The Project Gutenberg EBook of Der Weinhueter, by Paul Heyse Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/. Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" zur Verfuegung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. Der Weinhueter Paul Heyse (1862-63) Im September eines Jahres, dessen Stadt- und Dorfgeschichten aus Menschengedenken schon entschwunden sind, sass um die schwuele Mittagszeit ein junger Bursch mitten in dem wuchernden Rebenwald, der, dicht an die Stadt Meran herantretend, die Suedabhaenge des Kuechelberges bedeckt. Die uebermannshohen Laubengaenge, in denen hier der Wein gezogen wird, waren mit dem Segen dieses Jahres so beladen, dass ein dunkelgruenes Zwielicht durch die langen lautlosen Gassen schwebte, zugleich eine traege stockende Glut, in der kein Luftzug Wellen schlug. Kaum wo die kleinen Felstreppen zwischen den einzelnen Weinguetern schroff bergan laufen, spuerte man, dass man ins Freie auftauchte. Denn das Meer von Siedeglut, das in dem weiten Talkessel wogte, schlug hier doppelt schwer ueber dem unbeschuetzten Haupte zusammen. Auch sah man selten einen Menschen des Weges wandern. Nur zahllose Eidechsen liefen feuerfest treppauf treppab und raschelten durch das zaehe Efeugestruepp, das die Grundmauern der Rebenaecker reichlich umrankt. Die dunkelblauen Trauben mit den grossen dickschaligen Beeren hingen dichtgedraengt oben an der Woelbung der Laubengitter, und ein seltsam perlender Ton ward in der tiefen Mittagsstille dann und wann hoerbar, als kreise vernehmlich der Saft und koche am Sonnenfeuer in dem edlen Gewaechs. Der Bursch aber, der in halber Hoehe des Berges einsam unter den Reben sass, schien fuer diese geheimnisvolle Naturstimmung taub und ganz seinen eignen duestern Gedanken hingegeben. Er trug die uralte abenteuerliche Tracht der Weinhueter oder "Saltner", die lederne Joppe, aermellos, mit breiten Achselklappen, an denen ueber den Hemdsaermeln die ledernen Manschetten durch schmale Riemen oder silberne Kettchen festgehalten werden, Kniehosen und Hosentraeger ebenfalls von Leder und mit dem breiten, daumdicken Gurt umguertet, auf dem in weisser Stickerei der Namenszug des Eigners steht, die weissen Stutzenstruempfe mit durchbrochenem Muster, um den Hals allerlei Zierat von Kettchen, Eber- und Murmeltierzaehnen. Aber die Hauptstuecke seiner Amtstracht lagen neben ihm im Grase: der hohe dreieckige Trutzhut, ueber und ueber mit Hahnen- und Pfauenfedern, Fuchs- und Eichhornschwaenzen verbraemt, keine kleine Last zur Zeit der Traubenreife, und die lange wuchtige Hellebarde, mit der die Saltner ihrer drohenden Erscheinung Nachdruck zu verleihen wissen, wenn ein unbefugter Eindringling in ihr Gebiet nicht gutwillig das Pfandgeld erlegen will. Tag und Nacht, ohne Abloesung, ohne Sonntagsruhe und Kirchgang, um einen maessigen Lohn durchstreifen diese "lebendigen Vogelscheuchen" jeder das ihm zugewiesene Revier, von der Mitte des Juli, wo die ersten Beeren suess werden, bis die letzte Traube in die Kelter gewandert ist. Ihr saurer Dienst in Hitze und Naesse, obdachlos bis auf den kuemmerlichen Schutz ihres Maisstrohschuppens, ist dennoch ein Ehrenamt, zu dem nur die rechtschaffensten Burschen ausersehen werden. Auch haben die gelinden sternklaren Naechte in der freien Hoehe, waehrend in den Haeusern die Tagesschwuele kaum je verdampft, ihren Reiz, und die Besitzer der Weingueter lassen sich's angelegen sein, die Waechter mit Wein und Speisen reichlich zu versorgen, um sie bei Kraeften und guter Laune zu erhalten. Es schien jedoch dieses Mittel bei dem finstern Burschen, dem wir uns genaehert haben, nicht anzuschlagen. Er hatte den Krug mit rotem Wein, das Brot und die grossen Schnitte geraeucherten Fleisches, die ihm eben erst zur Mittagskost ein kleiner Knabe heraufgeschleppt hatte, unberuehrt neben sich stehen auf dem platten Stein, der seinen Tisch vorstellte. Eine sehr kleine geschnitzte Pfeife mit silbernem Kettchen war ihm schon lange ausgegangen, und truebsinnig verbiss er die Zaehne in das weiche Holz. Er mochte etwa dreiundzwanzig Jahre alt sein, der Bart krauste sich leicht um Kinn und Wangen, die scharfen Zuege des Gesichts deuteten auf fruehe Leidenschaften; die Stirn aber war, nach der Landessitte, von den Haaren verhaengt, die, frueh schon dicht ueber den Augenbrauen abgeschnitten, sich in einzelne Locken gewoehnt hatten und um Schlaefe und Nacken ebenfalls gelockt herabhingen. Das gab dem Kopf alle Jugendfrische zurueck, die ihm die Schatten unter den dunklen Augen zu nehmen drohten. Ein langsamer Schritt, der sich unten auf dem Fusssteige naeherte, machte, dass er ploetzlich aufstarrte, den Hut aufsetzte und die Hellebarde ergriff. Man konnte jetzt sehen, dass sein Wuchs hinter dem landueblichen etwas zurueckgeblieben war, immer noch stattlich genug und durch das schoenste Ebenmass der gewoelbten Brust und der straffen Schenkel auffallend auf den ersten Blick. Nur der Kopf schien fast zu klein geraten und Haende und Fuesse gar mit einem Weibe ausgetauscht. Geraeuschlos glitt die schmiegsame Gestalt unter den Gewoelbgittern entlang, ohne auch nur eine Traube zu streifen, und spaehte vom naechsten Felsenvorsprung hinunter auf den Weg. Eine schmale, schwarzroeckige Figur mit hohem, sehr abgetragenem Filzhut kam die breite Gasse zwischen Weinberg und Wiese dahergewandelt, im Schatten der Weidenbaeume, ein offnes Buch in den gefalteten Haenden, ueber das hinaus der Blick zufrieden und unbegehrlich nach den schoenen Trauben schweifte. Auch ohne den langen Rock, der fast zu den Knoecheln der schwarzen Struempfe herabreichte, haette jeder in dem bedaechtigen Spaziergaenger alsbald die geistliche Person erkannt, und zwar an einigen der liebenswuerdigsten Zuege, die der grossen und mannigfaltigen Gattung unter gewissen Himmelsstrichen eigen sind. Damals war der heftige Parteienhader zu Gunsten der Glaubenseinheit in dem gelobten Lande Tirol, wo die Milch des Glaubens und der Honig des Aberglaubens so lauter fliessen, noch eine unerhoerte Sache, und selbst die Hauptstadt des alten Burggrafenamts Meran, in der vorzeiten mancherlei Regungen eines neuen Geistes unliebsam die Ruhe gestoert hatten, war wieder in tiefen Frieden zurueckgesunken. Also hatten die Diener der Kirche keine Ursach, ihren Hirtenstab als Waffe zu schwingen, und konnten mit aller Gemuetsruhe die idyllischen Tugenden ihres Standes pflegen. Damals begegnete man nicht selten jenen bescheidenen geistlichen Gesichtern, auf denen eine gewisse Verlegenheit ueber ihre eigene Wuerde deutlich zu lesen war, eine stete Sorge, der Majestaet des lieben Gottes, dessen Kleid sie trugen, nichts zu vergeben, und doch ihren ungeweihten Mitgeschoepfen nicht allzu unnahbar feierlich gegenueberzustehn. Der freundliche kleine Herr im schaebigen Hut war nun auch freilich keines der hohen Kirchenlichter, sondern nur ein Hilfspriester an der Pfarrkirche von Meran, der taeglich um zehn Uhr eine Messe zu lesen hatte und dafuer, ausser einem Stuebchen in der Laubengasse und einigen andern Emolumenten, einen Gulden taeglicher Einkuenfte besass. Das Volk, das ihn seines milden Gemuetes wegen sehr in Ehren hielt und naechst den Kapuzinern ihm das groesste Vertrauen zuwendete, nannte ihn nicht anders als den "Zehnuhrmesser" und bewies ihm auf mannigfache Art seine Gunst. Es war kein Haus weit und breit, wo, wenn er ansprach, nicht der Weinkrug und irgend ein Imbiss auf den Tisch gestellt wurde, so dass es dem wackeren Mann gelungen war, im Laufe der Zeit zwar nicht die natuerliche Hagerkeit seines Wuchses zu verbessern, aber wenigstens der Wuerde seiner Erscheinung durch ein schuechternes Baeuchlein aufzuhelfen. Dasselbe nahm sich, da es sich mit dem uebrigen Zuschnitt der Figur nur um Gotteswillen vertrug, fuer ein profaneres Auge spasshaft aus, wie es schief und aengstlich unter dem duennen Rocke festgeknoepft sass. Aber zu dem bescheidenen Ausdruck des Gesichts stimmte die verlegentliche Buerde ganz wohl, und es fiel keinem seiner Beichtkinder ein, diesen Spaetling der Natur zu belaecheln. Auch wusste niemand dem Herrn Zehnuhrmesser eine Unmaessigkeit nachzusagen, es sei denn etwa im Almosenspenden. Denn dass man allerorten sich beeilte, ihn mit dem Besten aus dem eigenen Weinberg zu bewirten, lag zum Teil an dem Rufe, dessen er genoss, als sei viele Stunden weit keine weltliche oder geistliche Zunge besser imstande, die Guete des Weins zu schaetzen, seine Dauerhaftigkeit zu bestimmen, und in Faellen, wo ihm durch ein kleines Mittelchen aufzuhelfen war, das richtige anzugeben. "Eine Weinzunge haben wie der Zehnuhrmesser", war noch geraume Zeit das Ehrenvollste, was man von einem Kenner zu ruehmen wusste. Unter den mancherlei Gaben und Tugenden unseres Ehrenmannes war aber der Mut nicht eben die staerkste. Seine Nerven, obwohl er aus einer Bauernfamilie im Passeier stammte, die zu Hofers Kriegen manchen tapfern Schuetzen geliefert hatte, liessen seine leicht erschuetterte Seele bei jeder unversehenen Probe im Stich, ausser wo es eine fremde Seele zu retten oder sonst eine hohe Gewissenspflicht zu erfuellen galt. Auch dann zog er es vor, seiner moralischen Kraft erst mit einer physischen Staerkung nachzuhelfen, und sorgte dafuer, dass ein maessiges Faesschen voll weissem Terlaner, dem er am meisten begeisternde Wirkungen zuschrieb, im Keller seines Hauses niemals ganz versiegte. Heute nun, da er von einem Krankenbesuch im Dorf Algund ohne Labung zurueckkehren musste, war er keiner starken Pruefung gewachsen und erschrak aufs heftigste, als ploetzlich dicht neben ihm eine dunkle Gestalt hoch von der