessigen, - ach, wie nenne ich das? Ach, diese Armuth der Seele zu Zweien! Ach, dieser Schmutz der Seele zu Zweien! Ach diess erbaermliche Behagen zu Zweien! Ehe nennen sie diess Alles; und sie sagen, ihre Ehen seien im Himmel geschlossen. Nun, ich mag ihn nicht, diesen Himmel der Ueberfluessigen! Nein, ich mag sie nicht, diese im himmlischen Netz verschlungenen Thiere! Ferne bleibe mir auch der Gott, der heranhinkt, zu segnen, was er nicht zusammenfuegte! Lacht mir nicht ueber solche Ehen! Welches Kind haette nicht Grund, ueber seine Eltern zu weinen? Wuerdig schien mir dieser Mann und reif fuer den Sinn der Erde: aber als ich sein Weib sah, schien mir die Erde ein Haus fuer Unsinnige. Ja, ich wollte, dass die Erde in Kraempfen bebte, wenn sich ein Heiliger und eine Gans mit einander paaren. Dieser gieng wie ein Held auf Wahrheiten aus und endlich erbeutete er sich eine kleine geputzte Luege. Seine Ehe nennt er's. Jener war sproede im Verkehre und waehlte waehlerisch. Aber mit Einem Male verdarb er fuer alle Male seine Gesellschaft: seine Ehe nennt er's. Jener suchte eine Magd mit den Tugenden eines Engels. Aber mit Einem Male wurde er die Magd eines Weibes, und nun thaete es Noth, dass er darueber noch zum Engel werde. Sorgsam fand ich jetzt alle Kaeufer, und Alle haben listige Augen. Aber seine Frau kauft auch der Listigste noch im Sack. Viele kurze Thorheiten - das heisst bei euch Liebe. Und eure Ehe macht vielen kurzer Thorheiten ein Ende, als Eine lange Dummheit. Eure Liebe zum Weibe und des Weibes Liebe zum Manne: ach, moechte sie doch Mitleiden sein mit leidenden und verhuellten Goettern! Aber zumeist errathen zwei Thiere einander. Aber auch noch eure beste Liebe ist nur ein verzuecktes Gleichniss und eine schmerzhafte Gluth. Eine Fackel ist sie, die euch zu hoeheren Wegen leuchten soll. Ueber euch hinaus sollt ihr einst lieben! So _lernt_ erst lieben! Und darum musstet ihr den bittern Kelch eurer Liebe trinken. Bitterniss ist im Kelch auch der besten Liebe: so macht sie Sehnsucht zum Uebermenschen, so macht sie Durst dir, dem Schaffenden! Durst dem Schaffenden, Pfeil und Sehnsucht zum Uebermenschen: sprich, mein Bruder, ist diess dein Wille zur Ehe? Heilig heisst mir solch ein Wille und solche Ehe. - Also sprach Zarathustra. Vom freien Tode Viele sterben zu spaet, und Einige sterben zu frueh. Noch klingt fremd die Lehre: "stirb zur rechten Zeit!" Stirb zur rechten Zeit: also lehrt es Zarathustra. Freilich, wer nie zur rechten Zeit lebt, wie sollte der je zur rechten Zeit sterben? Moechte er doch nie geboren sein! - Also rathe ich den Ueberfluessigen. Aber auch die Ueberfluessigen thun noch wichtig mit ihrem Sterben, und auch die hohlste Nuss will noch geknackt sein. Wichtig nehmen Alle das Sterben: aber noch ist der Tod kein Fest. Noch erlernten die Menschen nicht, wie man die schoensten Feste weiht. Den vollbringenden Tod zeige ich euch, der den Lebenden ein Stachel und ein Geloebniss wird. Seinen Tod stirbt der Vollbringende, siegreich, umringt von Hoffenden und Gelobenden. Also sollte man sterben lernen; und es sollte kein Fest geben, wo ein solcher Sterbender nicht der Lebenden Schwuere weihte! Also zu sterben ist das Beste; das Zweite aber ist: im Kampfe zu sterben und eine grosse Seele zu verschwenden. Aber dem Kaempfenden gleich verhasst wie dem Sieger ist euer grinsender Tod, der heranschleicht wie ein Dieb - und doch als Herr kommt. Meinen Tod lobe ich euch, den freien Tod, der mir kommt, weil _ich_ will. Und wann werde ich wollen? - Wer ein Ziel hat und einen Erben, der will den Tod zur rechten Zeit fuer Ziel und Erben. Und aus Ehrfurcht vor Ziel und Erben wird er keine duerren Kraenze mehr im Heiligthum des Lebens aufhaengen. Wahrlich, nicht will ich den Seildrehern gleichen: sie ziehen ihren Faden in die Laenge und gehen dabei selber immer rueckwaerts. Mancher wird auch fuer seine Wahrheiten und Siege zu alt; ein zahnloser Mund hat nicht mehr das Recht zu jeder Wahrheit. Und Jeder, der Ruhm haben will, muss sich bei Zeiten von der Ehre verabschieden und die schwere Kunst ueben, zur rechten Zeit zu - gehn. Man muss aufhoeren, sich essen zu lassen, wenn man am besten schmeckt: das wissen Die, welche lange geliebt werden wollen. Saure Aepfel giebt es freilich, deren Loos will, dass sie bis auf den letzten Tag des Herbstes warten: und zugleich werden sie reif, gelb und runzelig. Andern altert das Herz zuerst und Andern der Geist. Und Einige sind greis in der Jugend: aber spaet jung erhaelt lang jung. Manchem missraeth das Leben: ein Giftwurm frisst sich ihm an's Herz. So moege er zusehn, dass ihm das Sterben um so mehr gerathe. Mancher wird nie suess, er fault im Sommer schon. Feigheit ist es, die ihn an seinem Aste festhaelt. Viel zu Viele leben und viel zu lange haengen sie an ihren Aesten. Moechte ein Sturm kommen, der all diess Faule und Wurmfressne vom Baume schuettelt! Moechten Prediger kommen des _schnellen_ Todes! Das waeren mir die rechten Stuerme und Schuettler an Lebensbaeumen Aber ich hoere nur den langsamen Tod predigen und Geduld mit allem "Irdischen". Ach, ihr predigt Geduld mit dem Irdischen? Dieses Irdische ist es, das zu viel Geduld mit euch hat, ihr Laestermaeuler! Wahrlich, zu frueh starb jener Hebraeer, den die Prediger des langsamen Todes ehren: und Vielen ward es seitdem zum Verhaengniss, dass er zu frueh starb. Noch kannte er nur Thraenen und die Schwermuth des Hebraeers, sammt dem Hasse der Guten und Gerechten, - der Hebraeer Jesus: da ueberfiel ihn die Sehnsucht zum Tode. Waere er doch in der Wueste geblieben und ferne von den Guten und Gerechten! Vielleicht haette er leben gelernt und die Erde lieben gelernt - und das Lachen dazu! Glaubt es mir, meine Brueder! Er starb zu frueh; er selber haette seine Lehre widerrufen, waere er bis zu meinem Alter gekommen! Edel genug war er zum Widerrufen! Aber ungereift war er noch. Unreif liebt der Juengling und unreif hasst er auch Mensch und Erde. Angebunden und schwer ist ihm noch Gemueth und Geistesfluegel. Aber im Manne ist mehr Kind als im Juenglinge, und weniger Schwermuth: besser versteht er sich auf Tod und Leben. Frei zum Tode und frei im Tode, ein heiliger Nein-sager, wenn es nicht Zeit mehr ist zum Ja: also versteht er sich auf Tod und Leben. Dass euer Sterben keine Laesterung sei auf Mensch und Erde, meine Freunde: das erbitte ich mir von dem Honig eurer Seele. In eurem Sterben soll noch euer Geist und eure Tugend gluehn, gleich einem Abendroth um die Erde: oder aber das Sterben ist euch schlecht gerathen. Also will ich selber sterben, dass ihr Freunde um meinetwillen die Erde mehr liebt; und zur Erde will ich wieder werden, dass ich in Der Ruhe habe, die mich gebar. Wahrlich, ein Ziel hatte Zarathustra, er warf seinen Ball: nun seid ihr Freunde meines Zieles Erbe, euch werfe ich den goldenen Ball zu. Lieber als Alles sehe ich euch, meine Freunde, den goldenen Ball werfen! Und so verziehe ich noch ein Wenig auf Erden: verzeiht es mir! Also sprach Zarathustra. Von der schenkenden Tugend 1. Als Zarathustra von der Stadt Abschied genommen hatte, welcher sein Herz zugethan war und deren Name lautet: "die bunte Kuh" - folgten ihm Viele, die sich seine Juenger nannten und gaben ihm das Geleit. Also kamen sie an einen Kreuzweg: da sagte ihnen Zarathustra, dass er nunmehr allein gehen wolle; denn er war ein Freund des Alleingehens. Seine Juenger aber reichten ihm zum Abschiede einen Stab, an dessen goldnem Griffe sich eine Schlange um die Sonne ringelte. Zarathustra freute sich des Stabes und stuetzte sich darauf; dann sprach er also zu seinen Juengern. Sagt mir doch: wie kam Gold zum hoechsten Werthe? Darum, dass es ungemein ist und unnuetzlich und leuchtend und mild im Glanze; es schenkt sich immer. Nur als Abbild der hoechsten Tugend kam Gold zum hoechsten Werthe. Goldgleich leuchtet der Blick dem Schenkenden. Goldes-Glanz schliesst Friede zwischen Mond und Sonne. Ungemein ist die hoechste Tugend und unnuetzlich, leuchtend ist sie und mild im Glanze: eine schenkende Tugend ist die hoechste Tugend. Wahrlich, ich errathe euch wohl, meine Juenger: ihr trachtet, gleich mir, nach der schenkenden Tugend. Was haettet ihr mit Katzen und Woelfen gemeinsam? Das ist euer Durst, selber zu Opfern und Geschenken zu werden: und darum habt ihr den Durst, alle Reichthuemer in euren Seele zu haeufen. Unersaettlich trachtet eure Seele nach Schaetzen und Kleinodien, weil eure Tugend unersaettlich ist im Verschenken-Wollen. Ihr zwingt alle Dinge zu euch und in euch, dass sie aus eurem Borne zurueckstroemen sollen als die Gaben eurer Liebe. Wahrlich, zum Raeuber an allen Werthen muss solche schenkende Liebe werden; aber heil und heilig heisse ich diese Selbstsucht. Eine andre Selbstsucht giebt es, eine allzuarme, eine hungernde, die immer stehlen will, jene Selbstsucht der Kranken, die kranke Selbstsucht. Mit dem Auge des Diebes blickt sie auf alles Glaenzende; mit der Gier des Hungers misst sie Den, der reich zu essen hat; und immer schleicht sie um den Tisch der Schenkenden. Krankheit redet aus solcher Begierde und unsichtbare Entartung; von siechem Leibe redet die diebische Gier dieser Selbstsucht. Sagt mir, meine Brueder: was gilt uns als Schlechtes und Schlechtestes? Ist es nicht _Entartung_? - Und auf Entartung rathen wir immer, wo die schenkende Seele fehlt. Aufwaerts geht unser Weg, von der Art hinueber zur Ueber-Art. Aber ein Grauen ist uns der entartende Sinn, welcher spricht: "Alles fuer mich." Aufwaerts fliegt unser Sinn: so ist er ein Gleichniss unsres Leibes, einer Erhoehung Gleichniss. Solcher Erhoehungen Gleichnisse sind die Namen der Tugenden. Also geht der Leib durch die Geschichte, ein Werdender und ein Kaempfender. Und der Geist - was ist er ihm? Seiner Kaempfe und Siege Herold, Genoss und Wiederhall. Gleichnisse sind alle Namen von Gut und Boese: sie sprechen nicht aus, sie winken nur. Ein Thor, welcher von ihnen Wissen will! Achtet mir, meine Brueder, auf jede Stunde, wo euer Geist in Gleichnissen reden will: da ist der Ursprung eurer Tugend. Erhoeht ist da euer Leib und auferstanden; mit seiner Wonne entzueckt er den Geist, dass er Schoepfer wird und Schaetzer und Liebender und aller Dinge Wohlthaeter. Wenn euer Herz breit und voll wallt, dem Strome gleich, ein Segen und eine Gefahr den Anwohnenden: da ist der Ursprung eurer Tugend. Wenn ihr erhaben seid ueber Lob und Tadel, und euer Wille allen Dingen befehlen will, als eines Liebenden Wille: da ist der Ursprung eurer Tugend. Wenn ihr das Angenehme verachtet und das weiche Bett, und von den Weichlichen euch nicht weit genug betten koennt: da ist der Ursprung eurer Tugend. Wenn ihr Eines Willens Wollende seid, und diese Wende aller Noth euch Nothwendigkeit heisst: da ist der Ursprung eurer Tugend. Wahrlich, ein neues Gutes und Boeses ist sie! Wahrlich, ein neues tiefes Rauschen und eines neuen Quelles Stimme! Macht ist sie, diese neue Tugend; ein herrschender Gedanke ist sie und um ihn eine kluge Seele: eine goldene Sonne und um sie die Schlange der Erkenntniss. 2. Hier schwieg Zarathustra eine Weile und sah mit Liebe auf seine Juenger. Dann fuhr er also fort zu reden: - und seine Stimme hatte sich verwandelt. Bleibt mir der Erde treu, meine Brueder, mit der Macht eurer Tugend! Eure schenkende Liebe und eure Erkenntniss diene dem Sinn der Erde! Also bitte und beschwoere ich euch. Lasst sie nicht davon fliegen vom Irdischen und mit den Fluegeln gegen ewige Waende schlagen! Ach, es gab immer so viel verflogene Tugend! Fuehrt, gleich mir, die verflogene Tugend zur Erde zurueck - ja, zurueck zu Leib und Leben: dass sie der Erde ihren Sinn gebe, einen Menschen-Sinn! Hundertfaeltig verflog und vergriff sich bisher so Geist wie Tugend. Ach, in unserm Leibe wohnt jetzt noch all dieser Wahn und Fehlgriff: Leib und Wille ist er da geworden. Hundertfaeltig versuchte und verirrte sich bisher so Geist wie Tugend. Ja, ein Versuch war der Mensch. Ach, viel Unwissen und Irrthum ist an uns Leib geworden! Nicht nur die Vernunft von Jahrtausenden - auch ihr Wahnsinn bricht an uns aus. Gefaehrlich ist es, Erbe zu sein. Noch kaempfen wir Schritt um Schritt mit dem Riesen Zufall, und ueber der ganzen Menschheit waltete bisher noch der Unsinn, der Ohne-Sinn. Euer Geist und eure Tugend diene dem Sinn der Erde, meine Brueder: und aller Dinge Werth werde neu von euch gesetzt! Darum sollt ihr Kaempfende sein! Darum sollt ihr Schaffende sein! Wissend reinigt sich der Leib; mit Wissen versuchend erhoeht er sich; dem Erkennenden heiligen sich alle Triebe; dem Erhoehten wird die Seele froehlich. Arzt, hilf dir selber: so hilfst du auch deinem Kranken noch. Das sei seine beste Huelfe, dass er Den mit Augen sehe, der sich selber heil macht. Tausend Pfade giebt es, die nie noch gegangen sind; tausend Gesundheiten und verborgene Eilande des Lebens. Unerschoepft und unentdeckt ist immer noch Mensch und Menschen-Erde. Wachet und horcht, ihr Einsamen! Von der Zukunft her kommen Winde mit heimlichem Fluegelschlagen; und an feine Ohren ergeht gute Botschaft. Ihr Einsamen von heute, ihr Ausscheidenden, ihr sollt einst ein Volk sein: aus euch, die ihr euch selber auswaehltet, soll ein auserwaehltes Volk erwachsen: - und aus ihm der Uebermensch. Wahrlich, eine Staette der Genesung soll noch die Erde werden! Und schon liegt ein neuer Geruch um sie, ein Heil bringender, - und eine neue Hoffnung! 3. Als Zarathustra diese Worte gesagt hatte, schwieg er, wie Einer, der nicht sein letztes Wort gesagt hat; lange wog er den Stab zweifelnd in seiner Hand. Endlich sprach er also: - und seine Stimme hatte sich verwandelt. Allein gehe ich nun, meine Juenger! Auch ihr geht nun davon und allein! So will ich es. Wahrlich, ich rathe euch: geht fort von mir und wehrt euch gegen Zarathustra! Und besser noch: schaemt euch seiner! Vielleicht betrog er euch. Der Mensch der Erkenntniss muss nicht nur seine Feinde lieben, sondern auch seine Freunde hassen koennen. Man vergilt einem Lehrer schlecht, wenn man immer nur der Schueler bleibt. Und warum wollt ihr nicht an meinem Kranze rupfen? Ihr verehrt mich; aber wie, wenn eure Verehrung eines Tages umfaellt? Huetet euch, dass euch nicht eine Bildsaeule erschlage! Ihr sagt, ihr glaubt an Zarathustra? Aber was liegt an Zarathustra! Ihr seid meine Glaeubigen: aber was liegt an allen Glaeubigen! Ihr hattet euch noch nicht gesucht: da fandet ihr mich. So thun alle Glaeubigen; darum ist es so wenig mit allem Glauben. Nun heisse ich euch, mich verlieren und euch finden; und erst, wenn ihr mich Alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren. Wahrlich, mit andern Augen, meine Brueder, werde ich mir dann meine Verlorenen suchen; mit einer anderen Liebe werde ich euch dann lieben. Und einst noch sollt ihr mir Freunde geworden sein und Kinder Einer Hoffnung: dann will ich zum dritten Male bei euch sein, dass ich den grossen Mittag mit euch feiere. Und das ist der grosse Mittag, da der Mensch auf der Mitte seiner Bahn steht zwischen Thier und Uebermensch und seinen Weg zum Abende als seine hoechste Hoffnung feiert: denn es ist der Weg zu einem neuen Morgen. Alsda wird sich der Untergehende selber segnen, dass er ein Hinuebergehender sei; und die Sonne seiner Erkenntniss wird ihm im Mittage stehn. "Todt sind alle Goetter: nun wollen wir, dass der Uebermensch lebe." - diess sei einst am grossen Mittage unser letzter Wille! - Also sprach Zarathustra. Zweiter Theil "- und erst, wenn ihr mich Alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren. Wahrlich, mit andern _Augen_, meine Brueder, werde ich mir dann meine Verlorenen suchen; mit einer andern Liebe werde ich euch dann lieben". Zarathustra, von der schenkenden Tugend Das Kind mit dem Spiegel Hierauf gieng Zarathustra wieder zurueck in das Gebirge und in die Einsamkeit seiner Hoehle und entzog sich den Menschen: wartend gleich einem Saeemann, der seinen Samen ausgeworfen hat. Seine Seele aber wurde voll von Ungeduld und Begierde nach Denen, welche er liebte: denn er hatte ihnen noch Viel zu geben. Diess naemlich ist das Schwerste, aus Liebe die offne Hand schliessen und als Schenkender die Scham bewahren. Also vergiengen dem Einsamen Monde und Jahre; seine Weisheit aber wuchs und machte ihm Schmerzen durch ihre Fuelle. Eines Morgens aber wachte er schon vor der Morgenroethe auf, besann sich lange auf seinem Lager und sprach endlich zu seinem Herzen: Was erschrak ich doch so in meinem Traume, dass ich aufwachte? Trat nicht ein Kind zu mir, das einen Spiegel trug? "Oh Zarathustra - sprach das Kind zu mir - schaue Dich an im Spiegel!" Aber als ich in den Spiegel schaute, da schrie ich auf, und mein Herz war erschuettert: denn nicht mich sahe ich darin, sondern eines Teufels Fratze und Hohnlachen. Wahrlich, allzugut verstehe ich des Traumes Zeichen und Mahnung: meine _Lehre_ ist in Gefahr, Unkraut will Weizen heissen! Meine Feinde sind maechtig worden und haben meiner Lehre Bildniss entstellt, also, dass meine Liebsten sich der Gaben schaemen muessen, die ich ihnen gab. Verloren giengen mir meine Freunde; die Stunde kam mir, meine Verlornen zu suchen! - Mit diesen Worten sprang Zarathustra auf, aber nicht wie ein Geaengstigter, der nach Luft sucht, sondern eher wie ein Seher und Saenger, welchen der Geist anfaellt. Verwundert sahen sein Adler und seine Schlange auf ihn hin: denn gleich dem Morgenrothe lag ein kommendes Glueck auf seinem Antlitze. Was geschah mir doch, meine Thiere? - sagte Zarathustra. Bin ich nicht verwandelt! Kam mir nicht die Seligkeit wie ein Sturmwind? Thoericht ist mein Glueck und Thoerichtes wird es reden: zu jung noch ist es - so habt Geduld mit ihm! Verwundet bin ich von meinem Gluecke: alle Leidenden sollen mir Arzte sein! Zu meinen Freunden darf ich wieder hinab und auch zu meinen Feinden! Zarathustra darf wieder reden und schenken und Lieben das Liebste thun! Meine ungeduldige Liebe fliesst ueber in Stroemen, abwaerts, nach Aufgang und Niedergang. Aus schweigsamem Gebirge und Gewittern des Schmerzes rauscht meine Seele in die Thaeler. Zu lange sehnte ich mich und schaute in die Ferne. Zu lange gehoerte ich der Einsamkeit: so verlernte ich das Schweigen. Mund bin ich worden ganz und gar, und Brausen eines Bachs aus hohen Felsen: hinab will ich meine Rede stuerzen in die Thaeler. Und mag mein Strom der Liebe in Unwegsames stuerzen! Wie sollte ein Strom nicht endlich den Weg zum Meere finden! Wohl ist ein See in mir, ein einsiedlerischer, selbstgenugsamer; aber mein Strom der Liebe reisst ihn mit sich hinab - zum Meere! Neue Wege gehe ich, eine neue Rede kommt mir; muede wurde ich, gleich allen Schaffenden, der alten Zungen. Nicht will mein Geist mehr auf abgelaufnen Sohlen wandeln. Zu langsam laeuft mir alles Reden: - in deinen Wagen springe ich, Sturm! Und auch dich will ich noch peitschen mit meiner Bosheit! Wie ein Schrei und ein jauchzen will ich ueber weite Meere hinfahren, bis ich die glueckseligen Inseln finde, wo meine Freunde weilen: - Und meine Feinde unter ihnen! Wie liebe ich nun jeden, zu dem ich nur reden darf! Auch meine Feinde gehoeren zu meiner Seligkeit. Und wenn ich auf mein wildestes Pferd steigen will, so hilft mir mein Speer immer am besten hinauf: der ist meines Fusses allzeit bereiter Diener: - Der Speer, den ich gegen meine Feinde schleudere! Wie danke ich es meinen Feinden, dass ich endlich ihn schleudern darf! Zu gross war die Spannung meiner Wolke: zwischen Gelaechtern der Blitze will ich Hagelschauer in die Tiefe werfen. Gewaltig wird sich da meine Brust heben, gewaltig wird sie ihren Sturm ueber die Berge hinblasen: so kommt ihr Erleichterung. Wahrlich, einem Sturme gleich kommt mein Glueck und meine Freiheit! Aber meine Feinde sollen glauben, _der_Boese_ rase ueber ihren Haeuptern. Ja, auch ihr werdet erschreckt sein, meine Freunde, ob meiner wilden Weisheit; und vielleicht flieht ihr davon sammt meinen Feinden. Ach, dass ich's verstuende, euch mit Hirtenfloeten zurueck zu locken! Ach, dass meine Loewin Weisheit zaertlich bruellen lernte! Und Vieles lernten wir schon mit einander! Meine wilde Weisheit wurde traechtig auf einsamen Bergen; auf rauhen Steinen gebar sie ihr Junges, Juengstes. Nun laeuft sie naerrisch durch die harte Wueste und sucht und sucht nach sanftem Rasen - meine alte wilde Weisheit! Auf eurer Herzen sanften Rasen, meine Freunde! - auf eure Liebe moechte sie ihr Liebstes betten! Also sprach Zarathustra. Auf den glueckseligen Inseln Die Feigen fallen von den Baeumen, sie sind gut und suess; und indem sie fallen, reisst ihnen die rothe Haut. Ein Nordwind bin ich reifen Feigen. Also, gleich Feigen, fallen euch diese Lehren zu, meine Freunde: nun trinkt ihren Saft und ihr suesses Fleisch! Herbst ist es umher und reiner Himmel und Nachmittag. Seht, welche Fuelle ist um uns! Und aus dem Ueberflusse heraus ist es schoen hinaus zu blicken auf ferne Meere. Einst sagte man Gott, wenn man auf ferne Meere blickte; nun aber lehrte ich euch sagen: Uebermensch. Gott ist eine Muthmaassung; aber ich will, dass euer Muthmaassen nicht weiter reiche, als euer schaffender Wille. Koenntet ihr einen Gott _schaffen_? - So schweigt mir doch von allen Goettern! Wohl aber koenntet ihr den Uebermenschen schaffen. Nicht ihr vielleicht selber, meine Brueder! Aber zu Vaetern und Vorfahren koenntet ihr euch umschaffen des Uebermenschen: und Diess sei euer bestes Schaffen! - Gott ist eine Muthmaassung: aber ich will, dass euer Muthmaassen begrenzt sei in der Denkbarkeit. Koenntet ihr einen Gott _denken_? - Aber diess bedeute euch Wille zur Wahrheit, dass Alles verwandelt werde in Menschen - Denkbares, Menschen - Sichtbares, Menschen - Fuehlbares! Eure eignen Sinne sollt ihr zu Ende denken! Und was ihr Welt nanntet, das soll erst von euch geschaffen werden: eure Vernunft, euer Bild, euer Wille, eure Liebe soll es selber werden! Und wahrlich, zu eurer Seligkeit, ihr Erkennenden! Und wie wolltet ihr das Leben ertragen ohne diese Hoffnung, ihr Erkennenden? Weder in's Unbegreifliche duerftet ihr eingeboren sein, noch in's Unvernuenftige. Aber dass ich euch ganz mein Herz offenbare, ihr Freunde: _wenn_ es Goetter gaebe, wie hielte ich's aus, kein Gott zu sein! _Also_ giebt es keine Goetter. Wohl zog ich den Schluss; nun aber zieht er mich. - Gott ist eine Muthmaassung: aber wer traenke alle Qual dieser Muthmaassung, ohne zu sterben? Soll dem Schaffenden sein Glaube genommen sein und dem Adler sein Schweben in Adler-Fernen? Gott ist ein Gedanke, der macht alles Gerade krumm und Alles, was steht, drehend. Wie? Die Zeit waere hinweg, und alles Vergaengliche nur Luege? Diess zu denken ist Wirbel und Schwindel menschlichen Gebeinen und noch dem Magen ein Erbrechen: wahrlich, die drehende Krankheit heisse ich's, Solches zu muthmaassen. Boese heisse ich's und menschenfeindlich: all diess Lehren vom Einen und Vollen und Unbewegten und Satten und Unvergaenglichen! Alles Unvergaengliche - das ist nur ein Gleichniss! Und die Dichter luegen zuviel. - Aber von Zeit und Werden sollen die besten Gleichnisse reden: ein Lob sollen sie sein und eine Rechtfertigung aller Vergaenglichkeit! Schaffen - das ist die grosse Erloesung vom Leiden, und des Lebens Leichtwerden. Aber dass der Schaffende sei, dazu selber thut Leid noth und viel Verwandelung. Ja, viel bitteres Sterben muss in eurem Leben sein, ihr Schaffenden! Also seid ihr Fuersprecher und Rechtfertiger aller Vergaenglichkeit. Dass der Schaffende selber das Kind sei, das neu geboren werde, dazu muss er auch die Gebaererin sein wollen und der Schmerz der Gebaererin. Wahrlich, durch hundert Seelen gieng ich meinen Weg und durch hundert Wiegen und Geburtswehen. Manchen Abschied nahm ich schon, ich kenne die herzbrechenden letzten Stunden. Aber so will's mein schaffender Wille, mein Schicksal. Oder, dass ich's euch redlicher sage: solches Schicksal gerade - will mein Wille. Alles Fuehlende leidet an mir und ist in Gefaengnissen: aber mein Wollen kommt mir stets als mein Befreier und Freudebringer. Wollen befreit: das ist die wahre Lehre von Wille und Freiheit - so lehrt sie euch Zarathustra. Nicht-mehr-wollen und Nicht-mehr-schaetzen und Nicht-mehr-schaffen! ach, dass diese grosse Muedigkeit mir stets ferne bleibe! Auch im Erkennen fuehle ich nur meines Willens Zeuge- und Werde-Lust; und wenn Unschuld in meiner Erkenntniss ist, so geschieht diess, weil Wille zur Zeugung in ihr ist. Hinweg von Gott und Goettem lockte mich dieser Wille; was waere denn zu schaffen, wenn Goetter - da waeren! Aber zum Menschen treibt er mich stets von Neuem, mein inbruenstiger Schaffens-Wille; so treibt's den Hammer hin zum Steine. Ach, ihr Menschen, im Steine schlaeft mir ein Bild, das Bild meiner Bilder! Ach, dass es im haertesten, haesslichsten Steine schlafen muss! Nun wuethet mein Hammer grausam gegen sein Gefaengniss. Vom Steine staeuben Stuecke: was schiert mich das? Vollenden will ich's: denn ein Schatten kam zu mir - aller Dinge Stillstes und Leichtestes kam einst zu mir! Des Uebermenschen Schoenheit kam zu mir als Schatten. Ach, meine Brueder! Was gehen mich noch - die Goetter an! - Also sprach Zarathustra. Von den Mitleidigen Meine Freunde, es kam eine Spottrede zu eurem Freunde: "seht nur Zarathustra! Wandelt er nicht unter uns wie unter Thieren?" Aber so ist es besser geredet: "der Erkennende wandelt unter Menschen _als_ unter Thieren." Der Mensch selber aber heisst dem Erkennenden: das Thier, das rothe Backen hat. Wie geschah ihm das? Ist es nicht, weil er sich zu oft hat schaemen muessen? Oh meine Freunde! So spricht der Erkennende: Scham, Scham, Scham - das ist die Geschichte des Menschen! Und darum gebeut sich der Edle, nicht zu beschaemen: Scham gebeut er sich vor allem Leidenden. Wahrlich, ich mag sie nicht, die Barmherzigen, die selig sind in ihrem Mitleiden: zu sehr gebricht es ihnen an Scham. Muss ich mitleidig sein, so will ich's doch nicht heissen; und wenn ich's bin, dann gern aus der Ferne. Gerne verhuelle ich auch das Haupt und fliehe davon, bevor ich noch erkannt bin: und also heisse ich euch thun, meine Freunde! Moege mein Schicksal mir immer Leidlose, gleich euch, ueber den Weg fuehren, und Solche, mit denen mir Hoffnung und Mahl und Honig gemein sein _darf_! Wahrlich, ich that wohl Das und jenes an Leidenden: aber Besseres schien ich mir stets zu thun, wenn ich lernte, mich besser freuen. Seit es Menschen giebt, hat der Mensch sich zu wenig gefreut: Das allein, meine Brueder, ist unsre Erbsuende! Und lernen wir besser uns freuen, so verlernen wir am besten, Andern wehe zu thun und Wehes auszudenken. Darum wasche ich mir die Hand, die dem Leidenden half, darum wische ich mir auch noch die Seele ab. Denn dass ich den Leidenden leidend sah, dessen schaemte ich mich um seiner Scham willen; und als ich ihm half, da vergieng ich mich hart an seinem Stolze. Grosse Verbindlichkeiten machen nicht dankbar, sondern rachsuechtig; und wenn die kleine Wohlthat nicht vergessen wird, so wird noch ein Nage-Wurm daraus. "Seid sproede im Annehmen! Zeichnet aus damit, dass ihr annehmt!" - also rathe ich Denen, die Nichts zu verschenken haben. Ich aber bin ein Schenkender: gerne schenke ich, als Freund den Freunden. Fremde aber und Arme moegen sich die Frucht selber von meinem Baume pfluecken: so beschaemt es weniger. Bettler aber sollte man ganz abschaffen! Wahrlich, man aergert sich ihnen zu geben und, aergert sich ihnen nicht zu geben. Und insgleichen die Suender und boesen Gewissen! Glaubt mir, meine Freunde: Gewissensbisse erziehn zum Beissen. Das Schlimmste aber sind die kleinen Gedanken. Wahrlich, besser noch boes gethan, als klein gedacht! Zwar ihr sagt: "die Lust an kleinen Bosheiten erspart uns manche grosse boese That." Aber hier sollte man nicht sparen wollen. Wie ein Geschwuer ist die boese That: sie juckt und kratzt und bricht heraus, - sie redet ehrlich. "Siehe, ich bin Krankheit" - so redet die boese That; das ist ihre Ehrlichkeit. Aber dem Pilze gleich ist der kleine Gedanke: er kriecht und duckt sich und will nirgendswo sein - bis der ganze Leib morsch und welk ist vor kleinen Pilzen. Dem aber, der vom Teufel besessen ist, sage ich diess Wort in's Ohr: "besser noch, du ziehest deinen Teufel gross! Auch fuer dich giebt es noch einen Weg der Groesse!" - Ach, meine Brueder! Man weiss von Jedermann Etwas zu viel! Und Mancher wird uns durchsichtig, aber desshalb koennen wir noch lange nicht durch ihn hindurch. Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist. Und nicht gegen Den, der uns zuwider ist, sind wir am unbilligsten, sondern gegen Den, welcher uns gar Nichts angeht. Hast du aber einen leidenden Freund, so sei seinem Leiden eine Ruhestaette, doch gleichsam ein hartes Bett, ein Feldbett: so wirst du ihm am besten nuetzen. Und thut dir ein Freund Uebles, so sprich: "ich vergebe dir, was du mir thatest; dass du es aber _dir_ thatest, - wie koennte ich das vergeben!" Also redet alle grosse Liebe: die ueberwindet auch noch Vergebung und Mitleiden. Man soll sein Herz festhalten; denn laesst man es gehn, wie bald geht Einem da der Kopf durch! Ach, wo in der Welt geschahen groessere Thorheiten, als bei den Mitleidigen? Und was in der Welt stiftete mehr Leid, als die Thorheiten der Mitleidigen? Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Hoehe haben, welche ueber ihrem Mitleiden ist! Also sprach der Teufel einst zu mir: "auch Gott hat seine Hoelle: das ist seine Liebe zu den Menschen." Und juengst hoerte ich ihn diess Wort sagen: "Gott ist todt; an seinem Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben." - So seid mir gewarnt vordem Mitleiden: _daher_ kommt noch den Menschen eine schwere Wolke! Wahrlich, ich verstehe mich auf Wetterzeichen! Merket aber auch diess Wort: alle grosse Liebe ist noch ueber all ihrem Mitleiden: denn sie will das Geliebte noch - schaffen! "Mich selber bringe ich meiner Liebe dar, und meinen Naechsten gleich mir" - so geht die Rede allen Schaffenden. Alle Schaffenden aber sind hart. - Also sprach Zarathustra. Von den Priestern Und einstmals gab Zarathustra seinen Juengern ein Zeichen und sprach diese Worte zu ihnen: "Hier sind Priester: und wenn es auch meine Feinde sind, geht mir still an ihnen vorueber und mit schlafendem Schwerte! Auch unter ihnen sind Helden; Viele von ihnen litten zuviel -: so wollen sie Andre leiden machen. Boese Feinde sind sie: Nichts ist rachsuechtiger als ihre Demuth. Und leicht besudelt sich Der, welcher sie angreift. Aber mein Blut ist mit dem ihren verwandt; und ich will mein Blut auch noch in dem ihren geehrt wissen." - Und als sie vorueber gegangen waren, fiel Zarathustra der Schmerz an; und nicht lange hatte er mit seinem Schmerze gerungen, da hub er also an zu reden: Es jammert mich dieser Priester. Sie gehen mir auch wider den Geschmack; aber das ist mir das Geringste, seit ich unter Menschen bin. Aber ich leide und litt mit ihnen: Gefangene sind es mir und Abgezeichnete. Der, welchen sie Erloeser nennen, schlug sie in Banden: - In Banden falscher Werthe und Wahn-Worte! Ach dass Einer sie noch von ihrem Erloeser erloeste! Auf einem Eilande glaubten sie einst zu landen, als das Meer sie herumriss; aber siehe, es war ein schlafendes Ungeheuer! Falsche Werthe und Wahn-Worte: das sind die schlimmsten Ungeheuer fuer Sterbliche, - lange schlaeft und wartet in ihnen das Verhaengniss. Aber endlich kommt es und wacht und frisst und schlingt, was auf ihm sich Huetten baute. Oh seht mir doch diese Huetten an, die sich diese Priester bauten! Kirchen heissen sie ihre suessduftenden Hoehlen. Oh ueber diess verfaelschte Licht, diese versumpfte Luft! Hier, wo die Seele zu ihrer Hoehe hinauf - nicht fliegen darf! Sondern also gebietet ihr Glaube: "auf den Knien die Treppe hinan, ihr Suender!" Wahrlich, lieber sehe ich noch den Schamlosen, als die verrenkten Augen ihrer Scham und Andacht! Wer schuf sich solche Hoehlen und Buss-Treppen? Waren es nicht Solche, die sich verbergen wollten und sich vor dem reinen Himmel schaemten? Und erst wenn der reine Himmel wieder durch zerbrochne Decken blickt, und hinab auf Gras und rothen Mohn an zerbrochnen Mauern, - will ich den Staetten dieses Gottes wieder mein Herz zuwenden. Sie nannten Gott, was ihnen widersprach und wehe that: und wahrlich, es war viel Helden-Art in ihrer Anbetung! Und nicht anders wussten sie ihren Gott zu lieben, als indem sie den Menschen an's Kreuz schlugen! Als Leichname gedachten sie zu leben, schwarz schlugen sie ihren Leichnam aus; auch aus ihren Reden rieche ich noch die ueble Wuerze von Todtenkammern. Und wer ihnen nahe lebt, der lebt schwarzen Teichen nahe, aus denen heraus die Unke ihr Lied mit suessem Tiefsinne singt. Bessere Lieder muessten sie mir singen, dass ich an ihren Erloeser glauben lerne: erloester muessten mir seine juenger aussehen! Nackt moechte ich sie sehn: denn allein die Schoenheit sollte Busse predigen. Aber wen ueberredet wohl diese vermummte Truebsal! Wahrlich, ihre Erloeser selber kamen nicht aus der Freiheit und der Freiheit siebentem Himmel! Wahrlich, sie selber wandelten niemals auf den Teppichen der Erkenntniss! Aus Luecken bestand der Geist dieser Erloeser; aber in jede Luecke hatten sie ihren Wahn gestellt, ihren Lueckenbuesser, den sie Gott nannten. In ihrem Mitleiden war ihr Geist ertrunken, und wenn sie schwollen und ueberschwollen von Mitleiden, schwamm immer obenauf eine grosse Thorheit. Eifrig trieben sie und mit Geschrei ihre Heerde ueber ihren Steg: wie als ob es zur Zukunft nur Einen Steg gaebe! Wahrlich, auch diese Hirten gehoerten noch zu den Schafen! Kleine Geister und umfaengliche Seelen hatten diese Hirten: aber, meine Brueder, was fuer kleine Laender waren bisher auch die umfaenglichsten Seelen! Blutzeichen schrieben sie auf den Weg, den sie giengen, und ihre Thorheit lehrte, dass man mit Blut die Wahrheit beweise. Aber Blut ist der schlechteste Zeuge der Wahrheit; Blut vergiftet die reinste Lehre noch zu Wahn und Hass der Herzen. Und wenn Einer durch's Feuer geht fuer seine Lehre, - was beweist diess! Mehr ist's wahrlich, dass aus eignem Brande die eigne Lehre kommt! Schwueles Herz und kalter Kopf: wo diess zusammentrifft, da entsteht der Brausewind, der "Erloeser". Groessere gab es wahrlich und Hoeher-Geborene, als Die, welche das Volk Erloeser nennt, diese hinreissenden Brausewinde! Und noch von Groesseren, als alle Erloeser waren, muesst ihr, meine Brueder, erloest werden, wollt ihr zur Freiheit den Weg finden! Niemals noch gab es einen Uebermenschen. Nackt sah ich Beide, den groessten und den kleinsten Menschen: - Allzuaehnlich sind sie noch einander. Wahrlich, auch den Groessten fand ich - allzumenschlich! Also sprach Zarathustra. Von den Tugendhaften Mit Donnern und himmlischen Feuerwerken muss man zu schlaffen und schlafenden Sinnen reden. Aber der Schoenheit Stimme redet leise: sie schleicht sich nur in die aufgewecktesten Seelen. Leise erbebte und lachte mir heut mein Schild; das ist der Schoenheit heiliges Lachen und Beben. Ueber euch, ihr Tugendhaften, lachte heut meine Schoenheit. Und also kam ihre Stimme zu mir: "sie wollen noch - bezahlt sein!" Ihr wollt noch bezahlt sein, ihr Tugendhaften! Wollt Lohn fuer Tugend und Himmel fuer Erden und Ewiges fuer euer Heute haben? Und nun zuernt ihr mir, dass ich lehre, es giebt keinen Lohn- und Zahlmeister? Und wahrlich, ich lehre nicht einmal, dass Tugend ihr eigener Lohn ist. Ach, das ist meine Trauer: in den Grund der Dinge hat man Lohn und Strafe hineingelogen - und nun auch noch in den Grund eurer Seelen, ihr Tugendhaften! Aber dem Ruessel des Ebers gleich soll mein Wort den Grund eurer Seelen aufreissen; Pflugschar will ich euch heissen. Alle Heimlichkeiten eures Grundes sollen an's Licht; und wenn ihr aufgewuehlt und zerbrochen in der Sonne liegt, wird auch eure Luege von eurer Wahrheit ausgeschieden sein. Denn diess ist eure Wahrheit: ihr seid _zu_reinlich_ fuer den Schmutz der Worte: Rache, Strafe, Lohn, Vergeltung. Ihr liebt eure Tugend, wie die Mutter ihr Kind; aber wann hoerte man, dass eine Mutter bezahlt sein wollte fuer ihre Liebe? Es ist euer liebstes Selbst, eure Tugend. Des Ringes Durst ist in euch: sich selber wieder zu erreichen, dazu ringt und dreht sich jeder Ring. Und dem Sterne gleich, der erlischt, ist jedes Werk eurer Tugend: immer ist sein Licht noch unterwegs und wandert - und wann wird es nicht mehr unterwegs sein? Also ist das Licht eurer Tugend noch unterwegs, auch wenn das Werk gethan ist. Mag es nun vergessen und todt sein: sein Strahl von Licht lebt noch und wandert. Dass eure Tugend euer Selbst sei und nicht ein Fremdes, eine Haut, eine Bemaentelung: das ist die Wahrheit aus dem Grunde eurer Seele, ihr Tugendhaften! - Aber wohl giebt es Solche, denen Tugend der Krampf unter einer Peitsche heisst: und ihr habt mir zuviel auf deren Geschrei gehoert! Und Andre giebt es, die heissen Tugend das Faulwerden ihrer Laster; und wenn ihr Hass und ihre Eifersucht einmal die Glieder strecken, wird ihre "Gerechtigkeit" munter und reibt sich die verschlafenen Augen. Und Andre giebt es, die werden abwaerts gezogen: ihre Teufel ziehn sie. Aber je mehr sie sinken, um so gluehender leuchtet ihr Auge und die Begierde nach ihrem Gotte. Ach, auch deren Geschrei drang zu euren Ohren, ihr Tugendhaften: was ich _nicht_ bin, das, das ist mir Gott und Tugend! Und Andre giebt es, die kommen schwer und knarrend daher, gleich Waegen, die Steine abwaerts fahren: die reden viel von Wuerde und Tugend, - ihren Hemmschuh heissen sie Tugend! Und Andre giebt es, die sind gleich Alltags-Uhren, die aufgezogen wurden; sie machen ihr Tiktak und wollen, dass man Tiktak - Tugend heisse. Wahrlich, an Diesen habe ich meine Lust: wo ich solche Uhren finde, werde ich sie mit meinem Spotte aufziehn; und sie sollen mir dabei noch schnurren! Und Andre sind stolz ueber ihre Handvoll Gerechtigkeit und begehen um ihrerwillen Frevel an allen Dingen: also dass die Welt in ihrer Ungerechtigkeit ertraenkt wird. Ach, wie uebel ihnen das Wort "Tugend" aus dem Munde laeuft! Und wenn sie sagen: "ich bin gerecht," so klingt es immer gleich wie: "ich bin geraecht!" Mit ihrer Tugend wollen sie ihren Feinden die Augen auskratzen; und sie erheben sich nur, um Andre zu erniedrigen. Und wiederum giebt es Solche, die sitzen in ihrem Sumpfe und reden also heraus aus dem Schilfrohr: "Tugend - das ist still im Sumpfe sitzen. Wir beissen Niemanden und gehen Dem aus dem Wege, der beissen will; und in Allem haben wir die Meinung, die man uns giebt." Und wiederum giebt es Solche, die lieben Gebaerden und denken: Tugend ist eine Art Gebaerde. Ihre Kniee beten immer an, und ihre Haende sind Lobpreisungen der Tugend, aber ihr Herz weiss Nichts davon. Und wiederum giebt es Solche, die halten es fuer Tugend, zu sagen: "Tugend ist nothwendig"; aber sie glauben im Grunde nur daran, dass Polizei nothwendig ist. Und Mancher, der das Hohe an den Menschen nicht sehen kann, nennt es Tugend, dass er ihr Niedriges allzunahe sieht: also heisst er seinen boesen Blick Tugend. Und Einige wollen erbaut und aufgerichtet sein und heissen es Tugend; und Andre wollen umgeworfen sein - und heissen es auch Tugend. Und derart glauben fast Alle daran, Antheil zu haben an der Tugend; und zum Mindesten will ein jeder Kenner sein ueber "gut" und "boese". Aber nicht dazu kam Zarathustra, allen diesen Luegnern und Narren zu sagen: "was wisst _ihr_ von Tugend! Was _koenntet_ ihr von Tugend wissen!" - Sondern, dass ihr, meine Freunde, der alten Worte muede wuerdet, welche ihr von den Narren und Luegnern gelernt habt: Muede wuerdet der Worte "Lohn," "Vergeltung," "Strafe," "Rache in der Gerechtigkeit" - Muede wuerdet zu sagen: "dass eine Handlung gut ist, das macht, sie ist selbstlos." Ach, meine Freunde! Dass _euer_ Selbst in der Handlung sei, wie die Mutter im Kinde ist: das sei mir _euer_ Wort von Tugend! Wahrlich, ich nahm euch wohl hundert Worte und eurer Tugend liebste Spielwerke; und nun zuernt ihr mir, wie Kinder zuernen. Sie spielten am Meere, - da kam die Welle und riss ihnen ihr Spielwerk in die Tiefe: nun weinen sie. Aber die selbe Welle soll ihnen neue Spielwerke bringen und neue bunte Muscheln vor sie hin ausschuetten! So werden sie getroestet sein; und gleich ihnen sollt auch ihr, meine Freunde, eure Troestungen haben - und neue bunte Muscheln! - Also sprach Zarathustra. Vom Gesindel Das Leben ist ein Born der Lust; aber wo das Gesindel mit trinkt, da sind alle Brunnen vergiftet. Allem Reinlichen bin ich hold; aber ich mag die grinsenden Maeuler nicht sehn und den Durst der Unreinen. Sie warfen ihr Auge hinab in den Brunnen: nun glaenzt mir ihr widriges Laecheln herauf aus dem Brunnen. Das heilige Wasser haben sie vergiftet mit ihrer Luesternheit; und als sie ihre schmutzigen Traeume Lust nannten, vergifteten sie auch noch die Worte. Unwillig wird die Flamme, wenn sie ihre feuchten Herzen an's Feuer legen; der Geist selber brodelt und raucht, wo das Gesindel an's Feuer tritt. Suesslich und uebermuerbe wird in ihrer Hand die Frucht: windfaellig und wipfelduerr macht ihr Blick den Fruchtbaum. Und Mancher, der sich vom Leben abkehrte, kehrte sich nur vom Gesindel ab: er wollte nicht Brunnen und Flamme und Frucht mit dem Gesindel theilen. Und Mancher, der in die Wueste gieng und mit Raubthieren Durst litt, wollte nur nicht mit schmutzigen Kameeltreibern um die Cisterne sitzen. Und Mancher, der wie ein Vernichter daher kam und wie ein Hagelschlag allen Fruchtfeldern, wollte nur seinen Fuss dem Gesindel in den Rachen setzen und also seinen Schlund stopfen. Und nicht das ist der Bissen, an dem ich am meisten wuergte, zu wissen, dass das Leben selber Feindschaft noethig hat und Sterben und Marterkreuze: - Sondern ich fragte einst und erstickte fast an meiner Frage: wie? hat das Leben auch das Gesindel _noethig_? Sind vergiftete Brunnen noethig und stinkende Feuer und beschmutzte Traeume und Maden im Lebensbrode? Nicht mein Hass, sondern mein Ekel frass mir hungrig am Leben! Ach, des Geistes wurde ich oft muede, als ich auch das Gesindel geistreich fand! Und den Herrschenden wandt'ich den Ruecken, als ich sah, was sie jetzt Herrschen nennen: schachern und markten um Macht - mit dem Gesindel! Unter Voelkern wohnte ich fremder Zunge, mit verschlossenen Ohren: dass mir ihres Schacherns Zunge fremd bliebe und ihr Markten um Macht. Und die Nase mir haltend, gieng ich unmuthig durch alles Gestern und Heute: wahrlich, uebel riecht alles Gestern und Heute nach dem schreibenden Gesindel! Einem Krueppel gleich, der taub und blind und stumm wurde: also lebte ich lange, dass ich nicht mit Macht- und Schreib- und Lust-Gesindel lebte. Muehsam stieg mein Geist Treppen, und vorsichtig; Almosen der Lust waren sein Labsal; am Stabe schlich dem Blinden das Leben. Was geschah mir doch? Wie erloeste ich mich vom Ekel? Wer verjuengte mein Auge? Wie erflog ich die Hoehe, wo kein Gesindel mehr am Brunnen sitzt? Schuf mein Ekel selber mir Fluegel und quellenahnende Kraefte? Wahrlich, in's Hoechste musste ich fliegen, dass ich den Born der Lust wiederfaende! Oh, ich fand ihn, meine Brueder! Hier im Hoechsten quillt mir der Born der Lust! Und es giebt ein Leben, an dem kein Gesindel mit trinkt! Fast zu heftig stroemst du mir, Quell der Lust! Und oft leerst du den Becher wieder, dadurch dass du ihn fuellen willst! Und noch muss ich lernen, bescheidener dir zu nahen: allzuheftig stroemt dir noch mein Herz entgegen: - Mein Herz, auf dem mein Sommer brennt, der kurze, heisse, schwermuethige, ueberselige: wie verlangt mein Sommer-Herz nach deiner Kuehle! Vorbei die zoegernde Truebsal meines Fruehlings! Vorueber die Bosheit meiner Schneeflocken im Juni! Sommer wurde ich ganz und Sommer-Mittag! Ein Sommer im Hoechsten mit kalten Quellen und seliger Stille: oh kommt, meine Freunde, dass die Stille noch seliger werde! Denn diess ist _unsre_ Hoehe und unsre Heimat: zu hoch und steil wohnen wir hier allen Unreinen und ihrem Durste. Werft nur eure reinen Augen in den Born meiner Lust, ihr Freunde! Wie sollte er darob truebe werden! Entgegenlachen soll er euch mit _seiner_ Reinheit. Auf dem Baume Zukunft bauen wir unser Nest; Adler sollen uns Einsamen Speise bringen in ihren Schnaebeln! Wahrlich, keine Speise, an der Unsaubere mitessen duerften! Feuer wuerden sie zu fressen waehnen und sich die Maeuler verbrennen! Wahrlich, keine Heimstaetten halten wir hier bereit fuer Unsaubere! Eishoehle wuerde ihren Leibern unser Glueck heissen und ihren Geistern! Und wie starke Winde wollen wir ueber ihnen leben, Nachbarn den Adlern, Nachbarn dem Schnee, Nachbarn der Sonne: also leben starke Winde. Und einem Winde gleich will ich einst noch zwischen sie blasen und mit meinem Geiste ihrem Geiste den Athem nehmen: so will es meine Zukunft. Wahrlich, ein starker Wind ist Zarathustra allen Niederungen; und solchen Rath raeth er seinen Feinden und Allem, was spuckt und speit: huetet euch _gegen_ den Wind zu speien! Also sprach Zarathustra. Von den Taranteln Siehe, das ist der Tarantel Hoehle! Willst du sie selber sehn? Hier haengt ihr Netz: ruehre daran, dass es erzittert. Da kommt sie willig: willkommen, Tarantel! Schwarz sitzt auf deinem Ruecken dein Dreieck und Wahrzeichen; und ich weiss auch, was in deiner Seele sitzt. Rache sitzt in deiner Seele: wohin du beissest, da waechst schwarzer Schorf; mit Rache macht dein Gift die Seele drehend! Also rede ich zu euch im Gleichniss, die ihr die Seelen drehend macht, ihr Prediger der _Gleichheit_! Taranteln seid ihr mir und versteckte Rachsuechtige! Aber ich will eure Verstecke schon an's Licht bringen: darum lache ich euch in's Antlitz mein Gelaechter der Hoehe. Darum reisse ich an eurem Netze, dass eure Wuth euch aus eurer Luegen-Hoehle locke, und eure Rache hervorspringe hinter eurem Wort "Gerechtigkeit." Denn dass der Mensch erloest werde von der Rache: das ist mir die Bruecke zur hoechsten Hoffnung und ein Regenbogen nach langen Unwettern. Aber anders wollen es freilich die Taranteln. "Das gerade heisse uns Gerechtigkeit, dass die Welt voll werde von den Unwettern unsrer Rache" - also reden sie mit einander. "Rache wollen wir ueben und Beschimpfung an Allen, die uns nicht gleich sind" - so geloben sich die Tarantel-Herzen. "Und `Wille zur Gleichheit` - das selber soll fuerderhin der Name fuer Tugend werden; und gegen Alles, was Macht hat, wollen wir unser Geschrei erheben!" Ihr Prediger der Gleichheit, der Tyrannen-Wahnsinn der Ohnmacht schreit also aus euch nach "Gleichheit": eure heimlichsten Tyrannen-Gelueste vermummen sich also in Tugend-Worte! Vergraemter Duenkel, verhaltener Neid, vielleicht eurer Vaeter Duenkel und Neid: aus euch bricht's als Flamme heraus und Wahnsinn der Rache. Was der Vater schwieg, das kommt im Sohne zum Reden; und oft fand ich den Sohn als des Vaters entbloesstes Geheimniss. Den Begeisterten gleichen sie: aber nicht das Herz ist es, was sie begeistert, - sondern die Rache. Und wenn sie fein und kalt werden, ist's nicht der Geist, sondern der Neid, der sie fein und kalt macht. Ihre Eifersucht fuehrt sie auch auf der Denker Pfade; und diess ist das Merkmal ihrer Eifersucht - immer gehn sie zu weit: dass ihre Muedigkeit sich zuletzt noch auf Schnee schlafen legen muss. Aus jeder ihrer Klagen toent Rache, in jedem ihrer Lobsprueche ist ein Wehethun; und Richter-sein scheint ihnen Seligkeit. Also aber rathe ich euch, meine Freunde: misstraut Allen, in welchen der Trieb, zu strafen, maechtig ist! Das ist Volk schlechter Art und Abkunft; aus ihren Gesichtern blickt der Henker und der Spuerhund. Misstraut allen Denen, die viel von ihrer Gerechtigkeit reden! Wahrlich, ihren Seelen fehlt es nicht nur an Honig. Und wenn sie sich selber "die Guten und Gerechten" nennen, so vergesst nicht, dass ihnen zum Pharisaeer Nichts fehlt als - Macht! Meine Freunde, ich will nicht vermischt und verwechselt werden. Es giebt Solche, die predigen meine Lehre vom Leben: und zugleich sind sie Prediger der Gleichheit und Taranteln. Dass sie dem Leben zu Willen reden, ob sie gleich in ihrer Hoehle sitzen, diese Gift-Spinnen, und abgekehrt vom Leben: das macht, sie wollen damit wehethun. Solchen wollen sie damit wehethun, die jetzt die Macht haben: denn bei diesen ist noch die Predigt vom Tode am besten zu Hause. Waere es anders, so wuerden die Taranteln anders lehren: und gerade sie waren ehemals die besten Welt-Verleumder und Ketzer-Brenner. Mit diesen Predigern der Gleichheit will ich nicht vermischt und verwechselt sein. Denn so redet _mir_ die Gerechtigkeit: "die Menschen sind nicht gleich." Und sie sollen es auch nicht werden! Was waere denn meine Liebe zum Uebermenschen, wenn ich anders spraeche? Auf tausend Bruecken und Stegen sollen sie sich draengen zur Zukunft, und immer mehr Krieg und Ungleichheit soll zwischen sie gesetzt sein: so laesst mich meine grosse Liebe reden! Erfinder von Bildern und Gespenstern sollen sie werden in ihren Feindschaften, und mit ihren Bildern und Gespenstern sollen sie noch gegeneinander den hoechsten Kampf kaempfen! Gut und Boese, und Reich und Arm, und Hoch und Gering, und alle Namen der Werthe: Waffen sollen es sein und klirrende Merkmale davon, dass das Leben sich immer wieder selber ueberwinden muss! In die Hoehe will es sich bauen mit Pfeilern und Stufen, das Leben selber: in weite Fernen will es blicken und hinaus nach seligen Schoenheiten, - _darum_ braucht es Hoehe! Und weil es Hoehe braucht, braucht es Stufen und Widerspruch der Stufen und Steigenden! Steigen will das Leben und steigend sich ueberwinden. Und seht mir doch, meine Freunde! Hier, wo der Tarantel Hoehle ist, heben sich eines alten Tempels Truemmer aufwaerts, - seht mir doch mit erleuchteten Augen hin! Wahrlich, wer hier einst seine Gedanken in Stein nach Oben thuermte, um das Geheimniss alles Lebens wusste er gleich dem Weisesten! Dass Kampf und Ungleiches auch noch in der Schoenheit sei und Krieg um Macht und Uebermacht: das lehrt er uns hier im deutlichsten Gleichniss. Wie sich goettlich hier Gewoelbe und Bogen brechen, im Ringkampfe: wie mit Licht und Schatten sie wider einander streben, die goettlich-Strebenden - Also sicher und schoen lasst uns auch Feinde sein, meine Freunde! Goettlich wollen wir _wider_ einander streben! - Wehe! Da biss mich selber die Tarantel, meine alte Feindin! Goettlich sicher und schoen biss sie mich in den Finger! "Strafe muss sein und Gerechtigkeit - so denkt sie: nicht umsonst soll er hier der Feindschaft zu Ehren Lieder singen!" Ja, sie hat sich geraecht! Und wehe! nun wird sie mit Rache auch noch meine Seele drehend machen! Dass ich mich aber _nicht_ drehe, meine Freunde, bindet mich fest hier an diese Saeule! Lieber noch Saeulen-Heiliger will ich sein, als Wirbel der Rachsucht! Wahrlich, kein Dreh- und Wirbelwind ist Zarathustra; und wenn er ein Taenzer ist, nimmermehr doch ein Tarantel-Taenzer! - Also sprach Zarathustra. Von den beruehmten Weisen Dem Volke habt ihr gedient und des Volkes Aberglauben, ihr beruehmten Weisen alle! - und _nicht_ der Wahrheit! Und gerade darum zollte man euch Ehrfurcht. Und darum auch ertrug man euren Unglauben, weil er ein Witz und Umweg war zum Volke. So laesst der Herr seine Sclaven gewaehren und ergoetzt sich noch an ihrem Uebermuthe. Aber wer dem Volke verhasst ist wie ein Wolf den Hunden: das ist der freie Geist, der Fessel-Feind, der Nicht-Anbeter, der in Waeldern Hausende. Ihn zu jagen aus seinem Schlupfe - das hiess immer dem Volke "Sinn fuer das Rechte": gegen ihn hetzt es noch immer seine scharfzahnigsten Hunde. "Denn die Wahrheit ist da: ist das Volk doch da! Wehe, wehe den Suchenden!" - also scholl es von jeher. Eurem Volke wolltet ihr Recht schaffen in seiner Verehrung: das hiesset ihr "Wille zur Wahrheit," ihr beruehmten Weisen! Und euer Herz sprach immer zu sich: "vom Volke kam ich: von dort her kam mir auch Gottes Stimme." Hart-nackig und klug, dem Esel gleich, wart ihr immer als des Volkes Fuersprecher. Und mancher Maechtige, der gut fahren wollte mit dem Volke, spannte vor seine Rosse noch - ein Eselein, einen beruehmten Weisen. Und nun wollte ich, ihr beruehmten Weisen, ihr wuerfet endlich das Fell des Loewen ganz von euch! Das Fell des Raubthiers, das buntgefleckte, und die Zotten des Forschenden, Suchenden, Erobernden! Ach, dass ich an eure "Wahrhaftigkeit" glauben lerne, dazu muesstet ihr mir erst euren verehrenden Willen zerbrechen. Wahrhaftig - so heisse ich Den, der in goetterlose Wuesten geht und sein verehrendes Herz zerbrochen hat. Im gelben Sande und verbrannt von der Sonne schielt er wohl durstig nach den quellenreichen Eilanden, wo Lebendiges unter dunkeln Baeumen ruht. Aber sein Durst ueberredet ihn nicht, diesen Behaglichen gleich zu werden: denn wo Oasen sind, da sind auch Goetzenbilder. Hungernd, gewaltthaetig, einsam, gottlos: so will sich selber der Loewen-Wille. Frei von dem Glueck der Knechte, erloest von Goettern und Anbetungen, furchtlos und fuerchterlich, gross und einsam: so ist der Wille des Wahrhaftigen. In der Wueste wohnten von je die Wahrhaftigen, die freien Geister, als der Wueste Herren; aber in den Staedten wohnen die gutgefuetterten, beruehmten Weisen, - die Zugthiere. Immer naemlich ziehen sie, als Esel - des _Volkes_ Karren! Nicht dass ich ihnen darob zuerne: aber Dienende bleiben sie mir und Angeschirrte, auch wenn sie von goldnem Geschirre glaenzen. Und oft waren sie gute Diener und preiswuerdige. Denn so spricht die Tugend: musst du Diener sein, so suche Den, welchem dein Dienst am besten nuetzt! "Der Geist und die Tugend deines Herrn sollen wachsen, dadurch dass du sein Diener bist: so waechsest du selber mit seinem Geiste und seiner Tugend!" Und wahrlich, ihr beruehmten Weisen, ihr Diener des Volkes! Ihr selber wuchset mit des Volkes Geist und Tugend - und das Volk durch euch! Zu euren Ehren sage ich das! Aber Volk bleibt ihr mir auch noch in euren Tugenden, Volk mit bloeden Augen, - Volk, das nicht weiss, was _Geist_ ist! Geist ist das Leben, das selber in's Leben schneidet: an der eignen Qual mehrt es sich das eigne Wissen, - wusstet ihr das schon? Und des Geistes Glueck ist diess: gesalbt zu sein und durch Thraenen geweiht zum Opferthier, - wusstet ihr das schon? Und die Blindheit des Blinden und sein Suchen und Tappen soll noch von der Macht der Sonne zeugen, in die er schaute, - wusstet ihr das schon? Und mit Bergen soll der Erkennende _bauen_ lernen! Wenig ist es, dass der Geist Berge versetzt, - wusstet ihr das schon? Ihr kennt nur des Geistes Funken: aber ihr seht den Ambos nicht, der er ist, und nicht die Grausamkeit seines Hammers! Wahrlich, ihr kennt des Geistes Stolz nicht! Aber noch weniger wuerdet ihr des Geistes Bescheidenheit ertragen, wenn sie einmal reden wollte! Und niemals noch durftet ihr euren Geist in eine Grube von Schnee werfen: ihr seid nicht heiss genug dazu! So kennt ihr auch die Entzueckungen seiner Kaelte nicht. In Allem aber thut ihr mir zu vertraulich mit dem Geiste; und aus der Weisheit machtet ihr oft ein Armen- und Krankenhaus fuer schlechte Dichter. Ihr seid keine Adler: so erfuhrt ihr auch das Glueck im Schrekken des Geistes nicht. Und wer kein Vogel ist, soll sich nicht ueber Abgruenden lagern. Ihr seid mir Laue: aber kalt stroemt jede tiefe Erkenntniss. Eiskalt sind die innersten Brunnen des Geistes: ein Labsal heissen Haenden und Handelnden. Ehrbar steht ihr mir da und steif und mit geradem Ruecken, ihr beruehmten Weisen! - euch treibt kein starker Wind und Wille. Saht ihr nie ein Segel ueber das Meer gehn, geruendet und geblaeht und zitternd vor dem Ungestuem des Windes? Dem Segel gleich, zitternd vor dem Ungestuem des Geistes, geht meine Weisheit ueber das Meer - meine wilde Weisheit! Aber ihr Diener des Volkes, ihr beruehmten Weisen, - wie _koenntet_ ihr mit mir gehn! - Also sprach Zarathustra. Das Nachtlied Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen. Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden. Ein Ungestilltes, Unstillbares ist in mir; das will laut werden. Eine Begierde nach Liebe ist in mir, die redet selber die Sprache der Liebe. Licht bin ich: ach, dass ich Nacht waere! Aber diess ist meine Einsamkeit, dass ich von Licht umguertet bin. Ach, dass ich dunkel waere und naechtig! Wie wollte ich an den Bruesten des Lichts saugen! Und euch selber wollte ich noch segnen, ihr kleinen Funkelsterne und Leuchtwuermer droben! - und selig sein ob eurer Licht-Geschenke. Aber ich lebe in meinem eignen Lichte, ich trinke die Flammen in mich zurueck, die aus mir brechen. Ich kenne das Glueck des Nehmenden nicht; und oft traeumte mir davon, dass Stehlen noch seliger sein muesse, als Nehmen. Das ist meine Armuth, dass meine Hand niemals ausruht vom Schenken; das ist mein Neid, dass ich wartende Augen sehe und die erhellten Naechte der Sehnsucht. Oh Unseligkeit aller Schenkenden! Oh Verfinsterung meiner Sonne! Oh Begierde nach Begehren! Oh Heisshunger in der Saettigung! Sie nehmen von mir: aber ruehre ich noch an ihre Seele? Eine Kluft ist zwischen Geben und Nehmen; und die kleinste Kluft ist am letzten zu ueberbruecken. Ein Hunger waechst aus meiner Schoenheit: wehethun moechte ich Denen, welchen ich leuchte, berauben moechte ich meine Beschenkten: - also hungere ich nach Bosheit. Die Hand zurueckziehend, wenn sich schon ihr die Hand entgegenstreckt; dem Wasserfaelle gleich zoegernd, der noch im Sturze zoegert: - also hungere ich nach Bosheit. Solche Rache sinnt meine Fuelle aus; solche Tuecke quillt aus meiner Einsamkeit. Mein Glueck im Schenken erstarb im Schenken, meine Tugend wurde ihrer selber muede an ihrem Ueberflusse! Wer immer schenkt, dessen Gefahr ist, dass er die Scham verliere; wer immer austheilt, dessen Hand und Herz hat Schwielen vor lauter Austheilen. Mein Auge quillt nicht mehr ueber vor der Scham der Bittenden; meine Hand wurde zu hart fuer das Zittern gefuellter Haende. Wohin kam die Thraene meinem Auge und der Flaum meinem Herzen? Oh Einsamkeit aller Schenkenden! Oh Schweigsamkeit aller Leuchtenden! Viel Sonnen kreisen im oeden Raeume: zu Allem, was dunkel ist, reden sie mit ihrem Lichte, - mir schweigen sie. Oh diess ist die Feindschaft des Lichts gegen Leuchtendes, erbarmungslos wandelt es seine Bahnen. Unbillig gegen Leuchtendes im tiefsten Herzen: kalt gegen Sonnen, - also wandelt jede Sonne. Einem Sturme gleich fliegen die Sonnen ihre Bahnen, das ist ihr Wandeln. Ihrem unerbittlichen Willen folgen sie, das ist ihre Kaelte. Oh, ihr erst seid es, ihr Dunklen, ihr Naechtigen, die ihr Waerme schafft aus Leuchtendem! Oh, ihr erst trinkt euch Milch und Labsal aus des Lichtes Eutern! Ach, Eis ist um mich, meine Hand verbrennt sich an Eisigem! Ach, Durst ist in mir, der schmachtet nach eurem Durste! Nacht ist es: ach dass ich Licht sein muss! Und Durst nach Naechtigem! Und Einsamkeit! Nacht ist es: nun bricht wie ein Born aus mir mein Verlangen, - nach Rede verlangt mich. Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen. Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden. - Also sang Zarathustra. Das Tanzlied Eines Abends gieng Zarathustra mit seinen Juengern durch den Wald; und als er nach einem Brunnen suchte, siehe, da kam er auf eine gruene Wiese, die von Baeumen und Gebuesch still umstanden war: auf der tanzten Maedchen mit einander. Sobald die Maedchen Zarathustra erkannten, liessen sie vom Tanze ab; Zarathustra aber trat mit freundlicher Gebaerde zu ihnen und sprach diese Worte: "Lasst vom Tanze nicht ab, ihr lieblichen Maedchen! Kein Spielverderber kam zu euch mit boesem Blick, kein Maedchen-Feind. Gottes Fuersprecher bin ich vor dem Teufel: der aber ist der Geist der Schwere. Wie sollte ich, ihr Leichten, goettlichen Taenzen feind sein? Oder Maedchen-Fuessen mit schoenen Knoecheln? Wohl bin ich ein Wald und eine Nacht dunkler Baeume: doch wer sich vor meinem Dunkel nicht scheut, der findet auch Rosenhaenge unter meinen Cypressen. Und auch den kleinen Gott findet er wohl, der den Maedchen der liebste ist: neben dem Brunnen liegt er, still, mit geschlossenen Augen. Wahrlich, am hellen Tage schlief er mir ein, der Tagedieb! Haschte er wohl zu viel nach Schmetterlingen? Zuernt mir nicht, ihr schoenen Tanzenden, wenn ich den kleinen Gott ein Wenig zuechtige! Schreien wird er wohl und weinen, - aber zum Lachen ist er noch im Weinen! Und mit Thraenen im Auge soll er euch um einen Tanz bitten; und ich selber will ein Lied zu seinem Tanze singen: Ein Tanz- und Spottlied auf den Geist der Schwere, meinen allerhoechsten grossmaechtigsten Teufel, von dem sie sagen, dass er `der Herr der Welt` sei." - Und diess ist das Lied, welches Zarathustra sang, als Cupido und die Maedchen zusammen tanzten. In dein Auge schaute ich juengst, oh Leben! Und in's Unergruendliche schien ich mir da zu sinken. Aber du zogst mich mit goldner Angel heraus; spoettisch lachtest du, als ich dich unergruendlich nannte. "So geht die Rede aller Fische, sprachst du; was _sie_ nicht ergruenden, ist unergruendlich. Aber veraenderlich bin ich nur und wild und in Allem ein Weib, und kein tugendhaftes: Ob ich schon euch Maennern `die Tiefe` heisse oder `die Treue`, `die Ewige`, `die Geheimnissvolle.` - Doch ihr Maenner beschenkt uns stets mit den eignen Tugenden - ach, ihr Tugendhaften!" Also lachte sie, die Unglaubliche; aber ich glaube ihr niemals und ihrem Lachen, wenn sie boes von sich selber spricht. Und als ich unter vier Augen mit meiner wilden Weisheit redete, sagte sie mir zornig: "Du willst, du begehrst, du liebst, darum allein _lobst_ du das Leben!" Fast haette ich da boes geantwortet und der Zornigen die Wahrheit gesagt; und man kann nicht boeser antworten, als wenn man seiner Weisheit "die Wahrheit sagt." So naemlich steht es zwischen uns Dreien. Von Grund aus liebe ich nur das Leben - und, wahrlich, am meisten dann, wenn ich es hasse! Dass ich aber der Weisheit gut bin und oft zu gut: das macht, sie erinnert mich gar sehr an das Leben! Sie hat ihr Auge, ihr Lachen und sogar ihr goldnes Angelruethchen: was kann ich dafuer, dass die Beiden sich so aehnlich sehen? Und als mich einmal das Leben fragte: Wer ist denn das, die Weisheit? - da sagte ich eifrig: "Ach ja! die Weisheit! Man duerstet um sie und wird nicht satt, man blickt durch Schleier, man hascht durch Netze. Ist sie schoen? Was weiss ich! Aber die aeltesten Karpfen werden noch mit ihr gekoedert. Veraenderlich ist sie und trotzig; oft sah ich sie sich die Lippe beissen und den Kamm wider ihres Haares Strich fuehren. Vielleicht ist sie boese und falsch, und in Allem ein Frauenzimmer; aber wenn sie von sich selber schlecht spricht, da gerade verfuehrt sie am meisten." Als ich diess zu dem Leben sagte, da lachte es boshaft und machte die Augen zu. "Von wem redest du doch? sagte sie, wohl von mir? Und wenn du Recht haettest, - sagt man _das_ mir so in's Gesicht! Aber nun sprich doch auch von deiner Weisheit!" Ach, und nun machtest du wieder dein Auge auf, oh geliebtes Leben! Und in's Unergruendliche schien ich mir wieder zu sinken. - Also sang Zarathustra. Als aber der Tanz zu Ende und die Maedchen fortgegangen waren, wurde er traurig. "Die Sonne ist lange schon hinunter, sagte er endlich; die Wiese ist feucht, von den Waeldern her kommt Kuehle. Ein Unbekanntes ist um mich und blickt nachdenklich. Was! Du lebst noch, Zarathustra? Warum? Wofuer? Wodurch? Wohin? Wo? Wie? Ist es nicht Thorheit, noch zu leben? - Ach, meine Freunde, der Abend ist es, der so aus mir fragt. Vergebt mir meine Traurigkeit! Abend ward es: vergebt mir, dass es Abend ward!" Also sprach Zarathustra. Das Grablied "Dort ist die Graeberinsel, die schweigsame; dort sind auch die Graeber meiner Jugend. Dahin will ich einen immergruenen Kranz des Lebens tragen." Also im Herzen beschliessend fuhr ich ueber das Meer. - Oh ihr, meiner Jugend Gesichte und Erscheinungen! Oh, ihr Blicke der Liebe alle, ihr goettlichen Augenblicke! Wie starbt ihr mir so schnell! Ich gedenke eurer heute wie meiner Todten. Von euch her, meinen liebsten Todten, kommt mir ein suesser Geruch, ein herz- und thraenenloesender. Wahrlich, er erschuettert und loest das Herz dem einsam Schiffenden. Immer noch bin ich der Reichste und Bestzubeneidende - ich der Einsamste! Denn ich _hatte_ euch doch, und ihr habt mich noch: sagt, wem fielen, wie mir, solche Rosenaepfel vom Baume? Immer noch bin ich eurer Liebe Erbe und Erdreich, bluehend zu eurem Gedaechtnisse von bunten wildwachsenen Tugenden, oh ihr Geliebtesten! Ach, wir waren gemacht, einander nahe zu bleiben, ihr holden fremden Wunder; und nicht schuechternen Voegeln gleich kamt ihr zu mir und meiner Begierde - nein, als Trauende zu dem Trauenden! Ja, zur Treue gemacht, gleich mir, und zu zaertlichen Ewigkeiten: muss ich nun euch nach eurer Untreue heissen, ihr goettlichen Blicke und Augenblicke: keinen andern Namen lernte ich noch. Wahrlich, zu schnell starbt ihr mir, ihr Fluechtlinge. Doch floht ihr mich nicht, noch floh ich euch: unschuldig sind wir einander in unsrer Untreue. _Mich_ zu toedten, erwuergte man euch, ihr Singvoegel meiner Hoffnungen! Ja, nach euch, ihr Liebsten, schoss immer die Bosheit Pfeile - mein Herz zu treffen! Und sie traf! Wart ihr doch stets mein Herzlichstes, mein Besitz und mein Besessen-sein: _darum_ musstet ihr jung sterben und allzu fruehe! Nach dem Verwundbarsten, das ich besass, schoss man den Pfeil: das waret ihr, denen die Haut einem Flaume gleich ist und mehr noch dem Laecheln, das an einem Blick erstirbt! Aber diess Wort will ich zu meinen Feinden reden: was ist alles Menschen-Morden gegen Das, was ihr mir thatet! Boeseres thatet ihr mir, als aller Menschen-Mord ist; Unwiederbringliches nahmt ihr mir: - also rede ich zu euch, meine Feinde! Mordetet ihr doch meiner Jugend Gesichte und liebste Wunder! Meine Gespielen nahmt ihr mir, die seligen Geister! Ihrem Gedaechtnisse lege ich diesen Kranz und diesen Fluch nieder. Diesen Fluch gegen euch, meine Feinde! Machtet ihr doch mein Ewiges kurz, wie ein Ton zerbricht in kalter Nacht! Kaum als Aufblinken goettlicher Augen kam es mir nur, - als Augenblick! Also sprach zur guten Stunde einst meine Reinheit: "goettlich sollen mir alle Wesen sein." Da ueberfielt ihr mich mit schmutzigen Gespenstern; ach, wohin floh nun jene gute Stunde! "Alle Tage sollen mir heilig sein" - so redete einst die Weisheit meiner Jugend: wahrlich, einer froehlichen Weisheit Rede! Aber da stahlt ihr Feinde mir meine Naechte und verkauftet sie zu schlafloser Qual: ach, wohin floh nun jene froehliche Weisheit? Einst begehrte ich nach gluecklichen Vogelzeichen: da fuehrtet ihr mir ein Eulen-Unthier ueber den Weg, ein widriges. Ach, wohin floh da meine zaertliche Begierde? Allem Ekel gelobte ich einst zu entsagen: da verwandeltet ihr meine Nahen und Naechsten in Eiterbeulen. Ach, wohin floh da mein edelstes Geloebniss? Als Blinder gieng ich einst selige Wege: da warft ihr Unflath auf den Weg des Blinden: und nun ekelte ihn des alten Blinden-Fusssteigs. Und als ich mein Schwerstes that und meiner Ueberwindungen Sieg feierte: da machtet ihr Die, welche mich liebten, schrein, ich thue ihnen am wehesten. Wahrlich, das war immer euer Thun: ihr vergaelltet mir meinen besten Honig und den Fleiss meiner besten Bienen. Meiner Mildthaetigkeit sandtet ihr immer die frechsten Bettler zu; um mein Mitleiden draengtet ihr immer die unheilbar Schamlosen. So verwundetet ihr meine Tugend in ihrem Glauben. Und legte ich noch mein Heiligstes zum Opfer hin: flugs stellte eure "Froemmigkeit" ihre fetteren Gaben dazu: also dass im Dampfe eures Fettes noch mein Heiligstes erstickte. Und einst wollte ich tanzen, wie nie ich noch tanzte: ueber alle Himmel weg wollte ich tanzen. Da ueberredetet ihr meinen liebsten Saenger. Und nun stimmte er eine schaurige dumpfe Weise an; ach, er tutete mir, wie ein duesteres Horn, zu Ohren! Moerderischer Saenger, Werkzeug der Bosheit, Unschuldigster! Schon stand ich bereit zum besten Tanze: da mordetest du mit deinen Toenen meine Verzueckung! Nur im Tanze weiss ich der hoechsten Dinge Gleichniss zu reden: - und nun blieb mir mein hoechstes Gleichniss ungeredet in einen Gliedern! Ungeredet und unerloest blieb mir die hoechste Hoffnung! Und es starben mir alle Gesichte und Troestungen meiner Jugend! Wie ertrug ich's nur? Wie verwand und ueberwand ich solche Wunden? Wie erstand meine Seele wieder aus diesen Graebern? Ja, ein Unverwundbares, Unbegrabbares ist an mir, ein Felsensprengendes: das heisst _mein_Wille_. Schweigsam schreitet es und unveraendert durch die Jahre. Seinen Gang will er gehn auf meinen Fuessen, mein alter Wille; herzenshart ist ihm der Sinn und unverwundbar. Unverwundbar bin ich allein an meiner Ferse. Immer noch lebst du da und bist dir gleich, Geduldigster! Immer noch brachst du dich durch alle Graeber! In dir lebt auch noch das Unerloeste meiner Jugend; und als Leben und Jugend sitzest du hoffend hier auf gelben Grab-Truemmern. Ja, noch bist du mir aller Graeber Zertruemmerer: Heil dir, mein Wille! Und nur wo Graeber sind, giebt es Auferstehungen. - Also sang Zarathustra. - Von der Selbst-Ueberwindung "Wille zur Wahrheit" heisst ihr's, ihr Weisesten, was euch treibt und bruenstig macht? Wille zur Denkbarkeit alles Seienden: also heisse _ich_ euren Willen! Alles Seiende wollt ihr erst denkbar _machen_: denn ihr zweifelt mit gutem Misstrauen, ob es schon denkbar ist. Aber es soll sich euch fuegen und biegen! So will's euer Wille. Glatt soll es werden und dem Geiste unterthan, als sein Spiegel und Widerbild. Das ist euer ganzer Wille, ihr Weisesten, als ein Wille zur Macht; und auch wenn ihr vom Guten und Boesen redet und von den Werthschaetzungen. Schaffen wollt ihr noch die Welt, vor der ihr knien koennt: so ist es eure letzte Hoffnung und Trunkenheit. Die Unweisen freilich, das Volk, - die sind gleich dem Flusse, auf dem ein Nachen weiter schwimmt: und im Nachen sitzen feierlich und vermummt die Werthschaetzungen. Euren Willen und eure Werthe setztet ihr auf den Fluss des Werdens; einen alten Willen zur Macht verraeth mir, was vom Volke als gut und boese geglaubt wird. Ihr wart es, ihr Weisesten, die solche Gaeste in diesen Nachen setzten und ihnen Prunk und stolze Namen gaben, - ihr und euer herrschender Wille! Weiter traegt nun der Fluss euren Nachen: er _muss_ ihn tragen. Wenig thut's, ob die gebrochene Welle schaeumt und zornig dem Kiele widerspricht! Nicht der Fluss ist eure Gefahr und das Ende eures Guten und Boesen, ihr Weisesten: sondern jener Wille selber, der Wille zur Macht, - der unerschoepfte zeugende Lebens-Wille. Aber damit ihr mein Wort versteht vom Guten und Boesen: dazu will ich euch noch mein Wort vom Leben sagen und von der Art alles Lebendigen. Dem Lebendigen gieng ich nach, ich gieng die groessten und die kleinsten Wege, dass ich seine Art erkenne. Mit hundertfachem Spiegel fieng ich noch seinen Blick auf, wenn ihm der Mund geschlossen war: dass sein Auge mir rede. Und sein Auge redete mir. Aber, wo ich nur Lebendiges fand, da hoerte ich auch die Rede vom Gehorsame. Alles Lebendige ist ein Gehorchendes. Und diess ist das Zweite: Dem wird befohlen, der sich nicht selber gehorchen kann. So ist es des Lebendigen Art. Diess aber ist das Dritte, was ich hoerte: dass Befehlen schwerer ist, als Gehorchen. Und nicht nur, dass der Befehlende die Last aller Gehorchenden traegt, und dass leicht ihn diese Last zerdrueckt: - Ein Versuch und Wagniss erschien mir in allem Befehlen; und stets, wenn es befiehlt, wagt das Lebendige sich selber dran. Ja noch, wenn es sich selber befiehlt: auch da noch muss es sein Befehlen buessen. Seinem eignen Gesetze muss es Richter und Raecher und Opfer werden. Wie geschieht diess doch! so fragte ich mich. Was ueberredet das Lebendige, dass es gehorcht und befiehlt und befehlend noch Gehorsam uebt? Hoert mir nun mein Wort, ihr Weisesten! Prueft es ernstlich, ob ich dem Leben selber in's Herz kroch und bis in die Wurzeln seines Herzens! Wo ich Lebendiges fand, da fand ich Willen zur Macht; und noch im Willen des Dienenden fand ich den Willen, Herr zu sein. Dass dem Staerkeren diene das Schwaechere, dazu ueberredet es sein Wille, der ueber noch Schwaecheres Herr sein will: dieser Lust allein mag es nicht entrathen. Und wie das Kleinere sich dem Groesseren hingiebt, dass es Lust und Macht am Kleinsten habe: also giebt sich auch das Groesste noch hin und setzt um der Macht willen - das Leben dran. Das ist die Hingebung des Groessten, dass es Wagniss ist und Gefahr und um den Tod ein Wuerfelspielen. Und wo Opferung und Dienste und Liebesblicke sind: auch da ist Wille, Herr zu sein. Auf Schleichwegen schleicht sich da der Schwaechere in die Burg und bis in's Herz dem Maechtigeren - und stiehlt da Macht. Und diess Geheimniss redete das Leben selber zu mir. Siehe, sprach es, ich bin das, was sich immer selber ueberwinden muss. "Freilich, ihr heisst es Wille zur Zeugung oder Trieb zum Zwecke, zum Hoeheren, Ferneren, Vielfacheren: aber all diess ist Eins und Ein Geheimniss. Lieber noch gehe ich unter, als dass ich diesem Einen absagte; und wahrlich, wo es Untergang giebt und Blaetterfallen, siehe, da opfert sich Leben - um Macht! Dass ich Kampf sein muss und Werden und Zweck und der Zwecke Widerspruch: ach, wer meinen Willen erraeth, erraeth wohl auch, auf welchen _krummen_ Wegen er gehen muss! Was ich auch schaffe und wie ich's auch liebe, - bald muss ich Gegner ihm sein und meiner Liebe: so will es mein Wille. Und auch du, Erkennender, bist nur ein Pfad und Fusstapfen meines Willens: wahrlich, mein Wille zur Macht wandelt auch auf den Fuessen deines Willens zur Wahrheit! Der traf freilich die Wahrheit nicht, der das Wort nach ihr schoss vom `Willen zum Dasein`: diesen Willen - giebt es nicht! Denn: was nicht ist, das kann nicht wollen; was aber im Dasein ist, wie koennte das noch zum Dasein wollen! Nur, wo Leben ist, da ist auch Wille: aber nicht Wille zum Leben, sondern - so lehre ich's dich - Wille zur Macht! Vieles ist dem Lebenden hoeher geschaetzt, als Leben selber; doch aus dem Schaetzen selber heraus redet - der Wille zur Macht!" - Also lehrte mich einst das Leben: und daraus loese ich euch, ihr Weisesten, noch das Raethsel eures Herzens. Wahrlich, ich sage euch: Gutes und Boeses, das unvergaenglich waere - das giebt es nicht! Aus sich selber muss es sich immer wieder ueberwinden. Mit euren Werthen und Worten von Gut und Boese uebt ihr Gewalt, ihr Werthschaetzenden: und diess ist eure verborgene Liebe und eurer Seele Glaenzen, Zittern und Ueberwallen. Aber eine staerkere Gewalt waechst aus euren Werthen und eine neue Ueberwindung: an der zerbricht Ei und Eierschale. Und wer ein Schoepfer sein muss im Guten und Boesen: wahrlich, der muss ein Vernichter erst sein und Werthe zerbrechen. Also gehoert das hoechste Boese zur hoechsten Guete: diese aber ist die schoepferische. - Reden wir nur davon, ihr Weisesten, ob es gleich schlimm ist. Schweigen ist schlimmer; alle verschwiegenere Wahrheiten werden giftig. Und mag doch Alles zerbrechen, was an unseren Wahrheiten zerbrechen - kann! Manches Haus giebt es noch zu bauen! Also sprach Zarathustra. Von den Erhabenen Still ist der Grund meines Meeres: wer erriethe wohl, dass er scherzhafte Ungeheuer birgt! Unerschuetterlich ist meine Tiefe: aber sie glaenzt von schwimmenden Raethseln und Gelaechtern. Einen Erhabenen sah ich heute, einen Feierlichen, einen Buesser des Geistes: oh wie lachte meine Seele ob seiner Haesslichkeit! Mit erhobener Brust und Denen gleich, welche den Athem an sich ziehn: also stand er da, der Erhabene, und schweigsam: Behaengt mit haesslichen Wahrheiten, seiner Jagdbeute, und reich an zerrissenen Kleidern; auch viele Dornen hiengen an ihm - aber noch sah ich keine Rose. Noch lernte er das Lachen nicht und die Schoenheit. Finster kam dieser Jaeger zurueck aus dem Walde der Erkenntniss. Vom Kampfe kehrte er heim mit wilden Thieren: aber aus seinem Ernste blickt auch noch ein wildes Thier - ein unueberwundenes! Wie ein Tiger steht er immer noch da, der springen will; aber ich mag diese gespannten Seelen nicht, unhold ist mein Geschmack allen diesen Zurueckgezognen. Und ihr sagt mir, Freunde, dass nicht zu streiten sei ueber Geschmack und Schmecken? Aber alles Leben ist Streit um Geschmack und Schmecken! Geschmack: das ist Gewicht zugleich und Wagschale und Waegender; und wehe allem Lebendigen, das ohne Streit um Gewicht und Wagschale und Waegende leben wollte! Wenn er seiner Erhabenheit muede wuerde, dieser Erhabene: dann erst wuerde seine Schoenheit anheben, - und dann erst will ich ihn schmecken und schmackhaft finden. Und erst, wenn er sich von sich selber abwendet, wird er ueber seinen eignen Schatten springen - und, wahrlich! hinein in _seine_ Sonne. Allzulange sass er im Schatten, die Wangen bleichten dem Buesser des Geistes; fast verhungerte er an seinen Erwartungen. Verachtung ist noch in seinem Auge; und Ekel birgt sich an seinem Munde. Zwar ruht er jetzt, aber seine Ruhe hat sich noch nicht in die Sonne gelegt. Dem Stiere gleich sollte er thun; und sein Glueck sollte nach Erde riechen und nicht nach Verachtung der Erde. Als weissen Stier moechte ich ihn sehn, wie er schnaubend und bruellend der Pflugschar vorangeht: und sein Gebruell sollte noch alles Irdische preisen! Dunkel noch ist sein Antlitz; der Hand Schatten spielt auf ihm. Verschattet ist noch der Sinn seines Auges. Seine That selber ist noch der Schatten auf ihm: die Hand verdunkelt den Handelnden. Noch hat er seine That nicht ueberwunden. Wohl liebe ich an ihm den Nacken des Stiers: aber nun will ich auch noch das Auge des Engels sehn. Auch seinen Helden-Willen muss er noch verlernen: ein Gehobener soll er mir sein und nicht nur ein Erhabener: - der Aether selber sollte ihn heben, den Willenlosen! Er bezwang Unthiere, er loeste Raethsel: aber erloesen sollte er auch noch seine Unthiere und Raethsel, zu himmlischen Kindern sollte er sie noch verwandeln. Noch hat seine Erkenntniss nicht laecheln gelernt und ohne Eifersucht sein; noch ist seine stroemende Leidenschaft nicht stille geworden in der Schoenheit. Wahrlich, nicht in der Sattheit soll sein Verlangen schweigen und untertauchen, sondern in der Schoenheit! Die Anmuth gehoert zur Grossmuth des Grossgesinnten. Den Arm ueber das Haupt gelegt: so sollte der Held ausruhn, so sollte er auch noch sein Ausruhen ueberwinden. Aber gerade dem Helden ist das _Schoene_ aller Dinge Schwerstes. Unerringbar ist das Schoene allem heftigen Willen. Ein Wenig mehr, ein Wenig weniger: das gerade ist hier Viel, das ist hier das Meiste. Mit laessigen Muskeln stehn und mit abgeschirrtem Willen: das ist das Schwerste euch Allen, ihr Erhabenen! Wenn die Macht gnaedig wird und herabkommt in's Sichtbare: Schoenheit heisse ich solches Herabkommen. Und von Niemandem will ich so als von dir gerade Schoenheit, du Gewaltiger: deine Guete sei deine letzte Selbst- Ueberwaeltigung. Alles Boese traue ich dir zu: darum will ich von dir das Gute. Wahrlich, ich lachte oft der Schwaechlinge, welche sich gut glauben, weil sie lahme Tatzen haben! Der Saeule Tugend sollst du nachstreben: schoener wird sie immer und zarter, aber inwendig haerter und tragsamer, je mehr sie aufsteigt. Ja, du Erhabener, einst sollst du noch schoen sein und deiner eignen Schoenheit den Spiegel vorhalten. Dann wird deine Seele vor goettlichen Begierden schaudern; und Anbetung wird noch in deiner Eitelkeit sein! Diess naemlich ist das Geheimniss der Seele: erst, wenn sie der Held verlassen hat, naht ihr, im Traume, - der Ueber-Held. Also sprach Zarathustra. Vom Lande der Bildung Zu weit hinein flog ich in die Zukunft: ein Grauen ueberfiel mich. Und als ich um mich sah, siehe! da war die Zeit mein einziger Zeitgenosse. Da floh ich rueckwaerts, heimwaerts - und immer eilender: so kam ich zu euch, ihr Gegenwaertigen, und in's Land der Bildung. Zum ersten Male brachte ich ein Auge mit fuer euch, und gute Begierde: wahrlich, mit Sehnsucht im Herzen kam ich. Aber wie geschah mir? So angst mir auch war, - ich musste lachen! Nie sah mein Auge etwas so Buntgesprenkeltes! Ich lachte und lachte, waehrend der Fuss mir noch zitterte und das Herz dazu: "hier ist ja die Heimat aller Farbentoepfe!" - sagte ich. Mit fuenfzig Klexen bemalt an Gesicht und Gliedern: so sasset ihr da zu meinem Staunen, ihr Gegenwaertigen! Und mit fuenfzig Spiegeln um euch, die eurem Farbenspiele schmeichelten und nachredeten! Wahrlich, ihr koenntet gar keine bessere Maske tragen, ihr Gegenwaertigen, als euer eignes Gesicht ist! Wer koennte euch - _erkennen_! Vollgeschrieben mit den Zeichen der Vergangenheit, und auch diese Zeichen ueberpinselt mit neuen Zeichen: also habt ihr euch gut versteckt vor allen Zeichendeutern! Und wenn man auch Nierenpruefer ist: wer glaubt wohl noch, dass ihr Nieren habt! Aus Farben scheint ihr gebacken und aus geleimten Zetteln. Alle Zeiten und Voelker blicken bunt aus euren Schleiern; alle Sitten und Glauben reden bunt aus euren Gebaerden. Wer von euch Schleier und Ueberwuerfe und Farben und Gebaerden abzoege: gerade genug wuerde er uebrig behalten, um die Voegel damit zu erschrecken. Wahrlich, ich selber bin der erschreckte Vogel, der euch einmal nackt sah und ohne Farbe; und ich flog davon, als das Gerippe mir Liebe zuwinkte. Lieber wollte ich doch noch Tageloehner sein in der Unterwelt und bei den Schatten des Ehemals! - feister und voller als ihr sind ja noch die Unterweltlichen! Diess, ja diess ist Bitterniss meinen Gedaermen, dass ich euch weder nackt, noch bekleidet aushalte, ihr Gegenwaertigen! Alles Unheimliche der Zukunft, und was je verflogenen Voegeln Schauder machte, ist wahrlich heimlicher noch und traulicher als eure "Wirklichkeit". Denn so sprecht ihr: "Wirkliche sind wir ganz, und ohne Glauben und Aberglauben": also bruestet ihr euch - ach, auch noch ohne Brueste! Ja, wie solltet ihr glauben _koennen_, ihr Buntgesprenkelten! - die ihr Gemaelde seid von Allem, was je geglaubt wurde! Wandelnde Widerlegungen seid ihr des Glaubens selber, und aller Gedanken Gliederbrechen. _Unglaubwuerdige_: also heisse _ich_ euch, ihr Wirklichen! Alle Zeiten schwaetzen wider einander in euren Geistern; und aller Zeiten Traeume und Geschwaetz waren wirklicher noch als euer Wachsein ist! Unfruchtbare seid ihr: _darum_ fehlt es euch an Glauben. Aber wer schaffen musste, der hatte auch immer seine Wahr-Traeume und Stern-Zeichen - und glaubte an Glauben! - Halboffne Thore seid ihr, an denen Todtengraeber warten. Und das ist _eure_ Wirklichkeit: "Alles ist werth, dass es zu Grunde geht." Ach, wie ihr mir dasteht, ihr Unfruchtbaren, wie mager in den Rippen! Und Mancher von euch hatte wohl dessen selber ein Einsehen. Und er sprach: "es hat wohl da ein Gott, als ich schlief, mir heimlich Etwas entwendet? Wahrlich, genug, sich ein Weibchen daraus zu bilden! Wundersam ist die Armuth meiner Rippen!" also sprach schon mancher Gegenwaertige. Ja, zum Lachen seid ihr mir, ihr Gegenwaertigen! Und sonderlich, wenn ihr euch ueber euch selber wundert! Und wehe mir, wenn ich nicht lachen koennte ueber eure Verwunderung, und alles Widrige aus euren Naepfen hinunter trinken muesste! So aber will ich's mit euch leichter nehmen, da ich _Schweres_ zu tragen habe; und was thut's mir, wenn sich Kaefer und Fluegelwuermer noch auf mein Buendel setzen! Wahrlich, es soll mir darob nicht schwerer werden! Und nicht aus euch, ihr Gegenwaertigen, soll mir die grosse Muedigkeit kommen. - Ach, wohin soll ich nun noch steigen mit meiner Sehnsucht! Von allen Bergen schaue ich aus nach Vater- und Mutterlaendern. Aber Heimat fand ich nirgends: unstaet bin ich in allen Staedten und ein Aufbruch an allen Thoren. Fremd sind mir und ein Spott die Gegenwaertigen, zu denen mich juengst das Herz trieb; und vertrieben bin ich aus Vater- und Mutterlaendern. So liebe ich allein noch meiner _Kinder_Land_, das unentdeckte, im fernsten Meere: nach ihm heisse ich meine Segel suchen und suchen. An meinen Kindern will ich es gut machen, dass ich meiner Vaeter Kind bin: und an aller Zukunft - _diese_ Gegenwart! Also sprach Zarathustra. Von der unbefleckten Erkenntniss Als gestern der Mond aufgieng, waehnte ich, dass er eine Sonne gebaeren wolle: so breit und traechtig lag er am Horizonte. Aber ein Luegner war er mir mit seiner Schwangerschaft; und eher noch will ich an den Mann im Monde glauben als an das Weib. Freilich, wenig Mann ist er auch, dieser schuechterne Nachtschwaermer. Wahrlich, mit schlechtem Gewissen wandelt er ueber die Daecher. Denn er ist luestern und eifersuechtig, der Moench im Monde, luestern nach der Erde und nach allen Freuden der Liebenden. Nein, ich mag ihn nicht, diesen Kater auf den Daechern! Widerlich sind mir Alle, die um halbverschlossne Fenster schleichen! Fromm und schweigsam wandelt er hin auf Sternen-Teppichen: - aber ich mag alle leisetretenden Mannsfuesse nicht, an denen auch nicht ein Sporen klirrt. Jedes Redlichen Schritt redet; die Katze aber stiehlt sich ueber den Boden weg. Siehe, katzenhaft kommt der Mond daher und unredlich. - Dieses Gleichniss gebe ich euch empfindsamen Heuchlern, euch, den "Rein-Erkennenden!" Euch heisse _ich_ - Luesterne! Auch ihr liebt die Erde und das Irdische: ich errieth euch wohl! - aber Scham ist in eurer Liebe und schlechtes Gewissen, - dem Monde gleicht ihr! Zur Verachtung des Irdischen hat man euren Geist ueberredet, aber nicht eure Eingeweide: _die_ aber sind das Staerkste an euch! Und nun schaemt sich euer Geist, dass er euren Eingeweiden zu willen ist und geht vor seiner eignen Scham Schleich- und Luegenwege. "Das waere mir das Hoechste - also redet euer verlogner Geist zu sich - auf das Leben ohne Begierde zu schaun und nicht gleich dem Hunde mit haengender Zunge: Gluecklich zu sein im Schauen, mit erstorbenem Willen, ohne Griff und Gier der Selbstsucht - kalt und aschgrau am ganzen Leibe, aber mit trunkenen Mondesaugen!" "Das waere mir das Liebste, - also verfuehrt sich selber der Verfuehrte - die Erde zu lieben, wie der Mond sie liebt, und nur mit dem Auge allein ihre Schoenheit zu betasten. Und das heisse mir aller Dinge _unbefleckte_ Erkenntniss, dass ich von den Dingen Nichts will: ausser dass ich vor ihnen da liegen darf wie ein Spiegel mit hundert Augen." - Oh, ihr empfindsamen Heuchler, ihr Luesternen! Euch fehlt die Unschuld in der Begierde: und nun verleumdet ihr drum das Begehren! Wahrlich, nicht als Schaffende, Zeugende, Werdelustige liebt ihr die Erde! Wo ist Unschuld? Wo der Wille zur Zeugung ist. Und wer ueber sich hinaus schaffen will, der hat mir den reinsten Willen. Wo ist Schoenheit? Wo ich mit allem Willen _wollen_muss_; wo ich lieben und untergehn will, dass ein Bild nicht nur Bild bleibe. Lieben und Untergehn: das reimt sich seit Ewigkeiten. Wille zur Liebe: das ist, willig auch sein zum Tode. Also rede ich zu euch Feiglingen! Aber nun will euer entmanntes Schielen "Beschaulichkeit" heissen! Und was mit feigen Augen sich tasten laesst, soll "schoen" getauft werden! oh, ihr Beschmutzer edler Namen! Aber das soll euer Fluch sein, ihr Unbefleckten, ihr Rein-Erkennenden, dass ihr nie gebaeren werdet: und wenn ihr auch breit und traechtig am Horizonte liegt! Wahrlich, ihr nehmt den Mund voll mit edlen Worten: und wir sollen glauben, dass euch das Herz uebergehe, ihr Luegenbolde? Aber in _eine_ Worte sind geringe, verachtete, krumme Worte: gerne nehme ich auf, was bei eurer Mahlzeit unter den Tisch faellt. Immer noch kann ich mit ihnen - Heuchlern die Wahrheit sagen! ja, meine Graeten, Muscheln und Stachelblaetter sollen - Heuchlern die Nasen kitzeln! Schlechte Luft ist immer um euch und eure Mahlzeiten: eure luesternen Gedanken, eure Luegen und Heimlichkeiten sind ja in der Luft! Wagt es doch erst, euch selber zu glauben - euch und euren Eingeweiden! Wer sich selber nicht glaubt, luegt immer. Eines Gottes Larve haengtet ihr um vor euch selber, ihr "Reinen": in eines Gottes Larve verkroch sich euer greulicher Ringelwurm. Wahrlich, ihr taeuscht, ihr "Beschaulichen"! Auch Zarathustra war einst der Narr eurer goettlichen Haeute; nicht errieth er das Schlangengeringel, mit denen sie gestopft waren. Eines Gottes Seele waehnte ich einst spielen zu sehn in euren Spielen, ihr Rein-Erkennenden! Keine bessere Kunst waehnte ich einst als eure Kuenste! Schlangen-Unflath und schlimmen Geruch verhehlte mir die Ferne: und dass einer Eidechse List luestern hier herumschlich. Aber ich kam euch _nah_: da kam mir der Tag - und nun kommt er euch, - zu Ende gieng des Mondes Liebschaft! Seht doch hin! Ertappt und bleich steht er da - vor der Morgenroethe! Denn schon kommt sie, die Gluehende, - _ihre_ Liebe zur Erde kommt! Unschuld und Schoepfer-Begier ist alle Sonnen-Liebe! Seht doch hin, wie sie ungeduldig ueber das Meer kommt! Fuehlt ihr den Durst und den heissen Athem ihrer Liebe nicht? Am Meere will sie saugen und seine Tiefe zu sich in die Hoehe trinken: da hebt sich die Begierde des Meeres mit tausend Bruesten. Gekuesst und gesaugt _will_ es sein vom Durste der Sonne; Luft _will_ es werden und Hoehe und Fusspfad des Lichts und selber Licht! Wahrlich, der Sonne gleich liebe ich das Leben und alle tiefen Meere. Und diess heisst _mir_ Erkenntniss: alles Tiefe soll hinauf - zu meiner Hoehe! Also sprach Zarathustra. Von den Gelehrten Als ich im Schlafe lag, da frass ein Schaf am Epheukranze meines Hauptes, - frass und sprach dazu: "Zarathustra ist kein Gelehrter mehr." Sprach's und gieng stotzig davon und stolz. Ein Kind erzaehlte mir's. Gerne liege ich hier, wo die Kinder spielen, an der zerbrochnen Mauer, unter Disteln und rothen Mohnblumen. Ein Gelehrter bin ich den Kindern noch und auch den Disteln und rothen Mohnblumen. Unschuldig sind sie, selbst noch in ihrer Bosheit. Aber den Schafen bin ich's nicht mehr: so will es mein Loos - gesegnet sei es! Denn diess ist die Wahrheit: ausgezogen bin ich aus dem Hause der Gelehrten: und die Thuer habe ich noch hinter mir zugeworfen. Zu lange sass meine Seele hungrig an ihrem Tische; nicht, gleich ihnen, bin ich auf das Erkennen abgerichtet wie auf das Nuesseknacken. Freiheit liebe ich und die Luft ueber frischer Erde; lieber noch will ich auf Ochsenhaeuten schlafen, als auf ihren Wuerden und Achtbarkeiten. Ich bin zu heiss und verbrannt von eigenen Gedanken: oft will es mir den Athem nehmen. Da muss ich in's Freie und weg aus allen verstaubten Stuben. Aber sie sitzen kuehl in kuehlem Schatten: sie wollen in Allem nur Zuschauer sein und hueten sich dort zu sitzen, wo die Sonne auf die Stufen brennt. Gleich Solchen, die auf der Strasse stehn und die Leute angaffen, welche voruebergehn: also warten sie auch und gaffen Gedanken an, die Andre gedacht haben. Greift man sie mit Haenden, so staeuben sie um sich gleich Mehlsaecken, und unfreiwillig. aber wer erriethe wohl, dass ihr Staub vom Korne stammt und von der gelben Wonne der Sommerfelder? Geben sie sich weise, so froestelt mich ihrer kleinen Sprueche und Wahrheiten: ein Geruch ist oft an ihrer Weisheit, als ob sie aus dem Sumpfe stamme: und wahrlich, ich hoerte auch schon den Frosch aus ihr quaken! Geschickt sind sie, sie haben kluge Finger: was will _meine_ Einfalt bei ihrer Vielfalt! Alles Faedeln und Knuepfen und Weben verstehn ihre Finger: also wirken sie die Struempfe des Geistes! Gute Uhrwerke sind sie: nur sorge man, sie richtig aufzuziehn! Dann zeigen sie ohne Falsch die Stunde an und machen einen bescheidnen Laerm dabei. Gleich Muehlwerken arbeiten sie und Stampfen: man werfe ihnen nur seine Fruchtkoerner zu! - sie wissen schon, Korn klein zu mahlen und weissen Staub daraus zu machen. Sie sehen einander gut auf die Finger und trauen sich nicht zum Besten. Erfinderisch in kleinen Schlauheiten warten sie auf Solche, deren Wissen auf lahmen Fuessen geht, - gleich Spinnen warten sie. Ich sah sie immer mit Vorsicht Gift bereiten; und immer zogen sie glaeserne Handschuhe dabei an ihre Finger. Auch mit falschen Wuerfeln wissen sie zu spielen; und so eifrig fand ich sie spielen, dass sie dabei schwitzten. Wir sind einander fremd, und ihre Tugenden gehn mir noch mehr wider den Geschmack, als ihre Falschheiten und falschen Wuerfel. Und als ich bei ihnen wohnte, da wohnte ich ueber ihnen. Darueber wurden sie mir gram. Sie wollen Nichts davon hoeren, dass Einer ueber ihren Koepfen wandelt; und so legten sie Holz und Erde und Unrath zwischen mich und ihre Koepfe. Also daempften sie den Schall meiner Schritte: und am schlechtesten wurde ich bisher von den Gelehrtesten gehoert. Aller Menschen Fehl und Schwaeche legten sie zwischen sich und mich: - "Fehlboden" heissen sie das in ihren Haeusern. Aber trotzdem wandele ich mit meinen Gedanken _ueber_ ihren Koepfen; und selbst, wenn ich auf meinen eignen Fehlern wandeln wollte, wuerde ich noch ueber ihnen sein und ihren Koepfen. Denn die Menschen sind _nicht_ gleich: so spricht die Gerechtigkeit. Und was ich will, duerften _sie_ nicht wollen! Also sprach Zarathustra. Von den Dichtern "Seit ich den Leib besser kenne, - sagte Zarathustra zu einem seiner Juenger - ist mir der Geist nur noch gleichsam Geist; und alles das `Unvergaengliche` - das ist auch nur ein Gleichniss." "So hoerte ich dich schon einmal sagen, antwortete der Juenger; und damals fuegtest du hinzu: `aber die Dichter luegen zuviel.` Warum sagtest du doch, dass die Dichter zuviel luegen?" "Warum? sagte Zarathustra. Du fragst warum? Ich gehoere nicht zu Denen, welche man nach ihrem Warum fragen darf. Ist denn mein Erleben von Gestern? Das ist lange her, dass ich die Gruende meiner Meinungen erlebte. Muesste ich nicht ein Fass sein von Gedaechtniss, wenn ich auch meine Gruende bei mir haben wollte? Schon zuviel ist mir's, meine Meinungen selber zu behalten; und mancher Vogel fliegt davon. Und mitunter finde ich auch ein zugezogenes Thier in meinem Taubenschlage, das mir fremd ist, und das zittert, wenn ich meine Hand darauf lege. Doch was sagte dir einst Zarathustra? Dass die Dichter zuviel luegen? - Aber auch Zarathustra ist ein Dichter. Glaubst du nun, dass er hier die Wahrheit redete? Warum glaubst du das?" Der Juenger antwortete: "ich glaube an Zarathustra." Aber Zarathustra schuettelte den Kopf und laechelte. Der Glaube macht mich nicht selig, sagte er, zumal nicht der Glaube an mich. Aber gesetzt, dass jemand allen Ernstes sagte, die Dichter luegen zuviel: so hat er Recht, - _wir_ luegen zuviel. Wir wissen auch zu wenig und sind schlechte Lerner: so muessen wir schon luegen. Und wer von uns Dichtern haette nicht seinen Wein verfaelscht? Manch giftiger Mischmasch geschah in unsern Kellern, manches Unbeschreibliche ward da gethan. Und weil wir wenig wissen, so gefallen uns von Herzen die geistig Armen, sonderlich wenn es junge Weibchen sind! Und selbst nach den Dingen sind wir noch begehrlich, die sich die alten Weibchen Abends erzaehlen. Das heissen wir selber an uns das Ewig-Weibliche. Und als ob es einen besondren geheimen Zugang zum Wissen gaebe, der sich Denen _verschuette_, welche Etwas lernen: so glauben wir an das Volk und seine "Weisheit". Das aber glauben alle Dichter: dass wer im Grase oder an einsamen Gehaengen liegend die Ohren spitze, Etwas von den Dingen erfahre, die zwischen Himmel und Erde sind. Und kommen ihnen zaertliche Regungen, so meinen die Dichter immer, die Natur selber sei in sie verliebt: Und sie schleiche zu ihrem Ohre, Heimliches hinein zu sagen und verliebte Schmeichelreden: dessen bruesten und blaehen sie sich vor allen Sterblichen! Ach, es giebt so viel Dinge zwischen Himmel und Erden, von denen sich nur die Dichter Etwas haben traeumen lassen! Und zumal _ueber_ dem Himmel: denn alle Goetter sind Dichter-Gleichniss, Dichter-Erschleichniss! Wahrlich, immer zieht es uns hinan - naemlich zum Reich der Wolken: auf diese setzen wir unsre bunten Baelge und heissen sie dann Goetter und Uebermenschen: - Sind sie doch gerade leicht genug fuer diese Stuehle! - alle diese Goetter und Uebermenschen. Ach, wie bin ich all des Unzulaenglichen muede, das durchaus Ereigniss sein soll! Ach, wie bin ich der Dichter muede! Als Zarathustra so sprach, zuernte ihm sein Juenger, aber er schwieg. Und auch Zarathustra schwieg; und sein Auge hatte sich nach innen gekehrt, gleich als ob es in weite Fernen saehe. Endlich seufzte er und holte Athem. Ich bin von Heute und Ehedem, sagte er dann; aber Etwas ist in mir, das ist von Morgen und uebermorgen und Einstmals. Ich wurde der Dichter muede, der alten und der neuen: Oberflaechliche sind sie mir Alle und seichte Meere. Sie dachten nicht genug in die Tiefe: darum sank ihr Gefuehl nicht bis zu den Gruenden. Etwas Wollust und etwas Langeweile: das ist noch ihr bestes Nachdenken gewesen. Gespenster-Hauch und -Huschen gilt mir all ihr Harfen-Klingklang; was wussten sie bisher von der Inbrunst der Toene! - Sie sind mir auch nicht reinlich genug: sie trueben Alle ihr Gewaesser, dass es tief scheine. Und gerne geben sie sich damit als Versoehner: aber Mittler und Mischer bleiben sie mir und Halb-und-Halbe und Unreinliche! - Ach, ich warf wohl mein Netz in ihre Meere und wollte gute Fische fangen; aber immer zog ich eines alten Gottes Kopf herauf. So gab dem Hungrigen das Meer einen Stein. Und sie selber moegen wohl aus dem Meere stammen. Gewiss, man findet Perlen in ihnen: um so aehnlicher sind sie selber harten Schalthieren. Und statt der Seele fand ich oft bei ihnen gesalzenen Schleim. Sie lernten vom Meere auch noch seine Eitelkeit: ist nicht das Meer der Pfau der Pfauen? Noch vor dem haesslichsten aller Bueffel rollt es seinen Schweif hin, nimmer wird es seines Spitzenfaechers von Silber und Seide muede. Trutzig blickt der Bueffel dazu, dem Sande nahe in seiner Seele, naeher noch dem Dickicht, am naechsten aber dem Sumpfe. Was ist ihm Schoenheit und Meer und Pfauen-Zierath! Dieses Gleichniss sage ich den Dichtern. Wahrlich, ihr Geist selber ist der Pfau der Pfauen und ein Meer von Eitelkeit! Zuschauer will der Geist des Dichters: sollten's auch Bueffel sein! - Aber dieses Geistes wurde ich muede: und ich sehe kommen, dass er seiner selber muede wird. Verwandelt sah ich schon die Dichter und gegen sich selber den Blick gerichtet. Buesser des Geistes sah ich kommen: die wuchsen aus ihnen. Also sprach Zarathustra. Von grossen Ereignissen Es giebt eine Insel im Meere - unweit den glueckseligen Inseln Zarathustra's - auf welcher bestaendig ein Feuerberg raucht; von der sagt das Volk, und sonderlich sagen es die alten Weibchen aus dem Volke, dass sie wie ein Felsblock vor das Thor der Unterwelt gestellt sei: durch den Feuerberg selber aber fuehre der schmale Weg abwaerts, der zu diesem Thore der Unterwelt geleite. Um jene Zeit nun, als Zarathustra auf den glueckseligen Inseln weilte, geschah es, dass ein Schiff an der Insel Anker warf, auf welcher der rauchende Berg steht; und seine Mannschaft gieng an's Land, um Kaninchen zu schiessen. Gegen die Stunde des Mittags aber, da der Capitaen und seine Leute wieder beisammen waren, sahen sie ploetzlich durch die Luft einen Mann auf sich zukommen, und eine Stimme sagte deutlich: "es ist Zeit! Es ist die hoechste Zeit!" Wie die Gestalt ihnen aber am naechsten war - sie flog aber schnell gleich einem Schatten vorbei, in der Richtung, wo der Feuerberg lag - da erkannten sie mit groesster Bestuerzung, dass es Zarathustra sei; denn sie hatten ihn Alle schon gesehn, ausgenommen der Capitaen selber, und sie liebten ihn, wie das Volk liebt: also dass zu gleichen Theilen Liebe und Scheu beisammen sind. "Seht mir an! sagte der alte Steuermann, da faehrt Zarathustra zur Hoelle!" - Um die gleiche Zeit, als diese Schiffer an der Feuerinsel landeten, lief das Geruecht umher, dass Zarathustra verschwunden sei; und als man seine Freunde fragte, erzaehlten sie, er sei bei Nacht zu Schiff gegangen, ohne zu sagen, wohin er reisen wolle. Also entstand eine Unruhe; nach drei Tagen aber kam zu dieser Unruhe die Geschichte der Schiffsleute hinzu - und nun sagte alles Volk, dass der Teufel Zarathustra geholt habe. Seine juenger lachten zwar ob dieses Geredes; und einer von ihnen sagte sogar: "eher glaube ich noch, dass Zarathustra sich den Teufel geholt hat." Aber im Grunde der Seele waren sie Alle voll Besorgniss und Sehnsucht: so war ihre Freude gross, als am fuenften Tage Zarathustra unter ihnen erschien. Und diess ist die Erzaehlung von Zarathustra's Gespraech mit dem Feuerhunde. Die Erde, sagte er, hat eine Haut; und diese Haut hat Krankheiten. Eine dieser Krankheiten heisst zum Beispiel: "Mensch." Und eine andere dieser Krankheiten heisst "Feuerhund": ueber _den_ haben sich die Menschen Viel vorgelogen und vorluegen lassen. Diess Geheimniss zu ergruenden gieng ich ueber das Meer: und ich habe die Wahrheit nackt gesehn, wahrlich! barfuss bis zum Halse. Was es mit dem Feuerhund auf sich hat, weiss ich nun; und insgleichen mit all den Auswurf- und Umsturz-Teufeln, vor denen sich nicht nur alte Weibchen fuerchten. Heraus mit dir, Feuerhund, aus deiner Tiefe! rief ich, und bekenne, wie tief diese Tiefe ist! Woher ist das, was du da heraufschnaubst? Du trinkst reichlich am Meere: das verraeth deine versalzte Beredsamkeit! Fuerwahr, fuer einen Hund der Tiefe nimmst du deine Nahrung zu sehr von der Oberflaeche! Hoechstens fuer den Bauchredner der Erde halt' ich dich: und immer, wenn ich Umsturz- und Auswurf-Teufel reden hoerte, fand ich sie gleich dir: gesalzen, luegnerisch und flach. Ihr versteht zu bruellen und mit Asche zu verdunkeln! Ihr seid die besten Grossmaeuler und lerntet sattsam die Kunst, Schlamm heiss zu sieden. Wo ihr seid, da muss stets Schlamm in der Naehe sein, und viel Schwammichtes, Hoehlichtes, Eingezwaengtes: das will in die Freiheit. "Freiheit" bruellt ihr Alle am liebsten: aber ich verlernte den Glauben an "grosse Ereignisse," sobald viel Gebruell und Rauch um sie herum ist. Und glaube mir nur, Freund Hoellenlaerm! Die groessten Ereignisse - das sind nicht unsre lautesten, sondern unsre stillsten Stunden. Nicht um die Erfinder von neuem Laerme: um die Erfinder von neuen Werthen dreht sich die Welt; _unhoerbar_ dreht sie sich. Und gesteh es nur! Wenig war immer nur geschehn, wenn dein Laerm und Rauch sich verzog. Was liegt daran, dass eine Stadt zur Mumie wurde, und eine Bildsaeule im Schlamme liegt! Und diess Wort sage ich noch den Umstuerzern von Bildsaeulen. Das ist wohl die groesste Thorheit, Salz in's Meer und Bildsaeulen in den Schlamm zu werfen. Im Schlamme eurer Verachtung lag die Bildsaeule: aber das ist gerade ihr Gesetz, dass ihr aus der Verachtung wieder Leben und lebende Schoenheit waechst! Mit goettlicheren Zuegen steht sie nun auf und leidendverfuehrerisch; und wahrlich! sie wird euch noch Dank sagen, dass ihr sie umstuerztet, ihr Umstuerzer! Diesen Rath aber rathe ich Koenigen und Kirchen und Allem, was alters- und tugendschwach ist - lasst euch nur umstuerzen! Dass ihr wieder zum Leben kommt, und zu euch - die Tugend! - Also redete ich vor dem Feuerhunde: da unterbrach er mich muerrisch und fragte: "Kirche? Was ist denn das?" Kirche? antwortete ich, das ist eine Art von Staat, und zwar die verlogenste. Doch schweig still, du Heuchelhund! Du kennst deine Art wohl am besten schon! Gleich dir selber ist der Staat ein Heuchelhund; gleich dir redet er gern mit Rauch und Gebruelle, - dass er glauben mache, gleich dir, er rede aus dem Bauch der Dinge. Denn er will durchaus das wichtigste Thier auf Erden sein, der Staat; und man glaubt's ihm auch. - Als ich das gesagt hatte, gebaerdete sich der Feuerhund wie unsinnig vor Neid. "Wie? schrie er, das wichtigste Thier auf Erden? Und man glaubt's ihm auch?" Und so viel Dampf und graessliche Stimmen kamen ihm aus dem Schlunde, dass ich meinte, er werde vor Arger und Neid ersticken. Endlich wurde er stiller, und sein Keuchen liess nach; sobald er aber stille war, sagte ich lachend: "Du aergerst dich, Feuerhund: also habe ich ueber dich Recht! Und dass ich auch noch Recht behalte, so hoere von einem andern Feuerhunde: der spricht wirklich aus dem Herzen der Erde. Gold haucht sein Athem und goldigen Regen: so will's das Herz ihm. Was ist ihm Asche und Rauch und heisser Schleim noch! Lachen flattert aus ihm wie ein buntes Gewoelke; abguenstig ist er deinem Gurgeln und Speien und Grimmen der Ein- geweide! Das Gold aber und das Lachen - das nimmt er aus dem Herzen der Erde: denn dass du's nur weisst, - das Herz der Erde ist von Gold." Als diess der Feuerhund vernahm, hielt er's nicht mehr aus, mir zuzuhoeren. Beschaemt zog er seinen Schwanz ein, sagte auf eine kleinlaute Weise Wau! Wau! und kroch hinab in seine Hoehle. - Also erzaehlte Zarathustra. Seine Juenger aber hoerten ihm kaum zu: so gross war ihre Begierde, ihm von den Schiffsleuten, den Kaninchen und dem fliegenden Manne zu erzaehlen. "Was soll ich davon denken! sagte Zarathustra. Bin ich denn ein Gespenst? Aber es wird mein Schatten gewesen sein. Ihr hoertet wohl schon Einiges vom Wanderer und seinem Schatten? Sicher aber ist das: ich muss ihn kuerzer halten, - er verdirbt mir sonst noch den Ruf." Und nochmals schuettelte Zarathustra den Kopf und wunderte sich. "Was soll ich davon denken!" sagte er nochmals. "Warum schrie denn das Gespenst: es ist Zeit! Es ist die hoechste Zeit! _Wozu_ ist es denn - hoechste Zeit?" - Also sprach Zarathustra. Der Wahrsager "- und ich sahe eine grosse Traurigkeit ueber die Menschen kommen. Die Besten wurden ihrer Werke muede. Eine Lehre ergieng, ein Glauben lief neben ihr: `Alles ist leer, Alles ist gleich, Alles war!