Weinbergsmauer herabsprang und auf ihn zustuerzend seine Hand ergriff. Gelobt sei Jesus Christus! sagte er, am ganzen Leibe zitternd. In Ewigkeit! antwortete der Bursch. Du bist's, Andree, mein Sohn? Hab' ich doch gemeint, der boese Feind komme mir mit Macht ueber den Hals, der ja im Weinberge des Herrn herumschleicht, zu sehen, wen er verschlinge. Nun, nun, wenn man so in Gedanken und Meditationen schwebt, kann's einem schon begegnen, dass euer Hut einem wie das Hoernerhaupt des Leibhaftigen vorkommt. Bist also hier, Andree? Das ist ja wohl dein eigener Grund und Boden, den du huetest, ich meine, deiner Mutter? Des Burschen Augen wurden finsterer, und das Blut stieg ihm ins Gesicht. Da sei Gott vor, sagte er, dass ich den Fuss setzte in die Gueter meiner Mutter. Seit sie mir zu Lichtmess den Schlag ins Gesicht gegeben hat, weil sie meint', ich haette Feuer im Stadel angelegt, bin ich nimmer ihr Sohn und betrete ihre Schwelle weder bei Tag noch bei Nacht. Der geistliche Herr besann sich jetzt erst, dass er einen wunden Fleck beruehrt hatte. Er schuettelte ernsthaft und mitleidig den Kopf und sagte: Ei, Andree, du sprichst, wie es keinem guten Christen geziemt. Hat nicht unser Herr am Kreuz seinen blutigen Feinden verziehen, und ein Sohn sollt' es seiner Mutter nachtragen, wenn sie ihn auch ungerecht gezuechtigt hat? Ich weiss wohl, dass es dir hart ankommen mag, und dass jenes Mal, wo die Mutter sich vergessen hat, nicht das erste Mal war. Aber sieben mal siebenzigmal sollen wir verzeihen, Andree. Hast du das schon vergessen seit der Kinderlehre? Nein, Hochwuerden, erwiderte der Juengling fest. Ich hab' mir's auch angelobt, an jenen Tag nimmer zu denken und kann's ueber mich bringen, solang ich vom Hause fernbleibe. Aber wenn ich zurueckkaeme, wuerde mich die Mutter selbst daran mahnen, weil sie mich hasst und nur darauf sinnt, wie sie mich plagen und tratzen mag. Sie wird mir auch mein Erbe entziehen im Testament, selbiges weiss ich gewiss, und frage nicht viel danach. Ich werd' auch ohne das nicht verkommen, und goenn' es wohl meiner Schwester. Aber geschieden sind wir, und da kann keiner was dazu tun. Ich hab' mich beim Steirer verdungen, drueben in Gratsch, als Grossknecht, und heuer mach' ich den Saltner und hab' mein Auskommen, ohne einen Kreuzer von Haus. Aber die Mutter koennte mir sieben Boten schicken und mich mit vier Rossen zurueckholen wollen, ich ginge nicht. Es hat alles einmal ein End'. Der kleine Priester sah nachdenklich vor sich hin und schien der Meinung, dass es geratener sei, die Dinge gehen zu lassen, anstatt noch weiter mit geistlicher Mahnung einzugreifen. Er betrachtete jetzt mit kundigen Augen die Reben oben ueber der Mauer und sagte: Der Steirer hat wohlgetan, statt der Bratreben, die sonst hier standen, die Hertlinger anzupflanzen. Sie sind noch jung, aber im naechsten Jahr werden sie das Doppelte tragen. Die stehen nur hier am Rande, erwiderte der Bursch. Droben ist meist roter Farnatsch und einiges von Geissaugen dazwischen. Was er drueben hat, unterhalb Dorf Tirol, sind rote Ferseilen, aber er wird sie heuer ausnehmen und Setzlinge pflanzen, denn sie haben sich schier zu Tod getragen. Auf wieviel Uhren rechnet ihr beilaeufig? Einhundertundvierzig bis--siebenzig immerhin. Wie steht dir das Saltnern an, Andree? Es mag hart werden auf die, Laenge. Ha, es passiert, Hochwuerden. Noch spuer' ich's nicht in den Gliedern. Hast auch bei Nacht fein die Augen offen? Die meinigen wohl. Aber sind nur zwei, und ich muesst' ein Dutzend haben, um allerorten zugleich nachzuschauen. Die Weissroecke fangen wieder an, bei Nacht herumzufuragieren; die Weinbeeren sind ihnen grad saftig genug, um ihr Kommissbrot anzufeuchten. Und es kommen ihrer immer viele auf einmal, aber einzeln, und wenn wir einen fassen, haben indes die andern das Feld frei, und es hilft uns nichts, vorm Hauptmann ist doch kein Recht zu erlangen. Die Stadt sollte sich beklagen. Ja die Stadt! Da muessten wir Zeugen und Beweise schaffen. Aber wer will's beschwoeren, wenn wir am Morgen ganze Strecken lang die besten Trauben gestohlen und links und rechts die Reben wie ein Unkraut mit dem Saebel zerhauen finden aus Wuestheit und Schadenfreude, dass das nur die Soldaten getan haben koennen? Fassen wir einen am Kragen, so weiss er so wenig von Weinbeeren wie's Kind im Mutterleib. Da bleibt nichts, als ihn auf eigene Faust Spiessruten laufen zu lassen, dass er's Wiederkommen vergisst. Den naechsten aber, den haengen wir, mein Eid! an den Beinen auf, da mag er bis an den lichten Morgen in der Luft exerzieren. Es sind arme Teufel, Andree, und die Versuchung ist gross. Ihr solltet's menschlich mit ihnen machen. Machen sie's denn nicht wie die Bestien? Da seht, Hochwuerden--und er wies auf eine Rebe, die glatt mitten durchgeschnitten war, dass das Laub schon welk und gelb an den Ranken hing--das Herz blutet einem, so ein gesundes, friedliches Gewaechs, das nur auf der Welt ist, um seinem Herrn das Fass zu fuellen, von den Hundsfoettern verheert zu sehen, aus purer Niedertracht, uns zum Possen. Find' ich einen einmal beim Werk, so gnad' ihm Gott! Er schuettelte, in der Richtung nach der Stadt, drohend die Hellebarde und bohrte sie darin heftig in den Sand. Der geistliche Herr schrak leicht zusammen, vergass aber seiner Wuerde nicht und sagte: Ich will mit dem Hauptmann sprechen, heute noch, dass er strenger drauf sieht, nach dem Zapfenstreich keinen Mann aus der Kaserne zu lassen. Du aber bezaehme deine Hitze, mein Sohn, und bedenke, dass du hier im Dienste der Obrigkeit stehest und das Gericht ihr ueberlassen sollst. Behuet dich Gott, Andree. Ich gehe heute wohl auf Goyen hinauf, zum Hirzer. Hast mir was aufzutragen an den Franz oder die Rosina? Einen Gruss etwa? Nein, Hochwuerden. 's ist immer noch beim alten zwischen dem Bauern und mir. Er will nichts von uns wissen, so frag' ich ihm nichts nach. Die andern sind ganz rechtschaffen, moecht' ihnen beim Vater keinen Verdruss machen, indem ich sie gruessen liess'. Aber wenn Ihr etwa meiner Schwester begegnet--nein, auch der sagt nichts, es war nur ein Einfall. Rasch, wie um seine Verwirrung zu verbergen, bueckte er sich nach der Hand des Priesters, kuesste sie ehrerbietig und schwang sich an dem langen Hellebardenschaft auf die Mauer zurueck, wo er sogleich hinter dichtem Rebenlaub verschwand. Kopfschuettelnd setzte der Zehnuhrmesser seinen Weg fort, und das Gespraech mit dem Juengling beschaeftigte sein menschenfreundliches Gemuet noch eine geraume Zeit. Aber die lange, taegliche Uebung einer ausgebreiteten Seelsorge und die geistliche Pflicht, das Oel der Geduld in eigene und fremde Stuerme zu traeufeln, hatten den schaerfsten Stachel des Mitgefuehls bereits abgestumpft. Es ahnte ihm nicht von fern, wie es jetzt im Innern des Burschen aussah, der oben bei seiner Maishuette lag, das Gesicht gegen den Felsboden gedrueckt, als wollte er sich bei lebendigem Leibe in den Schoss der Mutter Erde vergraben, um vor einem uebergrossen Kummer Zuflucht zu finden, Eine volle Stunde mochte er so gelegen haben, zuletzt durch einen mitleidigen Halbschlaf von seinen hilflosen Gedanken erloest, als ein helles Lachen, das unten am Weg erscholl, ihn jaehlings erweckte. Einen Augenblick lag er still, sich zu besinnen, ob er's nicht etwa getraeumt habe. Aber eine helle Stimme drang zu ihm herauf und dasselbe unschuldig trillernde und girrende Maedchenlachen, das sich von fern fast wie der Gesang eines Vogels ausnahm. Im Nu war der Juengling aufgesprungen und an ein Lugloch gestuerzt, das den Blick hinunter freiliess. Auf dem naemlichen Weg unter den Weiden, den der geistliche Herr vorhin gewandelt war, kam, diesmal aber von der Stadtseite, ein Maedchen, das nicht ueber siebzehn Jahr sein konnte, blond, eher klein als gross, in der dunklen, schwerfaelligen Landestracht. Aber die Bewegungen der zierlichen Gestalt, so langsam und behaglich sie einherschritt, waren so leicht und anmutig, dass jedes Auge ihr unwillkuerlich folgen musste. Sie hatte die Haende ruhig ineinandergelegt, wie es die Art der Maedchen hier zu Lande ist, wenn sie nichts zu tragen haben. Der runde Kopf aber blieb keinen Augenblick still auf dem schlanken Nacken, sondern wendete sich wie bei einem Vogel rastlos nach allen Seiten, am haeufigsten freilich zu ihrem Begleiter, ueber dessen scherzhafte Reden sie bestaendig in ein neues Lachen ausbrach. Das war ein gewandter, ruehriger Gesell, dem die leinene Soldatenjacke, die enganschliessenden blauen Hosen und die schiefe blaue Kappe ohne Schirm nicht uebel standen. Sein dunkles Gesicht und die schwarzen Augen verrieten das welsche Blut. Auch hatte er grosse Muehe, sich dem Maedchen in seinem gebrochenen Deutsch verstaendlich zu machen. Aber schon der Klang seiner verstuemmelten und verwelschten Worte schien sie hoechlich zu belustigen. Mehrmals warf er forschende Blicke in der Gegend umher. Einen Bauern, der ein Kalb mit Hilfe seines Hundes nach dem naechsten Dorfe trieb, liess er mit absichtlichem Zoegern vorankommen, und jetzt, da derselbe um die Ecke des Weges verschwunden war, ruestete er sich offenbar, mit dem Maedchen etwas handgreiflicher anzubinden, als sein spaehendes Auge ploetzlich die drohende Gestalt des Weinhueters entdeckte, der aus der Oeffnung des Weinganges herausgetreten war und mit erhobener Waffe, noch sprachlos, hinunterwinkte. Der Welsche stand unschluessig still. Auch das Maedchen hermmte den gleichmuetigen Schritt und sah hinauf. Guten Nachmittag, Andree! rief sie ohne jede Verlegenheit. Es ist mein Bruder, setzte sie, zu dem Soldaten gewendet, hinzu. Macht, dass Ihr fortkommt; er versteht keinen Spass. Der Soldat schien den wohlgemeinten Rat vollkommen zu wuerdigen, aber durch die Entfernung seines Feindes sich einstweilen noch sicher zu fuehlen. Nix Furcht, Fralla, sagte er; ihm geben Kreizer a comprar tabacco; dann still sein, gut Freund.-Er griff in die Tasche und holte eben seine geringe Barschaft heraus, als er die donnernde Stimme des Burschen droben vernahm: Zurueck, Soldat, oder der Spiess fliegt dir an den Kopf, dass du bei Nacht und Tag das Wiederkommen vergisst. Der Welsche stand wie angewurzelt und mass den Weinhueter mit einem wuetenden Blick. Deutsche Baer! murmelte er zwischen den Zaehnen. Maledetto!--Aber noch konnte er sich nicht entschliessen, umzukehren und sich vor den Augen seiner Schoenen in so nachteiligem Licht zu zeigen. Diese stand, offenbar durch seine heftigen und ohnmaechtigen Gebaerden ergoetzt, gelassen neben ihm und lachte ohne jede Schonung. Aber dem Burschen oben erschien der Auftritt nichts weniger als lustig. In raschen Saetzen sprang er, durch schmale Oeffnungen der Lauben sich windend, den Abhang hinab, und ehe der Welsche sich besinnen konnte, sahen zwei funkelnde Augen unter dem wehenden Trutzhut ihm in das entfaerbte Gesicht. Hast du Ohren, Kamerad? herrschte der Zorngluehende ihn an. Weisst nicht, dass der Weg hier fuer deinesgleichen verboten ist? Soll ich dir die Jacke vom Leibe reissen, um ein Pfand zu behalten, welscher Fuchs? Hast wohl Weinbeeren vergessen zu Nacht, und kommst nun zur Marend, sie zu holen? Den Augenblick scher dich heim, oder-Die Hand weg! knirschte der Welsche, da er sich ungestuem gepackt und geschuettelt fluehlte. Haett' ich mein' sdegena-Wurm! rief der Juengling. Bring nur deinen Degen mit das naechste Mal, und dein Gewehr dazu; es waer' doch ein Pfand, das der Mueh' verlohnte. Aber nun beim Kreuz! fort mit dir, oder ich spiesse dich auf wie einen Frosch, und werfe dich in deinen Kasernenhof zurueck, dass du das letzte Stossgebet nimmer zu Ende beten sollst. Damit schleuderte er den langen Gesellen einige Schritte weit fort, dass er, ueber einen Stein strauchelnd, in die Knie fiel. Im Augenblick war er wieder auf den Fuessen, und mit beiden Faeusten wie ein Weib gegen den Feind drohend und eine Flut von welschen Fluechen hervorsprudelnd, wich er der Gewalt und trollte hinkend und oft zurueckblickend im Schutz der Weiden dem nahen Stadttor zu. Du hast's ihm aber arg gemacht, Andree, sagte die Blonde, indem sie dem geschlagenen Galan ganz kaltbluetig nachblickte. Er hat so g'spassiges Zeug geredt, dass ich immer hab' lachen muessen. Warum bist du gleich so wild worden? Der Bruder gab keine Antwort, seine Gedanken waren noch bei seinem Zorn. 's ist noch nicht aus zwischen uns! sagte er vor sich hin. Er kommt mir schon wieder; meinetwegen! so heb' ich's ihm auf.--Moidi, fuhr er fort, ploetzlich zu dem Maedchen gewendet, und du, immer noch das alte Lied? Wer mir aufspielt, dem tanz' ich? Schaemst du dich nicht, so einem tueckischen Teufel das Wort zu goennen und neben ihm her zu gehen? Wenn dir jeder recht ist, der dich lachen macht, so bleib weg von mir. Denn du weisst wohl, das Lachen ist rar bei mir, wie der Schnee zu Pfingsten. Das Maedchen war still geworden und sah mit zerstreutem Blick vor sich hin. Sie strich sich mit beiden flachen Haenden ueber das Haar, das von allen Seiten glatt ueber den Kopf zurueckgekaemmt und im Nacken mit einem grossen runden Kamm festgesteckt war, und ihr sehr zartgefaerbtes Gesicht roetete sich vor Verlegenheit. Andree, sagte sie endlich, ohne ihn anzusehen, soll ich wieder gehn? Nein, bleib! erwiderte er kurz. Bist du meinethalben gekommen? Freilich, sagte sie eifrig, und wagte es jetzt erst, seinem Blick zu begegnen. Es ist ja schon eine Woche her, dass ich nicht habe abkommen koennen. Du laesst dich ja nimmer sehen. Die Mutter war eingeschlafen, es war so heiss in der Kueche, da hab' ich gedacht, ich will einen Sprung hinaus tun, zu schauen, wie dir's geht. Und da, einen halben Weck hab' ich dir mitgebracht; der Hirzerfranz hat ihn mir gekauft, am Sonntag gestern, nach der Kirch'. Ich mag ihn nimmer, er ist soviel suess. Der Hirzerfranz? Was hat der dir zu schenken? Wenn's sein Vater wuesste, es gaebe einen Teufelslaerm. Hat er dich etwa auch zu lachen gemacht? Der? Dem lacht's nur in der Tasche, wenn er mit seinen Gulden klappert. Auch war meine Mutter dabei, weisst wohl; wen die anschaut, dem vergeht der Spass, wie den Maeusen, wenn sie die Katze spueren. Mich wundert's selbst, dass ich noch lustig sein kann. Aber ich waer' laengst gestorben ohne das Lachen, so grauslich ist mir's manches Mal, mit ihr allein droben in der Huette. Sie schwiegen eine Weile.--Magst du den Wecken nicht? sagte das Maedchen. So leg' ich ihn da auf die Bank, er kommt schon nicht um. Aber da sind noch ein paar Feigen, von unserm Baum droben, die reifsten. Ich hab' sie fuer dich abgebrochen. Da! sie sind gut in der Hitze! Ich dank' dir, Moidi, erwiderte er. Komm, wir wollen sie zusammen essen, droben im Schatten. Er schritt voran die Weinbergsstufen hinauf, und sie folgte ihm, allerlei plaudernd, worauf er die Antwort schuldig blieb. Auf seinem alten Platz unter dem Rebendach warf er sich nieder, und sie setzte sich neben ihn auf den breiten Stein und noetigte ihn, die Feigen zu kosten. Mit der Zeit, da keine neue Stoerung kam, schien ihm wohl zu werden. Ein leichter Wind machte sich auf und trug den Schall einer fernen Muehle an der Etsch und das Geraeusch der Passer bis zu ihnen herauf, dann und wann auch einen Knall von den Schuetzen, die im Schiessstande drueben nach der Scheibe schossen. Die Zeit wurde ihnen nicht lang. Er noetigte sie, von seinem Wein zu trinken, was sie bald wieder in die alte lustige Laune brachte. Auch die Heimlichkeit des schattigen Verstecks reizte ihren Mutwillen, und er, der einsilbig, aber nicht mehr unmutig, sie gewaehren liess, verwandte kein Auge von ihr. Endlich setzte sie sich gar den schweren Saltnerhut auf, nahm den Spiess in die Hand und ging mit grossen Schritten die Laubengasse hinauf und hinunter, mit der Linken die beiden Fuchsschwaenze unter dem Kinn zusammenhaltend, dass ihr Gesicht ganz davon eingerahmt war. Andree, sagte sie, mich sollten sie schon fuerchten, mein' ich, und wenn die Mutter nicht waer', kaem' ich alle Nacht zu dir und machte den Saltner, waehrend du dich hinlegtest, ein paar Stunden zu schlafen. Ich wollt' die Spitzbuben, die Soldaten, schon in Respekt halten, gelt? Der Juengling lachte zum erstenmal. Als sie sah, dass sie das Eis seines Truebsinns gebrochen hatte, kam sie rasch zu ihm, setzte Hut und Hellebarde beiseit und sagte, dicht neben ihm im Grase kauernd: Nun schau, Andree, tausendmal huebscher bist du, wenn du auch einmal lachst wie andre Buben, als so alleweil Falten in die Stirn ziehst und dreinschaust wie unser Herr Christus am Kreuz. Bist du nicht ein junger, lebfrischer Bub und brauchst dich von niemand in den Sack stecken zu lassen? Mit der Mutter--ja, das ist freilich eine leide Geschicht', aber du hast doch keine Schuld daran, das wissen alle Leut', und um mich brauchst du dich auch nicht zu graemen, ich komm' zu dir, sooft ich kann, und vor mir darf die Mutter kein boes Wort auf dich sagen, wenn sie mich nicht zur Tuer hinaustreiben will, das weiss sie wohl. Was hast also, dass du alleweil den Kopf haengst und mir selber so finstre Augen machst, als waer' ich nicht deine liebe Schwester, sondern eine Feindin? Und wenn gar ein andrer Bub mir ein Woertel sagt, so ist gleich Feuer im Dach. Sag, moechtest du eine Nonne aus mir machen, oder dass ich bei der Mutter ihr Lebtag die Hennendirn abgeben und eine steinalte Jungfer werden soll? Sie war ihm waehrend dieser Worte zutraulich nahe gerueckt und hatte den Arm leicht um seinen Nacken gelegt. Aber wie wenn ein Gespenst ihn angefasst haette, fuhr er auf und schuettelte ihre Liebkosung ab. Seine Brust arbeitete schwer. Lass mich, keuchte er heftig hervor, ruehr mich nicht an, frag mich nichts, geh fort von mir, so weit du kannst, und komm nie wieder! Er war aufgesprungen, als wollte er fliehen, aber er konnte sich nicht von der Stelle ruehren. Er musste sie ansehen, wie sie, versteinert, im Grase kniete, die Haende im Schoss gefaltet, mit einem Blick, der ihm ins Herz schnitt. Die Augen schienen groesser geworden, der halbgeoeffnete Mund in einem schmerzlichen Aufschrei erstarrt, die feinen Nasenfluegel bebten. Es war nicht das erste Mal, dass dieses Gesicht ihn an dem Kinde entsetzte. Ja zuweilen mitten in ihrem Lachen, das ueberhaupt oft kindisch klang, ward sie von ploetzlichem Schrecken ueberfallen und fuer eine Zeitlang wie von einem verstoerenden Krampf entgeistert, der sich dann mehr oder minder heftig zu loesen pflegte. Er selbst hatte sich bisher nicht vorzuwerfen, einen solchen Auftritt verursacht zu haben. Vielmehr rief man ihn, um den boesen Geist zu bannen, und es pflegte ihm ohne Muehe zu gelingen. Als er sie aber jetzt in dieser atemlosen Ohnmacht knien sah, durch seine Schuld, war ihm einen Augenblick selbst die Besinnung gelaehmt. Er schlug sich vor die Stirn und stoehnte tief auf. Dann bueckte er sich zu ihr herab, fasste ihre Haende, die eiskalt geworden waren, und sah ihr dicht in die Augen. Ich bin's, Maria, sagte er instaendig; der Andree ist's; sieh mich an, hoere mich, verzeih mir, ich bin ein Rasender, aber es ist vorbei; lass auch du es gut sein und verzeih mir's, du weisst nicht, wie mir ist, sonst haettest du Mitleiden. Mit seinen heissen Haenden drueckte er die ihrigen, und ebenfalls niedergekniet, dicht