` Und von allen Huegeln klang es wieder: `Alles ist leer, Alles ist gleich, Alles war!` Wohl haben wir geerntet: aber warum wurden alle Fruechte uns faul und braun? Was fiel vom boesen Monde bei der letzten Nacht hernieder? Umsonst war alle Arbeit, Gift ist unser Wein geworden, boeser Blick sengte unsre Felder und Herzen gelb. Trocken wurden wir Alle; und faellt Feuer auf uns, so staeuben wir der Asche gleich: - ja das Feuer selber machten wir muede. Alle Brunnen versiegten uns, auch das Meer wich zurueck. Aller Grund will reissen, aber die Tiefe will nicht schlingen! `Ach, wo ist noch ein Meer, in dem man ertrinken koennte`: so klingt unsre Klage - hinweg ueber flache Suempfe. Wahrlich, zum Sterben wurden wir schon zu muede; nun wachen wir noch und leben fort - in Grabkammern!" - Also hoerte Zarathustra einen Wahrsager reden; und seine Weissagung gieng ihm zu Herzen und verwandelte ihn. Traurig gieng er umher und muede; und er wurde Denen gleich, von welchen der Wahrsager geredet hatte. Wahrlich, so sagte er zu seinen Juengern, es ist um ein Kleines, so kommt diese lange Daemmerung. Ach, wie soll ich mein Licht hinueber retten! Dass es mir nicht ersticke in dieser Traurigkeit! Ferneren Welten soll es ja Licht sein und noch fernsten Naechten! Dergestalt im Herzen bekuemmert gieng Zarathustra umher; und drei Tage lang nahm er nicht Trank und Speise zu sich, hatte keine Ruhe und verlor die Rede. Endlich geschah es, dass er in einen tiefen Schlaf verfiel. Seine juenger aber sassen um ihn in langen Nachtwachen und warteten mit Sorge, ob er wach werde und wieder rede und genesen sei von seiner Truebsal. Diess aber ist die Rede, welche Zarathustra sprach, als er aufwachte; seine Stimme aber kam zu seinen Juengern wie aus weiter Ferne. Hoert mir doch den Traum, den ich traeumte, ihr Freunde, und helft mir seinen Sinn rathen! Ein Raethsel ist er mir noch, dieser Traum; sein Sinn ist verborgen in ihm und eingefangen und fliegt noch nicht ueber ihn hin mit freien Fluegeln. Allem Leben hatte ich abgesagt, so traeumte mir. Zum Nacht- und Grabwaechter war ich worden, dort auf der einsamen Berg-Burg des Todes. Droben huetete ich seine Saerge: voll standen die dumpfen Gewoelbe von solchen Siegeszeichen. Aus glaesernen Saergen blickte mich ueberwundenes Leben an. Den Geruch verstaubter Ewigkeiten athmete ich: schwuel und verstaubt lag meine Seele. Und wer haette dort auch seine Seele lueften koennen! Helle der Mitternacht war immer um mich, Einsamkeit kauerte neben ihr; und, zudritt, roechelnde Todesstille, die schlimmste meiner Freundinnen. Schluessel fuehrte ich, die rostigsten aller Schluessel; und ich verstand es, damit das knarrendste aller Thore zu oeffnen. Einem bitterboesen Gekraechze gleich lief der Ton durch die langen Gaenge, wenn sich des Thores Fluegel hoben: unhold schrie dieser Vogel, ungern wollte er geweckt sein. Aber furchtbarer noch und herzzuschnuerender war es, wenn es wieder schwieg und rings stille ward, und ich allein sass in diesem tueckischen Schweigen. So gieng mir und schlich die Zeit, wenn Zeit es noch gab: was weiss ich davon! Aber endlich geschah das, was mich weckte. Dreimal schlugen Schlaege an's Thor, gleich Donnern, es hallten und heulten die Gewoelbe dreimal wieder: da gieng ich zum Thore. Alpa! rief ich, wer traegt seine Asche zu Berge? Alpa! Alpa! Wer traegt seine Asche zu Berge? Und ich drueckte den Schluessel und hob am Thore und muehte mich. Aber noch keinen Fingerbreit stand es offen: Da riss ein brausender Wind seine Fluegel auseinander: pfeifend, schrillend und schneidend warf er mir einen schwarzen Sarg zu: Und im Brausen und Pfeifen und Schrillen zerbarst der Sarg und spie tausendfaeltiges Gelaechter aus. Und aus tausend Fratzen von Kindern, Engeln, Eulen, Narren und kindergrossen Schmetterlingen lachte und hoehnte und brauste es wider mich. Graesslich erschrak ich darob: es warf mich nieder. Und ich schrie vor Grausen, wie nie ich schrie. Aber der eigne Schrei weckte mich auf: - und ich kam zu mir. - Also erzaehlte Zarathustra seinen Traum und schwieg dann: denn er wusste noch nicht die Deutung seines Traumes. Aber der juenger, den er am meisten lieb hatte, erhob sich schnell, fasste die Hand Zarathustra's und sprach: "Dein Leben selber deutet uns diesen Traum, oh Zarathustra! Bist du nicht selber der Wind mit schrillem Pfeifen, der den Burgen des Todes die Thore aufreisst? Bist du nicht selber der Sarg voll bunter Bosheiten und Engelsfratzen des Lebens? Wahrlich, gleich tausendfaeltigem Kindsgelaechter kommt Zarathustra in alle Todtenkammern, lachend ueber diese Nacht- und Grabwaechter, und wer sonst mit duestern Schluesseln rasselt. Schrecken und umwerfen wirst du sie mit deinem Gelaechter; Ohnmacht und Wachwerden wird deine Macht ueber sie beweisen. Und auch, wenn die lange Daemmerung kommt und die Todesmuedigkeit, wirst du an unserm Himmel, nicht untergehn, du Fuersprecher des Lebens! Neue Sterne liessest du uns sehen und neue Nachtherrlichkeiten; wahrlich, das Lachen selber spanntest du wie ein buntes Gezelt ueber uns. Nun wird immer Kindes-Lachen aus Saergen quellen; nun wird immer siegreich ein starker Wind kommen aller Todesmuedigkeit: dessen bist du uns selber Buerge und Wahrsager! Wahrlich, _sie_selber_traeumtest_du_, deine Feinde: das war dein schwerster Traum! Aber wie du von ihnen aufwachtest und zu dir kamst, also sollen sie selber von sich aufwachen - und zu dir kommen!" - So sprach der juenger; und alle Anderen draengten sich nun um Zarathustra und ergriffen ihn bei den Haenden und wollten ihn bereden, dass er vom Bette und von der Traurigkeit lasse und zu ihnen zurueckkehre. Zarathustra aber sass aufgerichtet auf seinem Lager, und mit fremdem Blicke. Gleichwie Einer, der aus langer Fremde heimkehrt, sah er auf seine Juenger und pruefte ihre Gesichter; und noch erkannte er sie nicht. Als sie aber ihn hoben und auf die Fuesse stellten, siehe, da verwandelte sich mit Einem Male sein Auge; er begriff Alles, was geschehen war, strich sich den Bart und sagte mit starker Stimme: "Wohlan! Diess nun hat seine Zeit; sorgt mir aber dafuer, meine juenger, dass wir eine gute Mahlzeit machen, und in Kuerze! Also gedenke ich Busse zu thun fuer schlimme Traeume! Der Wahrsager aber soll an meiner Seite essen und trinken: und wahrlich, ich will ihm noch ein Meer zeigen, in dem er ertrinken kann!" Also sprach Zarathustra. Darauf aber blickte er dem juenger, welcher den Traumdeuter abgegeben hatte, lange in's Gesicht und schuettelte dabei den Kopf. - Von der Erloesung Als Zarathustra eines Tags ueber die grosse Bruecke gieng, umringten ihn die Krueppel und Bettler, und ein Bucklichter redete also zu ihm: "Siehe, Zarathustra! Auch das Volk lernt von dir und gewinnt Glauben an deine Lehre: aber dass es ganz dir glauben soll, dazu bedarf es noch Eines - du musst erst noch uns Krueppel ueberreden! Hier hast du nun eine schoene Auswahl und wahrlich, eine Gelegenheit mit mehr als Einem Schopfe! Blinde kannst du heilen und Lahme laufen machen; und Dem, der zuviel hinter sich hat, koenntest du wohl auch ein Wenig abnehmen: - das, meine ich, waere die rechte Art, die Krueppel an Zarathustra glauben zu machen!" Zarathustra aber erwiderte Dem, der da redete, also: "Wenn man dem Bucklichten seinen Buckel nimmt, so nimmt man ihm seinen Geist - also lehrt das Volk. Und wenn man dem Blinden seine Augen giebt, so sieht er zuviel schlimme Dinge auf Erden: also dass er Den verflucht, der ihn heilte. Der aber, welcher den Lahmen laufen macht, der thut ihm den groessten Schaden an: denn kaum kann er laufen, so gehn seine Laster mit ihm durch - also lehrt das Volk ueber Krueppel. Und warum sollte Zarathustra nicht auch vom Volke lernen, wenn das Volk von Zarathustra lernt? Das ist mir aber das Geringste, seit ich unter Menschen bin, dass ich sehe: `Diesem fehlt ein Auge und jenem ein Ohr und einem Dritten das Bein, und Andre giebt es, die verloren die Zunge oder die Nase oder den Kopf.` Ich sehe und sah Schlimmeres und mancherlei so Abscheuliches, dass ich nicht von Jeglichem reden und von Einigem nicht einmal schweigen moechte: naemlich Menschen, denen es an Allem fehlt, ausser dass sie Eins zuviel haben - Menschen, welche Nichts weiter sind als ein grosses Auge, oder ein grosses Maul oder ein grosser Bauch oder irgend etwas Grosses, - umgekehrte Krueppel heisse ich Solche. Und als ich aus meiner Einsamkeit kam und zum ersten Male ueber diese Bruecke gieng: da traute ich meinen Augen nicht und sah hin, und wieder hin, und sagte endlich: `das ist ein Ohr! Ein Ohr, so gross wie ein Mensch!` Ich sah noch besser hin: und wirklich, unter dem Ohre bewegte sich noch Etwas, das zum Erbarmen klein und aermlich und schmaechtig war. Und wahrhaftig, das ungeheure Ohr sass auf einem kleinen duennen Stiele, - der Stiel aber war ein Mensch! Wer ein Glas vor das Auge nahm, konnte sogar noch ein kleines neidisches Gesichtchen erkennen; auch, dass ein gedunsenes Seelchen am Stiele baumelte. Das Volk sagte mir aber, das grosse Ohr sei nicht nur ein Mensch, sondern ein grosser Mensch, ein Genie. Aber ich glaubte dem Volke niemals, wenn es von grossen Menschen redete - und behielt meinen Glauben bei, dass es ein umgekehrter Krueppel sei, der an Allem zu wenig und an Einem zu viel habe." Als Zarathustra so zu dem Bucklichten geredet hatte und zu Denen, welchen er Mundstueck und Fuersprecher war, wandte er sich mit tiefem Unmuthe zu seinen Juengern und sagte: "Wahrlich, meine Freunde, ich wandle unter den Menschen wie unter den Bruchstuecken und Gliedmaassen von Menschen! Diess ist meinem Auge das Fuerchterliche, dass ich den Menschen zertruemmert finde und zerstreuet wie ueber ein Schlacht- und Schlaechterfeld hin. Und fluechtet mein Auge vom Jetzt zum Ehemals: es findet immer das Gleiche: Bruchstuecke und Gliedmaassen und grause Zufaelle - aber keine Menschen! Das jetzt und das Ehemals auf Erden - ach! meine Freunde - das, ist _mein_ Unertraeglichstes; und ich wuesste nicht zu leben, wenn ich nicht noch ein Seher waere, dessen, was kommen muss. Ein Seher, ein Wollender, ein Schaffender, eine Zukunft selber und eine Bruecke zur Zukunft - und ach, auch noch gleichsam ein Krueppel an dieser Bruecke: das Alles ist Zarathustra. Und auch ihr fragtet euch oft: `wer ist uns Zarathustra? Wie soll er uns heissen?` Und gleich mir selber gabt ihr euch Fragen zur Antwort. Ist er ein Versprechender? Oder ein Erfueller? Ein Erobernder? Oder ein Erbender? Ein Herbst? Oder eine Pflugschar? Ein Arzt? Oder ein Genesener? Ist er ein Dichter? Oder ein Wahrhaftiger? Ein Befreier? Oder ein Baendiger? Ein Guter? Oder ein Boeser? Ich wandle unter Menschen als den Bruchstuecken der Zukunft: jener Zukunft, die ich schaue. Und das ist all mein Dichten und Trachten, dass ich in Eins dichte und zusammentragen was Bruchstueck ist und Raethsel und grauser Zufall. Und wie ertruege ich es, Mensch zu sein, wenn der Mensch nicht auch Dichter und Raethselrather und der Erloeser des Zufalls waere! Die Vergangnen zu erloesen und alles `Es war` umzuschauen in ein `So wollte ich es!` - das hiesse mir erst Erloesung! Wille - so heisst der Befreier und Freudebringer: also lehrte ich euch, meine Freunde! Und nun lernt diess hinzu: der Wille selber ist noch ein Gefangener. Wollen befreit: aber wie heisst Das, was auch den Befreier noch in Ketten schlaegt? `Es war`: also heisst des Willens Zaehneknirschen und einsamste Truebsal. Ohnmaechtig gegen Das, was gethan ist - ist er allem Vergangenen ein boeser Zuschauer. Nicht zurueck kann der Wille wollen; dass er die Zeit nicht brechen kann und der Zeit Begierde, - das ist des Willens einsamste Truebsal. Wollen befreit: was ersinnt sich das Wollen selber, dass es los seiner Truebsal werde und seines Kerkers spotte? Ach, ein Narr wird jeder Gefangene! Naerrisch erloest sich auch der gefangene Wille. Dass die Zeit nicht zuruecklaeuft, das ist sein Ingrimm; `Das, was war` - so heisst der Stein, den er nicht waelzen kann. Und so waelzt er Steine aus Ingrimm und Unmuth und uebt Rache an dem, was nicht gleich ihm Grimm und Unmuth fuehlt. Also wurde der Wille, der Befreier, ein Wehethaeter: und an Allem, was leiden kann, nimmt er Rache dafuer, dass er nicht zurueck kann. Diess, ja diess allein ist _Rache_ selber: des Willens Widerwille gegen die Zeit und ihr `Es war.` Wahrlich, eine grosse Narrheit wohnt in unserm Willen; und zum Fluche wurde es allem Menschlichen, dass diese Narrheit Geist lernte! Der Geist der Rache: meine Freunde, das war bisher der Menschen bestes Nachdenken; und wo Leid war, da sollte immer Strafe sein. `Strafe` naemlich, so heisst sich die Rache selber: mit einem Luegenwort heuchelt sie sich ein gutes Gewissen. Und weil im Wollenden selber Leid ist, darob dass es nicht zurueck wollen kann, - also sollte Wollen selber und alles Leben - Strafe sein! Und nun waelzte sich Wolke auf Wolke ueber den Geist: bis endlich der Wahnsinn predigte: `Alles vergeht, darum ist Alles werth zu vergehn!` `Und diess ist selber Gerechtigkeit, jenes Gesetz der Zeit, dass sie ihre Kinder fressen muss`: also predigte der Wahnsinn. `Sittlich sind die Dinge geordnet nach Recht und Strafe. Oh wo ist die Erloesung vom Fluss der Dinge und der Strafe Dasein`? Also predigte der Wahnsinn. `Kann es Erloesung geben, wenn es ein ewiges Recht giebt? Ach, unwaelzbar ist der Stein "Es war": ewig muessen auch alle Strafen sein!` Also predigte der Wahnsinn. `Keine That kann vernichtet werden: wie koennte sie durch die Strafe ungethan werden! Diess, diess ist das Ewige an der Strafe "Dasein", dass das Dasein auch ewig wieder That und Schuld sein muss! Es sei denn, dass der Wille endlich sich selber erloeste und Wollen zu Nicht-Wollen wuerde -`: doch ihr kennt, meine Brueder, diess Fabellied des Wahnsinns! Weg fuehrte ich euch von diesen Fabelliedern, als ich euch lehrte: `der Wille ist ein Schaffender.` Alles `Es war` ist ein Bruchstueck, ein Raethsel, ein grauser Zufall - bis der schaffende Wille dazu sagt: `aber so wollte ich es!` Bis der schaffende Wille dazu sagt: `Aber so will ich es! So werde ich's wollen!` Aber sprach er schon so? Und wann geschieht diess? Ist der Wille schon abgeschirrt von seiner eignen Thorheit? Wurde der Wille sich selber schon Erloeser und Freudebringer? Verlernte er den Geist der Rache und alles Zaehneknirschen? Und wer lehrte ihn Versoehnung mit der Zeit, und Hoeheres als alle Versoehnung ist? Hoeheres als alle Versoehnung muss der Wille wollen, welcher der Wille zur Macht ist -: doch wie geschieht ihm das? Wer lehrte ihn auch noch das Zurueckwollen?" - Aber an dieser Stelle seiner Rede geschah es, dass Zarathustra ploetzlich innehielt und ganz einem Solchen gleich sah, der auf das Aeusserste erschrickt. Mit erschrecktem Auge blickte er auf seine Juenger; sein Auge durchbohrte wie mit Pfeilen ihre Gedanken und Hintergedanken. Aber nach einer kleinen Weile lachte er schon wieder und sagte beguetigt: "Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist. Sonderlich fuer einen Geschwaetzigen." - Also sprach Zarathustra. Der Bucklichte aber hatte dem Gespraeche zugehoert und sein Gesicht dabei bedeckt; als er aber Zarathustra lachen hoerte, blickte er neugierig auf und sagte langsam: "Aber warum redet Zarathustra anders zu uns als zu seinen Juengern?" Zarathustra antwortete: "Was ist da zum Verwundern! Mit Bucklichten darf man schon bucklicht reden!" "Gut, sagte der Bucklichte; und mit Schuelern darf man schon aus der Schule schwaetzen. Aber warum redet Zarathustra anders zu seinen Schuelern - als zu sich selber?" - Von der Menschen-Klugheit Nicht die Hoehe: der Abhang ist das Furchtbare! Der Abhang, wo der Blick _hinunter_ stuerzt und die Hand _hinauf_ greift. Da schwindelt dem Herzen vor seinem doppelten Willen. Ach, Freunde, errathet ihr wohl auch meines Herzens doppelten Willen? Das, Das ist _mein_ Abhang und meine Gefahr, dass mein Blick in die Hoehe stuerzt, und dass meine Hand sich halten und stuetzen moechte - an der Tiefe! An den Menschen klammert sich mein Wille, mit Ketten binde ich mich an den Menschen, weil es mich hinauf reisst zum Obermenschen: denn dahin will mein andrer Wille. Und _dazu_ lebe ich blind unter den Menschen; gleich als ob ich sie nicht kennte: dass meine Hand ihren Glauben an Festes nicht ganz verliere. Ich kenne euch Menschen nicht: diese Finsterniss und Troestung ist oft um mich gebreitet. Ich sitze am Thorwege fuer jeden Schelm und frage: wer will mich betruegen? Das ist meine erste Menschen-Klugheit, dass ich mich betruegen lasse, um nicht auf der Hut zu sein vor Betruegern. Ach, wenn ich auf der Hut waere vor dem Menschen: wie koennte meinem Balle der Mensch ein Anker sein! Zu leicht risse es mich hinauf und hinweg! Diese Vorsehung ist ueber meinem Schicksal, dass ich ohne Vorsicht sein muss. Und wer unter Menschen nicht verschmachten will, muss lernen, aus allen Glaesern zu trinken; und wer unter Menschen rein bleiben will, muss verstehn, sich auch mit schmutzigem Wasser zu waschen. Und also sprach ich oft mir zum Troste: "Wohlan! Wohlauf! Altes Herz! Ein Unglueck missrieth dir: geniesse diess als dein - Glueck!" Diess aber ist meine andre Menschen-Klugheit: ich schone die _Eitlen_ mehr als die Stolzen. Ist nicht verletzte Eitelkeit die Mutter aller Trauerspiele? Wo aber Stolz verletzt wird, da waechst wohl etwas Besseres noch, als Stolz ist. Damit das Leben gut anzuschaun sei, muss sein Spiel gut gespielt werden: dazu aber bedarf es guter Schauspieler. Gute Schauspieler fand ich alle Eitlen: sie spielen und wollen, dass ihnen gern zugeschaut werde, - all ihr Geist ist bei diesem Willen. Sie fuehren sich auf, sie erfinden sich; in ihrer Naehe liebe ich's, dem Leben zuzuschaun, - es heilt von der Schwermuth. Darum schone ich die Eitlen, weil sie mir Arzte sind meiner Schwermuth und mich am Menschen fest halten als an einem Schauspiele. Und dann: wer ermisst am Eitlen die ganze Tiefe seiner Bescheidenheit! Ich bin ihm gut und mitleidig ob seiner Bescheidenheit. Von euch will er seinen Glauben an sich lernen; er naehrt sich an euren Blicken, er frisst das Lob aus euren Haenden. Euren Luegen glaubt er noch, wenn ihr gut ueber ihn luegt: denn im Tiefsten seufzt sein Herz: "was bin _ich_!" Und wenn das die rechte Tugend ist, die nicht um sich selber weiss: nun, der Eitle weiss nicht um seine Bescheidenheit! - Das ist aber meine dritte Menschen-Klugheit, dass ich mir den Anblick der Boesen nicht verleiden lasse durch eure Furchtsamkeit. Ich bin selig, die Wunder zu sehn, welche heisse Sonne ausbruetet: Tiger und Palmen und Klapperschlangen. Auch unter Menschen giebt es schoene Brut heisser Sonne und viel Wunderwuerdiges an den Boesen. Zwar, wie eure Weisesten mir nicht gar so weise erschienen: so fand ich auch der Menschen Bosheit unter ihrem Rufe. Und oft fragte ich mit Kopfschuetteln: Warum noch klappern, ihr Klapperschlangen? Wahrlich, es giebt auch fuer das Boese noch eine Zukunft! Und der heisseste Sueden ist noch nicht entdeckt fuer den Menschen. Wie Manches heisst jetzt schon aergste Bosheit, was doch nur zwoelf Schuhe breit und drei Monate lang ist! Einst aber werden groessere Drachen zur Welt kommen. Denn dass dem Uebermenschen sein Drache nicht fehle, der Ueber-Drache, der seiner wuerdig ist: dazu muss viel heisse Sonne noch auf feuchten Urwald gluehen! Aus euren Wildkatzen muessen erst Tiger geworden sein und aus euren Giftkroeten Krokodile: denn der gute Jaeger soll eine gute Jagd haben! Und wahrlich, ihr Guten und Gerechten! An euch ist Viel zum Lachen und zumal eure Furcht vor dem, was bisher "Teufel" hiess! So fremd seid ihr dem Grossen mit eurer Seele, dass euch der Uebermensch _furchtbar_ sein wuerde in seiner Guete! Und ihr Weisen und Wissenden, ihr wuerdet vor dem Sonnenbrande der Weisheit fluechten, in dem der Uebermensch mit Lust seine Nacktheit badet! Ihr hoechsten Menschen, denen mein Auge begegnete! das ist mein Zweifel an euch und mein heimliches Lachen: ich rathe, ihr wuerdet meinen Uebermenschen - Teufel heissen! Ach, ich ward dieser Hoechsten und Besten muede: aus ihrer "Hoehe" verlangte mich hinauf, hinaus, hinweg zu dem Uebermenschen! Ein Grausen ueberfiel mich, als ich diese Besten nackend sah: da wuchsen mir die Fluegel, fortzuschweben in ferne Zukuenfte. In fernere Zukuenfte, in suedlichere Sueden, als je ein Bildner traeumte: dorthin, wo Goetter sich aller Kleider schaemen! Aber verkleidet will ich _euch_ sehn, ihr Naechsten und Mitmenschen, und gut geputzt, und eitel, und wuerdig, als "die Guten und Gerechten," - Und verkleidet will ich selber unter euch sitzen, - dass ich euch und mich _verkenne_: das ist naemlich meine letzte Menschen-Klugheit. Also sprach Zarathustra. Die stillste Stunde "Was geschah mir, meine Freunde? Ihr seht mich verstoert, fortgetrieben, unwillig-folgsam, bereit zu gehen - ach, von _euch_ fortzugehen! Ja, noch Ein Mal muss Zarathustra in seine Einsamkeit: aber unlustig geht diessmal der Baer zurueck in seine Hoehle! Was geschah mir? Wer gebeut diess? - Ach, meine zornige Herrin will es so, sie sprach zu mir: nannte ich je euch schon ihren Namen? Gestern gen Abend sprach zu mir _meine_stillste_Stunde_: das ist der Name meiner furchtbaren Herrin. Und so geschah's, - denn Alles muss ich euch sagen, dass euer Herz sich nicht verhaerte gegen den ploetzlich Scheidenden! Kennt ihr den Schrecken des Einschlafenden? - Bis in die Zehen hinein erschrickt er, darob, dass ihm der Boden weicht und der Traum beginnt. Dieses sage ich euch zum Gleichniss. Gestern, zur stillsten Stunde, wich mir der Boden: der Traum begann. Der Zeiger rueckte, die Uhr meines Lebens holte Athem - nie hoerte ich solche Stille um mich: also dass mein Herz erschrak. Dann sprach es ohne Stimme zu mir: `Du weisst es, Zarathustra?` - Und ich schrie vor Schrecken bei diesem Fluestern, und das Blut wich aus meinem Gesichte: aber ich schwieg. Da sprach es abermals ohne Stimme zu mir: `Du weisst es, Zarathustra, aber du redest es nicht!` - Und ich antwortete endlich gleich einem Trotzigen: `Ja, ich weiss es, aber ich will es nicht reden!` Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Du _willst_ nicht, Zarathustra? Ist diess auch wahr? Verstecke dich nicht in deinen Trotz!` - Und ich weinte und zitterte wie ein Kind und sprach: `Ach, ich wollte schon, aber wie kann ich es! Erlass mir diess nur! Es ist ueber meine Kraft!` Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Was liegt an dir, Zarathustra! Sprich dein Wort und zerbrich!` - Und ich antwortete: `Ach, ist es _mein_ Wort? Wer bin ich? Ich warte des Wuerdigeren; ich bin nicht werth, an ihm auch nur zu zerbrechen.` Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Was liegt an dir? Du bist mir noch nicht demuethig genug. Die Demuth hat das haerteste Fell.` - Und ich antwortete: `Was trug nicht schon das Fell meiner Demuth! Am Fusse wohne ich meiner Hoehe: wie hoch meine Gipfel sind? Niemand sagte es mir noch. Aber gut kenne ich meine Thaeler.` Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Oh Zarathustra, wer Berge zu versetzen hat, der versetzt auch Thaeler und Niederungen.` - Und ich antwortete: `Noch versetzte mein Wort keine Berge, und was ich redete, erreichte die Menschen nicht. Ich gieng wohl zu den Menschen, aber noch langte ich nicht bei ihnen an.` Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Was weisst du _davon_! Der Thau faellt auf das Gras, wenn die Nacht am verschwiegensten ist.` - Und ich antwortete: `sie verspotteten mich, als ich meinen eigenen Weg fand und gieng; und in Wahrheit zitterten damals meine Fuesse.` Und so sprachen sie zu mir: `du verlerntest den Weg, nun verlernst du auch das Gehen!` Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Was liegt an ihrem Spotte! Du bist Einer, der das Gehorchen verlernt hat: nun sollst du befehlen! Weisst du nicht, _wer_ Allen am noethigsten thut? Der Grosses befiehlt. Grosses vollfuehren ist schwer: aber das Schwerere ist, Grosses befehlen. Das ist dein Unverzeihlichstes: du hast die Macht, und du willst nicht herrschen.` - Und ich antwortete: `Mir fehlt des Loewen Stimme zu allem Befehlen.` Da sprach es wieder wie ein Fluestern zu mir: `Die stillsten Worte sind es, welche den Sturm bringen. Gedanken, die mit Taubenfuessen kommen, lenken die Welt. Oh Zarathustra, du sollst gehen als ein Schatten dessen, was kommen muss: so wirst du befehlen und befehlend vorangehen.` - Und ich antwortete: `Ich schaeme mich.` Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: `Du musst noch Kind werden und ohne Scham. Der Stolz der Jugend ist noch auf dir, spaet bist du jung geworden: aber wer zum Kinde werden will, muss auch noch seine Jugend ueberwinden.` - Und ich besann mich lange und zitterte. Endlich aber sagte ich, was ich zuerst sagte: `Ich will nicht.` Da geschah ein Lachen um mich. Wehe, wie diess Lachen mir die Eingeweide zerriss und das Herz aufschlitzte! Und es sprach zum letzten Male zu mir: `Oh Zarathustra, deine Fruechte sind reif, aber du bist nicht reif fuer deine Fruechte! So musst du wieder in die Einsamkeit: denn du sollst noch muerbe werden.` - Und wieder lachte es und floh: dann wurde es stille um mich wie mit einer zwiefachen Stille. Ich aber lag am Boden, und der Schweiss floss mir von den Gliedern. - Nun hoertet ihr Alles, und warum ich in meine Einsamkeit zurueck muss. Nichts verschwieg ich euch, meine Freunde. Aber auch diess hoertet ihr von mir, _wer_ immer noch aller Menschen Verschwiegenster ist - und es sein will! Ach meine Freunde! Ich haette euch noch Etwas zu sagen, ich haette euch noch Etwas zu geben! Warum gebe ich es nicht? Bin ich denn geizig?" - Als Zarathustra aber diese Worte gesprochen hatte, ueberfiel ihn die Gewalt des Schmerzes und die Naehe des Abschieds von seinen Freunden, also dass er laut weinte; und Niemand wusste ihn zu troesten. Des Nachts aber gieng er allein fort und verliess seine Freunde. Dritter Theil "Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung verlangt. Und ich sehe hinab, weil ich erhoben bin. Wer von euch kann zugleich lachen und erhoben sein? Wer auf den hoechsten Bergen steigt, der lacht ueber alle Trauer-Spiele und Trauer-Ernste." Zarathustra, vom Lesen und Schreiben. Der Wanderer Um Mitternacht war es, da nahm Zarathustra seinen Weg ueber den Ruecken der Insel, dass er mit dem fruehen Morgen an das andre Gestade kaeme: denn dort wollte er zu Schiff steigen. Es gab naemlich allda eine gute Rhede, an der auch fremde Schiffe gern vor Anker giengen; die nahmen Manchen mit sich, der von den glueckseligen Inseln ueber das Meer wollte. Als nun Zarathustra so den Berg hinanstieg, gedachte er unterwegs des vielen einsamen Wanderns von Jugend an, und wie viele Berge und Ruecken und Gipfel er schon gestiegen sei. Ich bin ein Wanderer und ein Bergsteiger, sagte er zu seinem Herzen, ich liebe die Ebenen nicht und es scheint, ich kann nicht lange still sitzen. Und was mir nun auch noch als Schicksal und Erlebniss komme, - ein Wandern wird darin sein und ein Bergsteigen: man erlebt endlich nur noch sich selber. Die Zeit ist abgeflossen, wo mir noch Zufaelle begegnen durften; und was _koennte_ jetzt noch zu mir fallen, was nicht schon mein Eigen waere! Es kehrt nur zurueck, es kommt mir endlich heim - mein eigen Selbst, und was von ihm lange in der Fremde war und zerstreut unter alle Dinge und Zufaelle. Und noch Eins weiss ich: ich stehe jetzt vor meinem letzten Gipfel und vor dem, was mir am laengsten aufgespart war. Ach, meinen haertesten Weg muss ich hinan! Ach, ich begann meine einsamste Wanderung! Wer aber meiner Art ist, der entgeht einer solchen Stunde nicht: der Stunde, die zu ihm redet: "Jetzo erst gehst du deinen Weg der Groesse! Gipfel und Abgrund - das ist jetzt in Eins beschlossen! Du gehst deinen Weg der Groesse: nun ist deine letzte Zuflucht worden, was bisher deine letzte Gefahr hiess! Du gehst deinen Weg der Groesse: das muss nun dein bester Muth sein, dass es hinter dir keinen Weg mehr giebt! Du gehst deinen Weg der Groesse; hier soll dir Keiner nachschleichen! Dein Fuss selber loeschte hinter dir den Weg aus, und ueber ihm steht geschrieben: Unmoeglichkeit. Und wenn dir nunmehr alle Leitern fehlen, so musst du verstehen, noch auf deinen eigenen Kopf zu steigen: wie wolltest du anders aufwaerts steigen? Auf deinen eigenen Kopf und hinweg ueber dein eigenes Herz! Jetzt muss das Mildeste an dir noch zum Haertesten werden. Wer sich stets viel geschont hat, der kraenkelt zuletzt an seiner vielen Schonung. Gelobt sei, was hart macht! Ich lobe das Land nicht, wo Butter und Honig - fliesst! Von sich _absehn_ lernen ist noethig, um _Viel_ zu sehn: - diese Haerte thut jedem Berge-Steigenden Noth. Wer aber mit den Augen zudringlich ist als Erkennender, wie sollte der von allen Dingen mehr als ihre vorderen Gruende sehn! Du aber, oh Zarathustra, wolltest aller Dinge Grund schaun und Hintergrund: so musst du schon ueber dich selber steigen, - hinan, hinauf, bis du auch deine Sterne noch _unter_ dir hast! Ja! Hinab auf mich selber sehn und noch auf meine Sterne: das erst hiesse mir mein _Gipfel_, das blieb mir noch zurueck als mein _letzter_ Gipfel! -" Also sprach Zarathustra im Steigen zu sich, mit harten Spruechlein sein Herz troestend: denn er war wund am Herzen wie noch niemals zuvor. Und als er auf die Hoehe des Bergrueckens kam, siehe, da lag das andere Meer vor ihm ausgebreitet: und er stand still und schwieg lange. Die Nacht aber war kalt in dieser Hoehe und klar und hellgestirnt. Ich erkenne mein Loos, sagte er endlich mit Trauer. Wohlan! Ich bin bereit. Eben begann meine letzte Einsamkeit. Ach, diese schwarze traurige See unter mir! Ach, diese schwangere naechtliche Verdrossenheit! Ach, Schicksal und See! Zu euch muss ich nun _hinab_ steigen! Vor meinem hoechsten Berge stehe ich und vor meiner laengsten Wanderung: darum muss ich erst tiefer hinab als ich jemals stieg: - tiefer hinab in den Schmerz als ich jemals stieg, bis hinein in seine schwaerzeste Fluth! So will es mein Schicksal: Wohlan! Ich bin bereit. Woher kommen die hoechsten Berge? so fragte ich einst. Da lernte ich, dass sie aus dem Meere kommen. Diess Zeugniss ist in ihr Gestein geschrieben und in die Waende ihrer Gipfel. Aus dem Tiefsten muss das Hoechste zu seiner Hoehe kommen. - Also sprach Zarathustra auf der Spitze des Berges, wo es kalt war; als er aber in die Naehe des Meeres kam und zuletzt allein unter den Klippen stand, da war er unterwegs muede geworden und sehnsuechtiger als noch zuvor. Es schlaeft jetzt Alles noch, sprach er; auch das Meer schlaeft. Schlaftrunken und fremd blickt sein Auge nach mir. Aber es athmet warm, das fuehle ich. Und ich fuehle auch, dass es traeumt. Es windet sieh traeumend auf harten Kissen. Horch! Horch! Wie es stoehnt von boesen Erinnerungen! Oder boesen Erwartungen? Ach, ich bin traurig mit dir, du dunkles Ungeheuer, und mir selber noch gram um deinetwillen. Ach, dass meine Hand nicht Staerke genug hat! Gerne, wahrlich, moechte ich dich von boesen Traeumen erloesen! - Und indem Zarathustra so sprach, lachte er mit Schwermuth und Bitterkeit ueber sich selber. "Wie! Zarathustra! sagte er, willst du noch dem Meere Trost singen? Ach, du liebreicher Narr Zarathustra, du Vertrauens-Ueberseliger! Aber so warst du immer: immer kamst du vertraulich zu allem Furchtbaren. Jedes Ungethuem wolltest du noch streicheln. Ein Hauch warmen Athems, ein Wenig weiches Gezottel an der Tatze -: und gleich warst du bereit, es zu lieben und zu locken. Die _Liebe_ ist die Gefahr des Einsamsten, die Liebe zu Allem, wenn es nur lebt! Zum Lachen ist wahrlich meine Narrheit und meine Bescheidenheit in der Liebe!" - Also sprach Zarathustra und lachte dabei zum andern Male: da aber gedachte er seiner verlassenen Freunde -, und wie als ob er sich mit seinen Gedanken an ihnen vergangen habe, zuernte er sich ob seiner Gedanken. Und alsbald geschah es, dass der Lachende weinte: - vor Zorn und Sehnsucht weinte Zarathustra bitterlich. Vom Gesicht und Raethsel 1. Als es unter den Schiffsleuten ruchbar wurde, dass Zarathustra auf dem Schiffe sei, - denn es war ein Mann zugleich mit ihm an Bord gegangen, der von den glueckseligen Inseln kam - da entstand eine grosse Neugierde und Erwartung. Aber Zarathustra schwieg zwei Tage und war kalt und taub vor Traurigkeit, also, dass er weder auf Blicke noch auf Fragen antwortete. Am Abende aber des zweiten Tages that er seine Ohren wieder auf, ob er gleich noch schwieg: denn es gab viel Seltsames und Gefaehrliches auf diesem Schiffe anzuhoeren, welches weither kam und noch weiterhin wollte. Zarathustra aber war ein Freund aller Solchen, die weite Reisen thun und nicht ohne Gefahr leben moegen. Und siehe! zuletzt wurde ihm im Zuhoeren die eigne Zunge geloest, und das Eis seines Herzens brach: - da begann er also zu reden: Euch, den kuehnen Suchern, Versuchern, und wer je sich mit listigen Segeln auf furchtbare Meere einschiffte, - euch, den Raethsel-Trunkenen, den Zwielicht-Frohen, deren Seele mit Floeten zu jedem Irr-Schlunde gelockt wird: - denn nicht wollt ihr mit feiger Hand einem Faden nachtasten; und, wo ihr _errathen_ koennt, da hasst ihr es, zu _erschliessen_ - euch allein erzaehle ich das Raethsel, das ich _sah_, - das Gesicht des Einsamsten. - Duester gierig ich juengst durch leichenfarbne Daemmerung, - duester und hart, mit gepressten Lippen. Nicht nur Eine Sonne war mir untergegangen. Ein Pfad, der trotzig durch Geroell stieg, ein boshafter, einsamer, dem nicht Kraut, nicht Strauch mehr zusprach: ein Bergpfad knirschte unter dem Trotz meines Fusses. Stumm ueber hoehnischem Geklirr von Kieseln schreitend, den Stein zertretend, der ihn gleiten liess: also zwang mein Fuss sich aufwaerts. Aufwaerts: - dem Geiste zum Trotz, der ihn abwaerts zog, abgrundwaerts zog, dem Geiste der Schwere, meinem Teufel und Erzfeinde. Aufwaerts: - obwohl er auf mir sass, halb Zwerg, halb Maulwurf; lahm; laehmend; Blei durch mein Ohr, Bleitropfen-Gedanken in mein Hirn traeufelnd. "Oh Zarathustra, raunte er hoehnisch Silb' um Silbe, du Stein der Weisheit! Du warfst dich hoch, aber jeder geworfene Stein muss - fallen! Oh Zarathustra, du Stein der Weisheit, du Schleuderstein, du Stern-Zertruemmerer! Dich selber warfst du so hoch, - aber jeder geworfene Stein - muss fallen! Verurtheilt zu dir selber und zur eignen Steinigung: oh Zarathustra, weit warfst du ja den Stein, - aber auf _dich_ wird er zurueckfallen!" Drauf schwieg der Zwerg; und das waehrte lange. Sein Schweigen aber drueckte mich; und solchermaassen zu Zwein ist man wahrlich einsamer als zu Einem! Ich stieg, ich stieg, ich traeumte, ich dachte, - aber Alles drueckte mich. Einem Kranken glich ich, den seine schlimme Marter muede macht, und den wieder ein schlimmerer Traum aus dem Einschlafen weckt. - Aber es giebt Etwas in mir, das ich Muth heisse: das schlug bisher mir jeden Unmuth todt. Dieser Muth hiess mich endlich stille stehn und sprechen: "Zwerg! Du! Oder ich!" - Muth naemlich ist der beste Todtschlaeger, - Muth, welcher _angreift_: denn in jedem Angriffe ist klingendes Spiel. Der Mensch aber ist das muthigste Thier: damit ueberwand er jedes Thier. Mit klingendem Spiele ueberwand er noch jeden Schmerz; Menschen-Schmerz aber ist der tiefste Schmerz. Der Muth schlaegt auch den Schwindel todt an Abgruenden: und wo stuende der Mensch nicht an Abgruenden! Ist Sehen nicht selber - Abgruende sehen? Muth ist der beste Todtschlaeger: der Muth schlaegt auch das Mitleiden todt. Mitleiden aber ist der tiefste Abgrund: so tief der Mensch in das Leben sieht, so tief sieht er auch in das Leiden. Muth aber ist der beste Todtschlaeger, Muth, der angreift: der schlaegt noch den Tod todt, denn er spricht: "War _das_ das Leben? Wohlan! Noch Ein Mal!" In solchem Spruche aber ist viel klingendes Spiel. Wer Ohren hat, der hoere. - 2. "Halt! Zwerg! sprach ich. Ich! Oder du! Ich aber bin der Staerkere von uns Beiden -: du kennst meinen abgruendlichen Gedanken nicht! _Den_ - koenntest du nicht tragen!" - Da geschah, was mich leichter machte: denn der Zwerg sprang mir von der Schulter, der Neugierige! Und er hockte sich auf einen Stein vor mich hin. Es war aber gerade da ein Thorweg, wo wir hielten. "Siehe diesen Thorweg! Zwerg! sprach ich weiter: der hat zwei Gesichter. Zwei Wege kommen hier zusammen: die gieng noch Niemand zu Ende. Diese lange Gasse zurueck: die waehrt eine Ewigkeit. Und jene lange Gasse hinaus - das ist eine andre Ewigkeit. Sie widersprechen sich, diese Wege; sie stossen sich gerade vor den Kopf: - und hier, an diesem Thorwege, ist es, wo sie zusammen kommen. Der Name des Thorwegs steht oben geschrieben: `Augenblick`. Aber wer Einen von ihnen weiter gienge - und immer weiter und immer ferner: glaubst du, Zwerg, dass diese Wege sich ewig widersprechen?" - "Alles Gerade luegt, murmelte veraechtlich der Zwerg. Alle Wahrheit ist krumm, die Zeit selber ist ein Kreis." "Du Geist der Schwere! sprach ich zuernend, mache dir es nicht zu leicht! Oder ich lasse dich hocken, wo du hockst, Lahmfuss, - und ich trug dich _hoch_! Siehe, sprach ich weiter, diesen Augenblick! Von diesem Thorwege Augenblick laeuft eine lange ewige Gasse _rueckwaerts_ hinter uns liegt eine Ewigkeit. Muss nicht, was laufen _kann_ von allen Dingen, schon einmal diese Gasse gelaufen sein? Muss nicht, was geschehn _kann_ von allen Dingen, schon einmal geschehn, gethan, voruebergelaufen sein? Und wenn Alles schon dagewesen ist: was haeltst du Zwerg von diesem Augenblick? Muss auch dieser Thorweg nicht schon - dagewesen sein? Und sind nicht solchermaassen fest alle Dinge verknotet, dass dieser Augenblick _alle_ kommenden Dinge nach sich zieht? _Also_ - - sich selber noch? Denn, was laufen _kann_ von allen Dingen: auch in dieser langen Gasse _hinaus_ - _muss_ es einmal noch laufen! - Und diese langsame Spinne, die im Mondscheine kriecht, und dieser Mondschein selber, und ich und du im Thorwege, zusammen fluesternd, von ewigen Dingen fluesternd - muessen wir nicht Alle schon dagewesen sein? - und wiederkommen und in jener anderen Gasse laufen, hinaus, vor uns, in dieser langen schaurigen Gasse - muessen wir nicht ewig wiederkommen? -" Also redete ich, und immer leiser: denn ich fuerchtete mich vor meinen eignen Gedanken und Hintergedanken. Da, ploetzlich, hoerte ich einen Hund nahe _heulen_. Hoerte ich jemals einen Hund so heulen? Mein Gedanke lief zurueck. Ja! Als ich Kind war, in fernster Kindheit: - da hoerte ich einen Hund so heulen. Und sah ihn auch, gestraeubt, den Kopf nach Oben, zitternd, in stillster Mitternacht, wo auch Hunde an Gespenster glauben: - also dass es mich erbarmte. Eben naemlich gieng der volle Mond, todtschweigsam, ueber das Haus, eben stand er still, eine runde Gluth, - still auf flachem Dache, gleich als auf fremdem Eigenthume: - darob entsetzte sich damals der Hund: denn Hunde glauben an Diebe und Gespenster. Und als ich wieder so heulen hoerte, da erbarmte es mich abermals. Wohin war jetzt Zwerg? und Thorweg? Und Spinne? Und alles Fluestern? Traeumte ich denn? Wachte ich auf? Zwischen wilden Klippen stand ich mit Einem Male, allein, oede, im oedesten Mondscheine. Aber da lag ein Mensch! Und da! Der Hund, springend, gestraeubt, winselnd, - jetzt sah er mich kommen - da heulte er wieder, da _schrie_ er: - hoerte ich je einen Hund so Huelfe schrein? Und, wahrlich, was ich sah, desgleichen sah ich nie. Einen jungen Hirten sah ich, sich windend, wuergend, zuckend, verzerrten Antlitzes, dem eine schwarze schwere Schlange aus dem Munde hieng. Sah ich je so viel Ekel und bleiches Grauen auf Einem Antlitze? Er hatte wohl geschlafen? Da kroch ihm die Schlange in den Schlund - da biss sie sich fest. Meine Hand riss die Schlange und riss: - umsonst! sie riss die Schlange nicht aus dem Schlunde. Da schrie es aus mir: "Beiss zu! Beiss zu! Den Kopf ab! Beiss zu!" - so schrie es aus mir, mein Grauen, mein Hass, mein Ekel, mein Erbarmen, all mein Gutes und Schlimmes schrie mit Einem Schrei aus mir. - Ihr Kuehnen um mich! Ihr Sucher, Versucher, und wer von euch mit listigen Segeln sich in unerforschte Meere einschiffte! Ihr Raethsel-Frohen! So rathet mir doch das Raethsel, das ich damals schaute, so deutet mir doch das Gesicht des Einsamsten! Denn ein Gesicht war's und ein Vorhersehn: - _was_ sah ich damals im Gleichnisse? Und _wer_ ist, der einst noch kommen muss? _Wer_ ist der Hirt, dem also die Schlange in den Schlund kroch? _Wer_ ist der Mensch, dem also alles Schwerste, Schwaerzeste in den Schlund kriechen wird? - Der Hirt aber biss, wie mein Schrei ihm rieth; er biss mit gutem Bisse! Weit weg spie er den Kopf der Schlange -: und sprang empor. - Nicht mehr Hirt, nicht mehr Mensch, - ein Verwandelter, ein Umleuchteter, welcher _lachte_! Niemals noch auf Erden lachte je ein Mensch, wie _er_ lachte! Oh meine Brueder, ich hoerte ein Lachen, das keines Menschen Lachen war, - - und nun frisst ein Durst an mir, eine Sehnsucht, die nimmer stille wird. Meine Sehnsucht nach diesem Lachen frisst an mir: oh wie ertrage ich noch zu leben! Und wie ertruege ich's, jetzt zu sterben! - Also sprach Zarathustra. Von der Seligkeit wider Willen Mit solchen Raethseln und Bitternissen im Herzen fuhr Zarathustra ueber das Meer. Als er aber vier Tagereisen fern war von den glueckseligen Inseln und von seinen Freunden, da hatte er allen seinen Schmerz ueberwunden -: siegreich und mit festen Fuessen stand er wieder auf seinem Schicksal. Und damals redete Zarathustra also zu seinem frohlockenden Gewissen: "Allein bin ich wieder und will es sein, allein mit reinem Himmel und freiem Meere; und wieder ist Nachmittag um mich. Des Nachmittags fand ich zum ersten Male einst meine Freunde, des Nachmittags auch zum anderen Male: - zur Stunde, da alles Licht stiller wird. Denn was von Glueck noch unterwegs ist zwischen Himmel und Erde, das sucht sich nun zur Herberge noch eine lichte Seele: _vor_Glueck_ ist alles Licht jetzt stiller worden. Oh Nachmittag meines Lebens! Einst stieg auch _mein_ Glueck zu Thale, dass es sich eine Herberge suche: da fand es diese offnen gastfreundlichen Seelen. Oh Nachmittag meines Lebens! Was gab ich nicht hin, dass ich Eins haette: diese lebendige Pflanzung meiner Gedanken und diess Morgenlicht meiner hoechsten Hoffnung! Gefaehrten suchte einst der Schaffende und Kinder _seiner_ Hoffnung: und siehe, es fand sich, dass er sie nicht finden koenne, es sei denn, er schaffe sie selber erst. Also bin ich mitten in meinem Werke, zu meinen Kindern gehend und von ihnen kehrend: um seiner Kinder willen muss Zarathustra sich selbst vollenden. Denn von Grund aus liebt man nur sein Kind und Werk; und wo grosse Liebe zu sich selber ist, da ist sie der Schwangerschaft Wahrzeichen: so fand ich's. Noch gruenen mir meine Kinder in ihrem ersten Fruehlinge, nahe bei einander stehend und gemeinsam von Winden geschuettelt, die Baeume meines Gartens und besten Erdreichs. Und wahrlich! Wo solche Baeume bei einander stehn, da _sind_ glueckselige Inseln! Aber einstmals will ich sie ausheben und einen jeden fuer sich allein stellen: dass er Einsamkeit lerne und Trotz und Vorsicht. Knorrig und gekruemmt und mit biegsamer Haerte soll er mir dann am Meere dastehn, ein lebendiger Leuchtthurm unbesiegbaren Lebens. Dort, wo die Stuerme hinab in's Meer stuerzen, und des Gebirgs Ruessel Wasser trinkt, da soll ein jeder einmal seine Tag- und Nachtwachen haben, zu _seiner_ Pruefung und Erkenntniss. Erkannt und geprueft soll er werden, darauf, ob er meiner Art und Abkunft ist, - ob er eines langen Willens Herr sei, schweigsam, auch wenn er redet, und nachgebend also, dass er im Geben _nimmt_: - - dass er einst mein Gefaehrte werde und ein Mitschaffender und Mitfeiernder Zarathustra's -: ein Solcher, der mir meinen Willen auf meine Tafeln schreibt: zu aller Dinge vollerer Vollendung. Und um seinetwillen und seines Gleichen muss ich selber _mich_ vollenden: darum weiche ich jetzt meinem Gluecke aus und biete mich allem Ungluecke an - zu _meiner_ letzten Pruefung und Erkenntniss. Und wahrlich, Zeit war's, dass ich gierig; und des Wanderers Schatten und die laengste Weile und die stillste Stunde - alle redeten mir zu: `es ist hoechste Zeit!` Der Wind blies mir durch's Schluesselloch und sagte `Komm!` Die Thuer sprang mir listig auf und sagte `Geh!` Aber ich lag angekettet an die Liebe zu meinen Kindern: das Begehren legte mir diese Schlinge, das Begehren nach Liebe, dass ich meiner Kinder Beute wuerde und mich an sie verloere. Begehren - das heisst mir schon: mich verloren haben. Ich habe euch, meine Kinder! In diesem Haben soll Alles Sicherheit und Nichts Begehren sein. Aber bruetend lag die Sonne meiner Liebe auf mir, im eignen Safte kochte Zarathustra, - da flogen Schatten und Zweifel ueber mich weg. Nach Frost und Winter geluestete mich schon: `oh dass Frost und Winter mich wieder knacken und knirschen machten!` seufzte ich: - da stiegen eisige Nebel aus mir auf. Meine Vergangenheit brach ihm Graeber, manch lebendig begrabner Schmerz wachte auf -: ausgeschlafen hatte er sich nur, versteckt in Leichen-Gewaender. Also rief mir Alles in Zeichen zu: `es ist Zeit!` - Aber ich - hoerte nicht: bis endlich mein Abgrund sich ruehrte und mein Gedanke mich biss. Ach, abgruendlicher Gedanke, der du _mein_ Gedanke bist! Wann finde ich die Staerke, dich graben zu hoeren und nicht mehr zu zittern? Bis zur Kehle hinauf klopft mir das Herz, wenn ich dich graben hoere! Dein Schweigen noch will mich wuergen, du abgruendlich Schweigender! Noch wagte ich niemals, dich _herauf_ zu rufen: genug schon, dass ich dich mit mir - trug! Noch war ich nicht stark genug zum letzten Loewen-Uebermuthe und -Muthwillen. Genug des Furchtbaren war mir immer schon deine Schwere: aber einst soll ich noch die Staerke finden und die Loewen-Stimme, die dich herauf ruft! Wenn ich mich dessen erst ueberwunden habe, dann will ich mich auch des Groesseren noch ueberwinden; und ein _Sieg_ soll meiner Vollendung Siegel sein! - Inzwischen treibe ich noch auf ungewissen Meeren; der Zufall schmeichelt mir, der glattzuengige; vorwaerts und rueckwaerts schaue ich -, noch schaue ich kein Ende. Noch kam mir die Stunde meines letzten Kampfes nicht, - oder kommt sie wohl mir eben? Wahrlich, mit tueckischer Schoenheit schaut mich rings Meer und Leben an! Oh Nachmittag meines Lebens! Oh Glueck vor Abend! Oh Hafen auf hoher See! Oh Friede im Ungewissen! Wie misstraue ich euch Allen! Wahrlich, misstrauisch bin ich gegen eure tueckische Schoenheit! Dem Liebenden gleiche ich, der allzusammtenem Laecheln misstraut. Wie er die Geliebteste vor sich her stoesst, zaertlich noch in seiner Haerte, der Eifersuechtige -, also stosse ich diese selige Stunde vor mir her. Hinweg mit dir, du selige Stunde! Mit dir kam mir eine Seligkeit wider Willen! Willig zu meinem tiefsten Schmerze stehe ich hier: - zur Unzeit kamst du! Hinweg mit dir, du selige Stunde! Lieber nimm Herberge dort - bei meinen Kindern! Eile! und segne sie vor Abend noch mit _meinem_ Gluecke! Da naht schon der Abend: die Sonne sinkt. Dahin - mein Glueck! -" Also sprach Zarathustra. Und er wartete auf sein Unglueck die ganze Nacht: aber er wartete umsonst. Die Nacht blieb hell und still, und das Glueck selber kam ihm immer naeher und naeher. Gegen Morgen aber lachte Zarathustra zu seinem Herzen und sagte spoettisch: "das Glueck laeuft mir nach. Das kommt davon, dass ich nicht den Weibern nachlaufe. Das Glueck aber ist ein Weib." Vor Sonnen-Aufgang Oh Himmel ueber mir, du Reiner! Tiefer! Du Licht-Abgrund! Dich schauend schaudere ich vor goettlichen Begierden. In deine Hoehe mich zu werfen - das ist _meine_ Tiefe! In deine Reinheit mich zu bergen - das ist _meine_ Unschuld! Den Gott verhuellt seine Schoenheit: so verbirgst du deine Sterne. Du redest nicht: _so_ kuendest du mir deine Weisheit. Stumm ueber brausendem Meere bist du heut mir aufgegangen, deine Liebe und deine Scham redet Offenbarung zu meiner brausenden Seele. Dass du schoen zu mir kamst, verhuellt in deine Schoenheit, dass du stumm zu mir sprichst, offenbar in deiner Weisheit: Oh wie erriethe ich nicht alles Schamhafte deiner Seele! _Vor_ der Sonne kamst du zu mir, dem Einsamsten. Wir sind Freunde von Anbeginn: uns ist Gram und Grauen und Grund gemeinsam; noch die Sonne ist uns gemeinsam. Wir reden nicht zu einander, weil wir zu Vieles wissen -: wir schweigen uns an, wir laecheln uns unser Wissen zu. Bist du nicht das Licht zu meinem Feuer? Hast du nicht die Schwester-Seele zu meiner Einsicht? Zusammen lernten wir Alles; zusammen lernten wir ueber uns zu uns selber aufsteigen und wolkenlos laecheln: - - wolkenlos hinab laecheln aus lichten Augen und aus meilenweiter Ferne, wenn unter uns Zwang und Zweck und Schuld wie Regen dampfen. Und wanderte ich allein: _wes_ hungerte meine Seele in Naechten und Irr-Pfaden? Und stieg ich Berge, _wen_ suchte ich je, wenn nicht dich, auf Bergen? Und all mein Wandern und Bergsteigen: eine Noth war's nur und ein Behelf des Unbeholfenen: - _fliegen_ allein will mein ganzer Wille, in _dich_ hinein fliegen! Und wen hasste ich mehr, als ziehende Wolken und Alles, was dich befleckt? Und meinen eignen Hass hasste ich noch, weil er dich befleckte! Den ziehenden Wolken bin ich gram, diesen schleichenden Raub-Katzen: sie nehmen dir und mir, was uns gemein ist, - das ungeheure unbegrenzte Ja- und Amen-sagen. Diesen Mittlern und Mischern sind wir gram, den ziehenden Wolken: diesen Halb- und Halben, welche weder segnen lernten, noch von Grund aus fluchen. Lieber will ich noch unter verschlossnem Himmel in der Tonne sitzen, lieber ohne Himmel im Abgrund sitzen, als dich, Licht-Himmel, mit Zieh-Wolken befleckt sehn! Und oft geluestete mich, sie mit zackichten Blitz-Golddraehten festzuheften, dass ich, gleich dem Donner, auf ihrem Kessel-Bauche die Pauke schluege: - - ein zorniger Paukenschlaeger, weil sie mir dein Ja! und Amen! rauben, du Himmel ueber mir, du Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund! - weil sie dir _mein_ Ja! und Amen! rauben. Denn lieber noch will ich Laerm und Donner und Wetter-Flueche, als diese bedaechtige zweifelnde Katzen-Ruhe; und auch unter Menschen hasse ich am besten alle Leisetreter und Halb- und Halben und zweifelnde, zoegernde Zieh-Wolken. Und "wer nicht segnen kann, der soll fluchen _lernen_!" - diese helle Lehre fiel mir aus hellem Himmel, dieser Stern steht auch noch in schwarzen Naechten an meinem Himmel. Ich aber bin ein Segnender und ein Ja-sager, wenn du nur um mich bist, du Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund! - in alle Abgruende trage ich da noch mein segnendes Ja-sagen. Zum Segnenden bin ich worden und zum Ja-sagenden: und dazu rang ich lange und war ein Ringer, dass ich einst die Haende frei bekaeme zum Segnen. Das aber ist mein Segnen: ueber jedwedem Ding als sein eigener Himmel stehn, als sein rundes Dach, seine azurne Glocke und ewige Sicherheit: und selig ist, wer also segnet! Denn alle Dinge sind getauft am Borne der Ewigkeit und jenseits von Gut und Boese; Gut und Boese selber aber sind nur Zwischenschatten und feuchte Truebsale und Zieh-Wolken. Wahrlich, ein Segnen ist es und kein Laestern, wenn ich lehre: "ueber allen Dingen steht der Himmel Zufall, der Himmel Unschuld, der Himmel Ohngefaehr, der Himmel Uebermuth." "Von Ohngefaehr" - das ist der aelteste Adel der Welt, den gab ich allen Dingen zurueck, ich erloeste sie von der Knechtschaft unter dem Zwecke. Diese Freiheit und Himmels-Heiterkeit stellte ich gleich azurner Glocke ueber alle Dinge, als ich lehrte, dass ueber ihnen und durch sie kein "ewiger Wille" - will. Diesen Uebermuth und diese Narrheit stellte ich an die Stelle jenes Willens, als ich lehrte: "bei Allem ist Eins unmoeglich - Vernuenftigkeit!" Ein _Wenig_ Vernunft zwar, ein Same der Weisheit zerstreut von Stern zu Stern, - dieser Sauerteig ist allen Dingen eingemischt: um der Narrheit willen ist Weisheit allen Dingen eingemischt! Ein Wenig Weisheit ist schon moeglich; aber diese selige Sicherheit fand ich an allen Dingen: dass sie lieber noch auf den Fuessen des Zufalls - _tanzen_. Oh Himmel ueber mir, du Reiner! Hoher! Das ist mir nun deine Reinheit, dass es keine ewige Vernunft-Spinne und -Spinnennetze giebt: - - dass du mir ein Tanzboden bist fuer goettliche Zufaelle, dass du mir ein Goettertisch bist fuer goettliche Wuerfel und Wuerfelspieler! - Doch du erroethest? Sprach ich Unaussprechbares? Laesterte ich, indem ich dich segnen wollte? Oder ist es die Scham zu Zweien, welche dich erroethen machte? - Heissest du mich gehn und schweigen, weil nun - der _Tag_ kommt? Die Welt ist tief -: und tiefer als je der Tag gedacht hat. Nicht Alles darf vor dem Tage Worte haben. Aber der Tag kommt: so scheiden wir nun! Oh Himmel ueber mir, du Schamhafter! Gluehender! Oh du mein Glueck vor Sonnen-Aufgang! Der Tag kommt: so scheiden wir nun! - Also sprach Zarathustra. Von der verkleinernden Tugend 1. Als Zarathustra wieder auf dem festen Lande war, gieng er nicht stracks auf sein Gebirge und seine Hoehle los, sondern that viele Wege und Fragen und erkundete diess und das, also, dass er von sich selber im Scherze sagte: "siehe einen Fluss, der in vielen Windungen zurueck zur Quelle fliesst!" Denn er wollte in Erfahrung bringen, was sich inzwischen _mit_dem_Menschen_ zugetragen habe: ob er groesser oder kleiner geworden sei. Und ein Mal sah er eine Reihe neuer Haeuser; da wunderte er sich und sagte: "Was bedeuten diese Haeuser? Wahrlich, keine grosse Seele stellte sie hin, sich zum Gleichnisse! Nahm wohl ein bloedes Kind sie aus seiner Spielschachtel? Dass doch ein anderes Kind sie wieder in seine Schachtel thaete! Und diese Stuben und Kammern: koennen _Maenner_ da aus- und eingehen? Gemacht duenken sie mich fuer Seiden-Puppen; oder fuer Naschkatzen, die auch wohl an sich naschen lassen." Und Zarathustra blieb stehn und dachte nach. Endlich sagte er betruebt: "Es ist _Alles_ kleiner geworden! Ueberall sehe ich niedrigere Thore: wer _meiner_ Art ist, geht da wohl noch hindurch, aber - er muss sich buecken! Oh wann komme ich wieder in meine Heimat, wo ich mich nicht mehr buecken muss - nicht mehr buecken muss vor den Kleinen!" - Und Zarathustra seufzte und blickte in die Ferne. - Desselbigen Tages aber redete er seine Rede ueber die verkleinernde Tugend. 