ihr gegenueber, wartete er mit leidenschaftlicher Angst, dass das Leben in ihren Zuegen wieder aufglimmen moechte. Aber noch blieb die Starrheit maechtig ueber ihr, keine Wimper zuckte, kaum fuehlte er einen Hauch aus ihrem Munde gehen, und die weit offenen Augen schienen ihn durch und durch zu blicken wie leere Luft. Da setzten mit tiefem Klang die Glocken der Pfarrkirche ein zum Vespergelaeut und loesten den Bann, langsam, aber wohltaetig. Sie seufzte schwer aus der Brust, die Augenlider schlossen sich erst, dann, als sie sich wieder oeffneten und die erwachende Seele sich der Welt und ihrer selbst besann, quollen grosse Traenen hervor, und an seine Schulter gelehnt weinte sie, ohne ein Wort hervorzubringen, die Erschuetterung aus. Er hielt sie ebenfalls stumm, mit aufatmendem Herzen an sich gedrueckt und horchte auf den wogenden Ton des Gelaeuts, verworrene Gebete bei sich selbst hersagend. Als die Glocken ausgeklungen hatten, griff er nach dem Krug und reichte ihn ihr. Sie naeherte ihm die Lippen, wie eine Kranke, die das Gefaess nicht selbst zu halten sich getraut, und trank einen langen Zug. Dann schloss sie die Augen, ohne sie zu trocknen, und schlief neben ihm ein, immer noch auf den Knien und die Haende unbeweglich gefaltet. Als er sie nach einer Weile ruhig atmen hoerte, hob er sie auf und legte sie bequem auf den abhaengigen Boden nieder, seine Jacke unter ihren Kopf schiebend, ohne dass sie erwacht waere. Er selbst, nach einem raschen Umblick in seinem Revier, lagerte sich neben ihr, den Kopf in die Hand gestuetzt, und starrte ihr in das schlafende Gesicht, das nun ganz friedlich wie aus heiteren Traeumen laechelte. Wenn ein Blatt sich bewegte und dann das Licht fluechtig auf ihrer Stirn spielte, seufzte sie wohl noch leise nach. Aber ihr war wohl, waehrend es in ihm von dunklen Schmerzen und schweren Entschluessen gewaltsam gaerte und jeder Blick in diese friedlichen Zuege ihm neue Nahrung fuer seine Qualen eintrug. Welch ein raetselvolles Schicksal umgab diese Geschwister?--Wir muessen, um es aufzuhellen, um viele Jahre zurueck, in eine Zeit, da die Mutter, die mit so seltsamer Feindschaft zwischen ihnen stand, nicht viel aelter war als das blonde Kind, das dort oben unter den Reben schlaeft, freilich in allem uebrigen ihr volles Widerspiel. Die Grosseltern der blonden Moidi besassen droben auf dem Kuechelberg ein schlichtes Bauernhaus, das aber schoen nach allen Seiten in die Taeler hinuntersah, links ins Passeier, rechts ins Vintschgau hinein, geradeaus ueber die Stadt Meran weg in die breite Niederung der Etsch bis zu den Bozener Bergen. Der alte Ingram hatte das Anwesen schon von Vorvaetern ererbt, und die liebliche Lage war ihm freilich als Zugabe wert, mehr aber die ausgedehnten Weingueter, die sich nach allen Seiten daranschlossen und ihm wohl zustatten kamen, seine vielen Kinder zu ernaehren. Von denen war die juengste, Maria, oder nach dem Landesausdruck "Moidi", ein wahres Sorgenkind, waehrend von den uebrigen im Guten oder Schlimmen nichts Sonderliches zu berichten waere. Diese juengste jedoch, nicht allein, dass sie die Haesslichste war, und eher einer Alraune als einem Meraner Landkinde aehnlich, die meist sauber und wohlgebildet heranwachsen, betrug sich zudem von klein auf so ungehoerig, dass sie viel Schlaege und wenig gute Worte von der Mutter erlebte, und auch der Vater, der ein maessiger und am Hergebrachten haengender Mann war, sich mehr und mehr dieser juengsten zu schaemen begann. Mit der Zeit hoerten die Schlaege auf, da es deutlich war, dass sie das Uebel nur mehrten, und es sich nicht obenein verkennen liess, selbst fuer ein Bauernauge, es sei nicht alles in Ordnung in diesem armseligen Kopf. Der Pfarrer hatte sie zwar genau befragt und ihre Verkehrtheiten nur aus den verwilderten Trieben eines eitlen und schwachen Herzens herleiten wollen; und wirklich liess sich ihrem Verstand, wenn man nicht sorgfaeltiger zusah, kein Sprung oder Sparren nachweisen; denn sie verstand, sobald man sie katechisierte, sich klug zusammenzunehmen und selbst ihre offenbaren Narrheiten halb und halb zu beschoenigen. Von diesen nun war die aergste eine ganz unzweckmaessige und mitleidswuerdige Putzsucht, mit der sie, wo sie ging und stand, recht geflissentlich aller Augen auf ihre ohnehin schon auffallende Haesslichkeit lenkte. Das trug ihr eine Menge der boesesten Spottnamen ein, und die es am besten mit ihr meinten, nannten sie den "schwarzen Pfau", oder die "wueste Moidi" schlechtweg, ihre eigenen Brueder aber nur "die Schwarze"; denn sie war nicht nur von sehr dunkler Gesichtsfarbe und dichten, buschigen Augenbrauen, sondern auch ihr Haar krauste sich durch ein merkwuerdiges Naturspiel wie das der Negerinnen und straeubte sich beharrlich gegen Kamm und Flechtenbaender. Ob der Koenig aus Mohrenland unter den heiligen Dreien auf einem Bilde, das die Mutter einmal in Bozen gesehen, diese befremdliche Spielart auf dem Gewissen habe, wie einige behaupteten, lassen wir dahingestellt. Tatsache war, dass die "wueste Moidi", anstatt ihr Schicksal mit leidlicher Miene zu ertragen, auf die laecherlichsten Mittel verfiel, ihm abzuhelfen und durch allerlei Putz und Tand, mit dem sie sich, ganz gegen den Brauch, behaengte, ihre Person ansehnlicher und liebenswuerdiger zu machen. Was sie irgend an Geld zusammenbringen konnte, nicht immer auf die redlichste Weise, verwandte sie eilig dazu, sich bunte Baender oder gemachte Blumen zu verschaffen, mit denen sie ihr wolliges Haar durchflocht und so, zum grossen Aergernis der Alten und Gespoett der jungen, zuweilen selbst am Sonntag in der Kirche erschien, ungeachtet ihr die Mutter, sooft sie ihr so begegnete, den Putz zornig abriss und sie mit Hunger und Schlaegen dafuer buessen liess. Ein wenig besserte sich dieser traurige Hang, als sie in die reiferen Jahre kam und sich das Gefuehl fuer den Spott der jungen Burschen in ihr schaerfte. Zum Unglueck aber loeste eine noch unheilvollere Torheit jene erste kindische ab, und sie liess ihr, freilich mit besserer Entschuldigung, noch haltloser den Zuegel schiessen. Sie warf naemlich ihre Augen unter den vielen Burschen, die mit ihren Bruedern verkehrten, gerade auf den schoensten, der sie von frueh an mit der unverhohlensten Abneigung behandelt hatte. Das war an Leib und Seele ein Bursch vom guten alten Meraner Schlag, ein etwas traeges Gemuet in einem starken, herrlich gebildeten Koerper, ein eifriger Kirchgaenger, kundiger Weinbauer, der wenig Worte machte und Gedanken nur fuer den Hausbedarf spann, am wenigsten aber mit unnuetzen Liebschaften Zeit und Geld vertat, da es ueberhaupt in diesen romantischen Taelern im Punkte der Liebe und Ehe meist kaltbluetiger und geschaeftsmaessiger zugeht, als fluechtige Reisende sich traeumen lassen. Damals, als die schwarze Moidi sich in ihn vergaffte, lebte sein Vater noch, der Aloys Hirzer, der eines der alten Herrenschloesser unterm lfinger, auf einer Hoehe ueber der Stadt frei gelegen, von dem verschuldeten letzten Stammherrn gekauft hatte, um dort seine Weinbauernwirtschaft mitten unter den feudalen Truemmern in grossem Stile zu errichten. Ausser dem Sohne, Joseph, hatte er noch eine Tochter, die in Innsbruck bei einem Paten feinere Erziehung genoss und sich zur Lehrerin auszubilden dachte, als der Vater ploetzlich das Zeitliche segnete, und der Bruder sie nun heimkommen liess, um ihm die neue Einrichtung zu erleichtern. Es war ein sanftes, blasses, schoenaeugiges Maedchen, aelter als der Joseph, ihr Bruder. Dessen Kameraden, von denen wohl mancher ein Geluesten trug, sich ein Stueck Burgland anzuheiraten, wagten sich an die Anna nicht heran, die ihnen zu fein und leise war und bald fast im Geruch der Heiligkeit stand, denn sie war in allen Kirchen und allen Huetten der Kranken und Duerftigen zu finden und ging an keinem Kinde vorbei, ohne es auf den Arm zu nehmen, ihm ein Bildchen zu schenken oder seine Gebetlein hersagen zu lassen. Der Bruder war sehr wohl mit ihr zufrieden, da sie sein Haus, die Gemaecher naemlich, die noch in wohnbarem Stande waren, geraeuschlos in Ordnung hielt. Er hatte sich von jeher aufs beste mit ihr vertragen. Da er ein guter und durch Herzenswallungen nicht leicht zu verwirrender Rechner war, schien es ihm zweckmaessig, dass seine Schwester ledig blieb. Wenn er auf dem Balkon stand, der wie ein Schwalbennest an der grauen Burgmauer klebte, und in seiner Bauerntracht, der rotaufgeschlagenen Lodenjoppe, den breiten schwarzen Hut mit roter Schnur auf dem Kopf, die gebraeunten Haende unter die geschlitzten Hosentraeger gesteckt, hinaussah ins weite Land, verwellte sein Blick mit Befriedigung auf den kleinen Klostertuermen, die hie und da ihr Kreuz aus dem Duft erhoben, und er gedachte gern daran, dass die frueheren, adligen Burgherren dort ihre unversorgten Soehne und Toechter untergebracht hatten. Es waere ihm nicht ungelegen gewesen, wenn seine Schwester ebenfalls vor den Gefahren und Anfechtungen der Welt eine beschauliche Zuflucht gesucht haette. Da sie aber hiezu keine Lust bezeigte, auch fuers erste noch im Hause voellig noetig war, nahm er einstweilen mit dem Abglanz ihres Heiligenscheins, der auch auf ihn herueberstrahlte, vorlieb und war nicht wenig stolz, wenn geistliche Herren, der Schwester wegen, fleissig auf Goyen vorsprachen und bei einem Glase roten Weins ueber die Angelegenheiten der Kirche erbauliche Reden fuehrten. An seine eigene eheliche Zukunft dachte er nur gelegentlich, wenn von einer reichen Erbtochter einmal die Rede war, auch darin ohne hitzige und haessliche Habsucht, mit einem stillen Pflichtgefuehl, dass es ihm wohl zukomme, das vaeterliche Gut durch einen schoenen runden Zuwachs zu mehren. Da er, wie gesagt, einer der schmucksten Burschen der Gegend war, trug er die ruhige Zuversicht mit sich herum, dass es ihm gar nicht fehlen koenne, wenn er ueberhaupt Ernst mache. Auch nahm er anfangs die unverhohlenen Gunstbeweise der schwarzen Moidi nur mit einer wuerdevollen Geringschaetzung hin. Auf die Laenge aber, als das Gerede lauter und stachliger wurde, als er sich an keinem Markt, Kirchtag oder bei sonst einer oeffentlichen Gelegenheit sehen lassen konnte, ohne mit seiner Eroberung gehaenselt zu werden, stieg ihm der Aerger ernstlich zu Kopf, und er hielt es fuer passend, durch die veraechtlichsten Scherze sich die zudringliche Liebeswerbung vom Halse zu schaffen. Manchem andern waere dieselbe vielleicht mitleidswuerdig erschienen; denn sie aeusserte sich nur in der ruehrenden Hartnaeckigkeit, mit der die Augen des Maedchens, sobald der Bursch ihr begegnete, wie durch eine Naturgewalt bezwungen an seinem regelmaessigen, rot und weissen Gesichte hingen und ihm ueberallhin folgten, unbekuemmert um den Zorn, der statt jedes Zeichens von Gegenliebe seine Zuege verfinsterte. Selbst in der Kirche, wenn er hinter ihr stand, wusste sie's einzurichten, dass sie wenigstens das halbe Gesicht nach ihm umkehrte, und sie war dann so sehr in ihre bewundernde Andacht versunken, dass sie alles andere darueber vergass. Wer die einfachen und kuehlen Sitten des Volkes und die ehrbare Gleichgueltigkeit, mit der die Geschlechter sich hier begegnen, bedenkt, wird das grosse Aergernis begreifen, das ein solches Betragen erweckt. Auch waren die meisten ganz ueberzeugt, die Moidi sei nur halb bei ihren Sinnen, und man muesse sie gewaehren lassen, da man sie doch nicht fueglich vom Kirchgang zurueckhalten koenne, ohne den boesen Geistern noch groessere Macht ueber sie einzuraeumen. Die jungen Burschen aber dachten minder christlich und hiessen sie einfach mannstoll, und da sich auch die Maedchen von ihr zurueckzogen, war die schon von der Natur Gezeichnete desto auffallender, wenn sie einsam und ohne Gesellin den Kuechelberg herab in die Messe ging, mit den durchdringenden Augen weit voraus unter den versammelten Maennern am Kirchplatz nach ihrem Erkorenen suchend. Dann geschah es wohl, besonders nach der Vesper, wo schon der Wein in den Koepfen den Ton angab, dass einer der Hartherzigsten die schoene Passeirer Altjungfernklage zu singen anfing: Was muss ich armes Madl anheben, Dass ich grad' einmal bekomm' ein'n Mann? Die Buben, die tun kein' Achtung mehr geben, Vor mir lauft ein jeder darvon. Jetzt ist mir nimmer wohl, Weiss nit, was ich tun soll, Dass ich halt nur grad' einen erlang'! Und wenn der Refrain des Gelaechters ein wenig verschollen war, die zweite Strophe: Fuenfundzwanzigmal bin ich schon kirchfahrtengangen, Nuechtern, und han mir nicht z' essen getraut. Han gemeint bei Gott die Gnad' zu erlangen, Dass ich dies Jahr moecht' werden a Braut. Jetzt--und ist alles nichts; Die Fastnacht ist auch schon fuer-- Ach, ich arme verlassene Haut! Der Joseph, wenn er sich auch zu vornehm hielt, um mit einzustimmen, hoerte doch mit sichtbarer Befriedigung zu und hoffte, dieses singende Gassenlaufen wuerde der armen Tollen die verliebten Grillen austreiben. Sie aber schien, sobald sie ihn nur sah, so voellig taub zu sein, dass sie das Schimpflied weder hoerte, noch sich zu Gemuete zog. Auch fuer die erbitterten Scheltreden ihrer Brueder war sie ganz unempfindlich, erwiderte kein Wort, aenderte aber um kein Haar ihr Betragen, und selbst das scharfe Vermahnen des Pfarrers, dem etwas davon zu Ohren gekommen, vermochte so wenig ueber diesen seltsamen Zustand, wie beim Eisen das Abraten hilft, wenn der Magnet ihm nahe kommt. Da uebernahm es endlich eine mitleidige unter den Maedchen, der Moidi den Kopf zurechtzusetzen. Sie hinterbrachte ihr--wahr oder zweckmaessig erfunden, wissen wir nicht--, dass der Hirzersepp gesagt habe: Wenn's ihm drum zu tun waere, schwarze Pudel in die Wiege zu bekommen, wuerde er die Moidi heiraten.--Die Predigt ueber diesen kurzen und buendigen Text scheint eindringlich genug gewesen zu sein. Denn seit dem Tage war "die Schwarze" wie verwandelt, liess sich nirgend sehen, stahl sich vor Tagesgrauen in die Fruehmesse, wo sie im hintersten Winkel der Kirche kniete, und wenn droben auf dem Berg ein Bursch ihr begegnete, wandte sie das Gesicht ab und schwieg auf alle Anrede. Die Putzsucht war vollends verschwunden. Das Schlechteste und Groebste trug sie am liebsten, und ihre krausen Haare flogen, wochenlang ohne Pflege, ihr um die Schlaefen, dass sie fast unheimlich anzuschauen war und niemand mit ihr zu tun haben mochte. Im uebrigen tat sie ihre harte Arbeit ohne Murren, und so waren die Eltern wohl mit ihr zufrieden und liessen sie in allem gewaehren. Der Winter ging so hin. Als im Fruehling die Wiesen zu gruenen anfingen, kam sie eines Tages zum Vater und bat um seine Erlaubnis, auf eine Alpe ziehen zu duerfen, die hoechste und einsamste im Passeier. Der Vater, der von allen noch die klarste Ahnung ihres unseligen Gemuetszustandes hatte, willigte unbedenklich ein, und so war einen Sommer lang die schwarze Moidi voellig verschollen. Desto heftiger erstaunte alle Welt, als im Herbst die Herden von den Bergen heimkamen und das Geruecht mit ihnen ging: des alten Ingram Tochter habe einen Buben mitgebracht, ein so sauberes, bluehweisses und rosenfarbenes Kind, als nur jemals sich ohne Vater beholfen habe, mit schwarzen, aber gar nicht mohrenhaften Haerlein, ein wahrer Staatsbub. Auch sei die Moidi, trotz der Schande, ganz wohlvergnuegt, habe die Schlaege, mit denen die Mutter sie empfangen, ohne Klage hingenommen, dem Vater aber auf das haerteste Verhoer nicht beichten wollen, wer der Schuldige sei. In dem Schuppen, wohin die Mutter sie verstossen, damit sie den Schimpf nicht vor Augen haette, habe die Tochter sich darauf, so gut es ging, einen warmen Winkel fuer ihr Kind zurechtgemacht und sei Tag und Nacht nicht von ihm wegzubringen. Wem dies alles, zumal die geruehmte Schoenheit des Knaben, unglaublich schien, der hatte am naechsten Sonntag Gelegenheit, sich von der Wahrheit des Geruechts zu ueberzeugen. Denn am hellen Tage kam die Vielgeschmaehte vom Kuechelberg herab, das Kind wie im Triumph in den Armen in ihre besten Linnen und Tuecher gewickelt, und trug es mit herausforderndem Mutterstolz zur Taufe. Wenn einer sich ihr naeherte und neugierig nach dem kleinen Weltwunder schielte, stand sie sogleich still, schlug den alten Flor zurueck, der das schlafende Gesichtlein bedeckte, und sagte fast spoettisch: Gelt, moechst den schwarzen Pudel anschauen? Da, es ist nix Rares daran. Wo sollt's auch herkommen?--und dann lachte sie mit grosser Selbstgefaelligkeit in sich hinein, wenn der Beschauer, von der Zierlichkeit des Kindes ueberrascht, nichts zu sagen wusste, und setzte noch hinzu: 's ist halt nur ein schwarzer Pudel; man sollt' ihn in die Passer werfen, das waere das gescheitest'!--und lachte wieder auf eine so wunderliche Art, dass es schien, als habe der Muttersegen ihren armen Verstand nicht eben verbessert. Selten wohl ist eine Taufe in Meran unter so grossem Zulauf vonstatten gegangen. Als aber der Pfarrer nach den Taufpaten fragte, fand es sich, dass die Moidi diesen wichtigen Punkt gaenzlich uebersehen hatte. Niemand meldete sich auf die Frage, wer etwa in der versammelten Gemeinde dem Kinde diesen Liebesdienst erweisen wolle; denn es draengte sich keiner zu einem naeheren Verhaeltnis mit der Mutter, und die Grosseltern, der Schande auszuweichen, waren ein paar Stunden weit weg nach Lana zur Kirche gegangen. Da erhob sich endlich die zu allen Opfern der Naechstenliebe Bereite, die Tochter des alten Hirzer, die im vordersten Kirchstuhl kniete, trat an den Taufstein heran und nahm der Moidi das Kind aus den Armen. Diese Loesung des bedenklichen Knotens erschien allen als die einfachste, da die Hirzers-Ann mit dem ueberfliessenden Gnadenschatz ihres frommen Wandels der armen Suenderin am fueglichsten zu Hilfe kommen konnte. Und so wurde der Knabe, weil der Mesner, ebenfalls aushelfend, seinen Namen hergab, Andree getauft und mit grossem Gefolge von der glueckstrahlenden Mutter wieder durch die Stadt getragen, hinauf in den elenden Schuppen, wo er in der Nachbarschaft der Haustiere seine ersten Blicke in die Welt tun sollte. Es dauerte nicht lange, so sprach kein Mensch mehr von diesen immerhin denkwuerdigen Ereignissen, zumal da die Moidi sich nirgend sehen liess, nur fuer das Kind lebte und all ihre frueheren Narrheiten in die eine Leidenschaft der zaertlichsten Affenliebe versammelt zu haben schien. Denn wie frueher ihre eigene Person, so putzte und behing sie jetzt den kleinen Andree mit allem, was ihr irgend dazu dienlich schien. Man konnte sie droben auf einem schattigen Fleck stundenlang sitzen sehen, Kraenze windend fuer das Kind und aus alten bunten Seidentuechern seltsame Kleider fuer ihn zurechtstoppelnd, mit denen sie ihn wie eine Puppe aufschmueckte und stolz jedem Voruebergehenden zeigte. Da dies Treiben zwar auffallend, aber doch unschuldig war, liess man sie gewaehren. Nur der Joseph Hirzer legte den groessten Abscheu gegen sie an den Tag und verbot der Anna aufs strengste, mit ihrem Patenkinde irgendwelchen Verkehr zu pflegen. Die Moidi schien wenig danach zu fragen. Als ein Jahr darauf ihr einst so schmerzlich Geliebter sich mit einer steinreichen Bauerntochter aus Algund verheiratete, blieb sie ganz kalt und gab nicht das geringste Zeichen von Herzweh. Die