2. Ich gehe durch diess Volk und halte meine Augen offen: sie vergeben mir es nicht, dass ich auf ihre Tugenden nicht neidisch bin. Sie beissen nach mir, weil ich zu ihnen sage: fuer kleine Leute sind kleine Tugenden noethig - und weil es mir hart eingeht, dass kleine Leute _noethig_ sind! Noch gleiche ich dem Hahn hier auf fremdem Gehoefte, nach dem auch die Hennen beissen; doch darob bin ich diesen Hennen nicht ungut. Ich bin hoeflich gegen sie wie gegen alles kleine Aergerniss; gegen das Kleine stachlicht zu sein duenkt mich eine Weisheit fuer Igel. Sie reden Alle von mir, wenn sie Abends um's Feuer sitzen, - sie reden von mir, aber Niemand denkt - an mich! Diess ist die neue Stille, die ich lernte: ihr Laerm um mich breitet einen Mantel ueber meine Gedanken. Sie laermen unter einander: "was will uns diese duestere Wolke? sehen wir zu, dass sie uns nicht eine Seuche bringe!" Und juengst riss ein Weib sein Kind an sich, das zu mir wollte: "nehmt die Kinder weg! schrie es; solche Augen versengen Kinder-Seelen." Sie husten, wenn ich rede: sie meinen, Husten sei ein Einwand gegen starke Winde, - sie errathen Nichts vom Brausen meines Glueckes! "Wir haben noch keine Zeit fuer Zarathustra" - so wenden sie ein; aber was liegt an einer Zeit, die fuer Zarathustra "keine Zeit hat"? Und wenn sie gar mich ruehmen: wie koennte ich wohl auf _ihrem_ Ruhme einschlafen? Ein Stachel-Guertel ist mir ihr Lob: es kratzt mich noch, wenn ich es von mir thue. Und auch das lernte ich unter ihnen: der Lobende stellt sich, als gaebe er zurueck, in Wahrheit aber will er mehr beschenkt sein! Fragt meinen Fuss, ob ihm ihre Lob- und Lock-Weise gefaellt! Wahrlich, nach solchem Takt und Tiktak mag er weder tanzen, noch stille stehn. Zur kleinen Tugend moechten sie mich locken und loben; zum Tiktak des kleinen Gluecks moechten sie meinen Fuss ueberreden. Ich gehe durch diess Volk und halte die Augen offen: sie sind _kleiner_ geworden und werden immer kleiner: - das aber macht ihre Lehre von Glueck und Tugend. Sie sind naemlich auch in der Tugend bescheiden - denn sie wollen Behagen. Mit Behagen aber vertraegt sich nur die bescheidene Tugend. Wohl lernen auch sie auf ihre Art Schreiten und Vorwaerts-Schreiten: das heisse ich ihr _Humpeln_ -. Damit werden sie jedem zum Anstosse, der Eile hat. Und Mancher von ihnen geht vorwaerts und blickt dabei zurueck, mit versteiftem Nacken: dem renne ich gern wider den Leib. Fuss und Augen sollen nicht luegen, noch sich einander Luegen strafen. Aber es ist viel Luegnerei bei den kleinen Leuten. Einige von ihnen wollen, aber die Meisten werden nur gewollt. Einige von ihnen sind aecht, aber die Meisten sind schlechte Schauspieler. Es giebt Schauspieler wider Wissen unter ihnen und Schauspieler wider Willen -, die Aechten sind immer selten, sonderlich die aechten Schauspieler. Des Mannes ist hier wenig: darum vermaennlichen sich ihre Weiber. Denn nur wer Mannes genug ist, wird im Weibe _das_Weib_ - erloesen. Und diese Heuchelei fand ich unter ihnen am schlimmsten: dass auch Die, welche befehlen, die Tugenden Derer heucheln, welche dienen. "Ich diene, du dienst, wir dienen" - so betet hier auch die Heuchelei der Herrschenden, - und wehe, wenn der erste Herr _nur_ der erste Diener ist! Ach, auch in ihre Heucheleien verflog sich wohl meines Auges Neugier; und gut errieth ich all ihr Fliegen-Glueck und ihr Summen um besonnte Fensterscheiben. Soviel Guete, soviel Schwaeche sehe ich. Soviel Gerechtigkeit und Mitleiden, soviel Schwaeche. Rund, rechtlich und guetig sind sie mit einander, wie Sandkoernchen rund, rechtlich und guetig mit Sandkoernchen sind. Bescheiden ein kleines Glueck umarmen - das heissen sie "Ergebung"! und dabei schielen sie bescheiden schon nach einem neuen kleinen Gluecke aus. Sie wollen im Grunde einfaeltiglich Eins am meisten: dass ihnen Niemand wehe thue. So kommen sie jedermann zuvor und thun ihm wohl. Diess aber ist _Feigheit_: ob es schon "Tugend" heisst. - Und wenn sie einmal rauh reden, diese kleinen Leute: _ich_ hoere darin nur ihre Heiserkeit, - jeder Windzug naemlich macht sie heiser. Klug sind sie, ihre Tugenden haben kluge Finger. Aber ihnen fehlen die Faeuste, ihre Finger wissen nicht, sich hinter Faeuste zu verkriechen. Tugend ist ihnen das, was bescheiden und zahm macht: damit machten sie den Wolf zum Hunde und den Menschen selber zu des Menschen bestem Hausthiere. "Wir setzten unsern Stuhl in die _Mitte_ - das sagt mir ihr Schmunzeln - und ebenso weit weg von sterbenden Fechtern wie von vergnuegten Saeuen." Diess aber ist - _Mittelmaessigkeit_: ob es schon Maessigkeit heisst. - 3. Ich gehe durch diess Volk und lasse manches Wort fallen: aber sie wissen weder zu nehmen noch zu behalten. Sie wundern sich, dass ich nicht kam, auf Lueste und Laster zu laestern; und wahrlich, ich kam auch nicht, dass ich vor Taschendieben warnte! Sie wundern sich, dass ich nicht bereit bin, ihre Klugheit noch zu witzigen und zu spitzigen: als ob sie noch nicht genug der Klueglinge haetten, deren Stimme mir gleich Schieferstiften kritzelt! Und wenn ich rufe: "Flucht allen feigen Teufeln in euch, die gerne winseln und Haende falten und anbeten moechten": so rufen sie: "Zarathustra ist gottlos". Und sonderlich rufen es ihre Lehrer der Ergebung -; aber gerade ihnen liebe ich's, in das Ohr zu schrein: Ja! Ich _bin_ Zarathustra, der Gottlose! Diese Lehrer der Ergebung! Ueberall hin, wo es klein und krank und grindig ist, kriechen sie, gleich Laeusen; und nur mein Ekel hindert mich, sie zu knacken. Wohlan! Diess ist meine Predigt fuer _ihre_ Ohren: ich bin Zarathustra, der Gottlose, der da spricht "wer ist gottloser denn ich, dass ich mich seiner Unterweisung freue?" Ich bin Zarathustra, der Gottlose: wo finde ich Meines-Gleichen? Und alle Die sind Meines-Gleichen, die sich selber ihren Willen geben und alle Ergebung von sich abthun. Ich bin Zarathustra, der Gottlose: ich koche mir noch jeden Zufall in _meinem_ Topfe. Und erst, wenn er da gar gekocht ist, heisse ich ihn willkommen, als _meine_ Speise. Und wahrlich, mancher Zufall kam herrisch zu mir: aber herrischer noch sprach zu ihm mein _Wille_, - da lag er schon bittend auf den Knieen - - bittend, dass er Herberge finde und Herz bei mir, und schmeichlerisch zuredend: "sieh doch; oh Zarathustra, wie nur Freund zu Freunde kommt!" - Doch was rede ich, wo Niemand _meine_ Ohren hat! Und so will ich es hinaus in alle Winde rufen: Ihr werdet immer kleiner, ihr kleinen Leute! Ihr broeckelt ab, ihr Behaglichen! Ihr geht mir noch zu Grunde - - an euren vielen kleinen Tugenden, an eurem vielen kleinen Unterlassen, an eurer vielen kleinen Ergebung! Zu viel schonend, zu viel nachgebend: so ist euer Erdreich! Aber dass ein Baum _gross_ werde, dazu will er um harte Felsen harte Wurzeln schlagen! Auch was ihr unterlasse, webt am Gewebe aller Menschen-Zukunft; auch euer Nichts ist ein Spinnennetz und eine Spinne, die von der Zukunft Blute lebt. Und wenn ihr nehmt, so ist es wie stehlen, ihr kleinen Tugendhaften; aber noch unter Schelmen spricht die _Ehre_: "man soll nur stehlen, wo man nicht rauben kann." "Es giebt sich" - das ist auch eine Lehre der Ergebung. Aber ich sage euch, ihr Behaglichen: _es_nimmt_sich_ und wird immer mehr noch von euch nehmen! Ach, dass ihr alles _halbe_ Wollen von euch abthaetet und entschlossen wuerdet zur Traegheit wie zur That! Ach, dass ihr mein Wort verstuendet: "thut immerhin, was ihr wollt, - aber seid erst Solche, die _wollen_koennen_!" "Liebt immerhin euren Naechsten gleich euch, - aber seid mir erst solche, die _sich_selber_lieben_ - - mit der grossen Liebe lieben, mit der grossen Verachtung lieben!" Also spricht Zarathustra, der Gottlose. - Doch was rede ich, wo Niemand _meine_ Ohren hat! Es ist hier noch eine Stunde zu frueh fuer mich. Mein eigner Vorlaeufer bin ich unter diesem Volke, mein eigner Hahnen-Ruf durch dunkle Gassen. Aber _ihre_ Stunde kommt! Und es kommt auch die meine! Stuendlich werden sie kleiner, aermer, unfruchtbarer, - armes Kraut! armes Erdreich! Und _bald_ sollen sie mir dastehn wie duerres Gras und Steppe, und wahrlich! ihrer selber muede - und mehr, als nach Wasser, nach _Feuer_ lechzend! Oh gesegnete Stunde des Blitzes! Oh Geheimniss vor Mittag! - Laufende Feuer will ich einst noch aus ihnen machen und Verkuender mit Flammen-Zungen: - - verkuenden sollen sie einst noch mit Flammen-Zungen: Er kommt, er ist nahe, der grosse Mittag! Also sprach Zarathustra. Auf dem Oelberge Der Winter, ein schlimmer Gast, sitzt bei mir zu Hause; blau sind meine Haende von seiner Freundschaft Haendedruck. Ich ehre ihn, diesen schlimmen Gast, aber lasse gerne ihn allein sitzen. Gerne laufe ich ihm davon; und, laeuft man _gut_, so entlaeuft man ihm! Mit warmen Fuessen und warmen Gedanken laufe ich dorthin, wo der Wind stille steht, - zum Sonnen-Winkel meines Oelbergs. Da lache ich meines gestrengen Gastes und bin ihm noch gut, dass er zu Hause mir die Fliegen wegfaengt und vielen kleinen Laerm stille macht. Er leidet es naemlich nicht, wenn eine Muecke singen will, oder gar zwei; noch die Gasse macht er einsam, dass der Mondschein drin Nachts sich fuerchtet. Ein harter Gast ist er, - aber ich ehre ihn, und nicht bete ich, gleich den Zaertlingen, zum dickbaeuchichten Feuer-Goetzen. Lieber noch ein Wenig zaehneklappern als Goetzen anbeten! - so will's meine Art. Und sonderlich bin ich allen bruenstigen dampfenden dumpfigen Feuer-Goetzen gram. Wen ich liebe, den liebe ich Winters besser als Sommers; besser spotte ich jetzt meiner Feinde und herzhafter, seit der Winter mir im Hause sitzt. Herzhaft wahrlich, selbst dann noch, wenn ich zu Bett _krieche_ -: da lacht und muthwillt noch mein verkrochenes Glueck; es lacht noch mein Luegen-Traum. Ich - ein Kriecher? Niemals kroch ich im Leben vor Maechtigen; und log ich je, so log ich aus Liebe. Desshalb bin ich froh auch im Winter-Bette. Ein geringes Bett waermt mich mehr als ein reiches, denn ich bin eifersuechtig auf meine Armuth. Und im Winter ist sie mir am treuesten. Mit einer Bosheit beginne ich jeden Tag, ich spotte des Winters mit einem kalten Bade: darob brummt mein gestrenger Hausfreund. Auch kitzle ich ihn gerne mit einem Wachskerzlein: dass er mir endlich den Himmel herauslasse aus aschgrauer Daemmerung. Sonderlich boshaft bin ich naemlich des Morgens: zur fruehen Stunde, da der Eimer am Brunnen klirrt und die Rosse warm durch graue Gassen wiehern: - Ungeduldig warte ich da, dass mir endlich der lichte Himmel aufgehe, der schneebaertige Winter-Himmel, der Greis und Weisskopf, - - der Winter-Himmel, der schweigsame, der oft noch seine Sonne verschweigt! Lernte ich wohl von ihm das lange lichte Schweigen? Oder lernte er's von mir? Oder hat ein jeder von uns es selbst erfunden? Aller guten Dinge Ursprung ist tausendfaeltig, - alle guten muthwilligen Dinge springen vor Lust in's Dasein: wie sollten sie das immer nur - Ein Mal thun! Ein gutes muthwilliges Ding ist auch das lange Schweigen und gleich dem Winter-Himmel blicken aus lichtem rundaeugichten Antlitze: - - gleich ihm seine Sonne verschweigen und seinen unbeugsamen Sonnen-Willen: wahrlich, diese Kunst und diesen Winter-Muthwillen lernte ich _gut_! Meine liebste Bosheit und Kunst ist es, dass mein Schweigen lernte, sich nicht durch Schweigen zu verrathen. Mit Worten und Wuerfeln klappernd ueberliste ich mir die feierlichen Warter: allen diesen gestrengen Aufpassern soll mein Wille und Zweck entschluepfen. Dass mir Niemand in meinen Grund und letzten Willen hinab sehe, - dazu erfand ich mir das lange lichte Schweigen. So manchen Klugen fand ich: der verschleierte sein Antlitz und truebte sein Wasser, dass Niemand ihm hindurch und hinunter sehe. Aber zu ihm gerade kamen die kluegeren Misstrauer und Nussknacker: ihm gerade fischte man seinen verborgensten Fisch heraus! Sondern die Hellen, die Wackern, die Durchsichtigen - das sind mir die kluegsten Schweiger: denen so _tief_ ihr Grund ist, dass auch das hellste Wasser ihn nicht - verraeth. - Du schneebaertiger schweigender Winter-Himmel, du rundaeugichter Weisskopf ueber mir! Oh du himmlisches Gleichniss meiner Seele und ihres Muthwillens! Und _muss_ ich mich nicht verbergen, gleich Einem, der Gold verschluckt hat, - dass man mir nicht die Seele aufschlitze? _Muss_ ich nicht Stelzen tragen, dass sie meine langen Beine _uebersehen_, - alle diese Neidbolde und Leidholde, die um mich sind? Diese raeucherigen, stubenwarmen, verbrauchten, vergruenten, vergraemelten Seelen - wie _koennte_ ihr Neid mein Glueck ertragen! So zeige ich ihnen nur das Eis und den Winter auf meinen Gipfeln - und _nicht_, dass mein Berg noch alle Sonnenguertel um sich schlingt! Sie hoeren nur meine Winter-Stuerme pfeifen: und _nicht_, dass ich auch ueber warme Meere fahre, gleich sehnsuechtigen, schweren, heissen Suedwinden. Sie erbarmen sich noch meiner Unfaelle und Zufaelle: - aber _mein_ Wort heisst: "lasst den Zufall zu mir kommen: unschuldig ist er, wie ein Kindlein!" Wie _koennten_ sie mein Glueck ertragen, wenn ich nicht Unfaelle und Winter-Noethe und Eisbaeren-Muetzen und Schneehimmel-Huellen um mein Glueck legte! - wenn ich mich nicht selbst ihres _Mitleids_ erbarmte - des Mitleids dieser Neidbolde und Leidholde! - wenn ich nicht selber vor ihnen seufzte und frostklapperte und mich geduldsam in ihr Mitleid wickeln _liesse_! Diess ist der weise Muthwille und Wohlwille meiner Seele, dass sie ihren Winter und ihre Froststuerme _nicht_verbirgt_; sie verbirgt auch ihre Frostbeulen nicht. Des Einen Einsamkeit ist die Flucht des Kranken; des Andern Einsamkeit die Flucht _vor_ den Kranken. Moegen sie mich klappern und seufzen _hoeren_ vor Winterkaelte, alle diese armen scheelen Schelme um mich! Mit solchem Geseufz und Geklapper fluechte ich noch vor ihren geheizten Stuben. Moegen sie mich bemitleiden und bemitseufzen ob meiner Frostbeulen: "am Eis der Erkenntniss _erfriert_ er uns noch!" - so klagen sie. Inzwischen laufe ich mit warmen Fuessen kreuz und quer auf meinem Oelberge: im Sonnen-Winkel meines Oelberges singe und spotte ich alles Mitleids. - Also sang Zarathustra. Vom Voruebergehen Also, durch viel Volk und vielerlei Staedte langsam hindurchschreitend, gierig Zarathustra auf Umwegen zurueck zu seinem Gebirge und seiner Hoehle. Und siehe, dabei kam er unversehens auch an das Stadtthor der _grossen_Stadt_: hier aber sprang ein schaeumender Narr mit ausgebreiteten Haenden auf ihn zu und trat ihm in den Weg. Diess aber war der selbige Narr, welchen das Volk "den Affen Zarathustra's" hiess: denn er hatte ihm Etwas vom Satz und Fall der Rede abgemerkt und borgte wohl auch gerne vom Schatze seiner Weisheit. Der Narr aber redete also zu Zarathustra: "Oh Zarathustra, hier ist die grosse Stadt: hier hast du Nichts zu suchen und Alles zu verlieren. Warum wolltest du durch diesen Schlamm waten? Habe doch Mitleiden mit deinem Fusse! Speie lieber auf das Stadtthor und - kehre um! Hier ist die Hoelle fuer Einsiedler-Gedanken: hier werden grosse Gedanken lebendig gesotten und klein gekocht. Hier verwesen alle grossen Gefuehle: hier duerfen nur klapperduerre Gefuehlchen klappern! Riechst du nicht schon die Schlachthaeuser und Garkuechen des Geistes? Dampft nicht diese Stadt vom Dunst geschlachteten Geistes? Siehst du nicht die Seelen haengen wie schlaffe schmutzige Lumpen? - Und sie machen noch Zeitungen aus diesen Lumpen! Hoerst du nicht, wie der Geist hier zum Wortspiel wurde? Widriges Wort-Spuelicht bricht er heraus! - Und sie machen noch Zeitungen aus diesem Wort-Spuelicht. Sie hetzen einander und wissen nicht, wohin? Sie erhitzen einander und wissen nicht, warum? Sie klimpern mit ihrem Bleche, sie klingeln mit ihrem Golde. Sie sind kalt und suchen sich Waerme bei gebrannten Wassern; sie sind erhitzt und suchen Kuehle bei gefrorenen Geistern; sie sind Alle siech und suechtig an oeffentlichen Meinungen. Alle Lueste und Laster sind hier zu Hause; aber es giebt hier auch Tugendhafte, es giebt viel anstellige angestellte Tugend: - Viel anstellige Tugend mit Schreibfingern und hartem Sitz- und Warte-Fleische, gesegnet mit kleinen Bruststernen und ausgestopften steisslosen Toechtern. Es giebt hier auch viel Froemmigkeit und viel glaeubige Speichel-Leckerei, Schmeichel-Baeckerei vor dem Gott der Heerschaaren. `Von Oben` her traeufelt ja der Stern und der gnaedige Speichel; nach Oben hin sehnt sich jeder sternenlose Busen. Der Mond hat seinen Hof, und der Hof hat seine Mondkaelber: zu Allem aber, was vom Hofe kommt, betet das Bettel-Volk und alle anstellige Bettel-Tugend. `Ich diene, du dienst, wir dienen` - so betet alle anstellige Tugend hinauf zum Fuersten: dass der verdiente Stern sich endlich an den schmalen Busen hefte! Aber der Mond dreht sich noch um alles Irdische: so dreht sich auch der Fuerst noch um das Aller-Irdischste -: das aber ist das Gold der Kraemer. Der Gott der Heerschaaren ist kein Gott der Goldbarren; der Fuerst denkt, aber der Kraemer - lenkt! Bei Allem, was licht und stark und gut in dir ist, oh Zarathustra! Speie auf diese Stadt der Kraemer und kehre um! Hier fliesst alles Blut faulicht und lauicht und schaumicht durch alle Adern: speie auf die grosse Stadt, welche der grosse Abraum ist, wo aller Abschaum zusammenschaeumt! Speie auf die Stadt der eingedrueckten Seelen und schmalen Brueste, der spitzen Augen, der klebrigen Finger - - auf die Stadt der Aufdringlinge, der Unverschaemten, der Schreib- und Schreihaelse, der ueberheizten Ehrgeizigen: - - wo alles Anbruechige, Anruechige, Luesterne, Duesterne, Uebermuerbe, Geschwuerige, Verschwoererische zusammenschwaert: - - speie auf die grosse Stadt und kehre um!" - - Hier aber unterbrach Zarathustra den schaeumenden Narren und hielt ihm den Mund zu. "Hoere endlich auf! rief Zarathustra, mich ekelt lange schon deiner Rede und deiner Art! Warum wohntest du so lange am Sumpfe, dass du selber zum Frosch und zur Kroete werden musstest? Fliesst dir nicht selber nun ein faulichtes schaumichtes Sumpf-Blut durch die Adern, dass du also quaken und laestern lerntest? Warum giengst du nicht in den Wald? Oder pfluegtest die Erde? Ist das Meer nicht voll von gruenen Eilanden? Ich verachte dein Verachten; und wenn du mich warntest, - warum warntest du dich nicht selber? Aus der Liebe allein soll mir mein Verachten und mein warnender Vogel auffliegen: aber nicht aus dem Sumpfe! - Man heisst dich meinen Affen, du schaeumender Narr: aber ich heisse dich mein Grunze-Schwein, - durch Grunzen verdirbst du mir noch mein Lob der Narrheit. Was war es denn, was dich zuerst grunzen machte? Dass Niemand dir genug _geschmeichelt_ hat: - darum setztest du dich hin zu diesem Unrathe, dass du Grund haettest viel zu grunzen, - - dass du Grund haettest zu vieler _Rache_! Rache naemlich, du eitler Narr, ist all dein Schaeumen, ich errieth dich wohl! Aber dein Narren-Wort thut _mir_ Schaden, selbst, wo du Recht hast! Und wenn Zarathustra's Wort sogar hundert Mal Recht _haette_: du wuerdest mit meinem Wort immer - Unrecht _thun_!" Also sprach Zarathustra; und er blickte die grosse Stadt an, seufzte und schwieg lange. Endlich redete er also: Mich ekelt auch dieser grossen Stadt und nicht nur dieses Narren. Hier und dort ist Nichts zu bessern, Nichts zu boesern. Wehe dieser grossen Stadt! - Und ich wollte, ich saehe schon die Feuersaeule, in der sie verbrannt wird! Denn solche Feuersaeulen muessen dem grossen Mittage vorangehn. Doch diess hat seine Zeit und sein eigenes Schicksal. - Diese Lehre aber gebe ich dir, du Narr, zum Abschiede: wo man nicht mehr lieben kann, da soll man - _voruebergehn_! - Also sprach Zarathustra und gieng an dem Narren und der grossen Stadt vorueber. Von den Abtruennigen 1. Ach, liegt Alles schon welk und grau, was noch juengst auf dieser Wiese gruen und bunt stand? Und wie vielen Honig der Hoffnung trug ich von hier in meine Bienenkoerbe! Diese jungen Herzen sind alle schon alt geworden, - und nicht alt einmal! nur muede, gemein, bequem: - sie heissen es "Wir sind wieder fromm geworden." Noch juengst sah ich sie in der Fruehe auf tapferen Fuessen hinauslaufen: aber ihre Fuesse der Erkenntniss wurden muede, und nun verleumden sie auch noch ihre Morgen-Tapferkeit! Wahrlich, Mancher von ihnen hob einst die Beine wie ein Taenzer, ihm winkte das Lachen in meiner Weisheit: - da besann er sich. Eben sah ich ihn krumm - zum Kreuze kriechen. Um Licht und Freiheit flatterten sie einst gleich Muecken und jungen Dichtern. Ein Wenig aelter, ein Wenig kaelter: und schon sind sie Dunkler und Munkler und Ofenhocker. Verzagte ihnen wohl das Herz darob, dass mich die Einsamkeit verschlang gleich einem Wallfische? Lauschte ihr Ohr wohl sehnsuechtig-lange _umsonst_ nach mir und meinen Trompeten- und Herolds-Rufen? - Ach! Immer sind ihrer nur Wenige, deren Herz einen langen Muth und Uebermuth hat; und solchen bleibt auch der Geist geduldsam. Der Rest aber ist _feige_. Der Rest: das sind immer die Allermeisten, der Alltag, der Ueberfluss, die Viel-zu-Vielen - diese alle sind feige! - Wer meiner Art ist, dem werden auch die Erlebnisse meiner Art ueber den Weg laufen: also, dass seine ersten Gesellen Leichname und Possenreisser sein muessen. Seine zweiten Gesellen aber - die werden sich seine _Glaeubigen_ heissen: ein lebendiger Schwarm, viel Liebe, viel Thorheit, viel unbaertige Verehrung. An diese Glaeubigen soll Der nicht sein Herz binden, wer meiner Art unter Menschen ist; an diese Lenze und bunte Wiesen soll Der nicht glauben, wer die fluechtig-feige Menschenart kennt! _Koennten_ sie anders, so wuerden sie auch anders _wollen_. Halb- und Halbe verderben alles Ganze. Dass Blaetter welk werden, - was ist da zu klagen! Lass sie fahren und fallen, oh Zarathustra, und klage nicht! Lieber noch blase mit raschelnden Winden unter sie, - - blase unter diese Blaetter, oh Zarathustra: dass alles _Welke_ schneller noch von dir davonlaufen! - 2. "Wir sind wieder fromm geworden" - so bekennen diese Abtruennigen; und Manche von ihnen sind noch zu feige, also zu bekennen. Denen sehe ich in's Auge, - denen sage ich es in's Gesicht und in die Roethe ihrer Wangen: ihr seid Solche, welche wieder _beten_! Es ist aber eine Schmach, zu beten! Nicht fuer Alle, aber fuer dich und mich und wer auch im Kopfe sein Gewissen hat. Fuer _dich_ ist es eine Schmach, zu beten! Du weisst es wohl: dein feiger Teufel in dir, der gerne Haende-falten und Haende-in-den-Schooss-legen und es bequemer haben moechte: - dieser feige Teufel redet dir zu "es _giebt_ einen Gott!" _Damit_ aber gehoerst du zur lichtscheuen Art, denen Licht nimmer Ruhe laesst; nun musst du taeglich deinen Kopf tiefer in Nacht und Dunst stecken! Und wahrlich, du waehltest die Stunde gut: denn eben wieder fliegen die Nachtvoegel aus. Die Stunde kam allem lichtscheuen Volke, die Abend- und Feierstunde, wo es nicht - "feiert." Ich hoere und rieche es: es kam ihre Stunde fuer Jagd und Umzug, nicht zwar fuer eine wilde Jagd, sondern fuer eine zahme lahme schnueffelnde Leisetreter- und Leisebeter-Jagd, - - fuer eine Jagd auf seelenvolle Duckmaeuser: alle Herzens- Mausefallen sind jetzt wieder aufgestellt! Und wo ich einen Vorhang aufhebe, da kommt ein Nachtfalterchen herausgestuerzt. Hockte es da wohl zusammen mit einem andern Nachtfalterchen? Denn ueberall rieche ich kleine verkrochne Gemeinden; und wo es Kaemmerlein giebt, da giebt es neue Bet-Brueder drin und den Dunst von Bet-Bruedern. Sie sitzen lange Abende bei einander und sprechen: lasset uns wieder werden wie die Kindlein und "lieber Gott" sagen! - an Mund und Magen verdorben durch die frommen Zuckerbaecker. Oder sie sehen lange Abende einer listigen lauernden Kreuzspinne zu, welche den Spinnen selber Klugheit predigt und also lehrt: "unter Kreuzen ist gut spinnen!" Oder sie sitzen Tags ueber mit Angelruthen an Suempfen und glauben sich _tief_ damit; aber wer dort fischt, wo es keine Fische giebt, den heisse ich noch nicht einmal oberflaechlich! Oder sie lernen fromm-froh die Harfe schlagen bei einem Lieder-Dichter, der sich gern jungen Weibchen in's Herz harfnen moechte: - denn er wurde der alten Weibchen muede und ihres Lobpreisens. Oder sie lernen gruseln bei einem gelehrten Halb-Tollen, der in dunklen Zimmern wartet, dass ihm die Geister kommen - und der Geist ganz davonlaeuft! Oder sie horchen einem alten umgetriebnen Schnurr- und Knurrpfeifer zu, der trueben Winden die Truebsal der Toene ablernte; nun pfeift er nach dem Winde und predigt in trueben Toenen Truebsal. Und Einige von ihnen sind sogar Nachtwaechter geworden: die verstehen jetzt in Hoerner zu blasen und Nachts umherzugehn und alte Sachen aufzuwecken, die lange schon eingeschlafen sind. Fuenf Worte von alten Sachen hoerte ich gestern Nachts an der Garten-Mauer: die kamen von solchen alten betruebten trocknen Nachtwaechtern. "Fuer einen Vater sorgt er nicht genug um seine Kinder: Menschen-Vaeter thun diess besser!" - "Er ist zu alt! Er sorgt schon gar nicht mehr um seine Kinder" - also antwortete der andere Nachtwaechter. "_Hat_ er denn Kinder? Niemand kann's beweisen, wenn er's selber nicht beweist! Ich wollte laengst, er bewiese es einmal gruendlich." "Beweisen? Als ob _Der_ je Etwas bewiesen haette! Beweisen faellt ihm schwer; er haelt grosse Stuecke darauf, dass man ihm glaubt." "Ja! Ja! Der Glaube macht ihn selig, der Glaube an ihn. Das ist so die Art alter Leute! So geht's uns auch!" - - Also sprachen zu einander die zwei alten Nachtwaechter und Lichtscheuchen, und tuteten darauf betruebt in ihre Hoerner: so geschah's gestern Nachts an der Garten-Mauer. Mir aber wand sich das Herz vor Lachen und wollte brechen und wusste nicht, wohin? und sank in's Zwerchfell. Wahrlich, das wird noch mein Tod sein, dass ich vor Lachen ersticke, wenn ich Esel betrunken sehe und Nachtwaechter also an Gott zweifeln hoere. Ist es denn nicht _lange_ vorbei auch fuer alle solche Zweifel? Wer darf noch solche alte eingeschlafne lichtscheue Sachen aufwecken! Mit den alten Goettern gieng es ja lange schon zu Ende: - und wahrlich, ein gutes froehliches Goetter-Ende hatten sie! Sie "daemmerten" sich nicht zu Tode, - das luegt man wohl! Vielmehr: sie haben sich selber einmal zu Tode - _gelacht_! Das geschah, als das gottloseste Wort von einem Gotte selber ausgieng, - das Wort: "Es ist Ein Gott! Du sollst keinen andern Gott haben neben mir!" - - ein alter Grimm-Bart von Gott, ein eifersuechtiger vergass sich also: Und alle Goetter lachten damals und wackelten auf ihren Stuehlen und riefen: "Ist das nicht eben Goettlichkeit, dass es Goetter, aber keinen Gott giebt?" Wer Ohren hat, der hoere. - Also redete Zarathustra in der Stadt, die er liebte und welche zubenannt ist die bunte Kuh. Von hier naemlich hatte er nur noch zwei Tage zu gehen, dass er wieder in seine Hoehle kaeme und zu seinen Thieren; seine Seele aber frohlockte bestaendig ob der Naehe seiner Heimkehr. - Die Heimkehr Oh Einsamkeit! Du meine _Heimat_ Einsamkeit! Zu lange lebte ich wild in wilder Fremde, als dass ich nicht mit Thraenen zu dir heimkehrte! Nun drohe mir nur mit dem Finger, wie Muetter drohn, nein laechle mir zu, wie Muetter laecheln, nun sprich nur: "Und wer war das, der wie ein Sturmwind einst von mir davonstuermte? - - der scheidend rief: zu lange sass ich bei der Einsamkeit, da verlernte ich das Schweigen! _Das_ - lerntest du nun wohl? Oh Zarathustra, Alles weiss ich: und dass du unter den Vielen _verlassener_ warst, du Einer, als je bei mir! Ein Anderes ist Verlassenheit, ein Anderes Einsamkeit: _Das_ - lerntest du nun! Und dass du unter Menschen immer wild und fremd sein wirst: -Wild und fremd auch noch, wenn sie dich lieben: denn zuerst von Allem wollen sie _geschont_ sein! Hier aber bist du bei dir zu Heim und Hause; hier kannst du Alles hinausreden und alle Gruende ausschuetten, Nichts schaemt sich hier versteckter, verstockter Gefuehle. Hier kommen alle Dinge liebkosend zu deiner Rede und schmeicheln dir: denn sie wollen auf deinem Ruecken reiten. Auf jedem Gleichniss reitest du hier zu jeder Wahrheit. Aufrecht und aufrichtig darfst du hier zu allen Dingen reden: und wahrlich, wie Lob klingt es ihren Ohren, dass Einer mit allen Dingen - gerade redet! Ein Anderes aber ist Verlassensein. Denn, weisst du noch, oh Zarathustra? Als damals dein Vogel ueber dir schrie, als du im Walde standest, unschluessig, wohin? unkundig, einem Leichnam nahe: - - als du sprachst: moegen mich meine Thiere fuehren! Gefaehrlicher fand ich's unter Menschen, als unter Thieren: - _Das_ war Verlassenheit! Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als du auf deiner Insel sassest, unter leeren Eimern ein Brunnen Weins, gebend und ausgebend, unter Durstigen schenkend und ausschenkend: - bis du endlich durstig allein unter Trunkenen sassest und naechtlich klagtest `ist Nehmen nicht seliger als Geben? Und Stehlen noch seliger als Nehmen?` - _Das_ war Verlassenheit! Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als deine stillste Stunde kam und dich von dir selber forttrieb, als sie mit boesem Fluestern sprach: `Sprich und zerbrich!` - - als sie dir all dein Warten und Schweigen leid machte und deinen demuethigen Muth entmuthigte: _Das_ war Verlassenheit!" - Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit! Wie selig und zaertlich redet deine Stimme zu mir! Wir fragen einander nicht, wir klagen einander nicht, wir gehen offen mit einander durch offne Thueren. Denn offen ist es bei dir und hell; und auch die Stunden laufen hier auf leichteren Fuessen. Im Dunklen naemlich traegt man schwerer an der Zeit, als im Lichte. Hier springen mir alles Seins Worte und Wort-Schreine auf: alles Sein will hier Wort werden, alles Werden will hier von mir reden lernen. Da unten aber - da ist alles Reden umsonst! Da ist Vergessen und Voruebergehn die beste Weisheit: _Das_ - lernte ich nun! Wer Alles bei den Menschen begreifen wollte, der muesste Alles angreifen. Aber dazu habe ich zu reinliche Haende. Ich mag schon ihren Athem nicht einathmen; ach, dass ich so lange unter ihrem Laerm und ueblem Athem lebte! Oh selige Stille um mich! Oh reine Gerueche um mich! Oh wie aus tiefer Brust diese Stille reinen Athem holt! Oh wie sie horcht, diese selige Stille! Aber da unten - da redet Alles, da wird Alles ueberhoert. Man mag seine Weisheit mit Glocken einlaeuten: die Kraemer auf dem Markte werden sie mit Pfennigen ueberklingeln! Alles bei ihnen redet, Niemand weiss mehr zu verstehn. Alles faellt in's Wasser, Nichts faellt mehr in tiefe Brunnen. Alles bei ihnen redet, Nichts geraeth mehr und kommt zu Ende. Alles gackert, aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier brueten? Alles bei ihnen redet, Alles wird zerredet. Und was gestern noch zu hart war fuer die Zeit selber und ihren Zahn: heute haengt es zerschabt und zernagt aus den Maeulern der Heutigen. Alles bei ihnen redet, Alles wird verrathen. Und was einst Geheimniss hiess und Heimlichkeit tiefer Seelen, heute gehoert es den Gassen-Trompetern und andern Schmetterlingen. Oh Menschenwesen, du wunderliches! Du Laerm auf dunklen Gassen! Nun liegst du wieder hinter mir: - meine groesste Gefahr liegt hinter mir! Im Schonen und Mitleiden lag immer meine groesste Gefahr; und alles Menschenwesen will geschont und gelitten sein. Mit verhaltenen Wahrheiten, mit Narrenhand und vernarrtem Herzen und reich an kleinen Luegen des Mitleidens: - also lebte ich immer unter Menschen. Verkleidet sass ich unter ihnen, bereit, _mich_ zu verkennen, dass ich _sie_ ertruege, und gern mir zuredend "du Narr, du kennst die Menschen nicht!" Man verlernt die Menschen, wenn man unter Menschen lebt: zu viel Vordergrund ist an allen Menschen, - was sollen da weitsichtige, weit-suechtige Augen! Und wenn sie mich verkannten: ich Narr schonte sie darob mehr, als mich: gewohnt zur Haerte gegen mich und oft noch an mir selber mich raechend fuer diese Schonung. Zerstochen von giftigen Fliegen und ausgehoehlt, dem Steine gleich, von vielen Tropfen Bosheit, so sass ich unter ihnen und redete mir noch zu: "unschuldig ist alles Kleine an seiner Kleinheit!" Sonderlich Die, welche sich "die Guten" heissen, fand ich als die giftigsten Fliegen: sie stechen in aller Unschuld, sie luegen in aller Unschuld; wie _vermoechten_ sie, gegen mich - gerecht zu sein! Wer unter den Guten lebt, den lehrt Mitleid luegen. Mitleid macht dumpfe Luft allen freien Seelen. Die Dummheit der Guten naemlich ist unergruendlich. Mich selber verbergen und meinen Reichthum - _das_ lernte ich da unten: denn jeden fand ich noch arm am Geiste. Das war der Lug meines Mitleidens, dass ich bei jedem wusste, - dass ich jedem es ansah und anroch, was ihm Geistes _genug_ und was ihm schon Geistes _zuviel_ war! Ihre steifen Weisen: ich hiess sie weise, nicht steif, - so lernte ich Worte verschlucken. Ihre Todtengraeber: ich hiess sie Forscher und Pruefer, - so lernte ich Worte vertauschen. Die Todtengraeber graben sich Krankheiten an. Unter altem Schutte ruhn schlimme Duenste. Man soll den Morast nicht aufruehren. Man soll auf Bergen leben. Mit seligen Nuestern athme ich wieder Berges-Freiheit! Erloest ist endlich meine Nase vom Geruch alles Menschenwesens! Von scharfen Lueften gekitzelt, wie von schaeumenden Weinen, _niest_ meine Seele, - niest und jubelt sich zu: Gesundheit! Also sprach Zarathustra. Von den drei Boesen 1. Im Traum, im letzten Morgentraume stand ich heut auf einem Vorgebirge, - jenseits der Welt, hielt eine Wage und _wog_ die Welt. Oh dass zu frueh mir die Morgenroethe kam: die gluehte mich wach, die Eifersuechtige! Eifersuechtig ist sie immer auf meine Morgentraum-Gluthen. Messbar fuer Den, der Zeit hat, waegbar fuer einen guten Waeger, erfliegbar fuer starke Fittige, errathbar fuer goettliche Nuesseknacker: also fand mein Traum die Welt: - Mein Traum, ein kuehner Segler, halb Schiff, halb Windsbraut, gleich Schmetterlingen schweigsam, ungeduldig gleich Edelfalken: wie hatte er doch zum Welt-Waegen heute Geduld und Weile! Sprach ihm heimlich wohl meine Weisheit zu, meine lachende wache Tags-Weisheit, welche ueber alle "unendliche Welten" spottet? Denn sie spricht: "wo Kraft ist, wird auch die _Zahl_ Meisterin: die hat mehr Kraft." Wie sicher schaute mein Traum auf diese endliche Welt, nicht neugierig, nicht altgierig, nicht fuerchtend, nicht bittend: - - als ob ein voller Apfel sich meiner Hand boete, ein reifer Goldapfel, mit kuehl-sanfter sammtener Haut: - so bot sich mir die Welt: - - als ob ein Baum mir winke, ein breitaestiger, starkwilliger, gekruemmt zur Lehne und noch zum Fussbrett fuer den Wegmueden: so stand die Welt auf meinem Vorgebirge: - - als ob zierliche Haende mir einen Schrein entgegentruegen, - einen Schrein offen fuer das Entzuecken schamhafter verehrender Augen: also bot sich mir heute die Welt entgegen: - - nicht Raethsel genug, um Menschen-Liebe davon zu scheuchen, nicht Loesung genug, um Menschen-Weisheit einzuschlaefern: - ein menschlich gutes Ding war mir heut die Welt, der man so Boeses nachredet! Wie danke ich es meinem Morgentraum, dass ich also in der Fruehe heut die Welt wog! Als ein menschlich gutes Ding kam er zu mir, dieser Traum und Herzenstroester! Und dass ich's ihm gleich thue am Tage und sein Bestes ihm nach- und ablerne: will ich jetzt die drei boesesten Dinge auf die Wage thun und menschlich gut abwaegen. - Wer da segnen lehrte, der lehrte auch fluchen: welches sind in der Welt die drei bestverfluchten Dinge? Diese will ich auf die Wage thun. Wollust, Herrschsucht, Selbstsucht: diese Drei wurden bisher am besten verflucht und am schlimmsten beleu- und beluegenmundet, - diese Drei will ich menschlich gut abwaegen. Wohlauf! Hier ist mein Vorgebirg und da das Meer: _das_ waelzt sich zu mir heran, zottelig, schmeichlerisch, das getreue alte hundertkoepfige Hunds-Ungethuem, das ich liebe. Wohlauf! Hier will ich die Wage halten ueber gewaelztem Meere: und auch einen Zeugen waehle ich, dass er zusehe, - dich, du Einsiedler-Baum, dich starkduftigen, breitgewoelbten, den ich liebe! - Auf welcher Bruecke geht zum Dereinst das Jetzt? Nach welchem Zwange zwingt das Hohe sich zum Niederen? Und was heisst auch das Hoechste noch - hinaufwachsen? - Nun steht die Wage gleich und still: drei schwere Fragen warf ich hinein, drei schwere Antworten traegt die andre Wagschale. 2. Wollust: allen busshemdigen Leib-Veraechtern ihr Stachel und Pfahl, und als "Welt" verflucht bei allen Hinterweltlern: denn sie hoehnt und narrt alle Wirr- und Irr-Lehrer. Wollust: dem Gesindel das langsame Feuer, auf dem es verbrannt wird; allem wurmichten Holze, allen stinkenden Lumpen der bereite Brunst- und Brodel-Ofen. Wollust: fuer die freien Herzen unschuldig und frei, das Garten-Glueck der Erde, aller Zukunft Dankes-Ueberschwang an das Jetzt. Wollust: nur dem Welken ein suesslich Gift, fuer die Loewen-Willigen aber die grosse Herzstaerkung, und der ehrfuerchtig geschonte Wein der Weine. Wollust: das grosse Gleichniss-Glueck fuer hoeheres Glueck und hoechste Hoffnung. Vielem naemlich ist Ehe verheissen und mehr als Ehe, - - Vielem, das fremder sich ist, als Mann und Weib: - und wer begriff es ganz, _wie_fremd_ sich Mann und Weib sind! Wollust: - doch ich will Zaeune um meine Gedanken haben und auch noch um meine Worte: dass mir nicht in meine Gaerten die Schweine und Schwaermer brechen! - Herrschsucht: die Glueh-Geissel der haertesten Herzensharten; die grause Marter, die sich dem Grausamsten selber aufspart; die duestre Flamme lebendiger Scheiterhaufen. Herrschsucht: die boshafte Bremse, die den eitelsten Voelkern aufgesetzt wird; die Verhoehnerin aller ungewissen Tugend; die auf jedem Rosse und jedem Stolze reitet. Herrschsucht: das Erdbeben, das alles Morsche und Hoehlichte bricht und aufbricht; die rollende grollende strafende Zerbrecherin uebertuenchter Graeber; das blitzende Fragezeichen neben vorzeitigen Antworten. Herrschsucht: vor deren Blick der Mensch kriecht und duckt und froehnt und niedriger wird als Schlange und Schwein: - bis endlich die grosse Verachtung aus ihm aufschreie -, Herrschsucht: die furchtbare Lehrerin der grossen Verachtung, welche Staedten und Reichen in's Antlitz predigt "hinweg mit dir!" - bis es aus ihnen selber aufschreie "hinweg mit _mir_!" Herrschsucht: die aber lockend auch zu Reinen und Einsamen und hinauf zu selbstgenugsamen Hoehen steigt, gluehend gleich einer Liebe, welche purpurne Seligkeiten lockend an Erdenhimmel malt. Herrschsucht: doch wer hiesse es _Sucht_, wenn das Hohe hinab nach Macht geluestet! Wahrlich, nichts Sieches und Suechtiges ist an solchem Geluesten und Niedersteigen! Dass die einsame Hoehe sich nicht ewig vereinsame und selbst begnuege; dass der Berg zu Thale komme und die Winde der Hoehe zu den Niederungen: - Oh wer faende den rechten Tauf- und Tugendnamen fuer solche Sehnsucht! "Schenkende Tugend" - so nannte das Unnennbare einst Zarathustra. Und damals geschah es auch, - und wahrlich, es geschah zum ersten Male! - dass sein Wort die _Selbstsucht_ selig pries, die heile, gesunde Selbstsucht, die aus maechtiger Seele quillt: - - aus maechtiger Seele, zu welcher der hohe Leib gehoert, der schoene, sieghafte, erquickliche, um den herum jedwedes Ding Spiegel wird: - der geschmeidige ueberredende Leib, der Taenzer, dessen Gleichniss und Auszug die selbst-lustige Seele ist. Solcher Leiber und Seelen Selbst-Lust heisst sich selber: "Tugend." Mit ihren Worten von Gut und Schlecht schirmt sich solche Selbst-Lust wie mit heiligen Hainen; mit den Namen ihres Gluecks bannt sie von sich alles Veraechtliche. Von sich weg bannt sie alles Feige; sie spricht: Schlecht - das ist feige! Veraechtlich duenkt ihr der immer Sorgende, Seufzende, Klaegliche und wer auch die kleinsten Vortheile aufliest. Sie verachtet auch alle wehselige Weisheit: denn, wahrlich, es giebt auch Weisheit, die im Dunklen blueht, eine Nachtschatten-Weisheit: als welche immer seufzt: "Alles ist eitel!" Das scheue Misstrauen gilt ihr gering, und Jeder, wer Schwuere statt Blicke und Haende will: auch alle allzu misstrauische Weisheit, - denn solche ist feiger Seelen Art. Geringer noch gilt ihr der Schnell-Gefaellige, der Huendische, der gleich auf dem Ruecken liegt, der Demuethige; und auch Weisheit giebt es, die demuethig und huendisch und fromm und schnellgefaellig ist. Verhasst ist ihr gar und ein Ekel, wer nie sich wehren will, wer giftigen Speichel und boese Blicke hinunterschluckt, der All-zu-Geduldige, Alles-Dulder, Allgenuegsame: das naemlich ist die knechtische Art. Ob Einer vor Goettern und goettlichen Fusstritten knechtisch ist, ob vor Menschen und bloeden Menschen-Meinungen: _alle_ Knechts-Art speit sie an, diese selige Selbstsucht! Schlecht: so beisst sie Alles, was geknickt und knickerisch-knechtisch ist, unfreie Zwinker-Augen, gedruckte Herzen, und jene falsche nachgebende Art, welche mit breiten feigen Lippen kuesst. Und After-Weisheit: so heisst sie Alles, was Knechte und Greise und Muede witzeln; und sonderlich die ganze schlimme aberwitzige, ueberwitzige Priester-Narrheit! Die After-Weisen aber, alle die Priester, Weltmueden und wessen Seele von Weibs- und Knechtsart ist, - oh wie hat ihr Spiel von jeher der Selbstsucht uebel mitgespielt! Und Das gerade sollte Tugend sein und Tugend heissen, _dass_ man der Selbstsucht uebel mitspiele! Und "selbstlos" - so wuenschten sich selber mit gutem Grunde alle diese weltmueden Feiglinge und Kreuzspinnen! Aber denen Allen kommt nun der Tag, die Wandlung, das Richtschwert, _der_grosse_Mittag_: da soll Vieles offenbar werden! Und wer das Ich heil und heilig spricht und die Selbstsucht selig, wahrlich, der spricht auch, was er weiss, ein Weissager: "Siehe, er kommt, er ist nahe, der grosse Mittag!" Also sprach Zarathustra. Vom Geist der Schwere 1. Mein Mundwerk - ist des Volks: zu grob und herzlich rede ich fuer die Seidenhasen. Und noch fremder klingt mein Wort allen Tinten-Fischen und Feder-Fuechsen. Meine Hand - ist eine Narrenhand: wehe allen Tischen und Waenden, und was noch Platz hat fuer Narren-Zierath, Narren-Schmierath! Mein Fuss - ist ein Pferdefuss; damit trapple und trabe ich ueber Stock und Stein, kreuz- und querfeld-ein und bin des Teufels vor Lust bei allem schnellen Laufen. Mein Magen - ist wohl eines Adlers Magen? Denn er liebt am liebsten Lammfleisch. Gewisslich aber ist er eines Vogels Magen. Von unschuldigen Dingen genaehrt und von Wenigem, bereit und ungeduldig zu fliegen, davonzufliegen - das ist nun meine Art: wie sollte nicht Etwas daran von Vogel-Art sein! Und zumal, dass ich dem Geist der Schwere feind bin, das ist Vogel-Art: und wahrlich, todfeind, erzfeind, urfeind! Oh wohin flog und verflog sich nicht schon meine Feindschaft! Davon koennte ich schon ein Lied singen - - und _will_ es singen: ob ich gleich allein in leerem Hause bin und es meinen eignen Ohren singen muss. Andre Saenger giebt es freilich, denen macht das volle Haus erst ihre Kehle weide, ihre Hand gespraechig, ihr Auge ausdruecklich, ihr Herz wach: - Denen gleiche ich nicht. - 2. Wer die Menschen einst fliegen lehrt, der hat alle Grenzsteine verrueckt; alle Grenzsteine selber werden ihm in die Luft fliegen, die Erde wird er neu taufen - als "die Leichte." Der Vogel Strauss laeuft schneller als das schnellste Pferd, aber auch er steckt noch den Kopf schwer in schwere Erde: also der Mensch, der noch nicht fliegen kann. Schwer heisst ihm Erde und Leben; und so _will_ es der Geist der Schwere! Wer aber leicht werden will und ein Vogel, der muss sich selber lieben: - also lehre _ich_. Nicht freilich mit der Liebe der Siechen und Suechtigen: denn bei denen stinkt auch die Eigenliebe! Man muss sich selber lieben lernen - also lehre ich - mit einer heilen und gesunden Liebe: dass man es bei sich selber aushalte und nicht umherschweife. Solches Umherschweifen tauft sich "Naechstenliebe": mit diesem Worte ist bisher am besten gelogen und geheuchelt worden, und sonderlich von Solchen, die aller Welt schwer fielen. Und wahrlich, das ist kein Gebot fuer Heute und Morgen, sich lieben _lernen_. Vielmehr ist von allen Kuensten diese die feinste, listigste, letzte und geduldsamste. Fuer seinen Eigener ist naemlich alles Eigene gut versteckt; und von allen Schatzgruben wird die eigne am spaetesten ausgegraben, - also schafft es der Geist der Schwere. Fast in der Wiege giebt man uns schon schwere Worte und Werthe mit: "gut" und "boese" - so heisst sich diese Mitgift. Um derentwillen vergiebt man uns, dass wir leben. Und dazu laesst man die Kindlein zu sich kommen, dass man ihnen bei Zeiten wehre, sich selber zu lieben: also schafft es der Geist der Schwere. Und wir - wir schleppen treulich, was man uns mitgiebt, auf harten Schultern und ueber rauhe Berge! Und schwitzen wir, so sagt man uns: "Ja, das Leben ist schwer zu tragen!" Aber der Mensch nur ist sich schwer zu tragen! Das macht, er schleppt zu vieles Fremde auf seinen Schultern. Dem Kameele gleich kniet er nieder und laesst sich gut aufladen. Sonderlich der starke, tragsame Mensch, dem Ehrfurcht innewohnt: zu viele _fremde_ schwere Worte und Werthe laedt er auf sich, - nun duenkt das Leben ihm eine Wueste! Und wahrlich! Auch manches _Eigene_ ist schwer zu tragen! Und viel Inwendiges am Menschen ist der Auster gleich, naemlich ekel und schluepfrig und schwer erfasslich -, - also dass eine edle Schale mit edler Zierath fuerbitten muss. Aber auch diese Kunst muss man lernen: Schale _haben_ und schoenen Schein und kluge Blindheit! Abermals truegt ueber Manches am Menschen, dass manche Schale gering und traurig und zu sehr Schale ist. Viel verborgene Guete und Kraft wird nie errathen; die koestlichsten Leckerbissen finden keine Schmecker! Die Frauen wissen das, die koestlichsten: ein Wenig fetter, ein Wenig magerer - oh wie viel Schicksal liegt in so Wenigem! Der Mensch ist schwer zu entdecken und sich selber noch am schwersten; oft luegt der Geist ueber die Seele. Also schafft es der Geist der Schwere. Der aber hat sich selber entdeckt, welcher spricht: Das ist _mein_ Gutes und Boeses: damit hat er den Maulwurf und Zwerg stumm gemacht, welcher spricht "Allen gut, Allen boes." Wahrlich, ich mag auch Solche nicht, denen jegliches Ding gut und diese Welt gar die beste heisst. Solche nenne ich die Allgenuegsamen. Allgenuegsamkeit, die Alles zu schmecken weiss: das ist nicht der beste Geschmack! Ich ehre die widerspaenstigen waehlerischen Zungen und Maegen, welche "Ich" und "Ja" und "Nein" sagen lernten. Alles aber kauen und verdauen - das ist eine rechte Schweine-Art! Immer I-a sagen - das lernte allein der Esel, und wer seines Geistes ist! - Das tiefe Gelb und das heisse Roth: so will es _mein_ Geschmack, - der mischt Blut zu allen Farben. Wer aber sein Haus weiss tuencht, der verraeth mir eine weissgetuenchte Seele. In Mumien verliebt die Einen, die Andern in Gespenster; und Beide gleich feind allem Fleisch und Blute - oh wie gehen Beide mir wider den Geschmack! Denn ich liebe Blut. Und dort will ich nicht wohnen und weilen, wo Jedermann spuckt und speit: das ist nun _mein_ Geschmack, - lieber noch lebte ich unter Dieben und Meineidigen. Niemand traegt Gold im Munde. Widriger aber sind mir noch alle Speichellecker; und das widrigste Thier von Mensch, das ich fand, das taufte ich Schmarotzer: das wollte nicht lieben und doch von Liebe leben. Unselig heisse ich Alle, die nur Eine Wahl haben: boese Thiere zu werden oder boese Thierbaendiger: bei Solchen wuerde ich mir keine Huetten bauen. Unselig heisse ich auch Die, welche immer _warten_ muessen, - die gehen mir wider den Geschmack: alle die Zoellner und Kraemer und Koenige und andren Laender- und Ladenhueter. Wahrlich, ich lernte das Warten auch und von Grund aus, - aber nur das Warten auf _mich_. Und ueber Allem lernte ich stehn und gehn und laufen und springen und klettern und tanzen. Das ist aber meine Lehre: wer einst fliegen lernen will, der muss erst stehn und gehn und laufen und klettern und tanzen lernen: - man erfliegt das Fliegen nicht! Mit Strickleitern lernte ich manches Fenster erklettern, mit hurtigen Beinen klomm ich auf hohe Masten: auf hohen Masten der Erkenntniss sitzen duenkte mich keine geringe Seligkeit, - - gleich kleinen Flammen flackern auf hohen Masten: ein kleines Licht zwar, aber doch ein grosser Trost fuer verschlagene Schiffer und Schiffbruechige! - Auf vielerlei Weg und Weise kam ich zu meiner Wahrheit; nicht auf Einer Leiter stieg ich zur Hoehe, wo mein Auge in meine Ferne schweift. Und ungern nur fragte ich stets nach Wegen, - das gieng mir immer wider den Geschmack! Lieber fragte und versuchte ich die Wege selber. Ein Versuchen und Fragen war all mein Gehen: - und wahrlich, auch antworten muss man _lernen_ auf solches Fragen! Das aber - ist mein Geschmack: - kein guter, kein schlechter, aber _mein_ Geschmack, dessen ich weder Scham noch Hehl mehr habe. "Das - ist nun _mein_ Weg, - wo ist der eure?" so antwortete ich Denen, welche mich "nach dem Wege" fragten. _Den_ Weg naemlich - den giebt es nicht! Also sprach Zarathustra. Von alten und neuen Tafeln 1. Hier sitze ich und warte, alte zerbrochene Tafeln um mich und auch neue halb beschriebene Tafeln. Wann kommt meine Stunde? - die Stunde meines Niederganges, Unterganges: denn noch Ein Mal will ich zu den Menschen gehn. Dess warte ich nun: denn erst muessen mir die Zeichen kommen, dass es _meine_ Stunde sei, - naemlich der lachende Loewe mit dem Taubenschwarme. Inzwischen rede ich als Einer, der Zeit hat, zu mir selber. Niemand erzaehlt mir Neues: so erzaehle ich mir mich selber. - 2. Als ich zu den Menschen kam, da fand ich sie sitzen auf einem alten Duenkel: Alle duenkten sich lange schon zu wissen, was dem Menschen gut und boese sei. Eine alte muede Sache duenkte ihnen alles Reden von Tugend; und wer gut schlafen wollte, der sprach vor Schlafengehen noch von "Gut" und "Boese". Diese Schlaeferei stoerte ich auf, als ich lehrte: was gut und boese ist, _das_weiss_noch_Niemand_: - es sei denn der Schaffende! - Das aber ist Der, welcher des Menschen Ziel schafft und der Erde ihren Sinn giebt und ihre Zukunft: Dieser erst _schafft_ es, _dass_ Etwas gut und boese ist. Und ich hiess sie ihre alten Lehr-Stuehle umwerfen, und wo nur jener alte Duenkel gesessen hatte; ich hiess sie lachen ueber ihre grossen Tugend-Meister und Heiligen und Dichter und Welt-Erloeser. Ueber ihre duesteren Weisen hiess ich sie lachen, und wer je als schwarze Vogelscheuche warnend auf dem Baume des Lebens gesessen hatte. An ihre grosse Graeberstrasse setzte ich mich und selber zu Aas und Geiern - und ich lachte ueber all ihr Einst und seine muerbe verfallende Herrlichkeit. Wahrlich, gleich Busspredigern und Narrn schrie ich Zorn und Zeter ueber all ihr Grosses und Kleines -, dass ihr Bestes so gar klein ist! Dass ihr Boesestes so gar klein ist! - also lachte ich. Meine weise Sehnsucht schrie und lachte also aus mir, die auf Bergen geboren ist, eine wilde Weisheit wahrlich! - meine grosse fluegelbrausende Sehnsucht. Und oft riss sie mich fort und hinauf und hinweg und mitten im Lachen: da flog ich wohl schaudernd, ein Pfeil, durch sonnentrunkenes Entzuecken: - hinaus in ferne Zukuenfte, die kein Traum noch sah, in heissere Sueden, als je sich Bildner traeumten: dorthin, wo Goetter tanzend sich aller Kleider schaemen: - - dass ich naemlich in Gleichnissen rede und gleich Dichtern hinke und stammle: und wahrlich, ich schaeme mich, dass ich noch Dichter sein muss! - Wo alles Werden mich Goetter-Tanz und Goetter-Muthwillen duenkte, und die Welt los- und ausgelassen und zu sich selber zurueckfliehend: - - als ein ewiges Sich-fliehn und -Wiedersuchen vieler Goetter, als das selige Sich-Widersprechen, Sich-Wieder-hoeren, Sich-Wieder-Zugehoeren vieler Goetter: - Wo alle Zeit mich ein seliger Hohn auf Augenblicke duenkte, wo die Nothwendigkeit die Freiheit selber war, die selig mit dem Stachel der Freiheit spielte: - Wo ich auch meinen alten Teufel und Erzfeind wiederfand, den Geist der Schwere und Alles, was er schuf: Zwang, Satzung, Noth und Folge und Zweck und Wille und Gut und Boese: - Denn muss nicht dasein, _ueber_ das getanzt, hinweggetanzt werde? Muessen nicht um der Leichten, Leichtesten willen - Maulwuerfe und schwere Zwerge dasein? - - 3. Dort war's auch, wo ich das Wort "Uebermensch" vom Wege auflas, und dass der Mensch Etwas sei, das ueberwunden werden muesse, - dass der Mensch eine Bruecke sei und kein Zweck: sich selig preisend ob seines Mittags und Abends, als Weg zu neuen Morgenroethen: - das Zarathustra-Wort vom grossen Mittage, und was sonst ich ueber den Menschen aufhaengte, gleich purpurnen zweiten Abendroethen. Wahrlich, auch neue Sterne liess ich sie sehn sammt neuen Naechten; und ueber Wolken und Tag und Nacht spannte ich noch das Lachen aus wie ein buntes Gezelt. Ich lehrte sie all _mein_ Dichten und Trachten: in Eins zu dichten und zusammen zu tragen, was Bruchstueck ist am Menschen und Raethsel und grauser Zufall, - - als Dichter, Raethselrather und Erloeser des Zufalls lehrte ich sie an der Zukunft schaffen, und Alles, das _war_ -, schaffend zu erloesen. Das Vergangne am Menschen zu erloesen und alles "Es war" umzuschauen, bis der Wille spricht: "Aber so wollte ich es! So werde ich's wollen -" - Diess hiess ich ihnen Erloesung, Diess allein lehrte ich sie Erloesung heissen. - - Nun warte ich _meiner_ Erloesung -, dass ich zum letzten Male zu ihnen gehe. Denn noch Ein Mal will ich zu den Menschen: _unter_ ihnen will ich untergehen, sterbend will ich ihnen meine reichste Gabe geben! Der Sonne lernte ich Das ab, wenn sie hinabgeht, die Ueberreiche: Gold schuettet sie da in's Meer aus unerschoepflichem Reichthume, - - also, dass der aermste Fischer noch mit _goldenem_ Ruder rudert! Diess naemlich sah ich einst und wurde der Thraenen nicht satt im Zuschauen. - - Der Sonne gleich will auch Zarathustra untergehn: nun sitzt er hier und wartet, alte zerbrochne Tafeln um sich und auch neue Tafeln, - halbbeschriebene. 4. Siehe, hier ist eine neue Tafel: aber wo sind meine Brueder, die sie mit mir zu Thale und in fleischerne Herzen tragen? - Also heischt es meine grosse Liebe zu den Fernsten: schone deinen Naechsten nicht! Der Mensch ist Etwas, das ueberwunden werden muss. Es giebt vielerlei Weg und Weise der Ueberwindung.- da siehe _du_ zu! Aber nur ein Possenreisser denkt: "der Mensch kann auch _uebersprungen_ werden." Ueberwinde dich selber noch in deinem Naechsten: und ein Recht, das du dir rauben kannst, sollst du dir nicht geben lassen! Was du thust, das kann dir Keiner wieder thun. Siehe, es giebt keine Vergeltung. Wer sich nicht befehlen kann, der soll gehorchen. Und Mancher _kann_ sich befehlen, aber da fehlt noch Viel, dass er sich auch gehorche! 5. Also will es die Art edler Seelen: sie wollen Nichts _umsonst_ haben, am wenigsten das Leben. Wer vom Poebel ist, der will umsonst leben; wir Anderen aber, denen das Leben sich gab, - wir sinnen immer darueber, _was_ wir am besten _dagegen_ geben! Und wahrlich, diess ist eine vornehme Rede, welche spricht: "was _uns_ das Leben verspricht, das wollen _wir_ - dem Leben halten!" Man soll nicht geniessen wollen, wo man nicht zu geniessen giebt. Und - man soll nicht geniessen _wollen_! Genuss und Unschuld naemlich sind die schamhaftesten Dinge: Beide wollen nicht gesucht sein. Man soll sie _haben_ -, aber man soll eher noch nach Schuld und Schmerzen _suchen_! - 6. Oh meine Brueder, wer ein Erstling ist, der wird immer geopfert. Nun aber sind wir Erstlinge. Wir bluten Alle an geheimen Opfertischen, wir brennen und braten Alle zu Ehren alter Goetzenbilder. Unser Bestes ist noch jung: das reizt alte Gaumen. Unser Fleisch ist zart, unser Fell ist nur ein Lamm-Fell: - wie sollten wir nicht alte Goetzenpriester reizen! _In_uns_selber_ wohnt er noch, der alte Goetzenpriester, der unser Bestes sich zum Schmause braet. Ach, meine Brueder, wie sollten Erstlinge nicht Opfer sein! Aber so will es unsre Art; und ich liebe Die, welche sich nicht bewahren wollen. Die Untergehenden liebe ich mit meiner ganzen Liebe: denn sie gehn hinueber. - 7. Wahr sein - das _koennen_ Wenige! Und wer es kann, der will es noch nicht! Am wenigsten aber koennen es die Guten. Oh diese Guten! - Gute Menschen reden nie die Wahrheit; fuer den Geist ist solchermaassen gut sein eine Krankheit. Sie geben nach, diese Guten, sie ergeben sich, ihr Herz spricht nach, ihr Grund gehorcht; wer aber gehorcht, der hoert sich selber nicht! Alles, was den Guten boese heisst, muss zusammen kommen, dass Eine Wahrheit geboren werde: oh meine Brueder, seid ihr auch boese genug zu _dieser_ Wahrheit? Das verwegene Wagen, das lange Misstrauen, das grausame Nein, der Ueberdruss, das Schneiden in's Lebendige - wie selten kommt _das_ zusammen! Aus solchem Samen aber wird Wahrheit gezeugt! _Neben_ dem boesen Gewissen wuchs bisher alles _Wissen_! Zerbrecht, zerbrecht mir, ihr Erkennenden, die alten Tafeln! 8. Wenn das Wasser Balken hat, wenn Stege und Gelaender ueber den Fluss springen: wahrlich, da findet Keiner Glauben, der da spricht: "Alles ist im Fluss." Sondern selber die Toelpel widersprechen ihm. "Wie? sagen die Toelpel, Alles waere im Flusse? Balken und Gelaender sind doch _ueber_ dem Flusse!" "_Ueber_ dem Flusse ist Alles fest, alle die Werthe der Dinge, die Bruecken, Begriffe, alles `Gut` und `Boese`: das ist Alles fest!" - Kommt gar der harte Winter, der Fluss-Thierbaendiger: dann lernen auch die Witzigsten Misstrauen; und, wahrlich, nicht nur die Toelpel sprechen dann: "Sollte nicht Alles - _stille_stehn_?" "Im Grunde steht Alles stille" -, das ist eine rechte Winter-Lehre, ein gut Ding fuer unfruchtbare Zeit, ein guter Trost fuer Winterschlaefer und Ofenhocker. "Im Grund steht Alles still" -: _dagegen_ aber predigt der Thauwind! Der Thauwind, ein Stier, der kein pfluegender Stier ist, - ein wuethender Stier, ein Zerstoerer, der mit zornigen Hoernern Eis bricht! Eis aber - - _bricht_Stege_! Oh meine Brueder, ist _jetzt_ nicht Alles _im_Flusse_? Sind nicht alle Gelaender und Stege in's Wasser gefallen? Wer _hielte_ sich noch an "Gut" und "Boese"? "Wehe uns! Heil uns! Der Thauwind weht!" - Also predigt mir, oh meine Brueder, durch alle Gassen! 9. Es giebt einen alten Wahn, der heisst Gut und Boese. Um Wahrsager und Sterndeuter drehte sich bisher das Rad dieses Wahns. Einst glaubte man an Wahrsager und Sterndeuter: und darum glaubte man "Alles ist Schicksal: du sollst, denn du musst!" Dann wieder misstraute man allen Wahrsagern und Sterndeutern: und _darum_ glaubte man "Alles ist Freiheit: du kannst, denn du willst!" Oh meine Brueder, ueber Sterne und Zukunft ist bisher nur gewaehnt, nicht gewusst worden: und _darum_ ist ueber Gut und Boese bisher nur gewaehnt, nicht gewusst worden! 10. "Du sollst nicht rauben! Du sollst nicht todtschlagen!" - solche Worte hiess man einst heilig; vor ihnen beugte man Knie und Koepfe und zog die Schuhe aus. Aber ich frage euch: wo gab es je bessere Raeuber und Todtschlaeger in der Welt, als es solche heilige Worte waren? Ist in allem Leben selber nicht - Rauben und Todtschlagen? Und dass solche Worte heilig hiessen, wurde damit die _Wahrheit_ selber nicht - todtgeschlagen? Oder war es eine Predigt des Todes, dass heilig hiess, was allem Leben widersprach und widerrieth? - Oh meine Brueder, zerbrecht, zerbrecht mir die alten tafeln! 11. Diess ist mein Mitleid mit allem Vergangenen, dass ich sehe: es ist preisgegeben, - - der Gnade, dem Geiste, dem Wahnsinne jedes Geschlechtes preisgegeben, das kommt und Alles, was war, zu seiner Bruecke umdeutet! Ein grosser Gewalt-Herr koennte kommen, ein gewitzter Unhold, der mit seiner Gnade und Ungnade alles Vergangene zwaenge und zwaengte: bis es ihm Bruecke wuerde und Vorzeichen und Herold und Hahnenschrei. Diess aber ist die andre Gefahr und mein andres Mitleiden: - wer vom Poebel ist, dessen Gedenken geht zurueck bis zum Grossvater, - mit dem Grossvater aber hoert die Zeit auf. Also ist alles Vergangene preisgegeben: denn es koennte einmal kommen, dass der Poebel Herr wuerde und in seichten Gewaessern alle Zeit ertraenke. Darum, oh meine Brueder, bedarf es eines _neuen_Adels_, der allem Poebel und allem Gewalt-Herrischen Widersacher ist und auf neue Tafeln neu das Wort schreibt "edel". Vieler Edlen naemlich bedarf es und vielerlei Edlen, dass es Adel gebe! Oder, wie ich einst im Gleichniss sprach: "Das eben ist Goettlichkeit, dass es Goetter, aber keinen Gott giebt!" 12. Oh meine Brueder, ich weihe und weise euch zu einem neuen Adel: ihr sollt mir Zeuger und Zuechter werden und Saeemaenner der Zukunft, - - wahrlich, nicht zu einem Adel, den ihr kaufen koenntet gleich den Kraemern und mit Kraemer-Golde: denn wenig Werth hat Alles, was seinen Preis hat. Nicht, woher ihr kommt, mache euch fuerderhin eure Ehre, sondern wohin ihr geht! Euer Wille und euer Fuss, der ueber euch selber hinaus will, - das mache eure neue Ehre! Wahrlich nicht, dass ihr einem Fuersten gedient habt - was liegt noch an Fuersten! - oder dem, was steht, zum Bollwerk wurdet, dass es fester stuende! Nicht, dass euer Geschlecht an Hoefen hoefisch wurde, und ihr lerntet, bunt, einem Flamingo aehnlich, lange Stunden in flachen Teichen stehn. - Denn Stehen-_koennen_ ist ein Verdienst bei Hoeflingen; und alle Hoeflinge glauben, zur Seligkeit nach dem Tode gehoere - Sitzen-_duerfen_! - Nicht auch, dass ein Geist, den sie heilig nennen, eure Vorfahren in gelobte Laender fuehrte, die _ich_ nicht lobe: denn wo der schlimmste aller Baeume wuchs, das Kreuz, - an dem Lande ist Nichts zu loben! - - und wahrlich, wohin dieser "heilige Geist" auch seine Ritter fuehrte, immer liefen bei solchen Zuegen - Ziegen und Gaense und Kreuz- und Querkoepfe _voran_! - Oh meine Brueder, nicht zurueck soll euer Adel schauen, sondern _hinaus_! Vertriebene sollt ihr sein aus allen Vater- und Urvaeterlaendern! Eurer Kinder Land sollt ihr lieben: diese Liebe sei euer neuer Adel, - das unentdeckte, im feinsten Meere! Nach ihm heisse ich eure Segel suchen und suchen! An euren Kindern sollt ihr _gutmachen_, dass ihr eurer Vaeter Kinder seid: alles Vergangene sollt ihr _so_ erloesen! Diese neue Tafel stelle ich ueber euch! 13. "Wozu leben? Alles ist eitel! Leben - das ist Stroh dreschen; Leben - das ist sich verbrennen und doch nicht warm werden." - Solch alterthuemliches Geschwaetz gilt immer noch als "Weisheit"; dass es aber alt ist und dumpfig riecht, _darum_ wird es besser geehrt. Auch der Moder adelt. - Kinder durften so reden: die _scheuen_ das Feuer, weil es sie brannte! Es ist viel Kinderei in den alten Buechern der Weisheit. Und wer immer "Stroh drischt", wie sollte der auf das Dreschen laestern duerfen! Solchem Narren muesste man doch das Maul verbinden! Solche setzen sich zu Tisch und bringen Nichts mit, selbst den guten Hunger nicht: - und nun laestern sie "Alles ist eitel!" Aber gut essen und trinken, oh meine Brueder, ist wahrlich keine eitle Kunst! Zerbrecht, zerbrecht mir die Tafeln der Nimmer-Frohen! 14. "Dem Reinen ist Alles rein" - so spricht das Volk. Ich aber sage euch: den Schweinen wird Alles Schwein! Darum predigen die Schwaermer und Kopfhaenger, denen auch das Herz niederhaengt: "die Welt selber ist ein kothiges Ungeheuer." Denn diese Alle sind unsaeuberlichen Geistes; sonderlich aber Jene, welche nicht Ruhe, noch Rast haben, es sei denn, sie sehen die Welt _von_hinten_, - die Hinterweltler! _Denen_ sage ich in's Gesicht, ob es gleich nicht lieblich klingt: die Welt gleicht darin dem Menschen, dass sie einen Hintern hat, - _so_Viel_ ist wahr! Es giebt in der Welt viel Koth: _so_Viel_ ist wahr! Aber darum ist die Welt selber noch kein kothiges Ungeheuer! Es ist Weisheit darin, dass Vieles in der Welt uebel riecht: der Ekel selber schafft Fluegel und quellenahnende Kraefte! An dem Besten ist noch Etwas zum Ekeln; und der Beste ist noch Etwas, das ueberwunden werden muss! - Oh meine Brueder, es ist viel Weisheit darin, dass viel Koth in der Welt ist! - 15. Solche Sprueche hoerte ich fromme Hinterweltler zu ihrem Gewissen reden; und wahrlich, ohne Arg und Falsch, - ob es Schon nichts Falscheres in der Welt giebt, noch Aergeres. "Lass doch die Welt der Welt sein! Hebe dawider auch nicht Einen Finger auf!" "Lass, wer da wolle, die Leute wuergen und stechen und schneiden und schaben: hebe dawider auch nicht Einen Finger auf! Darob lernen sie noch der Welt absagen." "Und deine eigne Vernunft - die sollst du selber goergeln und wuergen; denn es ist eine Vernunft von dieser Welt, - darob lernst du selber der Welt absagen." - - Zerbrecht, zerbrecht mir, oh meine Brueder, diese alten Tafeln der Frommen! Zersprecht mir die Sprueche der Welt-Verleumder! 16. "Wer viel lernt, der verlernt alles heftige Begehren" - das fluestert man heute sich zu auf allen dunklen Gassen. "Weisheit macht muede, es lohnt sich - Nichts; du sollst nicht begehren!" - diese neue Tafel fand ich haengen selbst auf offnen Maerkten. Zerbrecht mir, oh meine Brueder, zerbrecht mir auch diese _neue_ Tafel! Die Welt-Mueden haengten sie hin und die Prediger des Todes, und auch die Stockmeister: denn seht, es ist auch eine Predigt zur Knechtschaft! - Dass sie schlecht lernten und das Beste nicht, und Alles zu frueh und Alles zu geschwind: dass sie schlecht _assen_, daher kam ihnen jener verdorbene Magen, - - ein verdorbener Magen ist naemlich ihr Geist: _der_ raeth zum Tode! Denn wahrlich, meine Brueder, der Geist _ist_ ein Magen! Das Leben ist ein Born der Lust: aber aus wem der verdorbene Magen redet, der Vater der Truebsal, dem sind alle Quellen vergiftet. Erkennen: das ist _Lust_ dem Loewen-willigen! Aber wer muede wurde, der wird selber nur "gewollt", mit dem spielen alle Wellen. Und so ist es immer schwacher Menschen Art: sie verlieren sich auf ihren Wegen. Und zuletzt fragt noch ihre Muedigkeit: "wozu giengen wir jemals Wege! Es ist Alles gleich!" _Denen_ klingt es lieblich zu Ohren, dass gepredigt wird: "Es verlohnt sich Nichts! Ihr sollt nicht wollen!" Diess aber ist eine Predigt zur Knechtschaft. Oh meine Brueder, ein frischer Brause-Wind kommt Zarathustra allen Weg-Mueden; viele Nasen wird er noch niesen machen! Auch durch Mauern blaest mein freier Athem, und hinein in Gefaengnisse und eingefangne Geister! Wollen befreit: denn Wollen ist Schaffen: so lehre ich. Und _nur_ zum Schaffen sollt ihr lernen! Und auch das Lernen sollt ihr erst von mir _lernen_, das Gut-Lernen! - Wer Ohren hat, der hoere! 17. Da steht der Nachen, - dort hinueber geht es vielleicht in's grosse Nichts. - Aber wer will in diess "Vielleicht" einsteigen? Niemand von euch will in den Todes-Nachen einsteigen! Wieso wollt ihr dann _Welt-Muede_ sein! Weltmuede! Und noch nicht einmal Erd-Entrueckte wurdet ihr! Luestern fand ich euch immer noch nach Erde, verliebt noch in die eigne Erd-Muedigkeit! Nicht umsonst haengt euch die Lippe herab: - ein kleiner Erden-Wunsch sitzt noch darauf! Und im Auge - schwimmt da nicht ein Woelkchen unvergessner Erden-Lust? Es giebt auf Erden viel gute Erfindungen, die einen nuetzlich, die andern angenehm: derentwegen ist die Erde zu lieben. Und mancherlei so gut Erfundenes giebt es da, dass es ist wie des Weibes Busen: nuetzlich zugleich und angenehm. Ihr Welt-Mueden aber! Ihr Erden-Faulen! Euch soll man mit Ruthen streichen! Mit Ruthenstreichen soll man euch wieder muntre Beine machen. Denn: seid ihr nicht Kranke und verlebte Wichte, deren die Erde muede ist, so seid ihr schlaue Faulthiere oder naschhafte verkrochene Lust-Katzen. Und wollt ihr nicht wieder lustig _laufen_, so sollt ihr - dahinfahren! An Unheilbaren soll man nicht Arzt sein wollen: also lehrt es Zarathustra: - so sollt ihr dahinfahren! Aber es gehoert mehr _Muth_ dazu, ein Ende zu machen, als einen neuen Vers: das wissen alle Aerzte und Dichter. - 18. Oh meine Brueder, es giebt Tafeln, welche die Ermuedung, und Tafeln, welche die Faulheit schuf, die faulige: ob sie schon gleich reden, so wollen sie doch ungleich gehoert sein. - Seht hier diesen Verschmachtenden! Nur eine Spanne weit ist er noch von seinem Ziele, aber vor Muedigkeit hat er sich trotzig hier in den Staub gelegt: dieser Tapfere! Vor Muedigkeit gaehnt er Weg und Erde und Ziel und sich selber an: keinen Schritt will er noch weiter thun, - dieser Tapfere! Nun glueht die Sonne auf ihn, und die Hunde lecken nach seinem Schweisse: aber er liegt da in seinem Trotze und will lieber verschmachten: - - eine Spanne weit von seinem Ziele verschmachten! Wahrlich, ihr werdet ihn noch an den Haaren in seinen Himmel ziehen muessen, - diesen Helden! Besser noch, ihr lasst ihn liegen, wohin er sich gelegt hat, dass der Schlaf ihm komme, der Troester, mit kuehlendem Rausche-Regen: Lasst ihn liegen, bis er von selber wach wird, bis er von selber alle Muedigkeit widerruft und was Muedigkeit aus ihm lehrte! Nur, meine Brueder, dass ihr die Hunde von ihm scheucht, die faulen Schleicher, und all das schwaermende Geschmeiss: - - all das schwaermende Geschmeiss der "Gebildeten", das sich am Schweisse jedes Helden - guetlich thut! - 19. Ich schliesse Kreise um mich und heilige Grenzen; immer Wenigere steigen mit mir auf immer hoehere Berge, - ich baue ein Gebirge aus immer heiligeren Bergen. - Wohin ihr aber auch mit mir steigen moegt, oh meine Brueder: seht zu, dass nicht ein _Schmarotzer_ mit euch steige! Schmarotzer: das ist ein Gewuerm, ein kriechendes, geschmiegtes, das fett werden will an euren kranken wunden Winkeln. Und _das_ ist seine Kunst, dass er steigende Seelen erraeth, wo sie muede sind: in euren Gram und Unmuth, in eure zarte Scham baut er sein ekles Nest. Wo der Starke schwach, der Edle allzumild ist, - dahinein baut er sein ekles Nest: der Schmarotzer wohnt, wo der Grosse kleine wunde Winkel hat. Was ist die hoechste Art alles Seienden und was die geringste? Der Schmarotzer ist die geringste Art; wer aber hoechster Art ist, der ernaehrt die meisten Schmarotzer. Die Seele naemlich, welche die laengste Leiter hat und am tiefsten hinunter kann: wie sollten nicht an der die meisten Schmarotzer sitzen? - - die umfaenglichste Seele, welche am weitesten in sich laufen und irren und schweifen kann; die nothwendigste, welche sich aus Lust in den Zufall stuerzt: - - die seiende Seele, welche in's Werden taucht; die habende, welche in's Wollen und Verlangen _will_: - - die sich selber fliehende, die sich selber im weitesten Kreise einholt; die weiseste Seele, welcher die Narrheit am suessesten zuredet: - - die sich selber liebendste, in der alle Dinge ihr Stroemen und Wiederstroemen und Ebbe und Fluth haben: - oh wie sollte _die_hoechste_Seele_ nicht die schlimmsten Schmarotzer haben? 20. Oh meine Brueder, bin ich denn grausam? Aber ich sage: was faellt, das soll man auch noch stossen! Das Alles von Heute - das faellt, das verfaellt: wer wollte es halten! Aber ich - ich _will_ es noch stossen! Kennt ihr die Wollust, die Steine in steile Tiefen rollt? - Diese Menschen von heute: seht sie doch, wie sie in meine Tiefen rollen! Ein Vorspiel bin ich besserer Spieler, oh meine Brueder! Ein Beispiel! _Thut_ nach meinem Beispiele! Und wen ihr nicht fliegen lehrt, den lehrt mir - schneller fallen! - 21. Ich liebe die Tapferen: aber es ist nicht genug, Hau-Degen sein, - man muss auch wissen Hau-schau-_Wen_! Und oft ist mehr Tapferkeit darin, dass Einer an sich haelt und voruebergeht: _damit_ er sich dem wuerdigeren Feinde aufspare! Ich sollt nur Feinde haben, die zu hassen sind, aber nicht Feinde zum Verachten: ihr muesst stolz auf euren Feind sein: also lehrte ich schon Ein Mal. Dem wuerdigeren Feinde, oh meine Freunde, sollt ihr euch aufsparen: darum muesst ihr an Vielem voruebergehn, - - sonderlich an vielem Gesindel, das euch in die Ohren laermt von Volk und Voelkern. Haltet euer Auge rein von ihrem Fuer und Wider! Da giebt es viel Recht, viel Unrecht: wer da zusieht, wird zornig. Dreinschaun, dreinhaun - das ist da Eins: darum geht weg in die Waelder und legt euer Schwert schlafen! Geht _eure_ Wege! Und lasst Volk und Voelker die ihren gehn! - dunkle Wege wahrlich, auf denen auch nicht Eine Hoffnung mehr wetterleuchtet! Mag da der Kraemer herrschen, wo Alles, was noch glaenzt - Kraemer-Gold ist! Es ist die Zeit der Koenige nicht mehr: was sich heute Volk heisst, verdient keine Koenige. Seht doch, wie diese Voelker jetzt selber den Kraemern gleich thun: sie lesen sich die kleinsten Vortheile noch aus jedem Kehricht! Sie lauern einander auf, sie lauern einander Etwas ab, - das heissen sie "gute Nachbarschaft." Oh selige ferne Zeit, wo ein Volk sich sagte: "ich will ueber Voelker - _Herr_ sein!" Denn, meine Brueder: das Beste soll herrschen, das Beste will auch herrschen! Und wo die Lehre anders lautet, da - _fehlt_ es am Besten. 22. Wenn _Die_ - Brod umsonst haetten, wehe! Wonach wuerden _Die_ schrein! Ihr Unterhalt - das ist ihre rechte Unterhaltung; und sie sollen es schwer haben! Raubthiere sind es.- in ihrem "Arbeiten" - da ist auch noch Rauben, in ihrem "Verdienen" - da ist auch noch Ueberlisten! Darum sollen sie es schwer haben! Bessere Raubthiere sollen sie also werden, feinere, kluegere, _menschen-aehnlichere_: der Mensch naemlich ist das beste Raubthier. Allen Thieren hat der Mensch schon ihre Tugenden abgeraubt: das macht, von allen Thieren hat es der Mensch am schwersten gehabt. Nur noch die Voegel sind ueber ihm. Und wenn der Mensch noch fliegen lernte, wehe! _wohinauf_ - wuerde seine Raublust fliegen! 23. So will ich Mann und Weib: kriegstuechtig den Einen, gebaertuechtig das Andre, beide aber tanztuechtig mit Kopf und Beinen. Und verloren sei uns der Tag, wo nicht Ein Mal getanzt wurde! Und falsch heisse uns jede Wahrheit, bei der es nicht Ein Gelaechter gab! 24. Euer Eheschliessen: seht zu, dass es nicht ein schlechtes _Schliessen_ sei! Ihr schlosset zu schnell: so _folgt_ daraus - Ehebrechen! Und besser noch Ehebrechen als Ehe-biegen, Eheluegen! - So sprach mir ein Weib: "wohl brach ich die Ehe, aber zuerst brach die Ehe - mich!" Schlimm-Gepaarte fand ich immer als die schlimmsten Rachsuechtigen: sie lassen es aller Welt entgelten, dass sie nicht mehr einzeln laufen. Desswillen will ich, dass Redliche zu einander reden: "wir lieben uns: lasst uns _zusehn_, dass wir uns lieb behalten! Oder soll unser Versprechen ein Versehen sein?" - "Gebt uns eine Frist und kleine Ehe, dass wir zusehn, ob wir zur grossen Ehe taugen! Es ist ein grosses Ding, immer zu Zwein sein!" Also rathe ich allen Redlichen; und was waere denn meine Liebe zum Uebermenschen und zu Allem, was kommen soll, wenn ich anders riethe und redete! Nicht nur fort euch zu pflanzen, sondern _hinauf_ - dazu, oh meine Brueder, helfe euch der Garten der Ehe! 25. Wer ueber alte Urspruenge weise wurde, siehe, der wird zuletzt nach Quellen der Zukunft suchen und nach neuen Urspruengen. - Oh meine Brueder, es ist nicht ueber lange, da werden _neue_Voelker_ entspringen und neue Quellen hinab in neue Tiefen rauschen. Das Erdbeben naemlich - das verschuettet viel Brunnen, das schafft viel Verschmachten: das hebt auch innre Kraefte und Heimlichkeiten an's Licht. Das Erdbeben macht neue Quellen offenbar. Im Erdbeben alter Voelker brechen neue Quellen aus. Und wer da ruft: "Siehe hier ein Brunnen fuer viele Durstige, Ein Herz fuer viele Sehnsuechtige, Ein Wille fuer viele Werkzeuge": - um den sammelt sich ein _Volk_, das ist: viel Versuchende. Wer befehlen kann, wer gehorchen muss - Das wird da versucht! Ach, mit welch langem Suchen und Rathen und Missrathen und Lernen und Neu-Versuchen! Die Menschen-Gesellschaft: die ist ein Versuch, so lehre ich's, - ein langes Suchen: sie sucht aber den Befehlenden! - - ein Versuch, oh meine Brueder! Und _kein_ "Vertrag"! Zerbrecht, zerbrecht mir solch Wort der Weich-Herzen und Halb- und Halben! 26. Oh meine Brueder! Bei Welchen liegt doch die groesste Gefahr aller Menschen-Zukunft? Ist es nicht bei den Guten und Gerechten? - - als bei Denen, die sprechen und im Herzen fuehlen: "wir wissen schon, was gut ist und gerecht, wir haben es auch; wehe Denen, die hier noch suchen!" - Und was fuer Schaden auch die Boesen thun moegen: der Schaden der Guten ist der schaedlichste Schaden! Und was fuer Schaden auch die Welt-Verleumder thun moegen: der Schaden der Guten ist der schaedlichste Schaden. Oh meine Brueder, den Guten und Gerechten sah Einer einmal in's Herz, der da sprach: "es sind die Pharisaeer." Aber man verstand ihn nicht. Die Guten und Gerechten selber durften ihn nicht verstehen: ihr Geist ist eingefangen in ihr gutes Gewissen. Die Dummheit der Guten ist unergruendlich klug. Das aber ist die Wahrheit: die Guten _muessen_ Pharisaeer sein, - sie haben keine Wahl! Die Guten _muessen_ Den kreuzigen, der sich seine eigne Tugend erfindet! Das _ist_ die Wahrheit! Der Zweite aber, der ihr Land entdeckte, Land, Herz und Erdreich der Guten und Gerechten: das war, der da fragte: "wen hassen sie am meisten?" Den _Schaffenden_ hassen sie am meisten: den, der Tafeln bricht und alte Werthe, den Brecher - den heissen sie Verbrecher. Die Guten naemlich - die _koennen_ nicht schaffen: die sind immer der Anfang vom Ende:- - sie kreuzigen Den, der neue Werthe auf neue Tafeln schreibt, sie opfern _sich_ die Zukunft, - sie kreuzigen alle Menschen-Zukunft! Die Guten - die waren immer der Anfang vom Ende. - 27. Oh meine Brueder, verstandet ihr auch diess Wort? Und was ich einst sagte vom "letzten Menschen"? - - Bei Welchen liegt die groesste Gefahr aller Menschen-Zukunft? Ist es nicht bei den Guten und Gerechten? Zerbrecht, zerbrecht mir die Guten und Gerechten! - Oh meine Brueder, verstandet ihr auch diess Wort? 28. Ihr flieht von mir? Ihr seid erschreckt? Ihr zittert vor diesem Worte? Oh meine Brueder, als ich euch die Guten zerbrechen hiess und die Tafeln der Guten: da erst schiffte ich den Menschen ein auf seine hohe See. Und nun erst kommt ihm der grosse Schrecken, das grosse Um-sich-sehn, die grosse Krankheit, der grosse Ekel, die grosse See-Krankheit. Falsche Kuesten und falsche Sicherheiten lehrten euch die Guten; in Luegen der Guten wart ihr geboren und geborgen. Alles ist in den Grund hinein verlogen und verbogen durch die Guten. Aber wer das Land "Mensch" entdeckte, entdeckte auch das Land "Menschen-Zukunft". Nun sollt ihr mir Seefahrer sein, wackere, geduldsame! Aufrecht geht mir bei Zeiten, oh meine Brueder, lernt aufrecht gehn! Das Meer stuermt: Viele wollen an euch sich wieder aufrichten. Das Meer stuermt: Alles ist im Meere. Wohlan! Wohlauf! Ihr alten Seemanns-Herzen! Was Vaterland! _Dorthin_ will unser Steuer, wo unser _Kinder-Land_ ist! Dorthinaus, stuermischer als das Meer, stuermt unsre grosse Sehnsucht! - 29. "Warum so hart! - sprach zum Diamanten einst die Kuechen-Kohle; sind wir denn nicht Nah-Verwandte?" - Warum so weich? Oh meine Brueder, also frage _ich_ euch: seid ihr denn nicht - meine Brueder? Warum so weich, so weichend und nachgebend? Warum ist so viel Leugnung, Verleugnung in eurem Herzen? So wenig Schicksal in eurem Blicke? Und wollt ihr nicht Schicksale sein und Unerbittliche: wie koenntet ihr mit mir - siegen? Und wenn eure Haerte nicht blitzen und scheiden und zerschneiden will: wie koenntet ihr einst mit mir - schaffen? Die Schaffenden naemlich sind hart. Und Seligkeit muss es euch duenken, eure Hand auf Jahrtausende zu druecken wie auf Wachs, - - Seligkeit, auf dem Willen von Jahrtausenden zu schreiben wie auf Erz, - haerter als Erz, edler als Erz. Ganz hart ist allein das Edelste. Diese neue Tafel, oh meine Brueder, stelle ich ueber euch: werdet hart! - 30. Oh du mein Wille! Du Wende aller Noth du _meine_ Nothwendigkeit! Bewahre mich vor allen kleinen Siegen! Du Schickung meiner Seele, die ich Schicksal heisse! Du-In-mir! Ueber-mir! Bewahre und spare mich auf zu Einem grossen Schicksale! Und deine letzte Groesse, mein Wille, spare dir fuer dein Letztes auf, - dass du unerbittlich bist _in_ deinem Siege! Ach, wer unterlag nicht seinem Siege! Ach, wessen Auge dunkelte nicht in dieser trunkenen Daemmerung! Ach, wessen Fuss taumelte nicht und verlernte im Siege - stehen! - - Dass ich einst bereit und reif sei im grossen Mittage: bereit und reif gleich gluehendem Erze, blitzschwangrer Wolke und schwellendem Milch-Euter: - - bereit zu mir selber und zu meinem verborgensten Willen: ein Bogen bruenstig nach seinem Pfeile, ein Pfeil bruenstig nach seinem Sterne: - - ein Stern bereit und reif in seinem Mittage, gluehend, durchbohrt, selig vor vernichtenden Sonnen-Pfeilen: - - eine Sonne selber und ein unerbittlicher Sonnen-Wille, zum Vernichten bereit im Siegen! Oh Wille, Wende aller Noth, du _meine_ Nothwendigkeit! Spare mich auf zu Einem grossen Siege! - - Also sprach Zarathustra. Der Genesende 1. Eines Morgens, nicht lange nach seiner Rueckkehr zur Hoehle, sprang Zarathustra von seinem Lager auf wie ein Toller, schrie mit furchtbarer Stimme und gebaerdete sich, als ob noch Einer auf dem Lager laege, der nicht davon aufstehn wolle; und also toente Zarathustra's Stimme, dass seine Thiere erschreckt hinzukamen, und dass aus allen Hoehlen und Schlupfwinkeln, die Zarathustra's Hoehle benachbart waren, alles Gethier davon huschte, - fliegend, flatternd, kriechend, springend, wie ihm nur die Art von Fuss und Fluegel gegeben war. Zarathustra aber redete diese Worte: Herauf, abgruendlicher Gedanke, aus meiner Tiefe! Ich bin dein Hahn und Morgen-Grauen, verschlafener Wurm: auf! auf! Meine Stimme soll dich schon wach kraehen! Knuepfe die Fessel deiner Ohren los: horche! Denn ich will dich hoeren! Auf! Auf! Hier ist Donners genug, dass auch Graeber horchen lernen! Und wische den Schlaf und alles Bloede, Blinde aus deinen Augen! Hoere mich auch mit deinen Augen: meine Stimme ist ein Heilmittel noch fuer Blindgeborne. Und bist du erst wach, sollst du mir ewig wach bleiben. Nicht ist das _meine_ Art, Urgrossmuetter aus dem Schlafe wecken, dass ich sie heisse - weiterschlafen! Du regst dich, dehnst dich, roechelst? Auf! Auf! Nicht roecheln - reden sollst du mir! Zarathustra ruft dich, der Gottlose! Ich, Zarathustra, der Fuersprecher des Lebens, der Fuersprecher des Leidens, der Fuersprecher des Kreises - dich rufe ich, meinen abgruendlichsten Gedanken! Heil mir! Du kommst - ich hoere dich! Mein Abgrund _redet_, meine letzte Tiefe habe ich an's Licht gestuelpt! Heil mir! Heran! Gieb die Hand - - ha! lass! Haha! - - Ekel, Ekel, Ekel - - - wehe mir! 2. Kaum aber hatte Zarathustra diese Worte gesprochen, da stuerzte er nieder gleich einem Todten und blieb lange wie ein Todter. Als er aber wieder zu sich kam, da war er bleich und zitterte und blieb liegen und wollte lange nicht essen noch trinken. Solches Wesen dauerte an ihm sieben Tage; seine Thiere verliessen ihn aber nicht bei Tag und Nacht, es sei denn, dass der Adler ausflog, Speise zu holen. Und was er holte und zusammenraubte, das legte er auf Zarathustra's Lager: also dass Zarathustra endlich unter gelben und rothen Beeren, Trauben, Rosenaepfeln, wohlriechendem Krautwerke und Pinien-Zapfen lag. Zu seinen Fuessen aber waren zwei Laemmer gebreitet, welche der Adler mit Muehe ihren Hirten abgeraubt hatte. Endlich, nach sieben Tagen, richtete sich Zarathustra auf seinem Lager auf, nahm einen Rosenapfel in die Hand, roch daran und fand seinen Geruch lieblich. Da glaubten seine Thiere, die Zeit sei gekommen, mit ihm zu reden. "Oh Zarathustra, sagten sie, nun liegst du schon sieben Tage so, mit schweren Augen: willst du dich nicht endlich wieder auf deine Fuesse stellen? Tritt hinaus aus deiner Hoehle: die Welt wartet dein wie ein Garten. Der Wind spielt mit schweren Wohlgeruechen, die zu dir wollen; und alle Baeche moechten dir nachlaufen. Alle Dinge sehnen sich nach dir, dieweil du sieben Tage allein bliebst, - tritt hinaus aus deiner Hoehle! Alle Dinge wollen deine Aerzte sein! Kam wohl eine neue Erkenntniss zu dir, eine saure, schwere? Gleich angesaeuertem Teige lagst du, deine Seele gieng auf und schwoll ueber alle ihre Raender. -" - Oh meine Thiere, antwortete Zarathustra, schwaetzt also weiter und lasst mich zuhoeren! Es erquickt mich so, dass ihr schwaetzt: wo geschwaetzt wird, da liegt mir schon die Welt wie ein Garten. Wie lieblich ist es, dass Worte und Toene da sind: sind nicht Worte und Toene Regenbogen und Schein-Bruecken zwischen Ewig-Geschiedenem? Zu jeder Seele gehoert eine andre Welt; fuer jede Seele ist jede andre Seele eine Hinterwelt. Zwischen dem Aehnlichsten gerade luegt der Schein am schoensten; denn die kleinste Kluft ist am schwersten zu ueberbruecken. Fuer mich - wie gaebe es ein Ausser-mir? Es giebt kein Aussen! Aber das vergessen wir bei allen Toenen; wie lieblich ist es, dass wir vergessen! Sind nicht den Dingen Namen und Toene geschenkt, dass der Mensch sich an den Dingen erquicke? Es ist eine schoene Narrethei, das Sprechen: damit tanzt der Mensch ueber alle Dinge. Wie lieblich ist alles Reden und alle Luege der Toene! Mit Toenen tanzt unsre Liebe auf bunten Regenboegen. - - "Oh Zarathustra, sagten darauf die Thiere, Solchen, die denken wie wir, tanzen alle Dinge selber: das kommt und reicht sich die Hand und lacht und flieht - und kommt zurueck. Alles geht, Alles kommt zurueck; ewig rollt das Rad des Seins. Alles stirbt, Alles blueht wieder auf, ewig laeuft das Jahr des Seins. Alles bricht, Alles wird neu gefuegt; ewig baut sich das gleiche Haus des Seins. Alles scheidet, Alles gruesst sich wieder; ewig bleibt sich treu der Ring des Seins. In jedem Nu beginnt das Sein; um jedes Hier rollt sich die Kugel Dort. Die Mitte ist ueberall. Krumm ist der Pfad der Ewigkeit." - - Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln! antwortete Zarathustra und laechelte wieder, wie gut wisst ihr, was sich in sieben Tagen erfuellen musste: - - und wie jenes Unthier mir in den Schlund kroch und mich wuergte! Aber ich biss ihm den Kopf ab und spie ihn weg von mir. Und ihr, - ihr machtet schon ein Leier-Lied daraus? Nun aber liege ich da, muede noch von diesem Beissen und Wegspein, krank noch von der eigenen Erloesung. Und ihr schautet dem Allen zu? Oh meine Thiere, seid auch ihr grausam? Habt ihr meinem grossen Schmerze zuschaun wollen, wie Menschen thun? Der Mensch naemlich ist das grausamste Thier. Bei Trauerspielen, Stierkaempfen und Kreuzigungen ist es ihm bisher am wohlsten geworden auf Erden; und als er sich die Hoelle erfand, siehe, da war das sein Himmel auf Erden. Wenn der grosse Mensch schreit -: flugs laeuft der kleine hinzu; und die Zunge haengt ihm aus dem Halse vor Luesternheit. Er aber heisst es sein "Mitleiden." Der kleine Mensch, sonderlich der Dichter - wie eifrig klagt er das Leben in Worten an! Hoert hin, aber ueberhoert mir die Lust nicht, die in allem Anklagen ist! Solche Anklaeger des Lebens: die ueberwindet das Leben mit einem Augenblinzeln. "Du liebst mich? sagt die Freche; warte noch ein Wenig, noch habe ich fuer dich nicht Zeit." Der Mensch ist gegen sich selber das grausamste Thier; und bei Allem, was sich "Suender" und "Kreuztraeger" und "Buesser" heisst, ueberhoert mir die Wollust nicht, die in diesem Klagen und Anklagen ist! Und ich selber - will ich damit des Menschen Anklaeger sein? Ach, meine Thiere, Das allein lernte ich bisher, dass dem Menschen sein Boesestes noethig ist zu seinem Besten, - - dass alles Boeseste seine beste _Kraft_ ist und der haerteste Stein dem hoechsten Schaffenden; und dass der Mensch besser _und_ boeser werden muss: - Nicht an _diess_ Marterholz war ich geheftet, dass ich weiss: der Mensch ist boese, - sondern ich schrie, wie noch Niemand geschrien hat: "Ach dass sein Boesestes so gar klein ist! Ach dass sein Bestes so gar klein ist!" Der grosse Ueberdruss am Menschen - _der_ wuergte mich und war mir in den Schlund gekrochen: und was der Wahrsager wahrsagte: "Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, Wissen wuergt." Eine lange Daemmerung hinkte vor mir her, eine todesmuede, todestrunkene Traurigkeit, welche mit gaehnendem Munde redete. "Ewig kehrt er wieder, der Mensch, dess du muede bist, der kleine Mensch" - so gaehnte meine Traurigkeit und schleppte den Fuss und konnte nicht einschlafen. Zur Hoehle wandelte sich mir die Menschen-Erde, ihre Brust sank hinein, alles Lebendige ward mir Menschen-Moder und Knochen und morsche Vergangenheit. Mein Seufzen sass auf allen Menschen-Graebern und konnte nicht mehr aufstehn; mein Seufzen und Fragen unkte und wuergte und nagte und klagte bei Tag und Nacht: - "ach, der Mensch kehrt ewig wieder! Der kleine Mensch kehrt ewig wieder!" - Nackt hatte ich einst Beide gesehn, den groessten Menschen und den kleinsten Menschen: allzuaehnlich einander, - allzumenschlich auch den Groessten noch! Allzuklein der Groesste! - Das war mein Ueberdruss am Menschen! Und ewige Wiederkunft auch des Kleinsten! - Das war mein Ueberdruss an allem Dasein! Ach, Ekel! Ekel! Ekel! - - Also sprach Zarathustra und seufzte und schauderte; denn er erinnerte sich seiner Krankheit. Da liessen ihn aber seine Thiere nicht weiter reden. "Sprich nicht weiter, du Genesender! - so antworteten ihm seine Thiere, sondern geh hinaus, wo die Welt auf dich wartet gleich einem Garten. Geh hinaus zu den Rosen und Bienen und Taubenschwaermen! Sonderlich aber zu den Singe-Voegeln: dass du ihnen das _Singen_ ablernst! Singen naemlich ist fuer Genesende; der Gesunde mag reden. Und wenn auch der Gesunde Lieder will, will er andre Lieder doch als der Genesende." - "Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln, so schweigt doch! - antwortete Zarathustra und laechelte ueber seine Thiere. Wie gut ihr wisst, welchen Trost ich mir selber in sieben Tagen erfand! Dass ich wieder singen muesse, - _den_ Trost erfand ich mir und _diese_ Genesung: wollt ihr auch daraus gleich wieder ein Leier-Lied machen?" - "Sprich nicht weiter, antworteten ihm abermals seine Thiere; lieber noch, du Genesender, mache dir erst eine Leier zurecht, eine neue Leier! Denn siehe doch, oh Zarathustra! Zu deinen neuen Liedern bedarf es neuer Leiern. Singe und brause ueber, oh Zarathustra, heile mit neuen Liedern deine Seele: dass du dein grosses Schicksal tragest, das noch keines Menschen Schicksal war! Denn deine Thiere wissen es wohl, oh Zarathustra, wer du bist und werden musst: siehe, du bist der Lehrer der ewigen Wiederkunft -, das ist nun _dein_ Schicksal! Dass du als der Erste diese Lehre lehren musst, - wie sollte diess grosse Schicksal nicht auch deine groesste Gefahr und Krankheit sein! Siehe, wir wissen, was du lehrst: dass alle Dinge ewig wiederkehren und wir selber mit, und dass wir schon ewige Male dagewesen sind, und alle Dinge mit uns. Du lehrst, dass es ein grosses Jahr des Werdens giebt, ein Ungeheuer von grossem Jahre: das muss sich, einer Sanduhr gleich, immer wieder von Neuem umdrehn, damit es von Neuem ablaufe und auslaufe: - - so dass alle diese Jahre sich selber gleich sind, im Groessten und auch im Kleinsten, - so dass wir selber in jedem grossen Jahre uns selber gleich sind, im Groessten und auch im Kleinsten. Und wenn du jetzt sterben wolltest, oh Zarathustra: siehe, wir wissen auch, wie du da zu dir sprechen wuerdest: - aber deine Thiere bitten dich, dass du noch nicht sterbest! Du wuerdest sprechen und ohne Zittern, vielmehr aufathmend vor Seligkeit: denn eine grosse Schwere und Schwuele waere von dir genommen, du Geduldigster! - `Nun sterbe und schwinde ich, wuerdest du sprechen, und im Nu bin ich ein Nichts. Die Seelen sind so sterblich wie die Leiber. Aber der Knoten von Ursachen kehrt wieder, in den ich verschlungen bin, - der wird mich wieder schaffen! Ich selber gehoere zu den Ursachen der ewigen Wiederkunft. Ich komme wieder, mit dieser Sonne, mit dieser Erde, mit diesem Adler, mit dieser Schlange - _nicht_ zu einem neuen Leben oder besseren Leben oder aehnlichen Leben: - ich komme ewig wieder zu diesem gleichen und selbigen Leben, im Groessten und auch im Kleinsten, dass ich wieder aller Dinge ewige Wiederkunft lehre, - - dass ich wieder das Wort spreche vom grossen Erden- und Menschen-Mittage, dass -ich wieder den Menschen den Uebermenschen kuende. Ich sprach mein Wort, ich zerbreche an meinem Wort: so will es mein ewiges Loos -, als Verkuendiger gehe ich zu Grunde! Die Stunde kam nun, dass der Untergehende sich selber segnet. Also _endet_ Zarathustra's Untergang.`" - - Als die Thiere diese Worte gesprochen hatten, schwiegen sie und warteten, dass Zarathustra Etwas zu ihnen sagen werde: aber Zarathustra hoerte nicht, dass sie schwiegen. Vielmehr lag er still, mit geschlossenen Augen, einem Schlafenden aehnlich, ob er schon nicht schlief: denn er unterredete sich eben mit seiner Seele. Die Schlange aber und der Adler, als sie ihn solchermaassen schweigsam fanden, ehrten die grosse Stille um ihn und machten sich behutsam davon. Von der grossen Sehnsucht Oh meine Seele, ich lehrte dich "Heute" sagen wie "Einst" und "Ehemals" und ueber alles Hier und Da und Dort deinen Reigen hinweg tanzen. Oh meine Seele, ich erloeste dich von allen Winkeln, ich kehrte Staub, Spinnen und Zwielicht von dir ab. Oh meine Seele, ich wusch die kleine Scham und die Winkel-Tugend von dir ab und ueberredete dich, nackt vor den Augen der Sonne zu stehn. Mit dem Sturme, welcher "Geist" heisst, blies ich ueber deine wogende See; alle Wolken blies ich davon, ich erwuergte selbst die Wuergerin, die "Suende" heisst. Oh meine Seele, ich gab dir das Recht, Nein zu sagen wie der Sturm und Ja zu sagen wie offner Himmel Ja sagt: still wie Licht stehst du und gehst du nun durch verneinende Stuerme. Oh meine Seele, ich gab dir die Freiheit zurueck ueber Erschaffnes und Unerschaffnes: und wer kennt, wie du sie kennst, die Wollust des Zukuenftigen? Oh meine Seele, ich lehrte dich das Verachten, das nicht wie ein Wurmfrass kommt, das grosse, das liebende Verachten, welches am meisten liebt, wo es am meisten verachtet. Oh meine Seele, ich lehrte dich so ueberreden, dass du zu dir die Gruende selber ueberredest: der Sonne gleich, die das Meer noch zu seiner Hoehe ueberredet. Oh meine Seele, ich nahm von dir alles Gehorchen Kniebeugen und Herr-Sagen; ich gab dir selber den Namen "Wende der Noth" und "Schicksal". Oh meine Seele, ich gab dir neue Namen und bunte Spielwerke, ich hiess dich "Schicksal" und "Umfang der Umfaenge" und "Nabelschnur der Zeit" und "azurne Glocke". Oh meine Seele, deinem Erdreich gab ich alle Weisheit zu trinken, alle neuen Weine und auch alle unvordenklich alten starken Weine der Weisheit. Oh meine Seele, jede Sonne goss ich auf dich und jede Nacht und jedes Schweigen und jede Sehnsucht: - da wuchsest du mir auf wie ein Weinstock. Oh meine Seele, ueberreich und schwer stehst du nun da, ein Weinstock mit schwellenden Eutern und gedraengten braunen Gold-Weintrauben: - - gedraengt und gedrueckt von deinem Gluecke, wartend vor Ueberflusse und schamhaft noch ob deines Wartens. Oh meine Seele, es giebt nun nirgends eine Seele, die liebender waere und umfangender und umfaenglicher! Wo waere Zukunft und Vergangnes naeher beisammen als bei dir? Oh meine Seele, ich gab dir Alles, und alle meine Haende sind an dich leer geworden: - und nun! Nun sagst du mir laechelnd und voll Schwermuth: "Wer von uns hat zu danken? - - hat der Geber nicht zu danken, dass der Nehmende nahm? Ist Schenken nicht eine Nothdurft? Ist Nehmen nicht - Erbarmen?" - Oh meine Seele, ich verstehe das Laecheln deiner Schwermuth: dein Ueber-Reichthum selber streckt nun sehnende Haende aus! Deine Fuelle blickt ueber brausende Meere hin und sucht und wartet; die Sehnsucht der Ueber-Fuelle blickt aus deinem laechelnden Augen-Himmel! Und wahrlich, oh meine Seele! Wer saehe dein Laecheln und schmelze nicht vor Thraenen? Die Engel selber schmelzen vor Thraenen ob der Ueber-Guete deines Laechelns. Deine Guete und Ueber-Guete ist es, die nicht klagen und weinen will: und doch sehnt sich, oh meine Seele, dein Laecheln nach Thraenen und dein zitternder Mund nach Schluchzen. "Ist alles Weinen nicht ein Klagen? Und alles Klagen nicht ein Anklagen?" Also redest du zu dir selber, und darum willst du, oh meine Seele, lieber laecheln, als dein Leid ausschuetten. - in stuerzende Thraenen ausschuetten all dein Leid ueber deine Fuelle und ueber all die Draengniss des Weinstocks nach Winzer und Winzermesser! Aber willst du nicht weinen, nicht ausweinen deine purpurne Schwermuth, so wirst du _singen_ muessen, oh meine Seele! - Siehe, ich laechle selber, der ich dir solches vorhersage: - singen, mit brausendem Gesange, bis alle Meere still werden, dass sie deiner Sehnsucht zuhorchen, - - bis ueber stille sehnsuechtige Meere der Nachen schwebt, das gueldene Wunder, um dessen Gold alle guten schlimmen wunderlichen Dinge huepfen: - - auch vieles grosse und kleine Gethier und Alles, was leichte wunderliche Fuesse hat, dass es auf veilchenblauen Pfaden laufen kann, - - hin zu dem gueldenen Wunder, dem freiwilligen Nachen und zu seinem Herrn: das aber ist der Winzer, der mit diamantenem Winzermesser wartet, - - dein grosser Loeser, oh meine Seele, der Namenlose - - dem zukuenftige Gesaenge erst Namen finden! Und wahrlich, schon duftet dein Athem nach zukuenftigen Gesaengen, - - schon gluehst du und traeumst, schon trinkst du durstig an allen tiefen klingenden Trost-Brunnen, schon ruht deine Schwermuth in der Seligkeit zukuenftiger Gesaenge! - - Oh meine Seele, nun gab ich dir Alles und auch mein Letztes, und alle meine Haende sind an dich leer geworden: - _dass_ich_dich_singen_hiess_, siehe, das war mein Letztes! Dass ich dich singen hiess, sprich nun, sprich: _wer_ von uns hat jetzt - zu danken? - Besser aber noch: singe mir, singe, oh meine Seele! Und mich lass danken! - Also sprach Zarathustra. Das andere Tanzlied 1. "In dein Auge schaute ich juengst, oh Leben: Gold sah ich in deinem Nacht-Auge blinken, - mein Herz stand still vor dieser Wollust: - einen goldenen Kahn sah ich blinken auf maechtigen Gewaessern, einen sinkenden, trinkenden, wieder winkenden goldenen Schaukel-Kahn! Nach meinem Fusse, dem tanzwuethigen, warfst du einen Blick, einen lachenden fragenden schmelzenden Schaukel-Blick: Zwei Mal nur regtest du deine Klapper mit kleinen Haenden - da schaukelte schon mein Fuss vor Tanz-Wuth. - Meine Fersen baeumten sich, meine Zehen horchten, dich zu verstehen: traegt doch der Taenzer sein Ohr - in seinen Zehen! Zu dir hin sprang ich: da flohst du zurueck vor meinem Sprunge; und gegen mich zuengelte deines fliehenden fliegenden Haars Zunge! Von dir weg sprang ich und von deinen Schlangen: da standst du schon, halbgewandt, das Auge voll Verlangen. Mit krummen Blicken - lehrst du mich krumme Bahnen; auf krummen Bahnen lernt mein Fuss - Tuecken! Ich fuerchte dich Nahe, ich liebe dich Ferne; deine Flucht lockt mich, dein Suchen stockt mich: - ich leide, aber was litt ich um dich nicht gerne! Deren Kaelte zuendet, deren Hass verfuehrt, deren Flucht bindet, deren Spott - ruehrt: - wer hasste dich nicht, dich grosse Binderin, Umwinderin, Versucherin, Sucherin, Finderin! Wer liebte dich nicht, dich unschuldige, ungeduldige, windseilige, kindsaeugige Suenderin! Wohin ziehst du mich jetzt, du Ausbund und Unband? Und jetzt fliehst du mich wieder, du suesser Wildfang und Undank! Ich tanze dir nach, ich folge dir auch auf geringer Spur. Wo bist du? Gieb mir die Hand! Oder einen Finger nur! Hier sind Hoehlen und Dickichte: wir werden uns verirren! - Halt! Steh still! Siehst du nicht Eulen und Fledermaeuse schwirren? Du Eule! Du Fledermaus! Du willst mich aeffen? Wo sind wir? Von den Hunden lerntest du diess Heulen und Klaeffen. Du fletschest mich lieblich an mit weissen Zaehnlein, deine boesen Augen springen gegen mich aus lockichtem Maehnlein! Das ist ein Tanz ueber Stock und Stein: ich bin der Jaeger, - willst du mein Hund oder meine Gemse sein? Jetzt neben mir! Und geschwind, du boshafte Springerin! Jetzt hinauf! Und hinueber! - Wehe! Da fiel ich selber im Springen hin! Oh sieh mich liegen, du Uebermuth, und um Gnade flehn! Gerne moechte ich mit dir - lieblichere Pfade gehn! - der Liebe Pfade durch stille bunte Buesche! Oder dort den See entlang: da schwimmen und tanzen Goldfische! Du bist jetzt muede? Da drueben sind Schafe und Abendroethen: ist es nicht schoen, zu schlafen, wenn Schaefer floeten? Du bist so arg muede? Ich trage dich hin, lass nur die Arme sinken! Und hast du Durst, - ich haette wohl Etwas, aber dein Mund will es nicht trinken! - - Oh diese verfluchte flinke gelenke Schlange und Schlupf-Hexe! Wo bist du hin? Aber im Gesicht fuehle ich von deiner Hand zwei Tupfen und rothe Klexe! Ich bin es wahrlich muede, immer dein schafichter Schaefer zu sein! Du Hexe, habe ich dir bisher gesungen, nun sollst _du_ mir - schrein! Nach dem Takt meiner Peitsche sollst du mir tanzen und schrein! Ich vergass doch die Peitsche nicht? - Nein!" - 2. Da antwortete mir das Leben also und hielt sich dabei die zierlichen Ohren zu: "Oh Zarathustra! Klatsche doch nicht so fuerchterlich mit deiner Peitsche! Du weisst es ja: Laerm mordet Gedanken, - und eben kommen mir so zaertliche Gedanken. Wir sind Beide zwei rechte Thunichtgute und Thunichtboese. Jenseits von Gut und Boese fanden wir unser Eiland und unsre gruene Wiese - wir Zwei allein! Darum muessen wir schon einander gut sein! Und lieben wir uns auch nicht von Grund aus -, muss man sich denn gram sein, wenn man sich nicht von Grund aus liebt? Und dass ich dir gut bin und oft zu gut, Das weisst du: und der Grund ist, dass ich auf deine Weisheit eifersuechtig bin. Ah, diese tolle alte Naerrin von Weisheit! Wenn dir deine Weisheit einmal davonliefe, ach! da liefe dir schnell auch meine Liebe noch davon." - Darauf blickte das Leben nachdenklich hinter sich und um sich und sagte leise: "Oh Zarathustra, du bist mir nicht treu genug! Du liebst mich lange nicht so sehr wie du redest; ich weiss, du denkst daran, dass du mich bald verlassen willst. Es giebt eine alte schwere schwere Brumm-Glocke: die brummt Nachts bis zu deiner Hoehle hinauf: - - hoerst du diese Glocke Mitternachts die Stunde schlagen, so denkst du zwischen Eins und Zwoelf daran - - du denkst daran, oh Zarathustra, ich weiss es, dass du mich bald verlassen willst!" - "Ja, antwortete ich zoegernd, aber du weisst es auch -" Und ich sagte ihr Etwas in's Ohr, mitten hinein zwischen ihre verwirrten gelben thoerichten Haar-Zotteln. Du _weisst_ Das, oh Zarathustra? Das weiss Niemand. - - Und wir sahen uns an und blickten auf die gruene Wiese, ueber welche eben der kuehle Abend lief, und weinten mit einander. - Damals aber war mir das Leben lieber, als je alle meine Weisheit. - Also sprach Zarathustra. 3. Eins! Oh Mensch! Gieb Acht! Zwei! Was spricht die tiefe Mitternacht? Drei! "Ich schlief, ich schlief -," Vier! "Auf tiefen Traum bin ich erwacht:-" Fuenf! "Die Welt ist tief," Sechs! "Und tiefer als der Tag gedacht." Sieben! "Tief ist ihr Weh -," Acht! "Lust - tiefer noch als Herzeleid:" Neun! "Weh spricht: Vergeh!" Zehn! "Doch alle Lust will Ewigkeit -," Elf! "- will tiefe, tiefe Ewigkeit!" Zwoelf! Die sieben Siegel (Oder: das Ja- und Amen-Lied) 1. Wenn ich ein Wahrsager bin und voll jenes wahrsagerischen Geistes, der auf hohem Joche zwischen zwei Meeren wandelt, - zwischen Vergangenem und Zukuenftigem als schwere Wolke wandelt, - schwuelen Niederungen feind und Allem, was muede ist und nicht sterben, noch leben kann.