ganze Vergangenheit bis zur Stunde, wo der Knabe auf die Welt kam, war aus ihrem Gedaechnis wie weggewischt, und auch von dem geheimnisvollen namenlosen Vater sprach sie nie, schien auch keinen Versuch zu machen, ihm Kunde von sich und dem Kinde zu geben. Da geschah es, dass erst ihre Eltern und dann die Brueder, einer nach dem andern, im Lauf eines Jahres hingerafft wurden von einer Seuche, die viele Opfer in diesen Taelern forderte. Nun war auf einen Schlag das Schicksal der schwarzen Moidi verwandelt. Denn wenn sie bei Lebzeiten der Geschwister zwar immerhin keine Armut zu fuerchten hatte, so war sie jetzt durch den Alleinbesitz des Hauses und der ansehnlichen Weingueter zu einer reichen Partie geworden; schade nur, dass die Mitgift ihrer dunklen Haut und der noch dunkleren ersten Liebschaft manchen Waehlerischen abschrecken musste. Aber der praktische Trieb, der hier im Volke maechtig ist, kam ihr dennoch zu Hilfe; ja sie hatte nicht einmal noetig, bei dem Freier, der sich ihr antrug, auch ihrerseits ein Auge zuzudruecken. Es war ein ganz schmucker Bauernsohn aus dem Dorfe Tirol, das unfern der beruehmten Feste gleichen Namens am Ende des Kuechelberges liegt wo die Wand der Muttspitze steil in die Hoehe steigt. Sein Vater hatte ihm zugeredet, und obwohl der Sohn nicht von den schnellsten Begriffen war, so war doch die ganze wichtige Sache mit wenigen Worten ins reine gebracht. So auch bei der Moidi. Sie schien es ganz in der Ordnung zu finden, dass auch sie jetzt, trotz allem Vorangegangenen, an die Reihe kam. Sie scherzte waehrend der Werbung mit dem kleinen Andree, der schon im vierten Jahre war und den fremden Burschen mit scheuen und trotzigen Augen betrachtete. Als aber dieser, wie ihm seine Mutter geraten hatte, eine grosse Tuete mit Zuckerwerk aus der Tasche zog und dem Kinde reichte, war das letzte Bedenken der Moidi besiegt. Zwar bei einem Vergleich mit dem Hirzerjoseph musste des Wolfharts Franz den kuerzeren ziehen. Sein flaches, rundes, behagliches Gesicht, mit weissblonden Haaren eingerahmt, erinnerte stark an die Madonnenbilder, die, wie durch die Schablone gemalt, an Haeusern, Torwegen und vollends in den Kirchen zahlreich uns begegnen. Aber die Moidi besass Schwarz genug, um in seine uebermaessige Helle Schatten zu werfen, und schien nicht zum wenigsten gerade durch die Werbung des Blonden sich geehrt zu fuehlen. Nach dem raschen, durchaus geschaeftsmaessigen Gang, den diese Dinge hier nehmen, zog der Franz schon vier Wochen spaeter als junger Ehemann in das Haus seiner Neuvermaehlten auf dem Kuechelberg, und damit war zum zweitenmal das wiedererwachte Gerede ueber die Schicksale der schwarzen Moidi verstummt und verschallt. Nicht fuer allzu lange Zeit. Ueber Jahr und Tag entspross dieser Ehe ein Maedchen, das nicht minder als damals der kleine Andree den teilnehmenden Nachbarn zu reden gab. Es war das leibhaftige Ebenbild des Vaters, schoen weiss und rot, mit schlichtem blondem Haar, der Mutter in keinem Zuge aehnlich, als dass sich frueh Anwandlungen einer phantastischen Gemuetsart, einer leicht beweglichen Einbildungskraft und weiblicher Eitelkeit an ihr zeigten, nur weniger ausschweifend als bei der Mutter und durch die grosse Anmut ihrer kleinen Person ins Liebenswuerdige gemildert, aber immerhin gefaehrlich, da es dem Kinde an einer festen Hand fehlte, die seinen Leichtsinn gezuegelt und die schoenen Wucherblumen aus der jungen Seele sorgsam ausgereutet haette. Denn kaum konnte die kleine Maria die ersten kindischen Schmeichelkuenste spielen lassen, so stahl sie der Mutter das Herz so vollstaendig, dass sie dem aelteren Bruder selbst das Pflichtteil der Barmherzigkeit mit entwendete. Er, der frueher der Abgott seiner Mutter gewesen, war nun auf einmal nicht allein ihrer Gleichgueltigkeit, sondern einer entschiedenen Abneigung, die sich mit den Jahren zu offenem Hasse steigerte, wehrlos preisgegeben. Es half nicht viel, dass der gutmuetige Pflegevater sich des Knaben annahm. Ja selbst, als die kleine Schwester heranwuchs und sich mit stuermischer Zaertlichkeit an den Bruder anschloss, vermochte sie, die sonst alles durchsetzte, den Widergeist der Mutter nicht zu bezaehmen. Vielmehr schien gerade ihre Fuersprache den unnatuerlichen Hass zu schueren, da sich nun eine Art von Eifersucht hinzugesellte, eine harte und boese Missgunst auf die liebliche Vertraulichkeit, mit der die Kleine dem ploetzlich Verstossenen begegnete. So viel freilich war durch das Dazwischenstehen der kleinen Maria dem armen Knaben gewonnen, dass er vor leiblicher Misshandlung geschuetzt wurde. Denn das erste Mal, wo sich die entartete Mutter an ihrem einstigen Liebling taetlich vergriff, war auch das letzte. Damals zuerst wurde die Kleine von jenem seltsamen Nervenkrampf befallen, von dem wir im Beginn unserer Erzaehlung ein Beispiel erlebt haben. Zum Glueck war der Vater zu Hause, um die widersinnigen Heilversuche zu hindern, mit denen die erschrockene Mutter auf das Kind einstuermte. Es gelang dem Bruder, durch sanftes Streichen mit seinen zitternden Haenden die Starrheit zu bezwingen, bis ihm das Kind schluchzend um den Hals fiel und endlich schlafend von ihm in die Bettkammer getragen werden konnte. Seit diesem Vorfall, dem bei anderen jaehen Anlaessen aehnliche folgten, erhob die alte Moidi bis zu jenem verhaengnisvollen Tage der Trennung nicht wieder die Hand gegen den Sohn. Ihre Abneigung wurde aber nur finsterer und gewaltsamer, weil sie nicht mehr in heftigen Szenen sich Luft zu machen wagte. Sie schien das Dasein des Knaben voellig verleugnen zu wollen, um sich einzig dem Maedchen zu widmen. Fuer diese war sie unermuedlich, Aerzte und Kraeuterwelber zu Rat zu ziehen, Wallfahrten zu machen, Messen lesen zu lassen und durch die schrankenlose Nachgiebigkeit ihr womoeglich jeden Anstoss aus dem Wege zu raeumen. Der schwache und weichmuetige Vater liess alles geschehen. Es war ihm nicht wohl in seinem Hause. Aber die Stadt lag ja so nahe zu seinen Fuessen, dass er die gruenen Buesche vor den Schenktueren bis herauf winken sah. So heiligte er gewissenhaft die zahlreichen Bauernfeiertage, von denen der tirolische Kalender ueber und ueber rot wird, und erzaehlte jedem, der es hoeren wollte, mit ahnenstolzer Gemuetsruhe, dass drei aus seiner Familie in den letzten fuenfzig Jahren am Delirium gestorben seien, was nicht die schlimmste Todesart sei. Seinem Weibe war er laengst gleichgueltig. Sie liebte niemand auf der Welt als das blonde Kind. Auch wurde sie dem Verkehr mit Nachbarn und Verwandten mehr und mehr entfremdet, da ihre unnatuerlichen Schrullen den Leuten vollends ein Grauen erweckten. Das Haus lag einsam auf dem nackten Felsgrunde, ganz abseits von der Strasse, die sich um den Kuechelberg hinauf nach Dorf Tirol windet. Niemand sprach sie im Voruebergehen an; zu niemand ging sie; in der Kirche, die sie vor Tage besuchte, blieb der Platz neben ihr leer. Es war unter solchen Umstaenden nicht zu verwundern, dass der Joseph Hirzer jede Annaeherung an die Moidi und ihr Haus von Jahr zu Jahr standhafter vermied, seiner Schwester unerbittlich den Weg abschnitt, wenn ihr Gewissen sie antrieb, sich nach ihrem Taufpaten umzusehen, und seinen eigenen Kindern, die mit Andree und der blonden Moidi in der Schule zusammentrafen, aufs strengste verbot, zu Hause von ihnen zu erzaehlen. Er selbst war in allen Stuecken maechtig emporgekommen, galt fuer einen der wackersten Haushaelter, eifrigsten Weinzuechter und rechtschaffensten Ehrenmaenner, waehrend seine Schwester in gleicher Weise zunahm an Gnade bei Gott und den Menschen, zumal sie ihr ganzes Vermoegen im Testament an Kirchen und Kloester vermacht hatte, wofuer die Priester ihr verhiessen, dass sie unfehlbar "von Mund auf in den Himmel kommen wuerde". Ihr Bruder hatte da wohl nicht einreden duerfen. Sein Sohn und die drei stattlichen Toechter waren auch ohne jede Erbschaft von der Tante hinlaenglich versorgt durch die bluehenden weiten Gueter beider Eltern. Und als ihre Mutter, die Erbin von Algund, noch in guten Jahren starb, trat die Tante Anna an ihre Stelle und sorgte durch liebevolle Pflege dafuer, dass ihres Bruders Kinder auch ohne jedes klingende Vermaechtnis sie in gutem Andenken behalten mussten. Die Kinder aber, obwohl sie den Vater fuerchteten, konnten ihm doch nicht so blindlings gehorchen, dass sie auch in der Schule zu Meran dem Andree und seiner Schwester ausgewichen waeren. Moidi, mit ihrem leichten, lachlustigen Sinn, kam ihnen, wie allen, die sich ihr freundlich zeigten, ganz ungebunden entgegen; Andree duldete sie wenigstens, da er von der Tante Anna, seiner Pate, wusste, dass sie so heilig sei und nur der Mutter wegen sich nicht um ihn bekuemmern duerfe. Im uebrigen war er ein schweigsamer, sinnender, leicht aufbrausender Knabe, der am liebsten sein Wesen fuer sich hatte und frueh eine ganz befremdliche Eifersucht auf die Schwester an den Tag legte. Es war ihm am wohlsten an Feiertagen, wenn sie droben in der luftigen Einsamkeit ohne fremde Kinder den ganzen Tag beisammen blieben und die Kleine sich fuer niemand putzte als fuer ihn allein. Sie hatten unter einem ueberhangenden Felsstueck, wo wilde Beeren in Fuelle wuchsen und die rauhe Wand dicht mit Efeu verkleidet war, ihre Einsiedelei errichtet, mit vielen wichtig behueteten und nur von den Eidechsen ausgespuerten Verstecken fuer ihre kindischen Siebensachen. lm Hochsommer, wenn das Rebenlaub bis an den Fuss ihres Schlupfwinkeis wucherte, sassen sie da halbe Tage lang, und die Kleine reihte unermuedlich mit spitzer Nadel die blanken gelben Maiskoerner auf lange