- zum Blitze bereit im dunklen Busen und zum erloesenden Lichtstrahle, schwanger von Blitzen, die Ja! sagen, Ja! lachen, zu wahrsagerischen Blitzstrahlen: - - selig aber ist der also Schwangere! Und wahrlich, lange muss als schweres Wetter am Berge haengen, wer einst das Licht der Zukunft zuenden soll! - Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit bruenstig sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! 2. Wenn mein Zorn je Graeber brach, Grenzsteine rueckte und alte Tafeln zerbrochen in steile Tiefen rollte: Wenn mein Hohn je vermoderte Worte zerblies, und ich wie ein Besen kam den Kreuzspinnen und als Fegewind alten verdumpften Grabkammern: Wenn ich je frohlockend sass, wo alte Goetter begraben liegen, weltsegnend, weltliebend neben den Denkmalen alter Welt-Verleumder: - - denn selbst Kirchen und Gottes-Graeber liebe ich, wenn der Himmel erst reinen Auges durch ihre zerbrochenen Decken blickt; gern sitze ich gleich Gras und rothem Mohne auf zerbrochnen Kirchen - Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit bruenstig sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! 3. Wenn je ein Hauch zu mir kam vom schoepferischen Hauche und von jener himmlischen Noth, die noch Zufaelle zwingt, Sternen-Reigen zu tanzen: Wenn ich je mit dem Lachen des schoepferischen Blitzes lachte, dem der lange Donner der That grollend, aber gehorsam nachfolgt: Wenn ich je am Goettertisch der Erde mit Goettern Wuerfel spielte, dass die Erde bebte und brach und Feuerfluesse heraufschnob: - - denn ein Goettertisch ist die Erde, und zitternd von schoepferischen neuen Worten und Goetter-Wuerfen: - Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit bruenstig sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! 4. Wenn ich je vollen Zuges trank aus jenem schaeumenden Wuerz- und Mischkruge, in dem alle Dinge gut gemischt sind: Wenn meine Hand je Fernstes zum Naechsten goss und Feuer zu Geist und Lust zu Leid und Schlimmstes zum Guetigsten: Wenn ich selber ein Korn bin von jenem erloesenden Salze, welches macht, dass alle Dinge im Mischkruge gut sich mischen: - - denn es giebt ein Salz, das Gutes mit Boesem bindet; und auch das Boeseste ist zum Wuerzen wuerdig und zum letzten Ueberschaeumen: - Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit bruenstig sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! 5. Wenn ich dem Meere hold bin und Allem, was Meeres-Art ist, und am holdesten noch, wenn es mir zornig widerspricht: Wenn jene suchende Lust in mir ist, die nach Unentdecktem die Segel treibt, wenn eine Seefahrer-Lust in meiner Lust ist: Wenn je mein Frohlocken rief: "die Kueste schwand, - nun fiel mir die letzte Kette ab - - das Grenzenlose braust um mich, weit hinaus glaenzt mir Raum und Zeit, wohlan! wohlauf! altes Herz!" - Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit bruenstig sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! 6. Wenn meine Tugend eines Taenzers Tugend ist, und ich oft mit beiden Fuessen in gold-smaragdenes Entzuecken sprang: Wenn meine Bosheit eine lachende Bosheit ist, heimisch unter Rosenhaengen und Lilien-Hecken: - im Lachen naemlich ist alles Boese bei einander, aber heilig- und losgesprochen durch seine eigne Seligkeit: - Und wenn Das mein A und O ist, dass alles Schwere leicht, aller Leib Taenzer, aller Geist Vogel werde: und wahrlich, Das ist mein A und O! - Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit bruenstig sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! 7. Wenn ich je stille Himmel ueber mir ausspannte und mit eignen Fluegeln in eigne Himmel flog: Wenn ich spielend in tiefen Licht-Fernen schwamm, und meiner Freiheit Vogel-Weisheit kam: - - so aber spricht Vogel-Weisheit: "Siehe, es giebt kein Oben, kein Unten! Wirf dich umher, hinaus, zurueck, du Leichter! Singe! sprich nicht mehr! - sind alle Worte nicht fuer die Schweren gemacht? Luegen dem Leichten nicht alle Worte! Singe! sprich nicht mehr!" - Oh wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit bruenstig sein und nach dem hochzeitlichen Ring der Ringe, - dem Ring de Wiederkunft! Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, das ich lieb: denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit! Vierter und letzter Theil Ach, wo in der Welt geschahen groessere Thorheiten, als bei den Mitleidigen? Und was in der Weit stiftete mehr Leid, als die Thorheiten der Mitleidigen? Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Hoehe haben, welche ueber ihrem Mitleiden ist! Also sprach der Teufel einst zu mir: "auch Gott hat seine Hoelle: das ist seine Liebe zu den Menschen." Und juengst hoerte ich ihn diess Wort sagen: "Gott ist todt; an seinem Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben." Zarathustra, Von den Mitleidigen Das Honig-Opfer - Und wieder liefen Monde und Jahre ueber Zarathustra's Seele, und er achtete dessen nicht; sein Haar aber wurde weiss. Eines Tages, als er auf einem Steine vor seiner Hoehle sass und still hinausschaute, - man schaut aber dort auf das Meer hinaus, und hinweg ueber gewundene Abgruende - da giengen seine Thiere nachdenklich um ihn herum und stellten sich endlich vor ihn hin. "Oh Zarathustra, sagten sie, schaust du wohl aus nach deinem Gluecke?" - "Was liegt am Gluecke! antwortete er, ich trachte lange nicht mehr nach Gluecke, ich trachte nach meinem Werke." - "Oh Zarathustra, redeten die Thiere abermals, Das sagst du als Einer, der des Guten uebergenug hat. Liegst du nicht in einem himmelblauen See von Glueck?" - "Ihr Schalks-Narren, antwortete Zarathustra und laechelte, wie gut waehltet ihr das Gleichniss! Aber ihr wisst auch, dass mein Glueck schwer ist und nicht wie eine fluessige Wasserwelle: es draengt mich und will nicht von mir und thut gleich geschmolzenem Peche." - Da giengen die Thiere wieder nachdenklich um ihn herum und stellten sich dann abermals vor ihn hin. "Oh Zarathustra, sagten sie, _daher_ also kommt es, dass du selber immer gelber und dunkler wirst, obschon dein Haar weiss und flaechsern aussehen will? Siehe doch, du sitzest in deinem Peche!" - "Was sagt ihr da, meine Thiere, sagte Zarathustra und lachte dazu, wahrlich, ich laesterte als ich von Peche sprach. Wie mir geschieht, so geht es allen Fruechten, die reif werden. Es ist der _Honig_ in meinen Adern, der mein Blut dicker und auch meine Seele stiller macht." - "So wird es sein, oh Zarathustra, antworteten die Thiere und draengten sich an ihn; willst du aber nicht heute auf einen hohen Berg steigen? Die Luft ist rein, und man sieht heute mehr von der Welt als jemals." - "Ja, meine Thiere, antwortete er, ihr rathet trefflich und mir nach dem Herzen: ich will heute auf einen hohen Berg steigen! Aber sorgt, dass dort Honig mir zur Hand sei, gelber, weisser, guter, eisfrischer Waben-Goldhonig. Denn wisset, ich will droben das Honig-Opfer bringen." - Als Zarathustra aber oben auf der Hoehe war, sandte er die Thiere heim, die ihn geleitet hatten, und fand, dass er nunmehr allein sei: - da lachte er aus ganzem Herzen, sah sich um und sprach also: Dass ich von Opfern sprach und Honig-Opfern, eine List war's nur meiner Rede und, wahrlich, eine nuetzliche Thorheit! Hier oben darf ich schon freier reden, als vor Einsiedler-Hoehlen und Einsiedler-Hausthieren. Was opfern! Ich verschwende, was mir geschenkt wird, ich Verschwender mit tausend Haenden: wie duerfte ich Das noch - Opfern heissen! Und als ich nach Honig begehrte, begehrte ich nur nach Koeder und suessem Seime und Schleime, nach dem auch Brummbaeren und wunderliche muerrische boese Voegel die Zunge lecken: - nach dem besten Koeder, wie er Jaegern und Fischfaengern noththut. Denn wenn die Welt wie ein dunkler Thierwald ist und aller wilden Jaeger Lustgarten, so duenkt sie mich noch mehr und lieber ein abgruendliches reiches Meer, - ein Meer voll bunter Fische und Krebse, nach dem es auch Goetter geluesten moechte, dass sie an ihm zu Fischern wuerden und zu Netz-Auswerfern: so reich ist die Welt an Wunderlichem, grossem und kleinem! Sonderlich die Menschen-Welt, das Menschen-Meer: - nach _dem_ werfe ich nun meine goldene Angelruthe aus und spreche: thue dich auf, du Menschen-Abgrund! Thue dich auf und wirf mir deine Fische und Glitzer-Krebse zu! Mit meinem besten Koeder koedere ich mir heute die wunderlichsten Menschen-Fische! - mein Glueck selber werfe ich hinaus in alle Weiten und Fernen, zwischen Aufgang, Mittag und Niedergang, ob nicht an meinem Gluecke viele Menschen-Fische zerrn und zappeln lernen. Bis sie, anbeissend an meine spitzen verborgenen Haken, hinauf muessen in _meine_ Hoehe, die buntesten Abgrund-Gruendlinge zu dem boshaftigsten aller Menschen- Fischfaenger. _Der_ naemlich bin ich von Grund und Anbeginn, ziehend, heranziehend, hinaufziehend, aufziehend, ein Zieher, Zuechter und Zuchtmeister, der sich nicht umsonst einstmals zusprach: "Werde, der du bist!" Also moegen nunmehr die Menschen zu mir _hinauf_ kommen: denn noch warte ich der Zeichen, dass es Zeit sei zu meinem Niedergange, noch gehe ich selber nicht unter, wie ich muss, unter Menschen. Dazu warte ich hier, listig und spoettisch auf hohen Bergen, kein Ungeduldiger, kein Geduldiger, vielmehr Einer, der auch die Geduld verlernt hat, - weil er nicht mehr "duldet." Mein Schicksal naemlich laesst mir Zeit: es vergass mich wohl? Oder sitzt es hinter einem grossen Steine im Schatten und faengt Fliegen? Und wahrlich, ich bin ihm gut darob, meinem ewigen Schicksale, dass es mich nicht hetzt und draengt und mir Zeit zu Possen laesst und Bosheiten: also dass ich heute zu einem Fischfange auf diesen hohen Berg stieg. Fieng wohl je ein Mensch auf hohen Bergen Fische? Und wenn es auch eine Thorheit ist, was ich hier oben will und treibe: besser noch Diess, als dass ich da unten feierlich wuerde vor Warten und gruen und gelb - - ein gespreitzter Zornschnauber vor Warten, ein heiliger Heule-Sturm aus Bergen, ein Ungeduldiger, der in die Thaeler hinabruft: "Hoert, oder ich peitsche euch mit der Geissel Gottes!" Nicht dass ich solchen Zuernern darob gram wuerde: zum Lachen sind sie mir gut genung! Ungeduldig muessen sie schon sein, diese grossen Laermtrommeln, welche heute oder niemals zu Worte kommen! Ich aber und mein Schicksal - wir reden nicht zum Heute, wir reden auch nicht zum Niemals: wir haben zum Reden schon Geduld und Zeit und Ueberzeit. Denn einst muss er doch kommen und darf nicht voruebergehn. Wer muss einst kommen und darf nicht voruebergehn? Unser grosser Hazar, das ist unser grosses fernes Menschen-Reich, das Zarathustra-Reich von tausend Jahren - - Wie ferne mag solches "Ferne" sein? was geht's mich an! Aber darum steht es mir doch nicht minder fest -, mit beiden Fuessen stehe ich sicher auf diesem Grunde, - auf einem ewigen Grunde, auf hartem Urgesteine, auf diesem hoechsten haertesten Urgebirge, zu dem alle Winde kommen als zur Wetterscheide, fragend nach Wo? und Woher? und Wohinaus? Hier lache, lache meine helle heile Bosheit! Von hohen Bergen wirf hinab dein glitzerndes Spott-Gelaechter! Koedere mit deinem Glitzern mir die schoensten Menschen-Fische! Und was in allen Meeren _mir_ zugehoert, mein An-und-fuer-mich in allen Dingen - _Das_ fische mir heraus, _Das_ fuehre zu mir herauf: dess warte ich, der boshaftigste aller Fischfaenger. Hinaus, hinaus, meine Angel! Hinein, hinab, Koeder meines Gluecks! Traeufle deinen suessesten Thau, mein Herzens-Honig! Beisse, meine Angel, in den Bauch aller schwarzen Truebsal! Hinaus, hinaus, mein Auge! Oh welche vielen Meere rings um mich, welch daemmernde Menschen-Zukuenfte! Und ueber mir - welch rosenrothe Stille! Welch entwoelktes Schweigen! Der Nothschrei Des naechsten Tages sass Zarathustra wieder auf seinem Steine vor der Hoehle, waehrend die Thiere draussen in der Welt herumschweiften, dass sie neue Nahrung heimbraechten, - auch neuen Honig: denn Zarathustra hatte den alten Honig bis auf das letzte Korn verthan und verschwendet. Als er aber dermaassen dasass, mit einem Stecken in der Hand, und den Schatten seiner Gestalt auf der Erde abzeichnete, nachdenkend und, wahrlich! nicht ueber sich und seinen Schatten - da erschrak er mit Einem Male und fuhr zusammen: denn er sahe neben seinem Schatten noch einen andern Schatten. Und wie er schnell um sich blickte und aufstand, siehe, da stand der Wahrsager neben ihm, der selbe, den er einstmals an seinem Tische gespeist und getraenkt hatte, der Verkuendiger der grossen Muedigkeit, welcher lehrte: "Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, Welt ist ohne Sinn, Wissen wuergt." Aber sein Antlitz hatte sich inzwischen verwandelt; und als ihm Zarathustra in die Augen blickte, wurde sein Herz abermals erschreckt: so viel schlimme Verkuendigungen und aschgraue Blitze liefen ueber diess Gesicht. Der Wahrsager, der es wahrgenommen, was sich in Zarathustra's Seele zutrug, wischte mit der Hand ueber sein Antlitz hin, wie als ob er dasselbe wegwischen wollte; desgleichen that auch Zarathustra. Und als Beide dergestalt sich schweigend gefasst und gekraeftigt hatten, gaben sie sich die Haende, zum Zeichen, dass sie sich wiedererkennen wollten. "Sei mir willkommen, sagte Zarathustra, du Wahrsager der grossen Muedigkeit, du sollst nicht umsonst einstmals mein Tisch- und Gastfreund gewesen sein. Iss und trink auch heute bei mir und vergieb es, dass ein vergnuegter alter Mann mit dir zu Tische sitzt!" - "Ein vergnuegter alter Mann? antwortete der Wahrsager, den Kopf schuettelnd: wer du aber auch bist oder sein willst, oh Zarathustra, du bist es zum Laengsten hier Oben gewesen, - dein Nachen soll ueber Kurzem nicht mehr im Trocknen sitzen!" - "Sitze ich denn im Trocknen?" fragte Zarathustra lachend. - "Die Wellen um deinen Berg, antwortete der Wahrsager, steigen und steigen, die Wellen grosser Noth und Truebsal: die werden bald auch deinen Nachen heben und dich davontragen." - Zarathustra schwieg hierauf und wunderte sich. - "Hoerst du noch Nichts? fuhr der Wahrsager fort: rauscht und braust es nicht herauf aus der Tiefe?" - Zarathustra schwieg abermals und horchte: da hoerte er einen langen, langen Schrei, welchen die Abgruende sich zuwarfen und weitergaben, denn keiner wollte ihn behalten: so boese klang er. "Du schlimmer Verkuendiger, sprach endlich Zarathustra, das ist ein Nothschrei und der Schrei eines Menschen, der mag wohl aus einem schwarzen Meere kommen. Aber was geht mich Menschen-Noth an! Meine letzte Suende, die mir aufgespart blieb, - weisst du wohl, wie sie heisst?" - "Mitleiden! antwortete der Wahrsager aus einem ueberstroemenden Herzen und hob beide Haende empor - oh Zarathustra, ich komme, dass ich dich zu deiner letzten Suende verfuehre!" - Und kaum waren diese Worte gesprochen, da erscholl der Schrei abermals, und laenger und aengstlicher als vorher, auch schon viel naeher. "Hoerst du? Hoerst du, oh Zarathustra? rief der Wahrsager, dir gilt der Schrei, dich ruft er: komm, komm, komm, es ist Zeit, es ist hoechste Zeit!" - Zarathustra schwieg hierauf, verwirrt und erschuettert; endlich fragte er, wie Einer, der bei sich selber zoegert: "Und wer ist das, der dort mich ruft?" "Aber du weisst es ja, antwortete der Wahrsager heftig, was verbirgst du dich? _Der_hoehere_Mensch_ ist es, der nach dir schreit!" "Der hoehere Mensch? schrie Zarathustra von Grausen erfasst: was will _der_? Was will _der_? Der hoehere Mensch! Was will der hier?" - und seine Haut bedeckte sich mit Schweiss. Der Wahrsager aber antwortete nicht auf die Angst Zarathustra's, sondern horchte und horchte nach der Tiefe zu. Als es jedoch lange Zeit dort stille blieb, wandte er seinen Blick zurueck und sahe Zarathustra stehn und zittern. "Oh Zarathustra, hob er mit trauriger Stimme an, du stehst nicht da wie Einer, den sein Glueck drehend macht: du wirst tanzen muessen, dass du mir nicht umfaellst! Aber wenn du auch vor mir tanzen wolltest und alle deine Seitenspruenge springen: Niemand soll mir doch sagen duerfen: `Siehe, hier tanzt der letzte frohe Mensch!` Umsonst kaeme Einer auf diese Hoehe, der den hier suchte: Hoehlen faende er wohl und Hinter-Hoehlen, Verstecke fuer Versteckte, aber nicht Gluecks-Schachte und Schatzkammern und neue Gluecks-Goldadern. Glueck - wie faende man wohl das Glueck bei solchen Vergrabenen und Einsiedlern! Muss ich das letzte Glueck noch auf glueckseligen Inseln suchen und ferne zwischen vergessenen Meeren? Aber Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, es hilft kein Suchen, es giebt auch keine glueckseligen Inseln mehr!" - - Also seufzte der Wahrsager; bei seinem letzten Seufzer aber wurde Zarathustra wieder hell und sicher, gleich Einem, der aus einem tiefen Schlunde an's Licht kommt. "Nein! Nein! Drei Mal Nein! rief er mit starker Stimme und strich sich den Bart - _Das_ weiss ich besser! Es giebt noch glueckselige Inseln! Stille _davon_, du seufzender Trauersack! Hoere _davon_ auf zu plaetschern, du Regenwolke am Vormittag! Stehe ich denn nicht schon da, nass von deiner Truebsal und begossen wie ein Hund? Nun schuettle ich mich und laufe dir davon, dass ich wieder trocken werde: dess darfst du nicht Wunder haben! Duenke ich dir unhoeflich? Aber hier ist _mein_ Hof. Was aber deinen hoeheren Menschen angeht: wohlan! ich suche ihn flugs in jenen Waeldern: _daher_ kam sein Schrei. Vielleicht bedraengt ihn da ein boeses Thier. Er ist in _meinem_ Bereiche: darin soll er mir nicht zu Schaden kommen! Und wahrlich, es giebt viele boese Thiere bei mir." - Mit diesen Worten wandte sich Zarathustra zum Gehen. Da sprach der Wahrsager: "Oh Zarathustra, du bist ein Schelm! Ich weiss es schon: du willst mich los sein! Lieber noch laeufst du in die Waelder und stellst boesen Thieren nach! Aber was hilft es dir? Des Abends wirst du doch mich wiederhaben, in deiner eignen Hoehle werde ich dasitzen, geduldig und schwer wie ein Klotz - und auf dich warten!" "So sei's! rief Zarathustra zurueck im Fortgehn: und was mein ist in meiner Hoehle, gehoert auch dir, meinem Gastfreunde! Solltest du aber drin noch Honig finden, wohlan! so lecke ihn nur auf, du Brummbaer, und versuesse deine Seele! Am Abende naemlich wollen wir Beide guter Dinge sein, - guter Dinge und froh darob, dass dieser Tag zu Ende gieng! Und du selber sollst zu meinen Liedern als mein Tanzbaer tanzen. Du glaubst nicht daran? Du schuettelst den Kopf? Wohlan! Wohlauf! Alter Baer! Aber auch ich - bin ein Wahrsager." Also sprach Zarathustra. Gespraech mit den Koenigen 1. Zarathustra war noch keine Stunde in seinen Bergen und Waeldern unterwegs, da sahe er mit Einem Male einen seltsamen Aufzug. Gerade auf dem Wege, den er hinabwollte, kamen zwei Koenige gegangen, mit Kronen und Purpurguerteln geschmueckt und bunt wie Flamingo-Voegel: die trieben einen beladenen Esel vor sich her. "Was wollen diese Koenige in meinem Reiche?" sprach Zarathustra erstaunt zu seinem Herzen und versteckte Sich geschwind hinter einem Busche. Als aber die Koenige bis zu ihm herankamen, sagte er, halblaut, wie Einer, der zu sich allein redet: "Seltsam! Seltsam! Wie reimt sich Das zusammen? Zwei Koenige sehe ich - und nur Einen Esel!" Da machten die beiden Koenige Halt, laechelten, sahen nach der Stelle hin, woher die Stimme kam, und sahen sich nachher selber in's Gesicht. "Solcherlei denkt man wohl auch unter uns, sagte der Koenig zur Rechten, aber man spricht es nicht aus." Der Koenig zur Linken aber zuckte mit den Achseln und antwortete: "Das mag wohl ein Ziegenhirt sein. Oder ein Einsiedler, der zu lange unter Felsen und Baeumen lebte. Gar keine Gesellschaft naemlich verdirbt auch die guten Sitten." "Die guten Sitten? entgegnete unwillig und bitter der andre Koenig: wem laufen wir denn aus dem Wege? Ist es nicht den `guten Sitten`? Unsrer `guten Gesellschaft`? Lieber, wahrlich, unter Einsiedlern und Ziegenhirten als mit unserm vergoldeten falschen ueberschminkten Poebel leben, - ob er sich schon `gute Gesellschaft` heisst, - ob er sich schon `Adel` heisst. Aber da ist Alles falsch und faul, voran das Blut, Dank alten schlechten Krankheiten und schlechteren Heil-Kuenstlern. Der Beste und Liebste ist mir heute noch ein gesunder Bauer, grob, listig, hartnaeckig, langhaltig: das ist heute die vornehmste Art. Der Bauer ist heute der Beste; und Bauern-Art sollte Herr sein! Aber es ist das Reich des Poebels, - ich lasse mir Nichts mehr vormachen. Poebel aber, das heisst: Mischmasch. Poebel-Mischmasch: darin ist Alles in Allem durcheinander, Heiliger und Hallunke und Junker und Jude und jeglich Vieh aus der Arche Noaeh. Gute Sitten! Alles ist bei uns falsch und faul. Niemand weiss mehr zu verehren: _dem_ gerade laufen wir davon. Es sind suessliche zudringliche Hunde, sie vergolden Palmenblaetter. Dieser Ekel wuergt mich, dass wir Koenige selber falsch wurden, ueberhaengt und verkleidet durch alten vergilbten Grossvaeter-Prunk, Schaumuenzen fuer die Duemmsten und die Schlauesten, und wer heute Alles mit der Macht Schacher treibt! Wir _sind_ nicht die Ersten - und muessen es doch _bedeuten_: dieser Betruegerei sind wir endlich satt und ekel geworden. Dem Gesindel giengen wir aus dem Wege, allen diesen Schreihaelsen und Schreib-Schmeissfliegen, dem Kraemer-Gestank, dem Ehrgeiz-Gezappel, dem ueblen Athem -: pfui, unter dem Gesindel leben, - pfui, unter dem Gesindel die Ersten zu bedeuten! Ach, Ekel! Ekel! Ekel! Was liegt noch an uns Koenigen!" - "Deine alte Krankheit faellt dich an, sagte hier der Koenig zur Linken, der Ekel faellt dich an, mein armer Bruder. Aber du weisst es doch, es hoert uns Einer zu." Sofort erhob sich Zarathustra, der zu diesen Reden Ohren und Augen aufgesperrt hatte, aus seinem Schlupfwinkel, trat auf die Koenige zu und begann: "Der Euch zuhoert, der Euch gerne zuhoert, ihr Koenige, der heisst Zarathustra. Ich bin Zarathustra, der einst sprach: `Was liegt noch an Koenigen!` Vergebt mir, ich freute mich, als Ihr zu einander sagtet: `Was liegt an uns Koenigen!` Hier aber ist _mein_ Reich und meine Herrschaft: was moegt Ihr wohl in meinem Reiche suchen? Vielleicht aber _fandet_ Ihr unterwegs, was _ich_ suche: naemlich den hoeheren Menschen." Als Diess die Koenige hoerten, schlugen sie sich an die Brust und sprachen mit Einem Munde: "Wir sind erkannt! Mit dem Schwerte dieses Wortes zerhaust du unsres Herzens dickste Finsterniss. Du entdecktest unsre Noth, denn siehe! Wir sind unterwegs, dass wir den hoeheren Menschen faenden - - den Menschen, der hoeher ist als wir: ob wir gleich Koenige sind. Ihm fuehren wir diesen Esel zu. Der hoechste Mensch naemlich soll auf Erden auch der hoechste Herr sein. Es giebt kein haerteres Unglueck in allem Menschen-Schicksale, als wenn die Maechtigen der Erde nicht auch die ersten Menschen sind. Da wird Alles falsch und schief und ungeheuer. Und wenn sie gar die letzten sind und mehr Vieh als Mensch: da steigt und steigt der Poebel im Preise, und endlich spricht gar die Poebel-Tugend: `siehe, ich allein bin Tugend!` - Was hoerte ich eben? antwortete Zarathustra; welche Weisheit bei Koenigen! Ich bin entzueckt, und, wahrlich, schon geluestet's mich, einen Reim darauf zu machen: - - mag es auch ein Reim werden, der nicht fuer Jedermanns Ohren taugt. Ich verlernte seit langem schon die Ruecksicht auf lange Ohren. Wohlan! Wohlauf! (Hier aber geschah es, dass auch der Esel zu Worte kam: er sagte aber deutlich und mit boesem Willen I-A.) Einstmals - ich glaub', im Jahr des Heiles Eins - Sprach die Sibylle, trunken sonder Weins: `Weh, nun geht's schief! Verfall! Verfall! Nie sank die Welt so tief! Rom sank zur Hure und zur Huren-Bude, Rom's Caesar sank zum Vieh, Gott selbst - ward Jude!`" 2. An diesen Reimen Zarathustra's weideten sich die Koenige; der Koenig zur Rechten aber sprach: "oh Zarathustra, wie gut thaten wir, dass wir auszogen, dich zu sehn! Deine Feinde naemlich zeigten uns dein Bild in ihrem Spiegel: da blicktest du mit der Fratze eines Teufels und hohnlachend: also dass wir uns vor dir fuerchteten. Aber was half's! Immer wieder stachst du uns in Ohr und Herz mit deinen Spruechen. Da sprachen wir endlich: was liegt daran, wie er aussieht! Wir muessen ihn _hoeren_, ihn, der lehrt `ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen, und den kurzen Frieden mehr als den langen!` Niemand sprach je so kriegerische Worte: `Was ist gut? Tapfer sein ist gut. Der gute Krieg ist's, der jede Sache heiligt.` Oh Zarathustra, unsrer Vaeter Blut ruehrte sich bei solchen Worten in unserm Leibe: das war wie die Rede des Fruehlings zu alten Weinfaessern. Wenn die Schwerter durcheinander liefen gleich rothgefleckten Schlangen, da wurden unsre Vaeter dem Leben gut; alles Friedens Sonne duenkte sie flau und lau, der lange Frieden aber machte Scham. Wie sie seufzten, unsre Vaeter, wenn sie an der Wand blitzblanke ausgedorrte Schwerter sahen! Denen gleich duersteten sie nach Krieg. Ein Schwert naemlich will Blut trinken und funkelt vor Begierde." - - - Als die Koenige dergestalt mit Eifer von dem Glueck ihrer Vaeter redeten und schwaetzten, ueberkam Zarathustra keine kleine Lust, ihres Eifers zu spotten: denn ersichtlich waren es sehr friedfertige Koenige, welche er vor sich sah, solche mit alten und feinen Gesichtern. Aber er bezwang sich. "Wohlan! sprach er, dorthin fuehrt der Weg, da liegt die Hoehle Zarathustra's; und dieser Tag soll einen langen Abend haben! Jetzt aber ruft mich eilig ein Nothschrei fort von Euch. Es ehrt meine Hoehle, wenn Koenige in ihr sitzen und warten wollen: aber, freilich, Ihr werdet lange warten muessen! Je nun! Was thut's! Wo lernt man heute besser warten als an Hoefen? Und der Koenige ganze Tugend, die ihnen uebrig blieb, - heisst sie heute nicht: Warten-_koennen_?" Also sprach Zarathustra. Der Blutegel Und Zarathustra gieng nachdenklich weiter und tiefer, durch Waelder und vorbei an moorigen Gruenden; wie es aber Jedem ergeht, der ueber schwere Dinge nachdenkt, so trat er unversehens dabei auf einen Menschen. Und siehe, da spruetzten ihm mit Einem Male ein Weheschrei und zwei Flueche und zwanzig schlimme Schimpfworte in's Gesicht: also dass er in seinem Schrecken den Stock erhob und auch auf den Getretenen noch zuschlug. Gleich darauf aber kam ihm die Besinnung; und sein Herz lachte ueber die Thorheit, die er eben gethan hatte. "Vergieb, sagte er zu dem Getretenen, der sich grimmig erhoben und gesetzt hatte, vergieb und vernimm vor Allem erst ein Gleichniss. Wie ein Wanderer, der von fernen Dingen traeumt, unversehens auf einsamer Strasse einen schlafenden Hund anstoesst, einen Hund, der in der Sonne liegt: - wie da Beide auffahren, sich anfahren, Todfeinden gleich, diese zwei zu Tod Erschrockenen: also ergieng es uns. Und doch! Und doch - wie wenig hat gefehlt, dass sie einander liebkosten, dieser Hund und dieser Einsame! Sind sie doch Beide - Einsame!" - "Wer du auch sein magst, sagte immer noch grimmig der Getretene, du trittst mir auch mit deinem Gleichniss zu nahe, und nicht nur mit deinem Fusse! Siehe doch, bin ich denn ein Hund?" - und dabei erhob sich der Sitzende und zog seinen nackten Arm aus dem Sumpfe. Zuerst naemlich hatte er ausgestreckt am Boden gelegen, verborgen und unkenntlich gleich Solchen, die einem Sumpf-Wilde auflauern. "Aber was treibst du doch!" rief Zarathustra erschreckt, denn er sahe, dass ueber den nackten Arm weg viel Blut floss, - was ist dir zugestossen? Biss dich, du Unseliger, ein schlimmes Thier? Der Blutende lachte, immer noch erzuernt. "Was geht's dich an! sagte er und wollte weitergehn. Hier bin ich heim und in meinem Bereiche. Mag mich fragen, wer da will: einem Toelpel aber werde ich schwerlich antworten." "Du irrst, sagte Zarathustra mitleidig und hielt ihn fest, du irrst: hier bist du nicht bei dir, sondern in meinem Reiche, und darin soll mir Keiner zu Schaden kommen. Nenne mich aber immerhin, wie du willst, - ich bin, der ich sein muss. Ich selber heisse mich Zarathustra. Wohlan! Dort hinauf geht der Weg zu Zarathustra's Hoehle: die ist nicht fern, - willst du nicht bei mir deiner Wunden warten? Es gieng dir schlimm, du Unseliger, in diesem Leben: erst biss dich das Thier, und dann - trat dich der Mensch!" - - Als aber der Getretene den Namen Zarathustra's hoerte, verwandelte er sich. "Was geschieht mir doch! rief er aus, _wer_ kuemmert mich denn noch in diesem Leben, als dieser Eine Mensch, naemlich Zarathustra, und jenes Eine Thier, das vom Blute lebt, der Blutegel? Des Blutegels halber lag ich hier an diesem Sumpfe wie ein Fischer, und schon war mein ausgehaengter Arm zehn Mal angebissen, da beisst noch ein schoenerer Igel nach meinem Blute, Zarathustra selber! Oh Glueck! Oh Wunder! Gelobt sei dieser Tag, der mich in diesen Sumpf lockte! Gelobt sei der beste lebendigste Schroepfkopf, der heut lebt, gelobt sei der grosse Gewissens-Blutegel Zarathustra!" - Also sprach der Getretene; und Zarathustra freute sich ueber seine Worte und ihre feine ehrfuerchtige Art. "Wer bist du? fragte er und reichte ihm die Hand, zwischen uns bleibt Viel aufzuklaeren und aufzuheitern: aber schon, duenkt mich, wird es reiner heller Tag." "Ich bin _der_Gewissenhafte_des_Geistes_, antwortete der Gefragte, und in Dingen des Geistes nimmt es nicht leicht Einer strenger, enger und haerter als ich, ausgenommen der, von dem ich's lernte, Zarathustra selber. Lieber Nichts wissen, als Vieles halb wissen! Lieber ein Narr sein auf eigne Faust, als ein Weiser nach fremdem Gutduenken! Ich - gehe auf den Grund: - was liegt daran, ob er gross oder klein ist? Ob er Sumpf oder Himmel heisst? Eine Hand breit Grund ist mir genung: wenn er nur wirklich Grund und Boden ist! - eine Hand breit Grund: darauf kann man stehn. In der rechten Wissen-Gewissenschaft giebt es nichts Grosses und nichts Kleines." "So bist du vielleicht der Erkenner des Blutegels? fragte Zarathustra; und du gehst dem Blutegel nach bis auf die letzten Gruende, du Gewissenhafter?" "Oh Zarathustra, antwortete der Getretene, das waere ein Ungeheures, wie duerfte ich mich dessen unterfangen! Wess ich aber Meister und Kenner bin, das ist des Blutegels _Hirn_: - das ist _meine_ Welt! Und es ist auch eine Welt! Vergieb aber, dass hier mein Stolz zu Worte kommt, denn ich habe hier nicht meines Gleichen. Darum sprach ich `hier bin ich heim.` Wie lange gehe ich schon diesem Einen nach, dem Hirn des Blutegels, dass die schluepfrige Wahrheit mir hier nicht mehr entschluepfe! Hier ist _mein_ Reich! - darob warf ich alles Andere fort, darob wurde mir alles. Andre gleich; und dicht neben meinem Wissen lagert mein schwarzes Unwissen. Mein Gewissen des Geistes will es so von mir, dass ich Eins weiss und sonst Alles nicht weiss: es ekelt mich aller Halben des Geistes, aller Dunstigen, Schwebenden, Schwaermerischen. Wo meine Redlichkeit aufhoert, bin ich blind und will auch blind sein. Wo ich aber wissen will, will ich auch redlich sein, naemlich hart, streng, eng, grausam, unerbittlich. Dass _du_ einst sprachst, oh Zarathustra: `Geist ist das Leben, das selber in's Leben schneidet,` das fuehrte und verfuehrte mich zu deiner Lehre. Und, wahrlich, mit eignem Blute mehrte ich mir das eigne Wissen!" - "Wie der Augenschein lehrt," fiel Zarathustra ein; denn immer noch floss das Blut an dem nackten Arme des Gewissenhaften herab. Es hatten naemlich zehn Blutegel sich in denselben eingebissen. "Oh du wunderlicher Gesell, wie Viel lehrt mich dieser Augenschein da, naemlich du selber! Und nicht Alles duerfte ich vielleicht in deine strengen Ohren giessen! Wohlan! So scheiden wir hier! Doch moechte ich gerne dich wiederfinden. Dort hinauf fuehrt der Weg zu meiner Hoehle: heute Nacht sollst du dort mein lieber Gast sein! Gerne moechte ich's auch an deinem Leibe wieder gut machen, dass Zarathustra dich mit Fuessen trat: darueber denke ich nach. Jetzt aber ruft mich ein Nothschrei eilig fort von dir." Also sprach Zarathustra. Der Zauberer 1. Als aber Zarathustra um einen Felsen herumbog, da sahe er, nicht weit unter sich, auf dem gleichen Wege, einen Menschen, der die Glieder warf wie ein Tobsuechtiger und endlich baeuchlings zur Erde niederstuerzte. "Halt! sprach da Zarathustra zu seinem Herzen, Der dort muss wohl der hoehere Mensch sein, von ihm kam jener schlimme Nothschrei, - ich will sehn, ob da zu helfen ist." Als er aber hinzulief, an die Stelle, wo der Mensch auf dem Boden lag, fand er einen zitternden alten Mann mit stieren Augen; und wie sehr sich Zarathustra muehte, dass er ihn aufrichte und wieder auf seine Beine stelle, es war umsonst. Auch schien der Unglueckliche nicht zu merken, dass jemand um ihn sei; vielmehr sah er sich immer mit ruehrenden Gebaerden um, wie ein von aller Welt Verlassener und Vereinsamter. Zuletzt aber, nach vielem Zittern, Zucken und Sich-zusammen-Kruemmen, begann er also zu jammern: Wer waermt mich, wer liebt mich noch? Gebt heisse Haende! Gebt Herzens-Kohlenbecken! Hingestreckt, schaudernd, Halbtodtem gleich, dem man die Fuesse waermt - Geschuettelt, ach! von unbekannten Fiebern, Zitternd vor spitzen eisigen Frost-Pfeilen, Von dir gejagt, Gedanke! Unnennbarer! Verhuellter! Entsetzlicher! Du Jaeger hinter Wolken! Darniedergeblitzt von dir, Du hoehnisch Auge, das mich aus Dunklem anblickt: - so liege ich, Biege mich, winde mich, gequaelt Von allen ewigen Martern, Getroffen Von Dir, grausamster Jaeger, Du unbekannter - Gott! Triff tiefer, Triff Ein Mal noch! Zerstich, zerbrich diess Herz! Was soll diess Martern Mit zaehnestumpfen Pfeilen? Was blickst du wieder, Der Menschen-Qual nicht muede, Mit schadenfrohen Goetter-Blitz-Augen? Nicht toedten willst du, Nur martern, martern? Wozu - _mich_ martern, Du schadenfroher unbekannter Gott? - Haha! Du schleichst heran? Bei solcher Mitternacht Was willst du? Sprich! Du draengst mich, drueckst mich - Ha! schon viel zu nahe! Weg! Weg! Du hoerst mich athmen, Du behorchst mein Herz, Du Eifersuechtiger - Worauf doch eifersuechtig? Weg! Weg! Wozu die Leiter? Willst _du_hinein_, In's Herz, Einsteigen, in meine heimlichsten Gedanken einsteigen? Schamloser! Unbekannter - Dieb! Was willst du dir erstehlen, Was willst du dir erhorchen, Was willst du dir erfoltern, Du Folterer! Du - Henker-Gott! Oder soll ich, dem Hunde gleich, Vor dir mich waelzen? Hingebend, begeistert-ausser-mir, Dir - Liebe zuwedeln? Umsonst! Stich weiter, Grausamster Stachel! Nein, Kein Hund - dein Wild nur bin ich, Grausamster Jaeger! Dein stolzester Gefangner, Du Raeuber hinter Wolken! Sprich endlich, Was willst du, Wegelagerer, von _mir_? Du Blitz-Verhuellter! Unbekannter! Sprich, Was _willst_ du, unbekannter Gott? - - Wie? Loesegeld? Was willst du Loesegelds? Verlange Viel - das raeth mein Stolz! Und rede kurz - das raeth mein andrer Stolz! Haha! Mich - willst du? Mich? Mich - ganz? Haha! Und marterst mich, Narr, der du bist, Zermarterst meinen Stolz? Gieb _Liebe_ mir - wer waermt mich noch? Wer liebt mich noch? - gieb heisse Haende, Gieb Herzens-Kohlenbecken, Gieb mir, dem Einsamsten, Den Eis, ach! siebenfaches Eis Nach Feinden selber, Nach Feinden schmachten lehrt, Gieb, ja ergieb, Grausamster Feind, Mir - _dich_! - - Davon! Da floh er selber, Mein letzter einziger Genoss, Mein grosser Feind, Mein Unbekannter, Mein Henker-Gott! - - Nein! Komm zurueck, Mit allen deinen Martern! Zum Letzten aller Einsamen Oh komm zurueck! All meine Thraenen-Baeche laufen Zu dir den Lauf! Und meine letzte Herzens-Flamme - _Dir_ glueht sie auf! Oh komm zurueck, Mein unbekannter Gott! Mein Schmerz! Mein letztes - Glueck! 2. - Hier aber konnte sich Zarathustra nicht laenger halten, nahm seinen Stock und schlug mit allen Kraeften auf den jammernden los. "Halt ein! schrie er ihm zu, mit ingrimmigem Lachen, halt ein, du Schauspieler! Du Falschmuenzer! Du Luegner aus dem Grunde! Ich erkenne dich wohl! Ich will dir schon warme Beine machen, du schlimmer Zauberer, ich verstehe mich gut darauf, Solchen wie du bist - einzuheizen!" - "Lass ab, sagte der alte Mann und sprang vom Boden auf, schlage nicht mehr, oh Zarathustra! Ich trieb's also nur zum Spiele! Solcherlei gehoert zu meiner Kunst; dich selber wollte ich auf die Probe stellen, als ich dir diese Probe gab! Und, wahrlich, du hast mich gut durchschaut! Aber auch du - gabst mir von dir keine kleine Probe: du bist _hart_, du weiser Zarathustra! Hart schlaegst du zu mit deinen `Wahrheiten`, dein Knuettel erzwingt von mir - _diese_ Wahrheit!" - "Schmeichle nicht, antwortete Zarathustra, immer noch erregt und finsterblickend, du Schauspieler aus dem Grunde! Du bist falsch: was redest du - von Wahrheit! Du Pfau der Pfauen, du Meer der Eitelkeit, _was_ spieltest du vor mir, du schlimmer Zauberer, an _wen_ sollte ich glauben, als du in solcher Gestalt jammertest?" "Den Buesser des Geistes, sagte der alte Mann, _den_ - spielte ich: du selber erfandest einst diess Wort - - den Dichter und Zauberer, der gegen sich selber endlich seinen Geist wendet, den Verwandelten, der an seinem boesen Wissen und Gewissen erfriert. Und gesteh es nur ein: es waehrte lange, oh Zarathustra, bis du hinter meine Kunst und Luege kamst! _Du_glaubtest_ an meine Noth, als du mir den Kopf mit beiden Haenden hieltest, - - ich hoerte dich jammern `man hat ihn zu wenig geliebt, zu wenig geliebt!` Dass ich dich soweit betrog, darueber frohlockte inwendig meine Bosheit." "Du magst Feinere betrogen haben als mich, sagte Zarathustra hart. Ich bin nicht auf der Hut vor Betruegern, ich _muss_ ohne Vorsicht sein: so will es mein Loos. Du aber - _musst_ betruegen: so weit kenne ich dich! Du musst immer zwei- drei- vier- und fuenfdeutig sein! Auch was du jetzt bekanntest, war mir lange nicht wahr und nicht falsch genung! Du schlimmer Falschmuenzer, wie koenntest du anders! Deine Krankheit wuerdest du noch schminken, wenn du dich deinem Arzte nackt zeigtest. So schminktest du eben vor mir deine Luege, als du sprachst: `ich trieb's also _nur_ zum Spiele!` Es war auch _Ernst_ darin, du _bist_ Etwas von einem Buesser des Geistes! Ich errathe dich wohl: du wurdest der Bezauberer Aller, aber gegen dich hast du keine Luege und List mehr uebrig, - du selber bist dir entzaubert! Du erntetest den Ekel ein, als deine Eine Wahrheit. Kein Wort ist mehr an dir aecht, aber dein Mund: naemlich der Ekel, der an deinem Munde klebt." - - - "Wer bist du doch! schrie hier der alte Zauberer mit einer trotzigen Stimme, wer darf also zu _mir_ reden, dem Groessten, der heute lebt?" - und ein gruener Blitz schoss aus seinem Auge nach Zarathustra. Aber gleich darauf verwandelte er sich und sagte traurig: "Oh Zarathustra, ich bin's muede, es ekelt mich meiner Kuenste, ich bin nicht _gross_, was verstelle ich mich! Aber, du weisst es wohl - ich suchte nach Groesse! Einen grossen Menschen wollte ich vorstellen und ueberredete Viele: aber diese Luege gieng ueber meine Kraft. An ihr zerbreche ich. Oh Zarathustra, Alles ist Luege an mir; aber dass ich zerbreche - diess mein Zerbrechen ist _aecht_!" - "Es ehrt dich, sprach Zarathustra duester und zur Seite niederblickend, es ehrt dich, dass du nach Groesse suchtest, aber es verraeth dich auch. Du bist nicht gross. Du schlimmer alter Zauberer, _das_ ist dein Bestes und Redlichstes, was ich an dir ehre, dass du deiner muede wurdest und es aussprachst: `ich bin nicht gross.` _Darin_ ehre ich dich als einen Buesser des Geistes: und wenn auch nur fuer einen Hauch und Husch, diesen Einen Augenblick warst du - aecht. Aber sprich, was suchst du hier in _meinen_ Waeldern und Felsen? Und wenn du _mir_ dich in den Weg legtest, welche Probe wolltest du von mir? - - wess versuchtest du _mich_?" - Also sprach Zarathustra, und seine Augen funkelten. Der alte Zauberer schwieg eine Weile, dann sagte er: "Versuchte ich dich? Ich - suche nur. Oh Zarathustra, ich suche einen Aechten, Rechten, Einfachen, Eindeutigen, einen Menschen aller Redlichkeit, ein Gefaess der Weisheit, einen Heiligen der Erkenntniss, einen grossen Menschen! Weisst du es denn nicht, oh Zarathustra? Ich suche Zarathustra." - Und hier entstand ein langes Stillschweigen zwischen Beiden; Zarathustra aber versank tief hinein in sich selber, also dass er die Augen schloss. Dann aber, zu seinem Unterredner zurueckkehrend, ergriff er die Hand des Zauberers und sprach, voller Artigkeit und Arglist: "Wohlan! Dort hinauf fuehrt der Weg, da liegt die Hoehle Zarathustra's. In ihr darfst du suchen, wen du finden moechtest. Und frage meine Thiere um Rath, meinen Adler und meine Schlange: die sollen dir suchen helfen. Meine Hoehle aber ist gross. Ich selber freilich - ich sah noch keinen grossen Menschen. Was gross ist, dafuer ist das Auge der Feinsten heute grob. Es ist das Reich des Poebels. So Manchen fand ich schon, der streckte und blaehte sich, und das Volk schrie: `Seht da, einen grossen Menschen!` Aber was helfen alle Blasebaelge! Zuletzt faehrt der Wind heraus. Zuletzt platzt ein Frosch, der sich zu lange aufblies: da faehrt der Wind heraus. Einem Geschwollnen in den Bauch stechen, das heisse ich eine brave Kurzweil. Hoert das, ihr Knaben! Diess Heute ist des Poebels: wer _weiss_ da noch, was gross, was klein ist! Wer suchte da mit Glueck nach Groesse! Ein Narr allein: den Narren glueckt's. Du suchst nach grossen Menschen, du wunderlicher Narr? Wer _lehrte's_ dich? Ist heute dazu die Zeit? Oh du schlimmer Sucher, was - versuchst du mich?" - - Also sprach Zarathustra, getroesteten Herzens, und gierig lachend seines Wegs fuerbass. Ausser Dienst Nicht lange aber, nachdem Zarathustra sich von dem Zauberer losgemacht hatte, sahe er wiederum Jemanden am Wege sitzen, den er gierig, naemlich einen schwarzen langen Mann mit einem hageren Bleichgesicht: _der_ verdross ihn gewaltig. "Wehe, sprach er zu seinem Herzen, da, sitzt vermummte Truebsal, das duenkt mich von der Art der Priester: was wollen _die_ in meinem Reiche? Wie! Kaum bin ich jenem Zauberer entronnen: muss mir da wieder ein anderer Schwarzkuenstler ueber den Weg laufen, - - irgend ein Hexenmeister mit Handauflegen, ein dunkler Wunderthaeter von Gottes Gnaden, ein gesalbter Welt-Verleumder, den der Teufel holen moege! Aber der Teufel ist nie am Platze, wo er am Platze waere: immer kommt er zu spaet, dieser vermaledeite Zwerg und Klumpfuss!" - Also fluchte Zarathustra ungeduldig in seinem Herzen und gedachte, wie er abgewandten Blicks an dem schwarzen Manne vorueberschluepfe: aber siehe, es kam anders. Im gleichen Augenblicke naemlich hatte ihn schon der Sitzende erblickt; und nicht unaehnlich einem Solchen, dem ein unvermuthetes Glueck zustoesst, sprang er auf und gieng auf Zarathustra los. "Wer du auch bist, du Wandersmann, sprach er, hilf einem Verirrten, einem Suchenden, einem alten Manne, der hier leicht zu Schaden kommt! Diese Welt hier ist mir fremd und fern, auch hoerte ich wilde Thiere heulen; und Der, welcher mir haette Schutz bieten koennen, der ist selber nicht mehr. Ich suchte den letzten frommen Menschen, einen Heiligen und Einsiedler, der allein in seinem Walde noch Nichts davon gehoert hatte, was alle Welt heute weiss." "_Was_ weiss heute alle Welt? fragte Zarathustra. Etwa diess, dass der alte Gott nicht mehr lebt, an den alle Welt einst geglaubt hat?" "Du sagst es, antwortete der alte Mann betruebt. Und ich diente diesem alten Gotte bis zu seiner letzten Stunde. Nun aber bin ich ausser Dienst, ohne Herrn, und doch nicht frei, auch keine Stunde mehr lustig, es sei denn in Erinnerungen. Dazu stieg ich in diese Berge, dass ich endlich wieder ein Fest mir machte, wie es einem alten Papste und Kirchen-Vater zukommt: denn wisse, ich bin der letzte Papst! - ein Fest frommer Erinnerungen und Gottesdienste. Nun aber ist er selber todt, der froemmste Mensch, jener Heilige im Walde, der seinen Gott bestaendig mit Singen und Brummen lobte. Ihn selber fand ich nicht mehr, als ich seine Huette fand, - wohl aber zwei Woelfe darin, welche um seinen Tod heulten - denn alle Thiere liebten ihn. Da lief ich davon. Kam ich also umsonst in diese Waelder und Berge? Da entschloss sich mein Herz, dass ich einen Anderen suchte, den Froemmsten aller Derer, die nicht an Gott glauben -, dass ich Zarathustra suchte!" Also sprach der Greis und blickte scharfen Auges Den an, welcher vor ihm stand; Zarathustra aber ergriff die Hand des alten Papstes und betrachtete sie lange mit Bewunderung. "Siehe da, du Ehrwuerdiger, sagte er dann, welche schoene und lange Hand! Das ist die Hand eines Solchen, der immer Segen ausgetheilt hat. Nun aber haelt sie Den fest, welchen du suchst, mich, Zarathustra. Ich bin's, der gottlose Zarathustra, der da spricht: wer ist gottloser als ich, dass ich mich seiner Unterweisung freue?" - Also sprach Zarathustra und durchbohrte mit seinen Blicken die Gedanken und Hintergedanken des alten Papstes. Endlich begann dieser: "Wer ihn am meisten liebte und besass, der hat ihn nun am meisten auch verloren -: - siehe, ich selber bin wohl von uns Beiden jetzt der Gottlosere? Aber wer koennte daran sich freuen!" - "Du dientest ihm bis zuletzt, fragte Zarathustra nachdenklich, nach einem tiefen Schweigen, du weisst, _wie_ er starb? Ist es wahr, was man spricht, dass ihn das Mitleiden erwuergte, - dass er es sah, wie _der_Mensch_ am Kreuze hieng, und es nicht ertrug, dass die Liebe zum Menschen seine Hoelle und zuletzt sein Tod wurde?" - - Der alte Papst aber antwortete nicht, sondern blickte scheu und mit einem schmerzlichen und duesteren Ausdrucke zur Seite. "Lass ihn fahren, sagte Zarathustra nach einem langen Nachdenken, indem er immer noch dem alten Manne gerade in's Auge blickte. Lass ihn fahren, er ist dahin. Und ob es dich auch ehrt, dass du diesem Todten nur Gutes nachredest, so weisst du so gut als ich, _wer_ er war; und dass er wunderliche Wege gieng." "Unter drei Augen gesprochen, sagte erheitert der alte Papst (denn er war auf Einem Auge blind), in Dingen Gottes bin ich aufgeklaerter als Zarathustra selber - und darf es sein. Meine Liebe diente ihm lange Jahre, mein Wille gierig allem seinen Willen nach. Ein guter Diener aber weiss Alles, und Mancherlei auch, was sein Herr sich selbst verbirgt. Es war ein verborgener Gott, voller Heimlichkeit. Wahrlich zu einem Sohne sogar kam er nicht anders als auf Schleichwegen. An der Thuer seines Glaubens steht der Ehebruch. Wer ihn als einen Gott der Liebe preist, denkt nicht hoch genug von der Liebe selber. Wollte dieser Gott nicht auch Richter sein? Aber der Liebende liebt jenseits von Lohn und Vergeltung. Als er jung war, dieser Gott aus dem Morgenlande, da war er hart und rachsuechtig und erbaute sich eine Hoelle zum Ergoetzen seiner Lieblinge. Endlich aber wurde er alt und weich und muerbe und mitleidig, einem Grossvater aehnlicher als einem Vater, am aehnlichsten aber einer wackeligen alten Grossmutter. Da sass er, welk, in seinem Ofenwinkel, haermte sich ob seiner schwachen Beine, weltmuede, willensmuede, und erstickte eines Tags an seinem allzugrossen Mitleiden." - - "Du alter Papst, sagte hier Zarathustra dazwischen, hast du _Das_ mit Augen angesehn? Es koennte wohl so abgegangen sein: so, _und_ auch anders. Wenn Goetter sterben, sterben sie immer viele Arten Todes. Aber wohlan! So oder so, so und so - er ist dahin! Er gieng meinen Ohren und Augen wider den Geschmack, Schlimmeres moechte ich ihm nicht nachsagen. Ich liebe Alles, was hell blickt und redlich redet. Aber er - du weisst es ja, du alter Priester, es war Etwas von deiner Art an ihm, von Priester-Art - er war vieldeutig. Er war auch undeutlich. Was hat er uns darob gezuernt, dieser Zornschnauber, dass wir ihn schlecht verstanden Aber warum sprach er nicht reinlicher? Und lag es an unsern Ohren, warum gab er uns Ohren, die ihn schlecht hoerten? War Schlamm in unsern Ohren, wohlan! wer legte ihn hinein? Zu Vieles missrieth ihm, diesem Toepfer, der nicht ausgelernt hatte! Dass er aber Rache an seinen Toepfen und Geschoepfen nahm, dafuer dass sie ihm schlecht geriethen, - das war eine Suende wider den _guten_Geschmack_. Es giebt auch in der Froemmigkeit guten Geschmack: der sprach endlich `Fort mit einem _solchen_ Gotte! Lieber keinen Gott, lieber auf eigne Faust Schicksal machen, lieber Narr sein, lieber selber Gott sein!`" - "Was hoere ich! sprach hier der alte Papst mit gespitzten Ohren; oh Zarathustra, du bist froemmer als du glaubst, mit einem solchen Unglauben! Irgend ein Gott in dir bekehrte dich zu deiner Gottlosigkeit. Ist es nicht deine Froemmigkeit selber, die dich nicht mehr an einen Gott glauben laesst? Und deine uebergrosse Redlichkeit wird dich auch noch jenseits von Gut und Boese wegfuhren! Siehe, doch, was blieb dir aufgespart? Du hast Augen und Hand und Mund, die sind zum Segnen vorher bestimmt seit Ewigkeit. Man segnet nicht mit der Hand allein. In deiner Naehe, ob du schon der Gottloseste sein willst, wittere ich einen heimlichen Weih- und Wohlgeruch von langen Segnungen: mir wird wohl und wehe dabei. Lass mich deinen Gast sein, oh Zarathustra, fuer eine einzige Nacht! Nirgends auf Erden wird es mir jetzt wohler als bei dir!" - "Amen! So soll es sein! sprach Zarathustra mit grosser Verwunderung, dort hinauf fuehrt der Weg, da liegt die Hoehle Zarathustra's. Gerne, fuerwahr, wuerde ich dich selber dahin geleiten, du Ehrwuerdiger, denn ich liebe alle frommen Menschen. Aber jetzt ruft mich eilig ein Nothschrei weg von dir. In meinem Bereiche soll mir Niemand zu Schaden kommen; meine Hoehle ist ein guter Hafen. Und am liebsten moechte ich jedweden Traurigen wieder auf festes Land und feste Beine stellen. Wer aber naehme dir _deine_ Schwermuth von der Schulter? Dazu bin ich zu schwach. Lange, wahrlich, moechten wir warten, bis dir Einer deinen Gott wieder aufweckt. Dieser alte Gott naemlich lebt nicht mehr: der ist gruendlich todt." - Also sprach Zarathustra. Der haesslichste Mensch - Und wieder liefen Zarathustra's Fuesse durch Berge und Waelder, und seine Augen suchten und suchten, aber nirgends war Der zu sehen, welchen sie sehn wollten, der grosse Nothleidende und Nothschreiende. Auf dem ganzen Wege aber frohlockte er in seinem Herzen und war dankbar. "Welche guten Dinge, sprach er, schenkte mir doch dieser Tag, zum Entgelt, dass er schlimm begann! Welche seltsamen Unterredner fand ich! An deren Worten will ich lange nun kauen gleich als an guten Koernern; klein soll mein Zahn sie mahlen und malmen, bis sie mir wie Milch in die Seele fliessen!" - - Als aber der Weg wieder um einen Felsen bog, veraenderte sich mit Einem Male die Landschaft, und Zarathustra trat in ein Reich des Todes. Hier starrten schwarze und rothe Klippen empor: kein Gras, kein Baum, keine Vogelstimme. Es war naemlich ein Thal, welches alle Thiere mieden, auch die Raubthiere-, nur dass eine Art haesslicher, dicker, gruener Schlangen, wenn sie alt wurden, hierher kamen, um zu sterben. Darum nannten diess Thal die Hirten: Schlangen-Tod. Zarathustra aber versank in eine schwarze Erinnerung, denn ihm war, als habe er schon ein Mal in diesem Thal gestanden. Und vieles Schwere legte sich ihm ueber den Sinn: also, dass er langsam gieng und immer langsamer und endlich still stand. Da aber sahe er, als er die Augen aufthat, Etwas, das am Wege sass, gestaltet wie ein Mensch und kaum wie ein Mensch, etwas Unaussprechliches. Und mit Einem Schlage ueberfiel Zarathustra die grosse Scham darob, dass er so Etwas mit den Augen angesehn habe: erroethend bis hinauf an sein weisses Haar, wandte er den Blick ab und hob den Fuss, dass er diese schlimme Stelle verlasse. Da aber wurde die todte Oede laut: vom Boden auf naemlich quoll es gurgelnd und roechelnd, wie Wasser Nachts durch verstopfte Wasser-Roehren gurgelt und roechelt; und zuletzt wurde daraus eine Menschen-Stimme und Menschen-Rede: - die lautete also. "Zarathustra! Zarathustra! Rathe mein Raethsel! Sprich, sprich! Was ist _die_Rache_am_Zeugen_? Ich locke dich zurueck, hier ist glattes Eis! Sieh zu, sieh zu, ob dein Stolz sich hier nicht die Beine bricht! Du duenkst dich weise, du stolzer Zarathustra! So rathe doch das Raethsel, du harter Nuesseknacker, - das Raethsel, das ich bin! So sprich doch - wer bin _ich_!" - Als aber Zarathustra diese Worte gehoert hatte, - was glaubt ihr wohl, dass sich da mit seiner Seele zutrug? Das Mitleiden fiel ihn an; und er sank mit Einem Male nieder, wie ein Eichbaum, der lange vielen Holzschlaegern widerstanden hat, - schwer, ploetzlich, zum Schrecken selber fuer Die, welche ihn faellen wollten. Aber schon stand er wieder vom Boden auf, und sein Antlitz wurde hart. "Ich erkenne dich wohl, sprach er mit einer erzenen Stimme: du bist der Moerder Gottes! Lass mich gehn. Du _ertrugst_ Den nicht, der _dich_ sah, - der dich immer und durch und durch sah, du haesslichster Mensch! Du nahmst Rache an diesem Zeugen!" Also sprach Zarathustra und wollte davon; aber der Unaussprechliche fasste nach einem Zipfel seines Gewandes und begann von Neuem zu gurgeln und nach Worten zu suchen. "Bleib!" sagte er endlich - - "bleib! Geh nicht vorueber! Ich errieth, welche Axt dich zu Boden schlug: Heil dir, oh Zarathustra, dass du wieder stehst! Du erriethest, ich weiss es gut, wie Dem zu Muthe ist, der ihn toedtete, - dem Moerder Gottes. Bleib! Setze dich her zu mir, es ist nicht umsonst. Zu wem wollte ich, wenn nicht zu dir? Bleib, setze dich! Blicke mich aber nicht an! Ehre also - meine Haesslichkeit! Sie verfolgen mich: nun bist _du_ meine letzte Zuflucht. _Nicht_ mit ihrem Hasse, _nicht_ mit ihren Haeschern: - oh solcher Verfolgung wuerde ich spotten und stolz und froh sein! War nicht aller Erfolg bisher bei den Gut-Verfolgten? Und wer gut verfolgt, lernt leicht _folgen_: - ist er doch einmal - hinterher! Aber ihr _Mitleid_ ist's - - ihr Mitleid ist's, vor dem ich fluechte und dir zufluechte. Oh Zarathustra, schuetze mich, du meine letzte Zuflucht, du Einziger, der mich errieth: - du erriethest, wie Dem zu Muthe ist, welcher _ihn_ toedtete. Bleib! Und willst du gehn, du Ungeduldiger: geh nicht den Weg, den ich kam. _Der_ Weg ist schlecht. Zuernst du mir, dass ich zu lange schon rede-rade-breche? Dass ich schon dir rathe? Aber wisse, ich bin's, der haesslichste Mensch, - der auch die groessten schwersten Fuesse hat. Wo _ich_ gieng, ist der Weg schlecht. Ich trete alle Wege todt und zu Schanden. Dass du aber an mir voruebergiengst, schweigend; dass du erroethetest, ich sah es wohl: daran erkannte ich dich als Zarathustra. Jedweder Andere haette mir sein Almosen zugeworfen, sein Mitleiden, mit Blick und Rede. Aber dazu - bin ich nicht Bettler genug, das erriethest du - - dazu bin ich zu _reich_, reich an Grossem, an Furchtbarem, am Haesslichsten, am Unaussprechlichsten! Deine Scham, oh Zarathustra, _ehrte_ mich! Mit Noth kam ich heraus aus dem Gedraeng der Mitleidigen, - dass ich den Einzigen faende, der heute lehrt `Mitleiden ist zudringlich` - dich, oh Zarathustra! - sei es eines Gottes, sei es der Menschen Mitleiden: Mitleiden geht gegen die Scham. Und nicht-helfen-wollen kann vornehmer sein als jene Tugend, die zuspringt. _Das_ aber heisst heute Tugend selber bei allen kleinen Leuten, das Mitleiden: - die haben keine Ehrfurcht vor grossem Unglueck, vor grosser Haesslichkeit, vor grossem Missrathen. Ueber diese Alle blicke ich hinweg, wie ein Hund ueber die Ruecken wimmelnder Schafheerden wegblickt. Es sind kleine wohlwollige wohlwillige graue Leute. Wie ein Reiher verachtend ueber flache Teiche wegblickt, mit zurueckgelegtem Kopfe: so blicke ich ueber das Gewimmel grauer kleiner Wellen und Willen und Seelen weg. Zu lange hat man ihnen Recht gegeben, diesen kleinen Leuten: _so_ gab man ihnen endlich auch die Macht - nun lehren sie: `gut ist nur, was kleine Leute gut heissen.