Faeden, woraus ein lustiges Geschmeide entstand. Waren die. Ketten fertig, so kniete der Bruder vor Moidi hin und schlang ihr den Schmuck in kuenstlichen Ringen um Stirne, Hals und Arme. Dabei hatten sie allerlei konfuse, andaechtige Vorstellungen, und die Geschmueckte fuehlte eine dunkle Wonne, sich angeschaut und bewundert zu wissen, wohl gar etwas vom Heiligenschein um ihren toerichten Kindskopf zu tragen. Der Bub war noch feierlicher, und wehe dem, der in solchem Augenblick dazu gekommen waere und seine Huldigung gestoert haette. Der Schwester selbst nahm er es jedesmal uebel, wenn sie ploetzlich zu lachen anfing und aus Uebermut und Langeweile die gelben Kettchen zerriss, dass die Koerner eilfertig den Berg hinabrollten, und sie sich nach einem andern Spiel umsehen mussten. Die ersten Jahre liess sie die Mutter bei all ihren Heimlichkeiten und vertrauten Schleich- und Schlupfwegen ungestoert. Als aber der Andree groesser wurde und mit seinem scharfen Auge und seinen fragenden Mienen immer verwundener und vorwurfsvoller ihrem Hass gegenueberstand, suchte sie ihn der Kleinen durch allerlei boese Reden und schwarze Verdaechtigungen zu verleiden und ergriff jede Gelegenheit, die Kinder zu trennen, mit gehaessiger Schadenfreude. Sie lag ihrem Manne sogar an, den unnuetzen Buben, der doch keine Lust am Arbeiten habe, zu dem Zehnuhrmesscr zu tun, dass der ihm Unterricht gebe und einen Geistlichen aus ihm mache. Da der Knabe einen aufgeweckten Verstand und grossen lerneifer in der Schule gezeigt hatte, leuchtete der Plan beiden Maennern ein, und Andree zog in die Stadt hinunter zu dem geistlichen Herrn. Er war sehr still und traurig beim Abschiede von der Kleinen, die aber lachte und von der Trennung nichts begriff.--Der Hilfspriester wohnte unten in der langen Laubengasse Merans, die ihren Namen hat von den zwei Reihen steinerner Arkaden, in welche die Sonne keinen Zugang findet. Die schmalen Haeuser mit winkligen engen Hoefen und duesteren Treppenfluren, meist uralt und die wenigsten sauber gehalten, haben eine betraechtliche Tiefe, und an die Hintergebaeude stossen nach Norden zu weite Weingaerten, bis an den Fuss des Kuechelberges, nach Sueden oeffnen sie sich gegen die Stadtmauer. Hier sind hellere Raeume, und man blickt aus den Fenstern auf die Wassermauer und ueber den Fluss hinweg ins breite Etschtal hinaus. Auch das bescheidene Quartier des Hilfspriesters genoss diesen Vorzug. Aber der Knabe, an die freie Luft oben auf der Hoehe gewoehnt, schien sich dennoch ein Gefangener. Ja, er haette wohl gern seine sonnige Dachkammer mit einem finsteren Nordfensterchen vertauscht, von dem aus er den Berg und die kleine Felshoehle oben ueber den letzten Reben, den Ort seiner Kinderspiele, haette sehen koennen. Er verstummte noch mehr als sonst, trotz alles Zuredens seines freundlichen Lehrmeisters. Das Lernen war ihm ploetzlich verleidet; er ass wenig und schlief schlecht, so dass er in vier Wochen blass und hohlaeugig wurde. Und eines Tags kam er zu seinem Lehrer und erklaerte ihm, er werde sterben, wenn man ihn laenger in der Stadt halte. Den Namen seiner Schwester hatte er nie genannt. Aber es war dem mitleidigen Seelsorger klar, dass ihn ein brennendes Heimweh nach ihr nage, und bestuerzt uebernahm er es, der Mutter die Notwendigkeit der Rueckkehr vorzustellen. Die Alte wuetete und schalt und wollte nichts davon hoeren. Am Abend desselben Tages aber klopfte der Knabe drohen in der Huette wieder an, und nach einem leidenschaftlichen Auftritt, der wieder mit einem Krampfanfall der kleinen Marie endigte, ergab sich die Mutter in das Unabaenderliche, unter der Bedingung, dass der entlaufene Student dem Vater Knechtsdienste tun und sein Lager in einem Winkel des Schuppens hinter dem Hause aufschlagen musste. Die Kleine war sehr gluecklich, ihn wieder zu haben, und er selbst schien um diesen Preis keine Entbehrung und Zuruecksetzung zu hart zu finden. Er war nun anstellig zu allem, was ihm der Pflegevater auftrug, arbeitete in den Weinbergen, liess sich willig ueber Land schicken und sah die Mutter nur bei den Mahlzeiten, wo zwischen beiden nie ein Wort gewechselt wurde. Da er kein Geld erhielt und an Kleidern nur das Notduerftigste, blieb er von den anderen Burschen seines Alters, von den Schenken und Kegelbahnen ein fuer allemal weg und schien nichts daran zu entbehren. Denn an den Feiertagen pflegte er mit der Schwester nach wie vor lange Stunden hindurch zusammenzusitzen, und obwohl beide heranwuchsen, er ein kraeftiger Juengling wurde und sie laengst den Burschen ein Ziel mancher zaghafteren oder dreisteren Werbung, war ihr Verkehr doch noch ein kindischer, ihr Gespraech ein toerichtes Geplauder. Sie tat, was sie nur wusste und konnte, sein hartes Leben zu erleichtern, brachte ihm von allem, was sie etwa an guten Bissen von der Mutter erhielt oder, da sie naeschig war, sich in der Stadt kaufte, seinen bruederlichen Anteil, und wenn er jenes verschmaehte, nahm er doch ihre eigenen Gaben mit sichtbarer Freude. Oft nach einem schweren Arbeitstag, besonders in der Zeit der Lese, wenn die Sonntagssonne in seinem fensterlosen Schuppen ihn nicht zu wecken vermochte, schlich sie zu ihm hinein und sass im Dunkeln neben seiner Streu, die nur durch ein schlechtes Laken und eine Pferdedecke zu einem Bette wurde. Sie hatte ihren Spass, wenn er im Dunkeln nicht begriff, dass sie bei ihm war, und ihre Hand, die ihm in den Haaren zauste, schlaftrunken abzuwehren suchte, als komme ihm etwa eine Feldmaus zu nahe. Wachte er dann auf, so hoerte er ihr helles Lachen neben sich und lag nun wohl noch eine Weile in verstelltem Schlaf, um ihre Neckereien. laenger zu erleiden. Sie tat es nicht anders, als dass er sie zur Kirche begleiten musste, wo er dann von den Burschen, die sich ihr naeherten und die sie zu verscheuchen gar keine Lust bezeigte, manchen eifersuechtigen Stich ins Herz empfing. Hier begegnete er auch oft seiner Patin, der Tante Anna, und haette sich ihr, da sie ihn stets mit einem stillen und freundlichen Auge gruesste, gern genaehert. Aber der Joseph Hirzer, der dann Wache hielt, liess durch sein starres Anblicken deutlich erkennen, dass er sich jede Annaeherung des vaterlosen Burschen verbitte. Und so blieb es auch zwischen den Kindern bei einem gelegentlichen Gruss, obwohl die Moidi oefters dem Bruder mit Lachen erzaehlte, dass die Rosina, des Hirzers juengste Tochter, die nach der Verheiratung ihrer beiden Schwestern noch allein im Hause blieb, wieder einen so langen Blick nach ihm getan habe und sicherlich in ihn verliebt sei. Jedesmal, wenn hiervon die Rede zwischen ihnen kam, oder eine Hochzeit das Tagesgespraech war, wurde der Juengling doppelt nachdenklich und brach eilig ab. Ihm selbst schienen alle Maedchen eher unbequem und alle Liebesscherzreden ein Abscheu zu sein. Ob er darueber nachdachte, jemals ein eigenes Hauswesen zu gruenden, war nicht zu entraetseln. Aber mit einem seltsamen Ausdruck tiefer Angst sah er der Schwester ins Gesicht, sooft deren leichtsinnige Gedanken bei ihrer Zukunft verweilten und eine Trennung von ihm ihr als eine Moeglichkeit erschien, die doch wohl zu verwinden waere. Du bist ein Kind, sagte er dann. Wer darf dich heiraten? Die Maenner sind alle schlecht und Ehstand ist Wehstand. Du sollst bei mir bleiben, ich will schon fuer dich schaffen und dir ein gutes Leben machen. Was schwatzest du von anderen? Eh' mir einer gut genug ist fuer dich, muss die Passer den Ifinger hinanfliessen. Sie lachte zu solchen Reden und liess sie sich gefallen, weil sie ihr schmeichelten. Auch schien keine ernste Neigung in ihrem leichten Sinn wurzeln zu koennen. Die Mutter tat das ihrige, Freier, die sich von ferne blicken liessen, zurueckzuschrecken. Und so blieb durch viele Jahre droben auf dem Kuechelberg die wunderliche Gesellschaft beisammen, und keine Aenderung war abzusehen. Da erlag eines Tages der Mann dem Einflusse jenes Sterns, der schon seinen wuerdigen Vorfahren zu Grabe geleuchtet hatte. Er starb im Saeuferwahnsinn. Von dem Tage an war das eifrigste Bestreben der Witwe darauf gerichtet, den Sohn aus dem Hause zu schaffen. Eine naehere Schilderung jenes boesen wilden Auftrittes, der ihr zum Ziele verhalf, wird uns gern erlassen werden. Die Geschwister trennten sich; die blonde Moidi hatte keinen Mut, dem Bruder zuzureden, sich einer zweiten Misshandlung auszusetzen. Geh nur, sagte sie. Es ist besser so. Ich verlass' dich schon nicht. Du weisst ja, ich mach' mit ihr, was ich will, und wenn sie mir das Tuerl versperrt, spring' ich zum Fenster hinaus und lauf zu dir. Auch hielt sie Wort. Aber was half's ihm, dass keine Woche verging, wo sie ihn nicht aufsuchte, ungerechnet ihr Wiedersehen an den Sonntagen? Taeglich, stuendlich war er ihre Naehe gewohnt gewesen. Jenes kindische Heimweh, das ihn vom Zehnuhrmesser fortgetrieben hatte, wuchs ihm oft genug, wenn er nach heisser Arbeit unter den Kastanienzweigen sass, so unbezwinglich ueber den Kopf, dass er den schroffen Abhang des Berges dicht ueber dem Dorfe Gratsch hinanstuermte, um nur vor Schlafengehen noch das Dach des Haeuschens zu sehen, oder gar etwas, das dem Maedchen selber glich. Auch geschah es mehr als einmal, zumal an Feiertagen, wenn sie an den verabredeten Ort nicht kam, dass er in fiebernder Eifersucht die Wege nach ihrem Hause bewachte, ob etwa ein Besuch sie zurueckhalte. Er lag dann foermlich im Hinterhalt. Kam ein Bursch vorbei, bergab schreitend, so stellte er sich schlafend, um seine Mienen auszukundschaften. Ihm war unselig dabei zu Mut. Eine Ahnung daemmerte in ihm auf, dies alles sei nicht recht und