` Und `Wahrheit` heisst heute, was der Prediger sprach, der selber aus ihnen herkam, jener wunderliche Heilige und Fuersprecher der kleinen Leute, welcher von sich zeugte `ich - bin die Wahrheit.` Dieser Unbescheidne macht nun lange schon den kleinen Leuten den Kamm hoch schwellen - er, der keinen kleinen Irrthum lehrte, als er lehrte `ich - bin die Wahrheit.` Ward einem Unbescheidnen jemals hoeflicher geantwortet? - Du aber, oh Zarathustra, giengst an ihm vorueber und sprachst: `Nein! Nein! Drei Mal Nein!` Du warntest vor seinem Irrthum, du warntest als der Erste vor dem Mitleiden - nicht Alle, nicht Keinen, sondern dich und deine Art. Du schaemst dich an der Scham des grossen Leidenden; und wahrlich, wenn du sprichst `von dem Mitleiden her kommt eine grosse Wolke, habt Acht, ihr Menschen!` - wenn du lehrst `alle Schaffenden sind hart, alle grosse Liebe ist ueber ihrem Mitleiden`: oh Zarathustra, wie gut duenkst du mich eingelernt auf Wetter-Zeichen! Du selber aber - warne dich selber auch vor _deinem_ Mitleiden! Denn Viele sind zu dir unterwegs, viele Leidende, Zweifelnde, Verzweifelnde, Ertrinkende, Frierende - Ich warne dich auch vor mir. Du erriethest mein bestes, schlimmstes Raethsel, mich selber und was ich that. Ich kenne die Axt, die dich faellt. Aber er - _musste_ sterben: er sah mit Augen, welche _Alles_ sahn, - er sah des Menschen Tiefen und Gruende, alle seine verhehlte Schmach und Haesslichkeit. Sein Mitleiden kannte keine Scham: er kroch in meine schmutzigsten Winkel. Dieser Neugierigste, Ueber-Zudringliche, Ueber-Mitleidige musste sterben. Er sah immer _mich_: an einem solchen Zeugen wollte ich Rache haben - oder selber nicht leben. Der Gott, der Alles sah, _auch_den_Menschen_ dieser Gott musste sterben! Der Mensch _ertraegt_ es nicht, dass solch ein Zeuge lebt." Also, sprach der haesslichste Mensch. Zarathustra aber erhob sich und schickte sich an fortzugehn: denn ihn froestelte bis in seine Eingeweide. "Du Unaussprechlicher, sagte er, du warntest mich vor deinem Wege. Zum Danke dafuer lobe ich dir den meinen. Siehe, dort hinauf liegt die Hoehle Zarathustra's. Meine Hoehle ist gross und tief und hat viele Winkel; da findet der Versteckteste sein Versteck. Und dicht bei ihr sind hundert Schluepfe und Schliche fuer kriechendes, flatterndes und springendes Gethier. Du Ausgestossener, der du dich selber ausstiessest, du willst nicht unter Menschen und Menschen-Mitleid wohnen? Wohlan, so thu's mir gleich! So lernst du auch von mir; nur der Thaeter lernt. Und rede zuerst und -naechst mit meinen Thieren! Das stolzeste Thier und das kluegste Thier - die moechten uns Beiden wohl die rechten Rathgeber sein!" - - Also sprach Zarathustra und gieng seiner Wege, nachdenklicher und langsamer noch als zuvor: denn er fragte sich Vieles und wusste sich nicht leicht zu antworten. "Wie arm ist doch der Mensch! dachte er in seinem Herzen, wie haesslich, wie roechelnd, wie voll verborgener Scham! Man sagt mir, dass der Mensch sich selber liebe: ach, wie gross muss diese Selber-Liebe sein! Wie viel Verachtung hat sie wider sich! Auch dieser da liebte sich, wie er sich verachtete, - ein grosser Liebender ist er mir und ein grosser Veraechter. Keinen fand ich noch, der sich tiefer verachtet haette: auch _Das_ ist Hoehe. Wehe, war _Der_ vielleicht der hoehere Mensch, dessen Schrei ich hoerte? Ich liebe die grossen Verachtenden. Der Mensch aber ist Etwas, das ueberwunden werden muss." - - Der freiwillige Bettler Als Zarathustra den haesslichsten Menschen verlassen hatte, fror ihn, und er fuehlte sich einsam: es gieng ihm naemlich vieles Kalte und Einsame durch die Sinne, also, dass darob auch seine Glieder kaelter wurden. Indem er aber weiter und weiter stieg, hinauf, hinab, bald an gruenen Weiden vorbei, aber auch ueber wilde steinichte Lager, wo ehedem wohl ein ungeduldiger Bach sich zu Bett gelegt hatte.- da wurde ihm mit Einem Male wieder waermer und herzlicher zu Sinne. "Was geschah mir doch? fragte er sich, etwas Warmes und Lebendiges erquickt mich, das muss in meiner Naehe sein. Schon bin ich weniger allein; unbewusste Gefaehrten und Brueder schweifen um mich, ihr warmer Athem ruehrt an meine Seele." Als er aber um sich spaehete und nach den Troestern seiner Einsamkeit suchte: siehe, da waren es Kuehe, welche auf einer Anhoehe bei einander standen; deren Naehe und Geruch hatten sein Herz erwaermt. Diese Kuehe aber schienen mit Eifer einem Redenden zuzuhoeren und gaben nicht auf Den Acht, der herankam. Wie aber Zarathustra ganz in ihrer Naehe war, hoerte er deutlich, dass eine Menschen-Stimme aus der Mitte der Kuehe heraus redete; und ersichtlich hatten sie allesammt ihre Koepfe dem Redenden zugedreht. Da sprang Zarathustra mit Eifer hinauf und draengte die Thiere auseinander, denn er fuerchtete, dass hier jemandem ein Leids geschehn sei, welchem schwerlich das Mitleid von Kuehen abhelfen mochte. Aber darin hatte er sich getaeuscht; denn siehe, da sass ein Mensch auf der Erde und schien den Thieren zuzureden, dass sie keine Scheu vor ihm haben sollten, ein friedfertiger Mensch und Berg-Prediger, aus dessen Augen die Guete selber predigte. "Was suchst du hier?" rief Zarathustra mit Befremden. "Was ich hier suche? antwortete er: das Selbe, was du suchst, du Stoerenfried! naemlich das Glueck auf Erden. Dazu aber moechte ich von diesen Kuehen lernen. Denn, weisst du wohl, einen halben Morgen schon rede ich ihnen zu, und eben wollten sie mir Bescheid geben. Warum doch stoerst du sie? So wir nicht umkehren und werden wie die Kuehe, so kommen wir nicht in das Himmelreich. Wir sollten ihnen naemlich Eins ablernen: das Wiederkaeuen. Und wahrlich, wenn der Mensch auch die ganze Welt gewoenne und lernte das Eine nicht, das Wiederkaeuen: was huelfe es! Er wuerde nicht seine Truebsal los - seine grosse Truebsal: die aber heisst heute _Ekel_. Wer hat heute von Ekel nicht Herz, Mund und Augen voll? Auch du! Auch du! Aber siehe doch diese Kuehe an!" - Also sprach der Berg-Prediger und wandte dann seinen eignen Blick Zarathustra zu, - denn bisher hieng er mit Liebe an den Kuehen -: da aber verwandelte er sich. "Wer ist das, mit dem ich rede? rief er erschreckt und sprang vom Boden empor. Diess ist der Mensch ohne Ekel, diess ist Zarathustra selber, der Ueberwinder des grossen Ekels, diess ist das Auge, diess ist der Mund, diess ist das Herz Zarathustra's selber." Und indem er also sprach, kuesste er Dem, zu welchem er redete, die Haende, mit ueberstroemenden Augen, und gebaerdete sich ganz als Einer, dem ein kostbares Geschenk und Kleinod unversehens vom Himmel faellt. Die Kuehe aber schauten dem Allen zu und wunderten sich. "Sprich nicht von mir, du Wunderlicher! Lieblicher! sagte Zarathustra und wehrte seiner Zaertlichkeit, sprich mir erst von dir! Bist du nicht der freiwillige Bettler, der einst einen grossen Reichthum von sich warf, - - der sich seines Reichthums schaemte und der Reichen, und zu den Aermsten floh, dass er ihnen seine Fuelle und sein Herz schenke? Aber sie nahmen ihn nicht an." "Aber sie nahmen mich nicht an, sagte der freiwillige Bettler, du weisst es ja. So gieng ich endlich zu den Thieren und zu diesen Kuehen." "Da lerntest du, unterbrach Zarathustra den Redenden, wie es schwerer ist, recht geben als recht nehmen, und dass gut schenken eine _Kunst_ ist und die letzte listigste Meister-Kunst der Guete." "Sonderlich heutzutage, antwortete der freiwillige Bettler: heute naemlich, wo alles Niedrige aufstaendisch ward und scheu und auf seine Art hoffaehrtig: naemlich auf Poebel-Art. Denn es kam die Stunde, du weisst es ja, fuer den grossen schlimmen langen langsamen Poebel- und Sklaven-Aufstand: der waechst und waechst! Nun empoert die Niedrigen alles Wohlthun und kleine Weggeben; und die Ueberreichen moegen auf der Hut sein! Wer heute gleich bauchichten Flaschen troepfelt aus allzuschmalen Haelsen: - solchen Flaschen bricht man heute gern den Hals. Luesterne Gier, gallichter Neid, vergraemte Rachsucht, Poebel-Stolz: das sprang mir Alles in's Gesicht. Es ist nicht mehr wahr, dass die Armen selig sind. Das Himmelreich aber ist bei den Kuehen." Und warum ist es nicht bei den Reichen? fragte Zarathustra versuchend, waehrend er den Kuehen wehrte, die den Friedfertigen zutraulich anschnauften. "Was versuchst du mich? antwortete dieser. Du weisst es selber besser noch als ich. Was trieb mich doch zu den Aermsten, oh Zarathustra? War es nicht der Ekel vor unsern Reichsten? - vor den Straeflingen des Reichthums, welche sich ihren Vortheil aus jedem Kehricht auflesen, mit kalten Augen, geilen Gedanken, vor diesem Gesindel, das gen Himmel stinkt, - vor diesem vergueldeten verfaelschten Poebel, dessen Vaeter Langfinger oder Aasvoegel oder Lumpensammler waren, mit Weibern willfaehrig, luestern, vergesslich: - sie haben's naemlich alle nicht weit zur Hure - Poebel oben, Poebel unten! Was ist heute noch `Arm` und `Reich`! Diesen Unterschied verlernte ich, - da floh ich davon, weiter, immer weiter, bis ich zu diesen Kuehen kam." Also sprach der Friedfertige und schnaufte selber und schwitzte bei seinen Worten: also dass die Kuehe sich von Neuem wunderten. Zarathustra aber sah ihm immer mit Laecheln in's Gesicht, als er so hart redete, und schuettelte dazu schweigend den Kopf. "Du thust dir Gewalt an, du Berg-Prediger, wenn du solche harte Worte brauchst. Fuer solche Haerte wuchs dir nicht der Mund, nicht das Auge. Auch, wie mich duenkt, dein Magen selber nicht: _dem_ widersteht all solches Zuernen und Hassen und Ueberschaeumen. Dein Magen will sanftere Dinge: du bist kein Fleischer. Vielmehr duenkst du mich ein Pflanzler und Wurzelmann. Vielleicht malmst du Koerner. Sicherlich aber bist du fleischlichen Freuden abhold und liebst den Honig." "Du erriethst mich gut, antwortete der freiwillige Bettler, mit erleichtertem Herzen. Ich liebe den Honig, ich malme auch Koerner, denn ich suchte, was lieblich mundet und reinen Athem macht: - auch was lange Zeit braucht, ein Tag- und Maul-Werk fuer sanfte Muessiggaenger und Tagediebe. Am weitesten freilich brachten es diese Kuehe: die erfanden sich das Wiederkaeuen und In-der-Sonne-Liegen. Auch enthalten sie sich aller schweren Gedanken, welche das Herz blaehn." "- Wohlan! sagte Zarathustra: du solltest auch _meine_ Thiere sehn, meinen Adler und meine Schlange, - ihres Gleichen giebt es heute nicht auf Erden. Siehe, dorthin fuehrt der Weg zu meiner Hoehle: sei diese Nacht ihr Gast. Und rede mit meinen Thieren vom Glueck der Thiere, - - bis ich selber heimkomme. Denn jetzt ruft ein Nothschrei Mich eilig weg von dir. Auch findest du neuen Honig bei mir, eisfrischen Waben-Goldhonig: den iss! Jetzt aber nimm flugs Abschied von deinen Kuehen, du Wunderlicher! Lieblicher! ob es dir schon schwer werden mag. Denn es sind deine waermsten Freunde und Lehrmeister!" - "- Einen ausgenommen, den ich noch lieber habe, antwortete der freiwillige Bettler. Du selber bist gut und besser noch als eine Kuh, oh Zarathustra!" "Fort, fort mit dir! du arger Schmeichler! schrie Zarathustra mit Bosheit, was verdirbst du mich mit solchem Lob und Schmeichel-Honig?" "Fort, fort von mir!" schrie er noch Ein Mal und schwang seinen Stock nach dem zaertlichen Bettler: der aber lief hurtig davon. Der Schatten Kaum aber war der freiwillige Bettler davongelaufen und Zarathustra wieder mit sich allein, da hoerte er hinter sich eine neue Stimme: die rief "Halt! Zarathustra! So warte doch! Ich bin's ja, oh Zarathustra, ich, dein Schatten!" Aber Zarathustra wartete nicht, denn ein ploetzlicher Verdruss ueberkam ihn ob des vielen Zudrangs und Gedraengs in seinen Bergen. "Wo ist meine Einsamkeit hin? sprach er. Es wird mir wahrlich zu viel; diess Gebirge wimmelt, mein Reich ist nicht mehr von _dieser_ Welt, ich brauche neue Berge. Mein Schatten ruft mich? Was liegt an meinem Schatten! Mag er mir nachlaufen! ich - laufe ihm davon." - Also sprach Zarathustra zu seinem Herzen und lief davon. Aber Der, welcher hinter ihm war, folgte ihm nach: so dass alsbald drei Laufende hinter einander her waren, naemlich voran der freiwillige Bettler, dann Zarathustra und zudritt und -hinterst sein Schatten. Nicht lange liefen sie so, da kam Zarathustra zur Besinnung ueber seine Thorheit und schuettelte mit Einem Rucke allen Verdruss und Ueberdruss von sich. "Wie! sprach er, geschahen nicht von je die laecherlichsten Dinge bei uns alten Einsiedlern und Heiligen? Wahrlich, meine Thorheit wuchs hoch in den Bergen! Nun hoere ich sechs alte Narren-Beine hinter einander her klappern! Darf aber Zarathustra sich wohl vor einem Schatten fuerchten? Auch duenkt mich zu guterletzt, dass er laengere Beine hat als ich." Also sprach Zarathustra, lachend mit Augen und Eingeweiden, blieb stehen und drehte sich schnell herum - und siehe, fast warf er dabei seinen Nachfolger und Schatten zu Boden: so dicht schon folgte ihm derselbe auf den Fersen, und so schwach war er auch. Als er ihn naemlich mit Augen pruefte, erschrak er wie vor einem ploetzlichen Gespenste: so duenn, schwaerzlich, hohl und ueberlebt sah dieser Nachfolger aus. "Wer bist du? fragte Zarathustra heftig, was treibst du hier? Und wesshalb heissest du dich meinen Schatten? Du gefaellst mir nicht." "Vergieb mir, antwortete der Schatten, dass ich's bin; und wenn ich dir nicht gefalle, wohlan, oh Zarathustra! darin lobe ich dich und deinen guten Geschmack. Ein Wanderer bin ich, der viel schon hinter deinen Fersen her gieng: immer unterwegs, aber ohne Ziel, auch ohne Heim: also dass mir wahrlich wenig zum ewigen Juden fehlt, es sei denn, dass ich nicht ewig, und auch nicht Jude bin. Wie? Muss ich immerdar unterwegs sein? Von jedem Winde gewirbelt, unstaet, fortgetrieben? Oh Erde, du wardst mir zu rund! Auf jeder Oberflaeche sass ich schon, gleich muedem Staube schlief ich ein auf Spiegeln und Fensterscheiben: Alles nimmt von mir, Nichts giebt, ich werde duenn, - fast gleiche ich einem Schatten. Dir aber, oh Zarathustra, flog und zog ich am laengsten nach, und, verbarg ich mich schon vor dir, so war ich doch dein bester Schatten: wo du nur gesessen hast, sass ich auch. Mit dir bin ich in fernsten, kaeltesten Welten umgegangen, einem Gespenste gleich, das freiwillig ueber Winterdaecher und Schnee laeuft. Mit dir strebte ich in jedes Verbotene, Schlimmste, Fernste: und wenn irgend Etwas an mir Tugend ist, so ist es, dass ich vor keinem Verbote Furcht hatte. Mit dir zerbrach ich, was je mein Herz verehrte, alle Grenzsteine und Bilder warf ich um, den gefaehrlichsten Wuenschen lief ich nach, - wahrlich, ueber jedwedes Verbrechen lief ich einmal hinweg. Mit dir verlernte ich den Glauben an Worte und Werthe und grosse Namen. Wenn der Teufel sich haeutet, faellt da nicht auch sein Name ab? der ist naemlich auch Haut. Der Teufel selber ist vielleicht - Haut. `Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt`: so sprach ich mir zu. In die kaeltesten Wasser stuerzte ich mich, mit Kopf und Herzen. Ach, wie oft stand ich darob nackt als rother Krebs da! Ach, wohin kam mir alles Gute und alle Scham und aller Glaube an die Guten! Ach, wohin ist jene verlogne Unschuld, die ich einst besass, die Unschuld der Guten und ihrer edlen Luegen! Zu oft, wahrlich, folgte ich der Wahrheit dicht auf dem Fusse: da trat sie mir vor den Kopf. Manchmal meinte ich zu luegen, und siehe! da erst traf ich - die Wahrheit. Zu Viel klaerte sich mir auf: nun geht es mich Nichts mehr an. Nichts lebt mehr, das ich liebe, - wie sollte ich noch mich selber lieben? `Leben, wie ich Lust habe, oder gar nicht leben`: so will ich's, so will's auch der Heiligste. Aber, wehe! wie habe _ich_ noch - Lust? Habe _ich_ - noch ein Ziel? Einen Hafen, nach dem _mein_ Segel laeuft? Einen guten Wind? Ach, nur wer weiss, _wohin_ er faehrt, weiss auch, welcher Wind gut und sein Fahrwind ist. Was blieb mir noch zurueck? Ein Herz muede und frech; ein unstaeter Wille; Flatter-Fluegel; ein zerbrochnes Rueckgrat. Diess Suchen nach _meinem_ Heim: oh Zarathustra, weisst du wohl, diess Suchen war _meine_ Heimsuchung, es frisst mich auf. `Wo ist - _mein_ Heim?` Darnach frage und suche und suchte ich, das fand ich nicht. Oh ewiges Ueberall, oh ewiges Nirgendwo, oh ewiges - Umsonst!" Also sprach der Schatten, und Zarathustra's Gesicht verlaengerte sich bei seinen Worten. "Du bist mein Schatten! sagte er endlich, mit Traurigkeit. Deine Gefahr ist keine kleine, du freier Geist und Wanderer! Du hast einen schlimmen Tag gehabt: sieh zu, dass dir nicht noch ein schlimmerer Abend kommt! Solchen Unstaeten, wie du, duenkt zuletzt auch ein Gefaengniss selig. Sahst du je, wie eingefangne Verbrecher schlafen? Sie schlafen ruhig, sie gemessen ihre neue Sicherheit. Huete dich, dass dich nicht am Ende noch ein enger Glaube einfaengt, ein harter, strenger Wahn! Dich naemlich verfuehrt und versucht nunmehr Jegliches, das eng und fest ist. Du hast das Ziel verloren: wehe, wie wirst du diesen Verlust verscherzen und verschmerzen? Damit - hast du auch den Weg verloren! Du armer Schweifender, Schwaermender, du mueder Schmetterling! willst du diesen Abend eine Rast und Heimstaette haben? So gehe hinauf zu meiner Hoehle! Dorthin fuehrt der Weg zu meiner Hoehle. Und jetzo will ich Schnell wieder von dir davonlaufen. Schon liegt es wie ein Schatten auf mir. Ich will allein laufen, dass es wieder hell um mich werde. Dazu muss ich noch lange lustig auf den Beinen sein. Des Abends aber wird bei mir - getanzt!" - - Also sprach Zarathustra. Mittags - Und Zarathustra lief und lief und fand Niemanden mehr und war allein und fand immer wieder sich und genoss und schluerfte seine Einsamkeit und dachte an gute Dinge, - stundenlang. Um die Stunde des Mittags aber, als die Sonne gerade ueber Zarathustra's Haupte stand, kam er an einem alten krummen und knorrichten Baume vorbei, der von der reichen Liebe eines Weinstocks rings umarmt und vor sich selber verborgen war: von dem hiengen gelbe Trauben in Fuelle dem Wandernden entgegen. Da geluestete ihn, einen kleinen Durst zu loeschen und sich eine Traube abzubrechen; als er aber schon den Arm dazu ausstreckte, da geluestete ihn etwas Anderes noch mehr: naemlich sich neben den Baum niederzulegen, um die Stunde des vollkommnen Mittags, und zu schlafen. Diess that Zarathustra; und sobald er auf dem Boden lag, in der Stille und Heimlichkeit des bunten Grases, hatte er auch schon seinen kleinen Durst vergessen und schlief ein. Denn, wie das Sprichwort Zarathustra's sagt: Eins ist nothwendiger als das Andre. Nur dass seine Augen offen blieben: - sie wurden naemlich nicht satt, den Baum und die Liebe des Weinstocks zu sehn und zu preisen. Im Einschlafen aber sprach Zarathustra also zu seinem Herzen: Still! Still! Ward die Welt nicht eben vollkommen? Was geschieht mir doch? Wie ein zierlicher Wind, ungesehn, auf getaefeltem Meere tanzt, leicht, federleicht: so - tanzt der Schlaf auf mir, Kein Auge drueckt er mir zu, die Seele laesst er mir wach. Leicht ist er, wahrlich! federleicht. Er ueberredet mich, ich weiss nicht wie?, er betupft mich innewendig mit schmeichelnder Hand, er zwingt mich. Ja, er zwingt mich, dass meine Seele sich ausstreckt: - - wie sie mir lang und muede wird, meine wunderliche Seele! Kam ihr eines siebenten Tages Abend gerade am Mittage? Wandelte sie zu lange schon selig zwischen guten und reifen Dingen? Sie streckt sich lang aus, lang, - laenger! sie liegt stille, meine wunderliche Seele. Zu viel Gutes hat sie schon geschmeckt, diese. goldene Traurigkeit drueckt sie, sie verzieht den Mund. - Wie ein Schiff, das in seine stillste Bucht einlief: - nun lehnt es sich an die Erde, der langen Reisen muede und der ungewissen Meere. Ist die Erde nicht treuer? Wie solch ein Schiff sich dem Lande anlegt, anschmiegt: - da genuegt's, dass eine Spinne vom Lande her zu ihm ihren Faden spinnt. Keiner staerkeren Taue bedarf es da. Wie solch ein muedes Schiff in der stillsten Bucht: so ruhe auch ich nun der Erde nahe, treu, zutrauend, wartend, mit den leisesten Faeden ihr angebunden. Oh Glueck! Oh Glueck! Willst du wohl singen, oh meine Seele? Du liegst im Grase. Aber das ist die heimliche feierliche Stunde, wo kein Hirt seine Floete blaest. Scheue dich! Heisser Mittag schlaeft auf den Fluren. Singe. nicht! Still! Die Welt ist vollkommen. Singe nicht, du Gras-Gefluegel, oh meine Seele! Fluestere nicht einmal! Sieh doch - still! der alte Mittag schlaeft, er bewegt den Mund: trinkt er nicht eben einen Tropfen Gluecks - - einen alten braunen Tropfen goldenen Gluecks, goldenen Weins? Es huscht ueber ihn hin, sein Glueck lacht. So - lacht ein Gott. Still! - - "Zum Glueck, wie wenig genuegt schon zum Gluecke!" So sprach ich einst, und duenkte mich klug. Aber es war eine Laesterung: _das_ lernte ich nun. Kluge Narrn reden besser. Das Wenigste gerade, das Leiseste, Leichteste, einer Eidechse Rascheln, ein Hauch, ein Husch, ein Augen-Blidk - _Wenig_ macht die Art des _besten_ Gluecks. Still! - Was geschah mir: Horch! Flog die Zeit wohl davon? Falle ich nicht? Fiel ich nicht - horch! in den Brunnen der Ewigkeit? - Was geschieht mir? Still! Es sticht mich - wehe - in's Herz? In's Herz! Oh zerbrich, zerbrich, Herz, nach solchem Gluecke, nach solchem Stiche! - Wie? Ward die Welt nicht eben vollkommen? Rund und reif? Oh des goldenen runden Reifs - wohin fliegt er wohl? Laufe ich ihm nach! Husch! Still - - (und hier dehnte sich Zarathustra und fuehlte, dass er schlafe.) - Auf! sprach er zu sich selber, du Schlaefer! Du Mittagsschlaefer! Wohlan, wohlauf, ihr alten Beine! Zeit ist's und Ueberzeit, manch gut Stueck Wegs blieb euch noch zurueck - Nun schlieft ihr euch aus, wie lange doch? Eine halbe Ewigkeit! Wohlan, wohlauf nun, mein altes Herz! Wie lange erst darfst du nach solchem Schlaf - dich auswachen? (Aber da schlief er schon von Neuem ein, und seine Seele sprach gegen ihn und wehrte sich und legte sich wieder hin) - "Lass mich doch! Still! Ward nicht die Welt eben vollkommen? Oh des goldnen runden Balls!" - "Steh auf, sprach Zarathustra, du kleine Diebin, du Tagediebin! Wie? Immer noch sich strecken, gaehnen, seufzen, hinunterfallen in tiefe Brunnen? Wer bist du doch! Oh meine Seele!" (und hier erschrak er, denn ein Sonnenstrahl fiel vom Himmel herunter auf sein Gesicht) "Oh Himmel ueber mir, sprach er seufzend und setzte sich aufrecht, du schaust mir zu? Du horchst meiner wunderlichen Seele zu? Wann trinkst du diesen Tropfen Thau's, der auf alle Erden-Dinge niederfiel, - wann trinkst du diese wunderliche Seele - - wann, Brunnen der Ewigkeit! du heiterer schauerlicher Mittags-Abgrund! wann trinkst du meine Seele in dich zurueck?" Also sprach Zarathustra und erhob sich von seinem Lager am Baume wie aus einer fremden Trunkenheit: und siehe, da stand die Sonne immer noch gerade ueber seinem Haupte. Es moechte aber Einer daraus mit Recht abnehmen, dass Zarathustra damals nicht lange geschlafen habe. Die Begruessung Am spaeten Nachmittage war es erst, dass Zarathustra, nach langem umsonstigen Suchen und Umherstreifen, wieder zu seiner Hoehle heimkam. Als er aber derselben gegenueberstand, nicht zwanzig Schritt mehr von ihr ferne, da geschah das, was er jetzt am wenigsten erwartete: von Neuem hoerte er den grossen _Nothschrei_. Und, erstaunlich! diess Mal kam derselbige aus seiner eignen Hoehle. Es war aber ein langer vielfaeltiger seltsamer Schrei, und Zarathustra unterschied deutlich, dass er sich aus vielen Stimmen zusammensetze: mochte er schon, aus der Ferne gehoert, gleich dem Schrei aus einem einzigen Munde klingen. Da sprang Zarathustra auf seine Hoehle zu, und siehe! welches Schauspiel erwartete ihn erst nach diesem Hoerspiele! Denn da sassen sie allesammt bei einander, an denen er des Tags voruebergegangen war: der Koenig zur Rechten und der Koenig zur Linken, der alte Zauberer, der Papst, der freiwillige Bettler, der Schatten, der Gewissenhafte des Geistes, der traurige Wahrsager und der Esel; der haesslichste Mensch aber hatte sich eine Krone aufgesetzt und zwei Purpurguertel umgeschlungen, - denn er liebte es, gleich allen Haesslichen, sich zu verkleiden und schoen zu thun. Inmitten aber dieser betruebten Gesellschaft stand der Adler Zarathustra's, gestraeubt und unruhig, denn er sollte auf zu Vieles antworten, wofuer sein Stolz keine Antwort hatte; die kluge Schlange aber hieng um seinen Hals. Diess Alles schaute Zarathustra mit grosser Verwunderung; dann pruefte er jeden Einzelnen seiner Gaeste mit leutseliger Neugierde, las ihre Seelen ab und wunderte sich von Neuem. Inzwischen hatten sich die Versammelten von ihren Sitzen erhoben und warteten mit Ehrfurcht, dass Zarathustra reden werde. Zarathustra aber sprach also: "Ihr Verzweifelnden! Ihr Wunderlichen! Ich hoerte also _euren_ Nothschrei? Und nun weiss ich auch, wo Der zu suchen ist, den ich umsonst heute suchte: der hoehere Mensch -: - in meiner eignen Hoehle sitzt er, der hoehere Mensch! Aber was wundere ich mich! Habe ich ihn nicht selber zu mir gelockt durch Honig-Opfer und listige Lockrufe meines Gluecks? Doch duenkt mir, ihr taugt euch schlecht zur Gesellschaft, ihr macht einander das Herz unwirsch, ihr Nothschreienden, wenn ihr hier beisammen sitzt? Es muss erst Einer kommen, - Einer, der euch wieder lachen macht, ein guter froehlicher Hanswurst, ein Taenzer und Wind und Wildfang, irgend ein alter Narr: - was duenket euch? Vergebt mir doch, ihr Verzweifelnden, dass ich vor euch mit solch kleinen Worten rede, unwuerdig, wahrlich!, solcher Gaeste! Aber ihr errathet nicht, _was_ mein Herz muthwillig macht: - - ihr selber thut es und euer Anblick, vergebt es mir! Jeder naemlich wird muthig, der einem Verzweifelnden zuschaut. Einem Verzweifelnden zuzusprechen - dazu duenkt sich jeder stark genug. Mir selber gabt ihr diese Kraft, - eine gute Gabe, meine hohen Gaeste! Ein rechtschaffnes Gastgeschenk! Wohlan, so zuernt nun nicht, dass ich euch auch vom Meinigen anbiete. Diess hier ist mein Reich und meine Herrschaft: was aber mein ist, fuer diesen Abend und diese Nacht soll es euer sein. Meine Thiere sollen euch dienen: meine Hoehle sei eure Ruhestatt! Bei mir zu Heim-und-Hause soll Keiner verzweifeln, in meinem Reviere schuetze ich jeden vor seinen wilden Thieren. Und das ist das Erste, was ich euch anbiete: Sicherheit! Das Zweite aber ist: mein kleiner Finger. Und habt ihr _den_ erst, so nehmt nur noch die ganze Hand, wohlan! und das Herz dazu! Willkommen hier, willkommen, meine Gastfreunde!" Also sprach Zarathustra und lachte vor Liebe und Bosheit. Nach dieser Begruessung verneigten sich seine Gaeste abermals und schwiegen ehrfuerchtig; der Koenig zur Rechten aber antwortete ihm in ihrem Namen. "Daran, oh Zarathustra, wie du uns Hand und Gruss botest, erkennen wir dich als Zarathustra. Du erniedrigtest dich vor uns; fast thatest du unserer Ehrfurcht wehe -: - wer aber vermochte gleich dir sich mit solchem Stolze zu erniedrigen? _Das_ richtet uns selber auf, ein Labsal ist es unsern Augen und Herzen. Diess allein nur zu schaun, stiegen gern wir auf hoehere Berge, als dieser Berg ist. Als Schaulustige naemlich kamen wir, wir wollten sehn, was truebe Augen hell macht. Und siehe, schon ist es vorbei mit allem unsern Nothschrein. Schon steht Sinn und Herz uns offen und ist entzueckt. Wenig fehlt: und unser Muth wird muthwillig. Nichts, oh Zarathustra, waechst Erfreulicheres auf Erden, als ein hoher starker Wille: der ist ihr schoenstes Gewaechs. Eine ganze Landschaft erquickt sich an Einem solchen Baume. Der Pinie vergleiche ich, wer gleich dir, oh Zarathustra, aufwaechst: lang, schweigend, hart, allein, besten biegsamsten Holzes, herrlich, - - zuletzt aber hinausgreifend mit starken gruenen Aesten nach _seiner_ Herrschaft, starke Fragen fragend vor Winden und Wettern und was immer auf Hoehen heimisch ist, - staerker antwortend, ein Befehlender, ein Siegreicher: oh wer sollte nicht, solche Gewaechse zu schaun, auf hohe Berge steigen? Deines Baumes hier, oh Zarathustra, erlabt sich auch der Duestere, der Missrathene, an deinem Anblicke wird auch der Unstaete sicher und heilt sein Herz. Und wahrlich, zu deinem Berge und Baume richten sich heute viele Augen; eine grosse Sehnsucht hat sich aufgemacht, und Manche lernten fragen: wer ist Zarathustra? Und wem du jemals dein Lied und deinen Honig in's Ohr getraeufelt: alle die Versteckten, die Einsiedler, die Zweisiedler sprachen mit Einem Male zu ihrem Herzen: `Lebt Zarathustra noch? Es lohnt sich nicht mehr zu leben, Alles ist gleich, Alles ist umsonst: oder - wir muessen mit Zarathustra leben!` `Warum kommt er nicht, der sich so lange ankuendigte? also fragen Viele; verschlang ihn die Einsamkeit? Oder sollen wir wohl zu ihm kommen?` Nun geschieht's, dass die Einsamkeit selber muerbe wird und zerbricht, einem Grabe gleich, das zerbricht und seine Todten nicht mehr halten kann. Ueberall sieht man Auferstandene. Nun steigen und steigen die Wellen um deinen Berg, oh Zarathustra. Und wie hoch auch deine Hoehe ist, Viele muessen zu dir hinauf; dein Nachen soll nicht lange mehr im Trocknen sitzen. Und dass wir Verzweifelnde jetzt in deine Hoehle kamen und schon nicht mehr verzweifeln: ein Wahr- und Vorzeichen ist es nur, davon, dass Bessere zu dir unterwegs sind, - - denn er selber ist zu dir unterwegs, der letzte Rest Gottes unter Menschen, das ist: alle die Menschen der grossen Sehnsucht, des grossen Ekels, des grossen Ueberdrusses, - Alle, die nicht leben wollen, oder sie lernen wieder _hoffen_ - oder sie lernen von dir, oh Zarathustra, die _grosse_ Hoffnung!" Also sprach der Koenig zur Rechten und ergriff die Hand Zarathustra's, um sie zu kuessen; aber Zarathustra wehrte seiner Verehrung und trat erschreckt zurueck, schweigend und ploetzlich wie in weite Fernen entfliehend. Nach einer kleinen Weile aber war er schon wieder bei seinen Gaesten, blickte sie mit hellen, pruefenden Augen an und sprach: Meine Gaeste, ihr hoeheren Menschen, ich will deutsch und deutlich mit euch reden. Nicht auf _euch_ wartete ich hier in diesen Bergen. ("Deutsch und deutlich? Dass Gott erbarm! sagte hier der Koenig zur Linken, bei Seite; man merkt, er kennt die lieben Deutschen nicht, dieser Weise aus dem Morgenlande! Aber er meint `deutsch und derb` - wohlan! Das ist heutzutage noch nicht der schlimmste Geschmack!") "Ihr moegt wahrlich insgesammt hoehere Menschen sein, fuhr Zarathustra fort: aber fuer mich - seid ihr nicht hoch und stark genug. Fuer mich, das heisst: fuer das Unerbittliche, das in mir schweigt, aber nicht immer schweigen wird. Und gehoert ihr zu mir, so doch nicht als mein rechter Arm. Wer naemlich selber auf kranken und zarten Beinen steht, gleich euch, der will vor Allem, ob er's weiss oder sich verbirgt: dass er _geschont_ werde. Meine Arme und meine Beine aber schone ich nicht, ich schone meine Krieger nicht: wieso koenntet ihr zu _meinem_ Kriege taugen? Mit euch verduerbe ich mir jeden Sieg noch. Und Mancher von euch fiele schon um, wenn er nur den lauten Schall meiner Trommeln hoerte. Auch seid ihr mir nicht schoen genug und wohlgeboren. Ich brauche reine glatte Spiegel fuer meine Lehren; auf eurer Oberflaeche verzerrt sich noch mein eignes Bildniss. Eure Schultern drueckt manche Last, manche Erinnerung; manch schlimmer Zwerg hockt in euren Winkeln. Es giebt verborgenen Poebel auch in euch. Und seid ihr auch hoch und hoeherer Art: Vieles an euch ist krumm und missgestalt. Da ist kein Schmied in der Welt, der euch mir zurecht und gerade schluege. Ihr seid nur Bruecken: moegen Hoehere auf euch hinueber schreiten! Ihr bedeutet Stufen: so zuernt Dem nicht, der ueber euch hinweg in _seine_ Hoehe steigt! Aus eurem Samen mag auch mir einst ein aechter Sohn und vollkommener Erbe wachsen: aber das ist ferne. Ihr selber seid Die nicht, welchen mein Erbgut und Name zugehoert. Nicht auf euch warte ich hier in diesen Bergen, nicht mit euch darf ich zum letzten Male niedersteigen. Als Vorzeichen kamt ihr mir nur, dass schon Hoehere zu mir unterwegs sind, - - _nicht_ die Menschen der grossen Sehnsucht, des grossen Ekels, des grossen Ueberdrusses und Das, was ihr den Ueberrest Gottes nanntet. - Nein! Nein! Drei Mal Nein! Auf _Andere_ warte ich hier in diesen Bergen und will meinen Fuss nicht ohne sie von dannen heben, - auf Hoehere, Staerkere, Sieghaftere, Wohlgemuthere, Solche, die rechtwinklig gebaut sind an Leib und Seele: _lachende_Loewen_ muessen kommen! Oh, meine Gastfreunde, ihr Wunderlichen, - hoertet ihr noch Nichts von meinen Kindern? Und dass sie zu mir unterwegs sind? Sprecht mir doch von meinen Gaerten, von meinen glueckseligen Inseln, von meiner neuen schoenen Art, - warum sprecht ihr mir nicht davon? Diess Gastgeschenk erbitte ich mir von eurer Liebe, dass ihr mir von meinen Kindern sprecht. Hierzu bin ich reich, hierzu ward ich arm: was gab ich nicht hin, - was gaebe ich nicht hin, dass ich Eins haette: _diese_ Kinder, _diese_ lebendige Pflanzung, _diese_ Lebensbaeume meines Willens und meiner hoechsten Hoffnung!" Also sprach Zarathustra und hielt ploetzlich inne in seiner Rede: denn ihn ueberfiel seine Sehnsucht, und er schloss Augen und Mund vor der Bewegung seines Herzens. Und auch alle seine Gaeste schwiegen und standen still und bestuerzt: nur dass der alte Wahrsager mit Haenden und Gebaerden Zeichen gab. Das Abendmahl An dieser Stelle naemlich unterbrach der Wahrsager die Begruessung Zarathustra's und seiner Gaeste: er draengte sich vor, wie Einer, der keine Zeit zu verlieren hat, fasste die Hand Zarathustra's und rief: "Aber Zarathustra! Eins ist nothwendiger als das Andre, so redest du selber: wohlan, Eins ist _mir_ jetzt nothwendiger als alles Andere. Ein Wort zur rechten Zeit: hast du mich nicht zum _Mahle_ eingeladen? Und hier sind viele, die lange Wege machten. Du willst uns doch nicht mit Reden abspeisen? Auch gedachtet ihr Alle mir schon zu viel des Erfrierens, Ertrinkens, Erstickens und andrer Leibes-Nothstaende: Keiner aber gedachte _meines_ Nothstandes, naemlich des Verhungerns -" (Also sprach der Wahrsager; wie die Thiere Zarathustra's aber diese Worte hoerten, liefen sie vor Schrecken davon. Denn sie sahen, dass was sie auch am Tage heimgebracht hatten, nicht genug sein werde, den Einen Wahrsager zu stopfen.) "Eingerechnet das Verdursten, fuhr der Wahrsager fort. Und ob ich schon Wasser hier plaetschern hoere, gleich Reden der Weisheit, naemlich reichlich und unermuedlich: ich - will _Wein_! Nicht jeder ist gleich Zarathustra ein geborner Wassertrinker. Wasser taugt auch nicht fuer Muede und Verwelkte: _uns_ gebuehrt Wein, - _der_ erst giebt ploetzliches Genesen und stegreife Gesundheit!" Bei dieser Gelegenheit, da der Wahrsager nach Wein begehrte, geschah es, dass auch der Koenig zur Linken, der Schweigsame, einmal zu Worte kam. "Fuer Wein, sprach er, trugen _wir_ Sorge, ich sammt meinem Bruder, dem Koenige zur Rechten: wir haben Weins genug, - einen ganzen Esel voll. So fehlt Nichts als Brod." "Brod? entgegnete Zarathustra und lachte dazu. Nur gerade Brod haben Einsiedler nicht. Aber der Mensch lebt nicht vom Brod allein, sondern auch vom Fleische guter Laemmer, deren ich zwei habe: - _Die_ soll man geschwinde schlachten und wuerzig, mit Salbei, zubereiten: so liebe ich's. Und auch an Wurzeln und Fruechten fehlt es nicht, gut genug selbst fuer Lecker- und Schmeckerlinge; noch an Nuessen und andern Raethseln zum Knacken. Also wollen wir in Kuerze eine gute Mahlzeit machen. Wer aber mit essen will, muss auch mit Hand anlegen, auch die Koenige. Bei Zarathustra naemlich darf auch ein Koenig Koch sein." Mit diesem Vorschlage war Allen nach dem Herzen geredet: nur dass der freiwillige Bettler sich gegen Fleisch und Wein und Wuerzen straeubte. "Nun hoert mir doch diesen Schlemmer Zarathustra! sagte er scherzhaft: geht man dazu in Hoehlen und Hoch-Gebirge, dass man solche Mahlzeiten macht? Nun freilich verstehe ich, was er einst uns lehrte: `Gelobt sei die kleine Armuth!` Und warum er die Bettler abschaffen will." "Sei guter Dinge, antwortete ihm Zarathustra, wie ich es bin. Bleibe bei deiner Sitte, du Trefflicher, malme deine Koerner, trink dein Wasser, lobe deine Kueche: wenn sie dich nur froehlich macht! Ich bin ein Gesetz nur fuer die Meinen, ich bin kein Gesetz fuer Alle. Wer aber zu mir gehoert, der muss von starken Knochen sein, auch von leichten Fuessen, - - lustig zu Kriegen und Festen, kein Duesterling, kein Traum-Hans, bereit zum Schwersten wie zu seinem Feste, gesund und heil. Das Beste gehoert den Meinen und mir; und giebt man's uns nicht, so nehmen wir's: - die beste Nahrung, den reinsten Himmel, die staerksten Gedanken, die schoensten Fraun!" - Also sprach Zarathustra; der Koenig zur Rechten aber entgegnete: "Seltsam! Vernahm man je solche kluge Dinge aus dem Munde eines Weisen? Und wahrlich, das ist das Seltsamste an einem Weisen, wenn er zu alledem auch noch klug und kein Esel ist." Also sprach der Koenig zur Rechten und wunderte sich; der Esel aber sagte zu seiner Rede mit boesem Willen I-A. Diess aber war der Anfang von jener langen Mahlzeit, welche "das Abendmahl" in den Historien-Buechern genannt wird. Bei derselben aber wurde von nichts Anderem geredet als _vom_hoeheren_Menschen_. Vom hoeheren Menschen 1. Als ich zum ersten Male zu den Menschen kam, da that ich die Einsiedler-Thorheit, die grosse Thorheit: ich stellte mich auf den Markt. Und als ich zu Allen redete, redete ich zu Keinem. Des Abends aber waren Seiltaenzer meine Genossen, und Leichname; und ich selber fast ein Leichnam. Mit dem neuen Morgen aber kam mir eine neue Wahrheit: da lernte ich sprechen "Was geht mich Markt und Poebel und Poebel-Laerm und lange Poebel-Ohren an!" Ihr hoeheren Menschen, Diess lernt von mir: auf dem Markt glaubt Niemand an hoehere Menschen. Und wollt ihr dort reden, wohlan! Der Poebel aber blinzelt "wir sind Alle gleich." "Ihr hoeheren Menschen, - so blinzelt der Poebel - es giebt keine hoeheren Menschen, wir sind Alle gleich, Mensch ist Mensch, vor Gott - sind wir Alle gleich!" Vor Gott! - Nun aber starb dieser Gott. Vor dem Poebel aber wollen wir nicht gleich sein. Ihr hoeheren Menschen, geht weg vom Markt! 2. Vor Gott! - Nun aber starb dieser Gott! Ihr hoeheren Menschen, dieser Gott war eure groesste Gefahr. Seit er im Grabe liegt, seid ihr erst wieder auferstanden. Nun erst kommt der grosse Mittag, nun erst wird der hoehere Mensch - Herr! Verstandet ihr diess Wort, oh meine Brueder? Ihr seid erschreckt: wird euren Herzen schwindlig? Klafft euch hier der Abgrund? Klaefft euch hier der Hoellenhund? Wohlan! Wohlauf! Ihr hoeheren Menschen! Nun erst kreisst der Berg der Menschen-Zukunft. Gott starb: nun wollen _wir_, - dass der Uebermensch lebe. 3. Die Sorglichsten fragen heute: "wie bleibt der Mensch erhalten?" Zarathustra aber fragt als der Einzige und Erste: "wie wird der Mensch _ueberwunden_?" Der Uebermensch liegt mir am Herzen, _der_ ist mein Erstes und Einziges, - und _nicht_ der Mensch: nicht der Naechste, nicht der Aermste, nicht der Leidendste, nicht der Beste - Oh meine Brueder, was ich lieben kann am Menschen, das ist, dass er ein Uebergang ist und ein Untergang. Und auch an euch ist vieles, das mich lieben und hoffen macht. Dass ihr verachtetet, ihr hoeheren Menschen, das macht mich hoffen. Die grossen Verachtenden naemlich sind die grossen Verehrenden. Dass ihr verzweifeltet, daran ist Viel zu ehren. Denn ihr lerntet nicht, wie ihr euch ergaebet, ihr lerntet die kleinen Klugheiten nicht. Heute naemlich wurden die kleinen Leute Herr: die predigen Alle Ergebung und Bescheidung und Klugheit und Fleiss und Ruecksicht und das lange Und-so-weiter der kleinen Tugenden. Was von Weibsart ist, was von Knechtsart stammt und sonderlich der Poebel-Mischmasch: _Das_ will nun Herr werden alles Menschen-Schicksals - oh Ekel! Ekel! Ekel! _Das_ fraegt und fraegt und wird nicht muede: "Wie erhaelt sich der Mensch, am besten, am laengsten, am angenehmsten?" Damit - sind sie die Herrn von Heute. Diese Herrn von Heute ueberwindet mir, oh meine Brueder, - diese kleinen Leute: _die_ sind des Uebermenschen groesste Gefahr! Ueberwindet mir, ihr hoeheren Menschen, die kleinen Tugenden, die kleinen Klugheiten, die Sandkorn-Ruecksichten, den Ameisen-Kribbelkram, das erbaermliche Behagen, das "Glueck der Meisten" -! Und lieber verzweifelt, als dass ihr euch ergebt. Und, wahrlich, ich liebe euch dafuer, dass ihr heute nicht zu leben wisst, ihr hoeheren Menschen! So naemlich lebt _ihr_ - am Besten! 4. Habt ihr Muth, oh meine Brueder? Seid ihr herzhaft? _Nicht_ Muth vor Zeugen, sondern Einsiedler- und Adler-Muth, dem auch kein Gott mehr zusieht? Kalte Seelen, Maulthiere, Blinde, Trunkene heissen mir nicht herzhaft. Herz hat, wer Furcht kennt, aber Furcht _zwingt_, er den Abgrund sieht, aber mit _Stolz_. Wer den Abgrund sieht, aber mit Adlers-Augen, wer mit Adlers-Krallen den Abgrund _fasst_: Der hat Muth. - - 5. "Der Mensch ist boese" - so sprachen mir zum Troste alle Weisesten. Ach, wenn es heute nur noch wahr ist! Denn das Boese ist des Menschen beste Kraft. "Der Mensch muss besser und boeser werden" - so lehre _ich_. Das Boeseste ist noethig zu des Uebermenschen Bestem. Das mochte gut sein fuer jenen Prediger der kleinen Leute, dass er litt und trug an des Menschen Suende. Ich aber erfreue mich der grossen Suende als meines grossen _Trostes_. - Solches ist aber nicht fuer lange Ohren gesagt. Jedwedes Wort gehoert auch nicht in jedes Maul. Das sind feine ferne Dinge: nach denen sollen nicht Schafs-Klauen greifen! 6. Ihr hoeheren Menschen, meint ihr, ich sei da, gut zu machen, was ihr schlecht machtet? Oder ich wollte fuerderhin euch Leidende bequemer betten? Oder euch Unstaeten, Verirrten, Verkletterten neue leichtere Fusssteige zeigen? Nein! Nein! Drei Mal Nein! Immer Mehr, immer Bessere eurer Art sollen zu Grunde gehn, - denn ihr sollt es immer schlimmer und haerter haben. So allein - - so allein waechst der Mensch in _die_ Hoehe, wo der Blitz ihn trifft und zerbricht: hoch genug fuer den Blitz! Auf Weniges, auf Langes, auf Fernes geht mein Sinn und meine Sehnsucht: was gienge mich euer kleines, vieles, kurzes Elend an! Ihr leidet mir noch nicht genug! Denn ihr leidet an euch, ihr littet noch nicht _am_Menschen_. Ihr wuerdet luegen, wenn ihr's anders sagtet! Ihr leidet Alle nicht, woran ich litt. - - 7. Es ist mir nicht genug, dass der Blitz nicht mehr schadet. Nicht ableiten will ich ihn: er soll lernen fuer _mich_ - arbeiten. - Meine Weisheit sammlet sich lange schon gleich einer Wolke, sie wird stiller und dunkler. So thut jede Weisheit, welche _einst_ Blitze gebaeren soll. - Diesen Menschen von Heute will ich nicht _Licht_ sein, nicht Licht heissen. _Die_ - will ich blenden: Blitz meiner Weisheit! Stich ihnen die Augen aus! 8. Wollt Nichts ueber euer Vermoegen: es giebt eine schlimme Falschheit bei Solchen, die ueber ihr Vermoegen wollen. Sonderlich, wenn sie grosse Dinge wollen! Denn sie wecken Misstrauen gegen grosse Dinge, diese feinen Falschmuenzer und Schauspieler: - - bis sie endlich falsch vor sich selber sind, schielaeugig, uebertuenchter Wurmfrass, bemaentelt durch starke Worte, durch Aushaenge-Tugenden, durch glaenzende falsche Werke. Habt da eine gute Vorsicht, ihr hoeheren Menschen! Nichts naemlich gilt mir heute kostbarer und seltner als Redlichkeit. Ist diess Heute nicht des Poebels? Poebel aber weiss nicht, was gross, was klein, was gerade und redlich ist: der ist unschuldig krumm, der luegt immer. 9. Habt heute ein gutes Misstrauen, ihr hoeheren Menschen, ihr Beherzten! Ihr Offenherzigen! Und haltet eure Gruende geheim! Diess Heute naemlich ist des Poebels. Was der Poebel ohne Gruende einst glauben lernte, wer koennte ihm durch Gruende Das - umwerfen? Und auf dem Markte ueberzeugt man mit Gebaerden. Aber Gruende machen den Poebel misstrauisch. Und wenn da einmal Wahrheit zum Siege kam, so fragt euch Mit gutem Misstrauen: "welch starker Irrthum hat fuer sie gekaempft?" Huetet euch auch vor den Gelehrten! Die hassen euch: denn sie sind unfruchtbar! Sie haben kalte vertrocknete Augen, vor ihnen liegt jeder Vogel entfedert. Solche bruesten sich damit, dass sie nicht luegen: aber Ohnmacht zur Luege ist lange noch nicht Liebe zur Wahrheit. Huetet euch! Freiheit von Fieber ist lange noch nicht Erkenntniss! Ausgekaelteten Geistern glaube ich nicht. Wer nicht luegen kann, weiss nicht, was Wahrheit ist. 10. Wollt ihr hoch hinaus, so braucht die eignen Beine! Lasst euch nicht empor _tragen_, setzt euch nicht auf fremde Ruekken und Koepfe! Du aber stiegst zu Pferde? Du reitest nun hurtig hinauf zu deinem Ziele? Wohlan, mein Freund! Aber dein lahmer Fuss sitzt auch mit zu Pferde! Wenn du an deinem Ziele bist, wenn du von deinem Pferde springst: auf deiner _Hoehe_ gerade, du hoeherer Mensch - wirst du stolpern! 11. Ihr Schaffenden, ihr hoeheren Menschen! Man ist nur fuer das eigne Kind schwanger. Lasst euch Nichts vorreden, einreden! Wer ist denn _euer_ Naechster? Und handelt ihr auch "fuer den Naechsten", - ihr schafft doch nicht fuer ihn! Verlernt mir doch diess "Fuer", ihr Schaffenden: eure Tugend gerade will es, dass ihr kein Ding mit "fuer" und "um" und "weil" thut. Gegen diese falschen kleinen Worte sollt ihr euer Ohr zukleben. Das "fuer den Naechsten" ist die Tugend nur der kleinen Leute: da heisst es "gleich und gleich" und "Hand waescht Hand": - sie haben nicht Recht noch Kraft zu _eurem_ Eigennutz! In eurem Eigennutz, ihr Schaffenden, ist der Schwangeren Vorsicht und Vorsehung! Was Niemand noch mit Augen sah, die Frucht: die schirmt und schont und naehrt eure ganze Liebe. Wo eure ganze Liebe ist, bei eurem Kinde, da ist auch eure ganze Tugend! Euer Werk, euer Wille ist _euer_ "Naechster": lasst euch keine falschen Werthe einreden! 12. Ihr Schaffenden, ihr hoeheren Menschen! Wer gebaeren muss, der ist krank; wer aber geboren hat, ist unrein. Fragt die Weiber: man gebiert nicht, weil es Vergnuegen macht. Der Schmerz macht Huehner und Dichter gackern. Ihr Schaffenden, an euch ist viel Unreines. Das macht, ihr musstet Muetter sein. Ein neues Kind: oh wie viel neuer Schmutz kam auch zur Welt! Geht bei Seite! Und wer geboren hat, soll seine Seele rein waschen! 13. Seid nicht tugendhaft ueber eure Kraefte! Und wollt Nichts von euch wider die Wahrscheinlichkeit! Geht in den Fusstapfen, wo schon eurer Vaeter Tugend gierig! Wie wolltet ihr hoch steigen, wenn nicht eurer Vaeter Wille mit euch steigt? Wer aber Erstling sein will, sehe zu, dass er nicht auch Letztling werde! Und wo die Laster eurer Vaeter sind, darin sollt ihr nicht Heilige bedeuten wollen! Wessen Vaeter es mit Weibern hielten und mit starken Weinen und Wildschweinen: was waere es, wenn Der von sich Keuschheit wollte? Eine Narrheit waere es! Viel, wahrlich, duenkt es mich fuer einen Solchen, wenn er Eines oder zweier oder dreier Weiber Mann ist. Und stiftete er Kloester und schriebe ueber die Thuer: "der Weg zum Heiligen," - ich spraeche doch: wozu! es ist eine neue Narrheit! Er stiftete sich selber ein Zucht- und Fluchthaus: wohl bekomm's! Aber ich glaube nicht daran. In der Einsamkeit waechst, was Einer in sie bringt, auch das innere Vieh. Solchergestalt widerraeth sich Vielen die Einsamkeit. Gab es Schmutzigeres bisher auf Erden als Wuesten-Heilige? _Um_die_ herum war nicht nur der Teufel los, - sondern auch das Schwein. 14. Scheu, beschaemt, ungeschickt, einem Tiger gleich, dem der Sprung missrieth: also, ihr hoeheren Menschen, sah ich oft euch bei Seite schleichen. Ein _Wurf_ missrieth euch. Aber, ihr Wuerfelspieler, was liegt daran! Ihr lerntet nicht spielen und spotten, wie man spielen und spotten muss! Sitzen wir nicht immer an einem grossen Spott- und Spieltische? Und wenn euch Grosses missrieth, seid ihr selber darum - missrathen? Und missriethet ihr selber, missrieth darum - der Mensch? Missrieth aber der Mensch: wohlan! wohlauf! 15. Je hoeher von Art, je seltener geraeth ein Ding. Ihr hoeheren Menschen hier, seid ihr nicht alle - missgerathen? Seid guten Muths, was liegt daran! Wie Vieles ist noch moeglich! Lernt ueber euch selber lachen, wie man lachen muss! Was Wunders auch, dass ihr missriethet und halb geriethet, ihr Halb-Zerbrochenen! Draengt und stoesst sich nicht in euch - des Menschen _Zukunft_? Des Menschen Fernstes, Tiefstes, Sternen-Hoechstes, seine ungeheure Kraft: schaeumt Das nicht alles gegen einander in eurem Topfe? Was Wunders, dass mancher Topf zerbricht! Lernt ueber euch lachen, wie man lachen muss! Ihr hoeheren Menschen, oh wie Vieles ist noch moeglich! Und wahrlich, wie Viel gerieth schon! Wie reich ist diese Erde an kleinen guten vollkommenen Dingen, an Wohlgerathenem! Stellt kleine gute vollkommne Dinge um euch, ihr hoeheren Menschen! Deren goldene Reife heilt das Herz. Vollkommnes lehrt hoffen. 16. Welches war hier auf Erden bisher die groesste Suende? War es nicht das Wort Dessen, der sprach: "Wehe Denen, die hier lachen!" Fand er zum Lachen auf der Erde selber keine Gruende? So suchte er nur schlecht. Ein Kind findet hier noch Gruende. Der - liebte nicht genug: sonst haette er auch uns geliebt, die Lachenden! Aber er hasste und hoehnte uns, Heulen und Zaehneklappern verhiess er uns. Muss man denn gleich fluchen, wo man nicht liebt? Das - duenkt mich ein schlechter Geschmack. Aber so that er, dieser Unbedingte. Er kam vom Poebel. Und er selber liebte nur nicht genug: sonst haette er weniger gezuernt, dass man ihn nicht liebe. Alle grosse Liebe _will_ nicht Liebe: - die will mehr. Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten! Das ist eine arme kranke Art, eine Poebel-Art: sie sehn schlimm diesem Leben zu, sie haben den boesen Blick fuer diese Erde. Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten! Sie haben Schwere Fuesse und schwuele Herzen: - sie wissen nicht zu tanzen. Wie moechte Solchen wohl die Erde leicht sein! 17. Krumm kommen alle guten Dinge ihrem Ziele nahe. Gleich Katzen machen sie Buckel, sie schnurren innewendig vor ihrem nahen Gluecke, - alle guten Dinge lachen. Der Schritt verraeth, ob Einer schon auf _seiner_ Bahn schreitet: so seht mich gehn! Wer aber seinem Ziel nahe kommt, der tanzt. Und, wahrlich, zum Standbild ward ich nicht, noch stehe ich nicht da, starr, stumpf, steinern, eine Saeule; ich liebe geschwindes Laufen. Und wenn es auf Erden auch Moor und dicke Truebsal giebt: wer leichte Fuesse hat, laeuft ueber Schlamm noch hinweg und tanzt wie auf gefegtem Eise. Erhebt eure Herzen, meine Brueder, hoch! hoeher! Und vergesst mir auch die Beine nicht! Erhebt auch eure Beine, ihr guten Taenzer, und besser noch: ihr steht auch auf dem Kopf! 18. Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: ich selber setzte mir diese Krone auf, ich selber sprach heilig mein Gelaechter. Keinen Anderen fand ich heute stark genug dazu. Zarathustra der Taenzer, Zarathustra der Leichte, der mit den Fluegeln winkt, ein Flugbereiter, allen Voegeln zuwinkend, bereit und fertig, ein Selig-Leichtfertiger: - Zarathustra der Wahrsager, Zarathustra der Wahrlacher, kein Ungeduldiger, kein Unbedingter, Einer, der Spruenge und Seitenspruenge liebt; ich selber setzte mir diese Krone auf! 19. Erhebt eure Herzen, meine Brueder, hoch! hoeher! Und vergesst mir auch die Beine nicht! Erhebt auch eure Beine, ihr guten Taenzer, und besser noch: ihr steht auch auf dem Kopf! Es giebt auch im Glueck schweres Gethier, es giebt Plumpfuessler von Anbeginn. Wunderlich mueht sie sich ab, einem Elephanten gleich, der sich mueht auf dem Kopf zu stehn. Besser aber noch naerrisch sein vor Gluecke als naerrisch vor Ungluecke, besser plump tanzen als lahm gehn. So lernt mir doch meine Weisheit ab: auch das schlimmste Ding hat zwei gute Kehrseiten, - - auch das schlimmste Ding hat gute Tanzbeine: so lernt mir doch euch selbst, ihr hoeheren Menschen, auf eure rechten Beine stellen! So verlernt mir doch Truebsal-Blasen und alle Poebel-Traurigkeit! Oh wie traurig duenken mich heute des Poebels Hanswuerste noch! Diess Heute aber ist des Poebels. 20. Dem Winde thut mir gleich, wenn er aus seinen Berghoehlen stuerzt: nach seiner eignen Pfeife will er tanzen, die Meere zittern und huepfen unter seinen Fusstapfen. Der den Eseln Fluegel giebt, der Loewinnen melkt, gelobt sei dieser gute unbaendige Geist, der allem Heute und allem Poebel wie ein Sturmwind kommt, - - der Distel- und Tiftelkoepfen feind ist und allen welken Blaettern und Unkraeutern: gelobt sei dieser wilde gute freie Sturmgeist, welcher auf Mooren und Truebsalen wie auf Wiesen tanzt! Der die Poebel-Schwindhunde hasst und alles missrathene duestere Gezuecht: gelobt sei dieser Geist aller freien Geister, der lachende Sturm, welcher allen Schwarzsichtigen, Schwaersuechtigen Staub in die Augen blaest! Ihr hoeheren Menschen, euer Schlimmstes ist: ihr lerntet alle nicht tanzen, wie man tanzen muss - ueber euch hinweg tanzen! Was liegt daran, dass ihr missriethet! Wie Vieles ist noch moeglich! So _lernt_ doch ueber euch hinweg lachen! Erhebt eure Herzen, ihr guten Taenzer, hoch! hoeher! Und vergesst mir auch das gute Lachen nicht! Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: euch, meinen Bruedern, werfe ich diese Krone zu! Das Lachen sprach ich heilig; ihr hoeheren Menschen, _lernt_ mir - lachen! Das Lied der Schwermuth 1. Als Zarathustra diese Reden sprach, stand er nahe dem Eingange seiner Hoehle; mit den letzten Worten aber entschluepfte er seinen Gaesten und floh fuer eine kurze Weile in's Freie. "Oh reine Gerueche um mich, rief er aus, oh selige Stille um mich! Aber wo sind meine Thiere? Heran, heran, mein Adler und meine Schlange! Sagt mir doch, meine Thiere: diese hoeheren Menschen insgesammt - _riechen_ sie vielleicht nicht gut? Oh reine Gerueche um mich! Jetzo weiss und fuehle ich erst, wie ich euch, meine Thiere, liebe." - Und Zarathustra sprach nochmals: "ich liebe euch, meine Thiere!" Der Adler aber und die Schlange draengten sich an ihn, als er diese Worte sprach, und sahen zu ihm hinauf. Solchergestalt waren sie zu drei still beisammen und schnueffelten und schluerften mit einander die gute Luft. Denn die Luft war hier draussen besser als bei den hoeheren Menschen. 2. Kaum aber hatte Zarathustra seine Hoehle verlassen, da erhob sich der alte Zauberer, sah listig umher und sprach: "Er ist hinaus! Und schon, ihr hoeheren Menschen - dass ich euch mit diesem Lob- und Schmeichel-Namen kitzle, gleich ihm selber - schon faellt mich mein schlimmer Trug- und Zaubergeist an, mein schwermuethiger Teufel, - welcher diesem Zarathustra ein Widersacher ist aus dem Grunde: vergebt es ihm! Nun will er vor euch zaubern, er hat gerade _seine_ Stunde; umsonst ringe ich mit diesem boesen Geiste. Euch Allen, welche Ehren ihr euch mit Worten geben moegt, ob ihr euch `die freien Geister` nennt oder `die Wahrhaftigen` oder `die Buesser des Geistes` oder `die Entfesselten` oder `die grossen Sehnsuechtigen` - - euch Allen, die ihr _am_grossen_Ekel_ leidet gleich mir, denen der alte Gott starb und noch kein neuer Gott in Wiegen und Windeln liegt, - euch Allen ist mein boeser Geist und Zauber-Teufel hold. Ich kenne euch, ihr hoeheren Menschen, ich kenne ihn, - ich kenne auch diesen Unhold, den ich wider Willen liebe, diesen Zarathustra: er selber duenkt mich oefter gleich einer schoenen Heiligen-Larve, - gleich einem neuen wunderlichen Mummenschanze, in dem sich mein boeser Geist, der schwermuethige Teufel, gefaellt: - ich liebe Zarathustra, so duenkt mich oft, um meines boesen Geistes Willen. - Aber schon faellt _der_ mich an und zwingt mich, dieser Geist der Schwermuth, dieser Abend-Daemmerungs-Teufel: und, wahrlich, ihr hoeheren Menschen, es geluestet ihn - - macht nur die Augen auf! - es geluestet ihn, _nackt_ zu kommen, ob maennlich, ob weiblich, noch weiss ich's nicht: aber er kommt, er zwingt mich, wehe! macht eure Sinne auf! Der Tag klingt ab, allen Dingen kommt nun der Abend, auch den besten Dingen; hoert nun und seht, ihr hoeheren Menschen, welcher Teufel, ob Mann, ob Weib, dieser Geist der Abend-Schwermuth ist!" Also sprach der alte Zauberer, sah listig umher und griff dann zu seiner Harfe. 3. Bei abgehellter Luft, Wenn schon des Thau's Troestung Zur Erde niederquillt, Unsichtbar, auch ungehoert: - Denn zartes Schuhwerk traegt Der Troester Thau gleich allen Trost-Milden -: Gedenkst du da, gedenkst du, heisses Herz, Wie einst du durstetest, Nach himmlischen Thraenen und Thau-Getraeufel Versengt und muede durstetest, Dieweil auf gelben Gras-Pfaden Boshaft abendliche Sonnenblicke Durch schwarze Baeume um dich liefen, Blendende Sonnen-Gluthblicke, schadenfrohe. "Der _Wahrheit_ Freier? Du? - so hoehnten sie - Nein! Nur ein Dichter! Ein Thier, ein listiges, raubendes, schleichendes, Das luegen muss, Das wissentlich, willentlich luegen muss: Nach Beute luestern, Bunt verlarvt, Sich selber Larve, Sich selbst zur Beute - _Das_ - der Wahrheit Freier? Nein! Nur Narr! Nur Dichter! Nur Buntes redend, Aus Narren-Larven bunt herausschreiend, Herumsteigend auf luegnerischen Wort-Bruecken, Auf bunten Regenbogen, Zwischen falschen Himmeln Und falschen Erden, Herumschweifend, herumschwebend, - _Nur_ Narr! _Nur_ Dichter! _Das_ - der Wahrheit Freier? Nicht still, starr, glatt, kalt, Zum Bilde worden, Zur Gottes-Saeule, Nicht aufgestellt vor Tempeln, Eines Gottes Thuerwart: Nein! Feindselig solchen Wahrheits-Standbildern, In jeder Wildniss heimischer als vor Tempeln, Voll Katzen-Muthwillens, Durch jedes Fenster springend Husch! in jeden Zufall, Jedem Urwalde zuschnueffelnd, Suechtig-sehnsuechtig zuschnueffelnd, Dass du in Urwaeldern Unter buntgefleckten Raubthieren Suendlich-gesund und bunt und schoen liefest, Mit luesternen Lefzen, Selig-hoehnisch, selig-hoellisch, selig-blutgierig, Raubend, schleichend, luegend liefest: - Oder, dem Adler gleich, der lange, Lange starr in Abgruende blickt, In _seine_ Abgruende: - - Oh wie sie sich hier hinab, Hinunter, hinein, In immer tiefere Tiefen ringeln! - Dann, Ploetzlich, geraden Zugs, Gezueckten Flugs, Auf Laemmer stossen, Jach hinab, heisshungrig, Nach Laemmern luestern, Gram allen Lamms-Seelen, Grimmig-gram Allem, was blickt Schafmaessig, lammaeugig, krauswollig, Grau, mit Lamms-Schafs-Wohlwollen! Also Adlerhaft, pantherhaft Sind des Dichters Sehnsuechte, Sind _deine_ Sehnsuechte unter tausend Larven, Du Narr! Du Dichter! Der du den Menschen schautest So Gott als Schaf -: Den Gott _zerreissen_ im Menschen Wie das Schaf im Menschen, Und zerreisend _lachen_ - _Das_, _Das_ ist deine Seligkeit! Eines Panthers und Adlers Seligkeit! Eines Dichters und Narren Seligkeit!" - - Bei abgehellter Luft, Wenn schon des Monds Sichel Gruen zwischen Purpurroethen Und neidisch hinschleicht: - dem Tage feind, Mit jedem Schritte heimlich An Rosen-Haengematten Hinsichelnd, bis sie sinken, Nacht-abwaerts blass hinabsinken: So sank ich selber einstmals Aus meinem Wahrheits-Wahnsinne, Aus meinen Tages-Sehnsuechten, Des Tages muede, krank vom Lichte, - sank abwaerts, abendwaerts, schattenwaerts: Von Einer Wahrheit Verbrannt und durstig: - gedenkst du noch, gedenkst du, heisses Herz, Wie da du durstetest? - Dass ich verbannt sei Von _aller_ Wahrheit, Nur Narr! Nur Dichter! Von der Wissenschaft Also sang der Zauberer; und Alle, die beisammen waren, giengen gleich Voegeln unvermerkt in das Netz seiner listigen und schwermuethigen Wollust. Nur der Gewissenhafte des Geistes war nicht eingefangen: er nahm flugs dem Zauberer die Harfe weg und rief "Luft! Lasst gute Luft herein! Lass Zarathustra herein! Du machst diese Hoehle schwuel und giftig, du schlimmer alter Zauberer! Du verfaehrst, du Falscher, Feiner, zu unbekannten Begierden und Wildnissen. Und wehe, wenn Solche, wie du, von der _Wahrheit_ Redens und Wesens machen! Wehe allen freien Geistern, welche nicht vor _solchen_ Zauberern auf der Hut sind! Dahin ist es mit ihrer Freiheit: du lehrst und lockst zurueck in Gefaengnisse, - - du alter schwermuethiger Teufel, aus deiner Klage klingt eine Lockpfeife, du gleichst Solchen, welche mit ihrem Lobe der Keuschheit heimlich zu Wolluesten laden!" Also sprach der Gewissenhafte; der alte Zauberer aber blickte um sich, genoss seines Sieges und verschluckte darueber den Verdruss, welchen ihm der Gewissenhafte machte. "Sei still! sagte er mit bescheidener Stimme, gute Lieder wollen gut wiederhallen; nach guten Liedern soll man lange schweigen. So thun es diese Alle, die hoeheren Menschen. Du aber hast wohl Wenig von meinem Lied verstanden? In dir ist Wenig von einem Zaubergeiste." "Du lobst mich, entgegnete der Gewissenhafte, indem du mich von dir abtrennst, wohlan! Aber ihr Anderen, was sehe ich? Ihr sitzt alle noch mit luesternen Augen da -: Ihr freien Seelen, wohin ist eure Freiheit! Fast, duenkt mich's, gleicht ihr Solchen, die lange schlimmen tanzenden nackten Maedchen zusahn: eure Seelen tanzen selber! In euch, ihr hoeheren Menschen, muss Mehr von Dem sein, was der Zauberer seinen boesen Zauber- und Truggeist nennt: - wir muessen wohl verschieden sein. Und wahrlich, wir sprachen und dachten genug mitsammen, ehe Zarathustra heimkam zu seiner Hoehle, als dass ich nicht wuesste: wir _sind_ verschieden. Wir _suchen_ Verschiednes auch hier oben, ihr und ich. Ich naemlich suche _mehr_Sicherheit_, desshalb kam ich zu Zarathustra. Der naemlich ist noch der festeste Thurm und Wille - - heute, wo Alles wackelt, wo alle Erde bebt. Ihr aber, wenn ich eure Augen sehe, die ihr macht, fast duenkt mich's, ihr sucht mehr _Unsicherheit_, - mehr Schauder, mehr Gefahr, mehr Erdbeben. Euch geluestet, fast duenkt mich's so, vergebt meinem Duenkel, ihr hoeheren Menschen - - euch geluestet nach dem schlimmsten gefaehrlichsten Leben, das _mir_ am meisten Furcht macht, nach dem Leben wilder Thiere, nach Waeldern, Hoehlen, steilen Bergen und Irr- Schluenden. Und nicht die Fuehrer _aus_ der Gefahr gefallen euch am besten, sondern die euch von allen Wegen abfuehren, die Verfuehrer. Aber, wenn solch Geluesten an euch _wirklich_ ist, so duenkt es mich trotzdem _unmoeglich_. Furcht naemlich - das ist des Menschen Erb- und Grundgefuehl; aus der Furcht erklaert sich jegliches, Erbsuende und Erbtugend. Aus der Furcht wuchs auch _meine_ Tugend, die heisst: Wissenschaft. Die Furcht naemlich vor wildem Gethier - die wurde dem Menschen am laengsten angezuechtet, einschliesslich das Thier, das er in sich selber birgt und fuerchtet: - Zarathustra heisst es `das innere Vieh`. Solche lange alte Furcht, endlich fein geworden, geistlich, geistig - heute, duenkt mich, heisst sie: Wissenschaft." - Also sprach der Gewissenhafte; aber Zarathustra, der eben in seine Hoehle zurueckkam und die letzte Rede gehoert und errathen hatte, warf dem Gewissenhaften eine Hand voll Rosen zu und lachte ob seiner "Wahrheiten". "Wie! rief er, was hoerte ich da eben? Wahrlich, mich duenkt, du bist ein Narr oder ich selber bin's: und deine `Wahrheit` stelle ich rucks und flugs auf den Kopf. _Furcht_ naemlich - ist unsre Ausnahme. Muth aber und Abenteuer und Lust am Ungewissen, am Ungewagten, - _Muth_ duenkt mich des Menschen ganze Vorgeschichte. Den wildesten muthigsten Thieren hat er alle ihre Tugenden abgeneidet und abgeraubt: so erst wurde er - zum Menschen. _Dieser_ Muth, endlich fein geworden, geistlich, geistig, dieser Menschen-Muth mit Adler-Fluegeln und Schlangen-Klugheit: _der_, duenkt mich, heisst heute -" "Zarathustra"! schrien Alle, die beisammen sassen, wie aus Einem Munde und machten dazu ein grosses Gelaechter; es hob sich aber von ihnen wie eine schwere Wolke. Auch der Zauberer lachte und sprach mit Klugheit: "Wohlan! Er ist davon, mein boeser Geist! Und habe ich euch nicht selber vor ihm gewarnt, als ich sagte, dass er ein Betrueger sei, ein Lug- und Truggeist? Sonderlich naemlich, wenn er sich nackend zeigt. Aber was kann _ich_ fuer seine Tuecken! Habe _ich_ ihn und die Welt geschaffen? Wohlan! Seien wir wieder gut und guter Dinge! Und ob schon Zarathustra boese blickt - seht ihn doch! er ist mir gram -: - bevor die Nacht kommt, lernt er wieder, mich lieben und loben, er kann nicht lange leben, ohne solche Thorheiten zu thun. _Der_ - liebt seine Feinde: diese Kunst versteht er am besten von Allen, die ich sah. Aber er nimmt Rache dafuer - an seinen Freunden!" Also sprach der alte Zauberer, und die hoeheren Menschen zollten ihm Beifall: so dass Zarathustra herumgieng und mit Bosheit und Liebe seinen Freunden die Haende schuettelte, - gleichsam als Einer, der an Allen Etwas gutzumachen und abzubitten hat. Als er aber dabei an die Thuer seiner Hoehle kam, siehe, da geluestete ihn schon wieder nach der guten Luft da draussen und nach seinen Thieren, - und er wollte hinaus schluepfen. Unter Toechtern der Wueste 1. "Gehe nicht davon! sagte da der Wanderer, welcher sich den Schatten Zarathustra's nannte, bleibe bei uns, es moechte uns sonst die alte dumpfe Truebsal wieder anfallen. Schon gab uns jener alte Zauberer von seinem Schlimmsten zum Besten, und siehe doch, der gute fromme Papst da hat Thraenen in den Augen und hat sich ganz wieder auf's Meer der Schwermuth eingeschifft. Diese Koenige moegen wohl vor uns noch gute Miene machen: das lernten _Die_ naemlich von uns Allen heute am Besten! Haetten sie aber keine Zeugen, ich wette, auch bei ihnen fienge das boese Spiel wieder an - - das boese Spiel der ziehenden Wolken, der feuchten Schwermuth, der verhaengten Himmel, der gestohlenen Sonnen, der heulenden Herbst-Winde, - das boese Spiel unsres Heulens und Nothschreiens: bleibe bei uns, oh Zarathustra! Hier ist viel verborgenes Elend, das reden will, viel Abend, viel Wolke, viel dumpfe Luft! Du naehrtest uns mit starker Manns-Kost und kraeftigen Spruechen: lass es nicht zu, dass uns zum Nachtisch die weichlichen weiblichen Geister wieder anfallen! Du allein machst die Luft um dich herum stark und klar! Fand ich je auf Erden so gute Luft als bei dir in deiner Hoehle? Viele Laender sah ich doch, meine Nase lernte vielerlei Luft pruefen und abschaetzen: aber bei dir schmecken meine Nuestern ihre groesste Lust! Es sei denn, - es sei denn -, oh vergieb eine alte Erinnerung! Vergieb mir ein altes Nachtisch-Lied, das ich einst unter Toechtern der Wueste dichtete: - - bei denen naemlich gab es gleich gute helle morgenlaendische Luft; dort war ich am fernsten vom wolkigen feuchten schwermuethigen Alt-Europa! Damals liebte ich solcherlei Morgenland-Maedchen und andres blaues Himmelreich, ueber dem keine Wolken und keine Gedanken haengen. Ihr glaubt es nicht, wie artig sie dasassen, wenn sie nicht tanzten, tief, aber ohne Gedanken, wie kleine Geheimnisse, wie bebaenderte Raethsel, wie Nachtisch-Nuesse - bunt und fremd fuerwahr! aber ohne Wolken: Raethsel, die sich rathen lassen: solchen Maedchen zu Liebe erdachte ich damals einen Nachtisch-Psalm." Also sprach der Wanderer und Schatten; und ehe Jemand ihm antwortete, hatte er schon die Harfe des alten Zauberers ergriffen, die Beine gekreuzt und blickte gelassen und weise um sich: - mit den Nuestern aber zog er langsam und fragend die Luft ein, wie Einer, der in neuen Laendern neue fremde Luft kostet. Darauf hob er mit einer Art Gebruell zu singen an. 2. Die Wueste waechst: weh Dem, der Wuesten birgt! - Ha! Feierlich! In der That feierlich! Ein wuerdiger Anfang! Afrikanisch feierlich! Eines Loewen wuerdig, Oder eines moralischen Bruellaffen - - aber Nichts fuer euch, Ihr allerliebsten Freundinnen, Zu deren Fuessen mir Zum ersten Male, Einem Europaeer, unter Palmen Zu sitzen vergoennt ist. Sela. Wunderbar wahrlich! Da sitze ich nun, Der Wueste nahe und bereits So fern wieder der Wueste, Auch in Nichts noch verwuestet: Naemlich hinabgeschluckt Von dieser kleinsten Oasis -: - sie sperrte gerade gaehnend Ihr liebliches Maul auf. Das wohlriechendste aller Maeulchen: Da fiel ich hinein, Hinab, hindurch - unter euch, Ihr allerliebsten Freundinnen! Sela. Heil, Heil jenem Wallfische, Wenn er also es seinem Gaste Wohl sein liess! - ihr versteht Meine gelehrte Anspielung? Heil seinem Bauche, Wenn er also Ein so lieblicher Oasis-Bauch war Gleich diesem: was ich aber in Zweifel ziehe, - dafuer komme ich aus Europa, Das zweifelsuechtiger ist als alle Aeltlichen Eheweibchen. Moege Gott es bessern! Amen! Da sitze ich nun, In dieser kleinsten Oasis, Einer Dattel gleich, Braun, durchsuesst, goldschwuerig, luestern Nach einem runden Maedchenmunde, Mehr noch aber nach maedchenhaften Eiskalten schneeweissen schneidigen Beisszaehnen: nach denen naemlich Lechzt das Herz allen heissen Datteln. Sela. Den genannten Suedfruechten Aehnlich, allzuaehnlich Liege ich hier, von kleinen Fluegelkaefern Umtaenzelt und umspielt, Insgleichen von noch kleineren Thoerichteren boshafteren Wuenschen und Einfaellen, Umlagert von euch, Ihr stummen, ihr ahnungsvollen Maedchen-Katzen, Dudu und Suleika, - _umsphinxt_, dass ich in Ein Wort Viel Gefuehle stopfe: (Vergebe mir Gott Diese Sprach-Suende!) - sitze hier, die beste Luft schnueffelnd, Paradieses-Luft wahrlich, Lichte leichte Luft, goldgestreifte, So gute Luft nur je Vom Monde herabfiel - Sei es aus Zufall, Oder geschah es aus Uebermuthe? Wie die alten Dichter erzaehlen. Ich Zweifler aber ziehe es In Zweifel, dafuer aber komme ich Aus Europa, Das zweifelsuechtiger ist als alle Aeltlichen Eheweibchen. Moege Gott es bessern! Amen! Diese schoenste Luft trinkend, Mit Nuestern geschwellt gleich Bechern, Ohne Zukunft, ohne Erinnerungen, So sitze ich hier, ihr Allerliebsten Freundinnen, Und sehe der Palme zu, Wie sie, einer Taenzerin gleich, Sich biegt und schmiegt und in der Huefte wiegt, - man thut es mit, sieht man lange zu! Einer Taenzerin gleich, die, wie mir scheinen will, Zu lange schon, gefaehrlich lange Immer, immer nur auf Einem Beine stand? - da vergass sie darob, wie mir scheinen will, Das andre Bein? Vergebens wenigstens Suchte ich das vermisste Zwillings-Kleinod - naemlich das andre Bein - In der heiligen Naehe Ihres allerliebsten, allerzierlichsten Faecher- und Flatter- und Flitterroeckchens. ja, wenn ihr mir, ihr schoenen Freundinnen, Ganz glauben wollt: Sie hat es verloren! Es ist dahin! Auf ewig dahin! Das andre Bein! Oh schade um dieses liebliche andre Bein! Wo - mag es wohl weilen und verlassen trauern? Das einsame Bein? In Furcht vielleicht vor einem Grimmen gelben blondgelockten Loewen-Unthiere? Oder gar schon Abgenagt, abgeknabbert - Erbaermlich, wehe! wehe! abgeknabbert! Sela. Oh weint mir nicht, Weiche Herzen! Weint mir nicht, ihr Dattel-Herzen! Milch-Busen! Ihr Suessholz-Herz- Beutelchen! Weine nicht mehr, Bleiche Dudu! Sei ein Mann, Suleika! Muth! Muth! - Oder sollte vielleicht Etwas Staerkendes, Herz-Staerkendes, Hier am Platze sein? Ein gesalbter Spruch? Ein feierlicher Zuspruch? - Ha! Herauf, Wuerde! Tugend-Wuerde! Europaeer-Wuerde! Blase, blase wieder, Blasebalg der Tugend! Ha! Noch Ein Mal bruellen, Moralisch bruellen! Als moralischer Loewe Vor den Toechtern der Wueste bruellen! - Denn Tugend-Geheul, Ihr allerliebsten Maedchen, Ist mehr als Alles Europaeer-Inbrunst, Europaeer-Heisshunger! Und da stehe ich schon, Als Europaeer, Ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen! Die Wueste waechst: weh Dem, der Wuesten birgt! Die Erweckung 1. Nach dem Liede des Wanderers und Schattens wurde die Hoehle mit Einem Male voll Laermens und Lachens; und da die versammelten Gaeste alle zugleich redeten, und auch der Esel, bei einer solchen Ermuthigung, nicht mehr still blieb, ueberkam Zarathustra ein kleiner Widerwille und Spott gegen seinen Besuch: ob er sich gleich ihrer Froehlichkeit erfreute. Denn sie duenkte ihm ein Zeichen der Genesung. So schluepfte er hinaus in's Freie und sprach zu seinen Thieren. "Wo ist nun ihre Noth hin? sprach er, und schon athmete er selber von seinem kleinen Ueberdrusse auf, - bei mir verlernten sie, wie mich duenkt, das Nothschrein! - wenn auch, leider, noch nicht das Schrein." Und Zarathustra hielt sich die Ohren zu, denn eben mischte sich das I-A des Esels wunderlich mit dem Jubel-Laerm dieser hoeheren Menschen. "Sie sind lustig, begann er wieder, und wer weiss? vielleicht auf ihres Wirthes Unkosten; und lernten sie von mir lachen, so ist es doch nicht _mein_ Lachen, das sie lernten. Aber was liegt daran! Es sind alte Leute: sie genesen auf ihre Art, sie lachen auf ihre Art; meine Ohren haben schon Schlimmeres erduldet und wurden nicht unwirsch. Dieser Tag ist ein Sieg: er weicht schon, er flieht, _der_Geist_der_Schwere_, mein alter Erzfeind! Wie gut will dieser Tag enden, der so schlimm und schwer begann! Und enden _will_ er. Schon kommt der Abend: ueber das Meer her reitet er, der gute Reiter! Wie er sich wiegt, der Selige, Heimkehrende, in seinen purpurnen Saetteln! Der Himmel blickt klar dazu, die Welt liegt tief: oh all ihr Wunderlichen, die ihr zu mir kamt, es lohnt sich schon, bei mir zu leben!" Also sprach Zarathustra. Und wieder kam da das Geschrei und Gelaechter der hoeheren Menschen aus der Hoehle: da begann er von Neuem. "Sie beissen an, mein Koeder wirkt, es weicht auch ihnen ihr Feind, der Geist der Schwere. Schon lernen sie ueber sich selber lachen: hoere ich recht? Meine Manns-Kost wirkt, mein Saft- und Kraft-Spruch: und wahrlich, ich naehrte sie nicht mit Blaeh-Gemuesen! Sondern mit Krieger-Kost, mit Eroberer-Kost: neue Begierden weckte ich. Neue Hoffnungen sind in ihren Armen und Beinen, ihr Herz streckt sich aus. Sie finden neue Worte, bald wird ihr Geist Muthwillen athmen. Solche Kost mag freilich nicht fuer Kinder sein, noch auch fuer sehnsuechtige alte und junge Weibchen. Denen ueberredet man anders die Eingeweide; deren Arzt und Lehrer bin ich nicht. Der _Ekel_ weicht diesen hoeheren Menschen: wohlan! das ist mein Sieg. In meinem Reiche werden sie sicher, alle dumme Scham laeuft davon, sie schuetten sich aus. Sie schuetten ihr Herz aus, gute Stunden kehren ihnen zurueck, sie feiern und kaeuen wieder, - sie werden _dankbar_. _Das_ nehme ich als das beste Zeichen: sie werden dankbar. Nicht lange noch, und sie denken sich Feste aus und stellen Denksteine ihren alten Freuden auf. Es sind _Genesende_!" Also sprach Zarathustra froehlich zu seinem Herzen und schaute hinaus; seine Thiere aber draengten sich an ihn und ehrten sein Glueck und sein Stillschweigen. 2. Ploetzlich aber erschrak das Ohr Zarathustra's: die Hoehle naemlich, welche bisher voller Laermens und Gelaechters war, wurde mit Einem Male todtenstill; - seine Nase aber roch einen wohlriechenden Qualm und Weihrauch, wie von brennenden Pinien-Zapfen. "Was geschieht? Was treiben sie?" fragte er sich und schlich zum Eingange heran, dass er seinen Gaesten, unvermerkt, zusehn koenne. Aber, Wunder ueber Wunder! was musste er da mit seinen eignen Augen sehn! "Sie sind Alle wieder _fromm_ geworden, sie _beten_, sie sind toll!" - sprach er und verwundene sich ueber die Maassen. Und, fuerwahr!, alle diese hoeheren Menschen, die zwei Koenige, der Papst ausser Dienst, der schlimme Zauberer, der freiwillige Bettler, der Wanderer und Schatten, der alte Wahrsager, der Gewissenhafte des Geistes und der haesslichste Mensch: sie lagen Alle gleich Kindern und glaeubigen alten Weibchen auf den Knien und beteten den Esel an. Und eben begann der haesslichste Mensch zu gurgeln und zu schnauben, wie als ob etwas Unaussprechliches aus ihm heraus wolle; als er es aber wirklich bis zu Worten gebracht hatte, siehe, da war es eine fromme seltsame Litanei zur Lobpreisung des angebeteten und angeraeucherten Esels. Diese Litanei aber klang also: Amen! Und Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Staerke sei unserm Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit! - Der Esel aber schrie dazu I-A. Er traegt unsre Last, er nahm Knechtsgestalt an, er ist geduldsam von Herzen und redet niemals Nein; und wer seinen Gott liebt, der zuechtigt ihn. - Der Esel aber schrie dazu I-A. Er redet nicht: es sei denn, dass er zur Welt, die er Schuf, immer Ja sagt: also preist er seine Welt. Seine Schlauheit ist es, die nicht redet: so bekommt er selten Unrecht. - Der Esel aber schrie dazu I-A. Unscheinbar geht er durch die Welt. Grau ist die Leib-Farbe, in welche er seine Tugend huellt. Hat er Geist, so verbirgt er ihn; Jedermann aber glaubt an seine langen Ohren. - Der Esel aber schrie dazu I-A. Welche verborgene Weisheit ist das, dass er lange Ohren traegt und allein ja und nimmer Nein sagt! Hat er nicht die Welt erschaffen nach seinem Bilde, naemlich so dumm als moeglich? - Der Esel aber schrie dazu I-A. Du gehst gerade und krumme Wege; es kuemmert dich wenig, was uns Menschen gerade oder krumm duenkt. Jenseits von Gut und Boese ist dein Reich. Es ist deine Unschuld, nicht zu wissen, was Unschuld ist. - Der Esel aber schrie dazu I-A. Siehe doch, wie du Niemanden von dir stoessest, die Bettler nicht, noch die Koenige. Die Kindlein laessest du zu dir kommen, und wenn dich die boesen Buben locken, so sprichst du einfaeltiglich I-A. - Der Esel aber schrie dazu I-A. Du liebst Eselinnen und frische Feigen, du bist kein Kostveraechter. Eine Distel kitzelt dir das Herz, wenn du gerade Hunger hast. Darin liegt eines Gottes Weisheit. - Der Esel aber schrie dazu I-A. Das Eselsfest 1. An dieser Stelle der Litanei aber konnte Zarathustra sich nicht laenger bemeistern, schrie selber I-A, lauter noch als der Esel, und sprang mitten unter seine tollgewordenen Gaeste. "Aber was treibt ihr da, ihr Menschenkinder? rief er, indem er die Betenden vom Boden empor riss. Wehe, wenn euch Jemand Anderes zusaehe als Zarathustra: Jeder wuerde urtheilen, ihr waeret mit eurem neuen Glauben die aergsten Gotteslaesterer oder die thoerichtsten aller alten Weiblein! Und du selber, du alter Papst, wie stimmt Das mit dir selber zusammen, dass du solchergestalt einen Esel hier als Gott anbetest?" - "Oh Zarathustra, antwortete der Papst, vergieb mir, aber in Dingen Gottes bin ich aufgeklaerter noch als du. Und so ist's billig. Lieber Gott also anbeten, in dieser Gestalt, als in gar keiner Gestalt! Denke ueber diesen Spruch nach, mein hoher Freund: du erraethst geschwind, in solchem Spruch steckt Weisheit. Der, welcher sprach `Gott ist ein Geist` - der machte bisher auf Erden den groessten Schritt und Sprung zum Unglauben: solch Wort ist auf Erden nicht leicht wieder gut zu machen! Mein altes Herz springt und huepft darob, dass es auf Erden noch Etwas anzubeten giebt. Vergieb das, oh Zarathustra, einem alten frommen Papst-Herzen! -" - "Und du, sagte Zarathustra zu dem Wanderer und Schatten, du nennst und waehnst dich einen freien Geist? Und treibst hier solchen Goetzen- und Pfaffendienst? Schlimmer, wahrlich, treibst du's hier noch als bei deinen schlimmen braunen Maedchen, du schlimmer neuer Glaeubiger!" "Schlimm genug, antwortete der Wanderer und Schatten, du hast Recht: aber was kann ich dafuer! Der alte Gott lebt wieder, Oh Zarathustra, du magst reden, was du willst. Der haesslichste Mensch ist an Allem schuld: der hat ihn wieder auferweckt. Und wenn er sagt, dass er ihn einst getoedtet habe: _Tod_ ist bei Goettern immer nur ein Vorurtheil." - Und du, sprach Zarathustra, du schlimmer alter Zauberer, was thatest du! Wer soll, in dieser freien Zeit, fuerderhin an dich glauben, wenn _du_ an solche Goetter-Eseleien glaubst? Es war eine Dummheit, was du thatest; wie konntest du, du Kluger, eine solche Dummheit thun! "Oh Zarathustra, antwortete der kluge Zauberer, du hast Recht, es war eine Dummheit, - es ist mir auch schwer genug geworden." - "Und du gar, sagte Zarathustra, zu dem Gewissenhaften des Geistes, erwaege doch und lege den Finger an deine Nase! Geht hier denn Nichts wider dein Gewissen? Ist dein Geist nicht zu reinlich fuer diess Beten und den Dunst dieser Betbrueder?" "Es ist Etwas daran, antwortete der Gewissenhafte und legte den Finger an die Nase, es ist Etwas an diesem Schauspiele, das meinem Gewissen sogar wohlthut. Vielleicht, dass ich an Gott nicht glauben darf: gewiss aber ist, dass Gott mir in dieser Gestalt noch am glaubwuerdigsten duenkt. Gott soll ewig sein, nach dem Zeugnisse der Froemmsten: wer so viel Zeit hat, laesst sich Zeit. So langsam und so dumm als moeglich: _damit_ kann ein Solcher es doch sehr weit bringen. Und wer des Geistes zu viel hat, der moechte sich wohl in die Dumm- und Narrheit selber vernarren. Denke ueber dich selber nach, oh Zarathustra! Du selber - wahrlich! auch du koenntest wohl aus Ueberfluss und Weisheit zu einem Esel werden. Geht nicht ein vollkommner Weiser gern auf den kruemmsten Wegen? Der Augenschein lehrt es, oh Zarathustra, - _dein_ Augenschein!" - "Und du selber zuletzt, sprach Zarathustra und wandte sich gegen den haesslichsten Menschen, der immer noch auf dem Boden lag, den Arm zu dem Esel emporhebend (er gab ihm naemlich Wein zu trinken). Sprich, du Unaussprechlicher, was hast du da gemacht! Du duenkst mich verwandelt, dein Auge glueht, der Mantel des Erhabenen liegt um deine Haesslichkeit: _was_ thatest du? Ist es denn wahr, was jene sagen, dass du ihn wieder auferwecktest? Und wozu? War er nicht mit Grund abgetoedtet und abgethan? Du selber duenkst mich aufgeweckt: was thatest du? was kehrtest _du_ um? Was bekehrtest _du_ dich? Sprich, du Unaussprechlicher?" "Oh Zarathustra, antwortete der haesslichste Mensch, du bist ein Schelm! Ob _Der_ noch lebt oder wieder lebt oder gruendlich todt ist, - wer von uns Beiden weiss Das am Besten? Ich frage dich. Eins aber weiss ich, - von dir selber lernte ich's einst, oh Zarathustra: wer am gruendlichsten toedten will, der _lacht_. `Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen toedtet man` - so sprachst du einst. Oh Zarathustra, du Verborgener, du Vernichter ohne Zorn, du gefaehrlicher Heiliger, - du bist ein Schelm!" 2. Da aber geschah es, dass Zarathustra, verwundert ueber lauter solche Schelmen-Antworten, zur Thuer seiner Hoehle zurueck sprang und, gegen alle seine Gaeste gewendet, mit starker Stimme schrie: "Oh ihr Schalks-Narren allesammt, ihr Possenreisser! Was verstellt und versteckt ihr euch vor mir! Wie doch einem jeden von euch das Herz zappelte vor Lust und Bosheit, darob, dass ihr endlich einmal wieder wurdet wie die Kindlein, naemlich fromm, - - dass ihr endlich wieder thatet wie Kinder thun, naemlich betetet, haende-faltetet und `lieber Gott` sagtet! Aber nun lasst mir _diese_ Kinderstube, meine eigne Hoehle, wo heute alle Kinderei zu Hause ist. Kuehlt hier draussen euren heissen Kinder-Uebermuth und Herzenslaerm ab! Freilich: so ihr nicht werdet wie die Kindlein, so kommt ihr nicht in _das_ Himmelreich. (Und Zarathustra zeigte mit den Haenden nach Oben.) Aber wir wollen auch gar nicht in's Himmelreich: Maenner sind wir worden, - so wollen wir das Erdenreich." 3. Und noch einmal hob Zarathustra an zu reden. "Oh meine neuen Freunde, sprach er, - ihr Wunderlichen, ihr hoeheren Menschen, wie gut gefallt ihr mir nun, - - seit ihr wieder froehlich wurdet! Ihr seid wahrlich Alle aufgeblueht: mich duenkt, solchen Blumen, wie ihr seid, thun _neue_Feste_ noth, - ein kleiner tapferer Unsinn, irgend ein Gottesdienst und Eselsfest, irgend ein alter froehlicher Zarathustra-Narr, ein Brausewind, der euch die Seelen hell blaest. Vergesst die Nacht und diess Eselsfest nicht, ihr hoeheren Menschen! _Das_ erfandet ihr bei mir, Das nehme ich als gutes Wahrzeichen, - Solcherlei erfinden nur Genesende! Und feiert ihr es abermals, dieses Eselsfest, thut's euch zu Liebe, thut's auch mir zu Liebe! Und zu _meinem_ Gedaechtniss!" Also sprach Zarathustra. Das Nachtwandler-Lied 1. Inzwischen aber war Einer nach dem Andern hinaus getreten, in's Freie und in die kuehle nachdenkliche Nacht; Zarathustra selber aber fuehrte den haesslichsten Menschen an der Hand, dass er ihm seine Nacht-Welt und den grossen runden Mond und die silbernen Wasserstuerze bei seiner Hoehle zeige. Da standen sie endlich still bei einander, lauter alte Leute, aber mit einem getroesteten tapferen Herzen und verwundert bei sich, dass es ihnen auf Erden so wohl war; die Heimlichkeit der Nacht aber kam ihnen naeher und naeher an's Herz. Und von Neuem dachte Zarathustra bei sich: "oh wie gut sie mir nun gefallen, diese hoeheren Menschen!" - aber er sprach es nicht aus, denn er ehrte ihr Glueck und ihr Stillschweigen. - Da aber geschah Das, was an jenem erstaunlichen langen Tage das Erstaunlichste war: der haesslichste Mensch begann noch ein Mal und zum letzten Mal zu gurgeln und zu schnauben, und als er es bis zu Worten gebracht hatte, siehe, da sprang eine Frage rund und reinlich aus seinem Munde, eine gute tiefe klare Frage, welche Allen, die ihm zuhoerten, das Herz im Leibe bewegte. "Meine Freunde insgesammt, sprach der haesslichste Mensch, was duenket euch? Um dieses Tags Willen - _ich_ bin's zum ersten Male zufrieden, dass ich das ganze Leben lebte. Und dass ich so viel bezeuge, ist mir noch nicht genug. Es lohnt sich auf der Erde zu leben: Ein Tag, Ein Fest mit Zarathustra lehrte mich die Erde lieben. `War _Das_ - das Leben?` will ich zum Tode sprechen. `Wohlan! Noch Ein Mal!` Meine Freunde, was duenket euch? Wollt ihr nicht gleich mir zum Tode sprechen: War Das - das Leben? Um Zarathustra's Willen, wohlan! Noch Ein Mal!" - - Also sprach der haesslichste Mensch; es war aber nicht lange vor Mitternacht. Und was glaubt ihr wohl, dass damals sich zutrug? Sobald die hoeheren Menschen seine Frage hoerten, wurden sie sich mit Einem Male ihrer Verwandlung und Genesung bewusst, und wer ihnen dieselbe gegeben habe: da sprangen sie auf Zarathustra zu, dankend, verehrend, liebkosend, ihm die Haende kuessend, so wie es der Art eines Jeden eigen war: also dass Einige lachten, Einige weinten. Der alte Wahrsager aber tanzte vor Vergnuegen; und wenn er auch, wie manche Erzaehler meinen, damals voll suessen Weines war, so war er gewisslich noch voller des suessen Lebens und hatte aller Muedigkeit abgesagt. Es giebt sogar Solche, die erzaehlen, dass damals der Esel getanzt habe: nicht umsonst naemlich habe ihm der haesslichste Mensch vorher Wein zu trinken gegeben. Diess mag sich nun so verhalten oder auch anders; und wenn in Wahrheit an jenem Abende der Esel nicht getanzt hat, so geschahen doch damals groessere und seltsamere Wunderdinge als es das Tanzen eines Esels waere. Kurz, wie das Sprichwort Zarathustra's lautet: "was liegt daran!" 2. Zarathustra aber, als sich diess mit dem haesslichsten Menschen zutrug, stand da, wie ein Trunkener: sein Blick erlosch, seine Zunge lallte, seine Fuesse schwankten. Und wer moechte auch errathen, welche Gedanken dabei ueber Zarathustra's Seele liefen? Ersichtlich aber wich sein Geist zurueck und floh voraus und war in weiten Fernen und gleichsam "auf hohem Joche, wie geschrieben steht, zwischen zwei Meeren, - zwischen Vergangenem und Zukuenftigem als schwere Wolke wandelnd." Allgemach aber, waehrend ihn die hoeheren Menschen in den Armen hielten, kam er ein Wenig zu sich selber zurueck und wehrte mit den Haenden dem Gedraenge der Verehrenden und Besorgten; doch sprach er nicht. Mit Einem Male aber wandte er schnell den Kopf, denn er schien Etwas zu hoeren: da legte er den Finger an den Mund und sprach: "Kommt!" Und alsbald wurde es rings still und heimlich; aus der Tiefe aber kam langsam der Klang einer Glocke herauf. Zarathustra horchte darnach, gleich den hoeheren Menschen; dann aber legte er zum andern Male den Finger an den Mund und sprach wiederum: "Kommt! Kommt! Es geht gen Mitternacht!" - und seine Stimme hatte sich verwandelt. Aber immer noch ruehrte er sich nicht von der Stelle: da wurde es noch stiller und heimlicher, und Alles horchte, auch der Esel, und Zarathustra's Ehrenthiere, der Adler und die Schlange, insgleichen die Hoehle Zarathustra's und der grosse kuehle Mond und die Nacht selber. Zarathustra aber legte zum dritten Male die Hand an den Mund und sprach: Kommt! Kommt! Kommt! Lasst uns jetzo wandeln! Es ist die Stunde: lasst uns in die Nacht wandeln! 3. Ihr hoeheren Menschen, es geht gen Mitternacht: da will ich euch Etwas in die Ohren sagen, wie jene alte Glocke es mir in's Ohr sagt, - - so heimlich, so schrecklich, so herzlich, wie jene Mitternachts-Glocke zu mir es redet, die mehr erlebt hat als Ein Mensch: - welche schon eurer Vaeter Herzens-Schmerzens-Schlaege abzaehlte - ach! ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht! die alte tiefe tiefe Mitternacht! Still! Still! Da hoert sich Manches, das am Tage nicht laut werden darf; nun aber, bei kuehler Luft, da auch aller Laerm eurer Herzen stille ward, - - nun redet es, nun hoert es sich, nun schleicht es sich in naechtliche ueberwache Seelen: ach! ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht! - hoerst du's nicht, wie sie heimlich, schrecklich, herzlich zu _dir_ redet, die alte tiefe tiefe Mitternacht? Oh Mensch, gieb Acht! 4. Wehe mir! Wo ist die Zeit hin? Sank ich nicht in tiefe Brunnen? Die Welt schlaeft - Ach! Ach! Der Hund heult, der Mond scheint. Lieber will ich sterben, sterben, als euch sagen, was mein Mitternachts-Herz eben denkt. Nun starb ich schon. Es ist dahin. Spinne, was spinnst du um mich? Willst du Blut? Ach! Ach! der Thau faellt, die Stunde kommt - - die Stunde, wo mich froestelt und friert, die fragt und fragt und fragt: "wer hat Herz genug dazu? - wer soll der Erde Herr sein? Wer will sagen: _so_ sollt ihr laufen, ihr grossen und kleinen Stroeme!" - die Stunde naht: oh Mensch, du hoeherer Mensch, gieb Acht! diese Rede ist fuer feine Ohren, fuer deine Ohren was spricht die tiefe Mitternacht? 5. Es traegt mich dahin, meine Seele tanzt. Tagewerk! Tagewerk! Wer soll der Erde Herr sein? Der Mond ist kuehl, der Wind schweigt. Ach! Ach! Flogt ihr schon hoch genug? Ihr tanztet: aber ein Bein ist doch kein Fluegel. Ihr guten Taenzer, nun ist alle Lust vorbei, Wein ward Hefe, jeder Becher ward muerbe, die Graeber stammeln. Ihr flogt nicht hoch genug: nun stammeln die Graeber "erloest doch die Todten! Warum ist so lange Nacht? Macht uns nicht der Mond trunken?" Ihr hoeheren Menschen, erloest doch die Graeber, weckt die Leichname auf! Ach, was graebt noch der Wurm? Es naht, es naht die Stunde, - - es brummt die Glocke, es schnarrt noch das Herz, es graebt noch der Holzwurm, der Herzenswurm. Ach! Ach! Die Welt ist tief! 6. Suesse Leier! Suesse Leier! Ich liebe deinen Ton, deinen trunkenen Unken-Ton! - wie lang her, wie fern her kommt mir dein Ton, weit her, von den Teichen der Liebe! Du alte Glocke, du suesse Leier! Jeder Schmerz riss dir in's Herz, Vaterschmerz, Vaeterschmerz, Urvaeterschmerz, deine Rede wurde reif,- - reif gleich goldenem Herbste und Nachmittage, gleich meinem Einsiedlerherzen - nun redest du: die Welt selber ward reif, die Traube braeunt, - nun will sie sterben, vor Glueck sterben. Ihr hoeheren Menschen, riecht ihr's nicht? Es quillt heimlich ein Geruch herauf, - ein Duft und Geruch der Ewigkeit, ein rosenseliger, brauner Gold-Wein-Geruch von altem Gluecke, von trunkenem Mitternachts-Sterbegluecke, welches singt: die Welt ist tief und tiefer als der Tag gedacht! 7. Lass mich! Lass mich! Ich bin zu rein fuer dich. Ruehre mich nicht an! Ward meine Welt nicht eben vollkommen? Meine Haut ist zu rein fuer deine Haende. Lass mich, du dummer toelpischer dumpfer Tag! Ist die Mitternacht nicht heller? Die Reinsten sollen der Erde Herrn sein, die Unerkanntesten, Staerksten, die Mitternachts-Seelen, die heller und tiefer sind als jeder Tag. Oh Tag, du tappst nach mir? Du tastest nach meinem Gluecke? Ich bin dir reich, einsam, eine Schatzgrube, eine Goldkammer? Oh Welt, du willst _mich_? Bin ich dir weltlich? Bin ich dir geistlich? Bin ich dir goettlich? Aber Tag und Welt, ihr seid zu plump, - - habt kluegere Haende, greift nach tieferem Gluecke, nach tieferem Ungluecke, greift nach irgend einem Gotte, greift nicht nach mir: - mein Unglueck, mein Glueck ist tief, du wunderlicher Tag, aber doch bin ich kein Gott, keine Gottes-Hoelle: tief ist ihr Weh. 8. Gottes Weh ist tiefer, du wunderliche Welt! Greife nach Gottes Weh, nicht nach mir! Was bin ich! Eine trunkene suesse Leier, - eine Mitternachts-Leier, eine Glocken-Unke, die Niemand versteht, aber welche reden _muss_, vor Tauben, ihr hoeheren Menschen! Denn ihr versteht mich nicht! Dahin! Dahin! Oh Jugend! Oh Mittag! Oh Nachmittag! Nun kam Abend und Nacht und Mitternacht, - der Hund heult, der Wind: - ist der Wind nicht ein Hund? Er winselt, er klaefft, er heult. Ach! Ach! wie sie seufzt! wie sie lacht, wie sie roechelt und keucht, die Mitternacht! Wie sie eben nuechtern spricht, diese trunkene Dichterin! sie uebertrat wohl ihre Trunkenheit? sie wurde ueberwach? sie kaeut zurueck? - ihr Weh kaeut sie zurueck, im Traume, die alte tiefe Mitternacht, und mehr noch ihre Lust. Lust naemlich, wenn schon Weh tief ist: Lust ist tiefer noch als Herzeleid. 9. Du Weinstock! Was preisest du mich? Ich schnitt dich doch! Ich bin grausam, du blutest -: was will dein Lob meiner trunkenen Grausamkeit? "Was vollkommen ward, alles Reife - will sterben!" so redest du. Gesegnet, gesegnet sei das Winzermesser! Aber alles Unreife will leben: wehe! Weh spricht: "Vergeh! Weg, du Wehe!" Aber Alles, was leidet, will leben, dass es reif werde und lustig und sehnsuechtig, - sehnsuechtig nach Fernerem, Hoeherem, Hellerem. "Ich will Erben, so spricht Alles, was leidet, ich will Kinder, ich will nicht _mich_," - Lust aber will nicht Erben, nicht Kinder, - Lust will sich selber, will Ewigkeit, will Wiederkunft, will Alles-sich-ewig-gleich. Weh spricht: "Brich, blute, Herz! Wandle, Bein! Fluegel, flieg! Hinan! Hinauf! Schmerz!" Wohlan! Wohlauf! Oh mein altes Herz: Weh spricht: "vergeh!" 10. Ihr hoeheren Menschen, was duenket euch? Bin ich ein Wahrsager? Ein Traeumender? Trunkener? Ein Traumdeuter? Eine Mitternachts-Glocke? Ein Tropfen Thau's? Ein Dunst und Duft der Ewigkeit? Hoert ihr's nicht? Riecht ihr's nicht? Eben ward meine Welt vollkommen, Mitternacht ist auch Mittag, - Schmerz ist auch eine Lust, Fluch ist auch ein Segen, Nacht ist auch eine Sonne, - geht davon oder ihr lernt: ein Weiser ist auch ein Narr. Sagtet ihr jemals ja zu Einer Lust? Oh, meine Freunde, so sagtet ihr Ja auch zu _allem_ Wehe. Alle Dinge sind verkettet, verfaedelt, verliebt, - - wolltet ihr jemals Ein Mal Zwei Mal, spracht ihr jemals "du gefaellst mir, Glueck! Husch! Augenblick!" so wolltet ihr _Alles_ zurueck! - Alles von neuem, Alles ewig, Alles verkettet, verfaedelt, verliebt, oh so _liebtet_ ihr die Welt, - - ihr Ewigen, liebt sie ewig und allezeit: und auch zum Weh sprecht ihr: vergeh, aber komm zurueck! Denn alle Lust will - Ewigkeit! 11. Alle Lust will aller Dinge Ewigkeit, will Honig, will Hefe, will trunkene Mitternacht, will Graeber, will Graeber-Thraenen-Trost, will vergueldetes Abendroth - - _was_ will nicht Lust! sie ist durstiger, herzlicher, hungriger, schrecklicher, heimlicher als alles Weh, sie will _sich_, sie beisst in _sich_, des Ringes Wille ringt in ihr, - - sie will Liebe, sie will Hass, sie ist ueberreich, schenkt, wirft weg, bettelt, dass Einer sie nimmt, dankt dem Nehmenden, sie moechte gern gehasst sein, - - so reich ist Lust, dass sie nach Wehe durstet, nach Hoelle, nach Hass, nach Schmach, nach dem Krueppel, nach _Welt_, - denn diese Welt, oh ihr kennt sie ja! Ihr hoeheren Menschen, nach euch sehnt sie sich, die Lust, die unbaendige, selige, - nach eurem Weh, ihr Missrathenen! Nach Missrathenem sehnt sich alle ewige Lust. Denn alle Lust will sich selber, drum will sie auch Herzeleid! Oh Glueck, oh Schmerz! Oh brich, Herz! Ihr hoeheren Menschen, lernt es doch, Lust will Ewigkeit, - Lust will _aller_ Dinge Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit! 12. Lerntet ihr nun mein Lied? Erriethet ihr, was es will? Wohlan! Wohlauf! Ihr hoeheren Menschen, so singt mir nun meinen Rundgesang! Singt mir nun selber das Lied, dess Name ist "Noch ein Mal", dess Sinn ist "in alle Ewigkeit!", singt, ihr hoeheren Menschen, Zarathustra's Rundgesang! Oh Mensch! Gieb Acht! Was spricht die tiefe Mitternacht? "Ich schlief, ich schlief -, Aus tiefem Traum bin ich erwacht: - Die Welt ist tief, Und tiefer als der Tag gedacht. Tief ist ihr Weh -, Lust - tiefer noch als Herzeleid: Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit will tiefe, tiefe Ewigkeit!" Das Zeichen Des Morgens aber nach dieser Nacht sprang Zarathustra von seinem Lager auf, guertete sich die Lenden und kam heraus aus seiner Hoehle, gluehend und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt. "Du grosses Gestirn, sprach er, wie er einstmal gesprochen hatte, du tiefes Gluecks-Auge, was waere all dein Glueck, wenn du nicht _Die_ haettest, welchen du leuchtest! Und wenn sie in ihren Kammern blieben, waehrend du schon wach bist und kommst und schenkst und austheilst: wie wuerde darob deine stolze Scham zuernen! Wohlan! sie schlafen noch, diese hoeheren Menschen, waehrend _ich_ wach bin: _das_ sind nicht meine rechten Gefaehrten! Nicht auf sie warte ich hier in meinen Bergen. Zu meinem Werke will ich, zu meinem Tage: aber sie verstehen nicht, was die Zeichen meines Morgens sind, mein Schritt - ist fuer sie kein Weckruf. Sie schlafen noch in meiner Hoehle, ihr Traum kaeut noch an meinen Mitternaechten. Das Ohr, das nach _mir_ horcht, - das _gehorchende_ Ohr fehlt in ihren Gliedern." - Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen gesprochen, als die Sonne aufgieng: da blickte er fragend in die Hoehe, denn er hoerte ueber sich den scharfen Ruf seines Adlers. "Wohlan! rief er hinauf, so gefaellt und gebuehrt es mir. Meine Thiere sind wach, denn ich bin wach. Mein Adler ist wach und ehrt gleich mir die Sonne. Mit Adlers-Klauen greift er nach dem neuen Lichte. Ihr seid meine rechten Thiere; ich liebe euch. Aber noch fehlen mir meine rechten Menschen!" - Also sprach Zarathustra; da aber geschah es, dass er sich ploetzlich wie von unzaehligen Voegeln umschwaermt und umflattert hoerte, - das Geschwirr so vieler Fluegel aber und das Gedraeng um sein Haupt war so gross, dass er die Augen schloss. Und wahrlich, einer Wolke gleich fiel es ueber ihn her, einer Wolke von Pfeilen gleich, welche sich ueber einen neuen Feind ausschuettet. Aber siehe, hier war es eine Wolke der Liebe, und ueber einen neuen Freund. "Was geschieht mir?" dachte Zarathustra in seinem erstaunten Herzen und liess sich langsam auf dem grossen Steine nieder, der neben dem Ausgange seiner Hoehle lag. Aber, indem er mit den Haenden um sich und ueber sich und unter sich griff, und den zaertlichen Voegeln wehrte, siehe, da geschah ihm etwas noch Seltsameres: er griff naemlich dabei unvermerkt in ein dichtes warmes Haar-Gezottel hinein; zugleich aber erscholl vor ihm ein Gebruell, - ein sanftes langes Loewen-Bruellen. "Das Zeichen kommt," sprach Zarathustra und sein Herz verwandelte sich. Und in Wahrheit, als es helle vor ihm wurde, da lag ihm ein gelbes maechtiges Gethier zu Fuessen und schmiegte das Haupt an seine Knie und wollte nicht von ihm lassen vor Liebe und that einem Hunde gleich, welcher seinen alten Herrn wiederfindet. Die Tauben aber waren mit ihrer Liebe nicht minder eifrig als der Loewe; und jedes Mal, wenn eine Taube ueber die Nase des Loewen huschte, schuettelte der Loewe das Haupt und wunderte sich und lachte dazu. Zu dem Allen sprach Zarathustra nur Ein Wort: "meine Kinder sind nahe, meine Kinder" -, dann wurde er ganz stumm. Sein Herz aber war geloest, und aus seinen Augen tropften Thraenen herab und fielen auf seine Haende. Und er achtete keines Dings mehr und sass da, unbeweglich und ohne dass er sich noch gegen die Thiere wehrte. Da flogen die Tauben ab und zu und setzten sich ihm auf die Schulter und liebkosten sein weisses Haar und wurden nicht muede mit Zaertlichkeit und Frohlocken. Der starke Loewe aber leckte immer die Thraenen, welche auf die Haende Zarathustra's herabfielen und bruellte und brummte schuechtern dazu. Also trieben es diese Thiere. - Diess Alles dauerte eine lange Zeit, oder eine kurze Zeit: denn, recht gesprochen, giebt es fuer dergleichen Dinge auf Erden _keine_ Zeit -. Inzwischen aber waren die hoeheren Menschen in der Hoehle Zarathustra's wach geworden und ordneten sich mit einander zu einem Zuge an, dass sie Zarathustra entgegen giengen und ihm den Morgengruss boeten: denn sie hatten gefunden, als sie erwachten, dass er schon nicht mehr unter ihnen weilte. Als sie aber zur Thuer der Hoehle gelangten, und das Geraeusch ihrer Schritte ihnen voranlief, da stutzte der Loewe gewaltig, kehrte sich mit Einem Male von Zarathustra ab und sprang, wild bruellend, auf die Hoehle los; die hoeheren Menschen aber, als sie ihn bruellen hoerten, schrien alle auf, wie mit Einem Munde, und flohen zurueck und waren im Nu verschwunden. Zarathustra selber aber, betaeubt und fremd, erhob sich von seinem Sitze, sah um sich, stand staunend da, fragte sein Herz, besann sich und war allein. "Was hoerte ich doch? sprach er endlich langsam, was geschah mir eben?" Und schon kam ihm die Erinnerung, und er begriff mit Einem Blicke Alles, was zwischen Gestern und Heute sich begeben hatte. "Hier ist ja der Stein, sprach er und strich sich den Bart, auf _dem_ sass ich gestern am Morgen; und hier trat der Wahrsager zu mir, und hier hoerte ich zuerst den Schrei, den ich eben hoerte, den grossen Nothschrei. Oh ihr hoeheren Menschen, von _eurer_ Noth war's ja, dass gestern am Morgen jener alte Wahrsager mir wahrsagte, - - zu eurer Noth wollte er mich verfuhren und versuchen: oh Zarathustra, sprach er zu mir, ich komme, dass ich dich zu deiner letzten Suende verfuehre. Zu meiner letzten Suende? rief Zarathustra und lachte zornig ueber sein eigenes Wort: _was_ blieb mir doch aufgespart als meine letzte Suende?" - Und noch ein Mal versank Zarathustra in sich und setzte sich wieder auf den grossen Stein nieder und sann nach. Ploetzlich sprang er empor, - "Mitleiden! Das Mitleiden mit dem hoeheren Menschen! schrie er auf, und sein Antlitz verwandelte sich in Erz. Wohlan! _Das_ - hatte seine Zeit! Mein Leid und mein Mitleiden - was liegt daran! Trachte ich denn nach _Gluecke_? Ich trachte nach meinem _Werke_! Wohlan! Der Loewe kam, meine Kinder sind nahe, Zarathustra ward reif, meine Stunde kam: - Dies ist _mein_ Morgen, _mein_ Tag hebt an: herauf nun, herauf, du grosser Mittag!" - - Also sprach Zarathustra und verliess seine Hoehle, gluehend und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, ALSO SPRACH ZARATHUSTRA *** This file should be named 7zara10.txt or 7zara10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7zara11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7zara10a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. 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