loeblich. Warum goennte er der Schwester nicht, was allen Maedchen zukam, Freiheit in Wuenschen und Neigungen? Mit heisser Angst jagte er diese Gedanken von dannen, die immer zudringlicher zurueckkamen. Freilich ihr Vater war nicht der seine. Aber waren sie darum weniger Geschwister? Oft genug kam es ihm auch, dass er fort muesse, dass es ihm draussen leichter ums Herz werden wuerde. Was stand ihm auch im Wege? Was hielt ihn? Hier nicht besser als in der weiten Welt musste er sich hart durchs Leben schlagen. Und wer weiss, er konnte wohl seinen Vater draussen antreffen; es war in aller Weise das ratsamste, die Luft zu veraendern. Wenn er nur zum ersten Schritt die Kraft erschwungen haette! Von neuem waelzte er diese Gedanken, als er heut unter den Reben bei der Schlafenden sass und das Spiel des Sonnenstrahls auf ihrer Stirn bewachte. Die Erschuetterung, von der sie nun erquicklich und erinnerungslos ausruhte, zitterte ihm noch durch alle Adern, und der Anblick ihrer unschuldigen Ruhe mehrte nur seine Verwirrung. Er suchte in sich nach dem Mut, jetzt ein feierliches Geluebde zu tun, das ihn forttriebe von hier, wo die natuerlichsten Bande sich so unheilvoll verstrickt hatten. Neben ihr begriff er nur zu gut, wie noetig es sei, zu fliehen. Aber wenn er darin wieder allein war, fuehlte er, dass es unmoeglich sei. Er ruehrte die Schlafende nicht an, er hatte seit seinen Kinderjahren nicht mehr gewagt, ihren roten lachlustigen Mund zu kuessen. Aber die Scheu, mit der er sie betrachtete, war mit einer dumpfen, leidenschaftlichen Qual gemischt, und ihr leichter Atem, der sein Gesicht streifte, trieb ihm das Blut heftig zum Herzen. Es ward schon abendlicher draussen, denn der Marlinger Berg im Westen verbirgt die Sonne frueh. Die Schlaeferin erinnerte sich jetzt, richtete sich im Grase auf und sah mit grossen Augen umher. Als sie den Bruder neben sich erblickte, lachte sie ihn freundlich an. Wie lange hab' ich geschlafen? sagte sie verwundert. Wie kam es denn, dass ich mich hier niedergelegt hab'? Es war heiss, sagte er. Nun aber geh nach Haus, Moidi. Ich muss drueben nachschauen, ob alles in Ordnung ist. Sie stand auf und gab ihm die Hand. Gute Nacht, Andree, sagte sie hastig, denn eine Erinnerung an das Vorgefallene stieg dunkel in ihr auf. Uebermorgen ist Sonntag. Du kommst doch in die Kirche? Nein, Moidi. Du weisst ja, dass ich auf dem Posten bleiben muss, solang' ich den Saltner mache. Es ist wahr, erwiderte sie nachdenklich. Ich komm' aber schon wieder zu dir. Gute Nacht! Er kaempfte mit sich, ob er sie bitten solle, nicht mehr zu kommen. Aber ehe er sich entschliessen konnte, war sie schon auf und davon. Am Ausgang der Laube stand er und sah ihr nach, wie sie behende das steile Treppchen hinanstieg. Der lange hundertfaltige Rock bewegte sich zierlich um ihre Knoechel, bei jedem Schritt wie ein Faecher die Falten oeffnend und wieder zusammenschlagend. Von oben winkte sie noch einmal zurueck mit der Hand. Er gruesste nicht hinauf; das Gelaender zitterte, an dem er angelehnt stand, und ein Seufzer, den er lange verhalten hatte, befreite ihm doch nicht seine beklommene Brust. In diesem Augenblick hoerte er einen raschen Maennerschritt von unten heraufkommen und erkannte einen seiner Kameraden, einen langbaertigen starken Burschen, ebenfalls mit dem Trutzhut ausgeruestet, statt der Hellebarde eine grosse Fichtenkeule in der rauhen Faust, deren wuchtiges Ende er lustig winkend schwang. Andree! sagte er, als er ihm nahe genug war, wie ist's auf die Nacht? Soll ich mit dir wachen? Du hast mit dem Welschen zu tun gehabt, hab's wohl gemerkt. Und sei gewiss, er schenkt dir's nicht und bringt auch wohl Verstaerkung mit. Schau, da hab' ich was, um den Hunden den Spass zu versalzen!--und er zog aus der Brusttasche seiner Lederjoppe eine kleine Pistole und liess den Hahn knacken. Ich dank', Koebele, erwiderte Andree. Der Welsche ist feige wie die Suende. Allein kommt er einmal nicht, und wenn's ein ganzer Haufen ist, sind wir zwei doch zu schwach gegen sie. Ich gebe dann das Zeichen, und du magst's den andern sagen, dass sie fein aufpassen. Das Ding da--er wies auf die Taschenpistole--lass aber in Frieden. Bei der Dunkelheit hat's keinen Schick, und du verpuffst bloss das Kraut. Fassen wir einen, so taugt ihm die Jacke voll Schlaege besser als so ein Loch in der Haut, das er nachher vorweisen kann gegen uns. Wie du meinst, gab der Bursch zur Antwort. Es ist halt nur auf alle Faelle. Ich wollt' aber, sie kaemen. Sie haben eine schoene Rechnung bei mir auf der Kerbe, und der Hans ist auch ganz fuchtig auf die Halunken. Einmal muessen wir's ihnen eintraenken. Andree schwieg, und der Baertige stieg mit einem kurzen Gruss wieder hinab. Man war schon gewohnt, den Verschlossenen gewaehren zu lassen und sich ihm nicht aufzudraengen. Nun war die Sonne hinter den Berg gegangen, aber noch Stunden waehrte es, bis die Nacht die Herrschaft gewann. Denn zur Rechten hoch aus dem Vintschgau zustroemend und drueben bis an den Guertel des Ifinger hinab waltete noch die Tageshelle, und ein blaeulicher Duft woelkte sich ueber dem Flusse hin, hie und da von einem Sonnenstreifen durchschossen, der hinter der Bergwand sich in die Taeler hereinstahl. Die Hirten trieben unten in den Wiesen ihre Herden zusammen, und alle Wege zu den Doerfern hinauf belebten sich mit schoenen falben Kuehen, die ueber Tag an den Baechen unten geweidet hatten. Im Sueden aber die Trientiner Berge und die schoene, kuehn hereinblickende Mendelspitz verschleierten sich unter den feuchten Duensten, die der Schirokko ins Tal heraufwehte. Spaet erst kam ein schmales Stueck des Mondes hervor, warf einen unsicheren Blick in die stille Tiefe und verschwand alsbald hinter der schweren Feuchte, die sich traege an den Bergen hintrieb. Das letzte Geraeusch in der Stadt, wo der Feierabend fruehzeitig eintritt, das letzte Gelaeut von den Tuermen hueben und drueben verklang. Nur die raschen Bergwaesser rauschten, und von ferne summte der Suedwind daher, trieb den Staub am Wege in leichten Wirbeln auf und raschelte durch die Blaetter des vergangenen Herbstes. Auch das ward still, als es gegen elf Uhr ging, und nun hing die regungslose schwarze Nacht, ohne Sterne, ohne einen Hauch, feucht und warm ueber der Erde und goss ihren Schlaftau auf die tausend Augen. Die Weinhueter schliefen nicht, und sie wussten warum. Es war nicht die erste mondlose Nacht, in der freche Diebe Einbruch in die Rebengaenge versucht und schweren Schaden veruebt hatten. Oben bei seiner Maisstrohhuette sass Andree, rauchte aus der kleinen Pfeife und griff im Dunkeln oefters nach dem Kruge, den sein Herr ihm auf die Nacht frisch hatte fuellen lassen. Die schweren Regentropfen, die einzeln durch das Blaetterdach auf ihn eindrangen, fuehlte er kaum in seinen dichten Haaren. Er horchte aber unverwandt nach der Stadt hin, und als es elf geschlagen, hob er sich leise empor und schlich an eine Stelle dicht ueber der Strasse, wo die Laube durch grobe Kuerbisblaetter und ein vortretendes Maeuerchen zu einem Spaehewinkel ausgebaut war. Hier duckte er sich hinter die Steine, die Hellebarde bequem zur Hand, und zuendete eine neue Pfeife an. Sein Blut war viel ruhiger als ueber Tag. Es tat ihm wohl, dass er zu tun bekam, dass er seine heisse Unruhe an einer Gefahr austoben konnte. Denn dass der Welsche die Nacht nicht vorueberlassen wuerde, ohne Rache zu versuchen, stand ihm fest. Aber der Feind liess sich Zeit; er schien die Waechter sicher machen zu wollen. Man hoerte die Mitternacht vorn Turm schlagen, und noch regte sich nichts. Einer der Saltner, der das Nachbargut huetete, strich bei seiner Runde an Andree vorbei. Heut kommen sie nicht, sagte er. Ich geh' hinauf in die Huetten. Passiert was, so brauchst nur pfeifen. Gute Nacht! murmelte Andree. Es war ihm lieb, dass der Kamerad zu schlafen vorzog. Er haette am liebsten ganz allein Mann an Mann mit dem Welschen zu tun gehabt. Wieder eine halbe Stunde verging, da horchte ploetzlich der Einsame hoch auf. Unfern von ihm, wo ein Bauernhof zwischen den Weinguetern sich an den Berg lehnte, erscholl ein gewaltiges Bruellen, und gleich darauf stuermte unter heftigem Krachen zersplitternder Gelaenderstaebe eine dunkle Masse heran, die nichts Menschlichem glich. Der Lauschende sprang auf seine Fuesse, das Herz klopfte ihm, unwillkuerlich schlug er ein Kreuz. Stufen und Mauerwerk trennten ihn von der Laube drueben, im Nu stand er auf dem Rande der Brustwehr und spaehte, auf die Hellebarde gestuetzt, atemlos in das nachbarliche Revier, aus dem der Laerm erscholl. Es kam naeher und naeher, ein Geheul wie von einem angeschossenen Tier in der Wildnis, das wuetend den Jaeger sucht. Und jetzt donnerte es drueben dumpf gegen die Mauer, die Steine wichen aus den Fugen, stuerzten prasselnd die Stufen hinab, und nach stuerzte durch die Bresche, sich ueberschlagend im Fall, das raetselhafte Ungetuem mit solcher Gewalt in den Treppenhohlweg hinunter, dass die Mauer, auf der Andree stand, wie von einem Erdbeben erschwankte. Sofort wurde alles still, nur ein schwaches Gestoehn drang zu den Ohren des Lauschenden aus der Tiefe herauf, wo die schwere Masse zusammengestuerzt war. Der Bursch war nicht mehr im Zweifel darueber, dass es eine von den Kuehen des Nachbarn sei, deren Stall an den Rebengarten grenzte. Ein grimmiger Verdacht loderte in ihm auf. Er pfiff zweimal gellend auf den Fingern, sprang dann hinab und schwang sich ueber die Mauer auf die Strasse. Das gestuerzte Tier lag am Rande des Weges halb zwischen den Steinen eingeklemmt und schlug mit den Beinen um sich, die Hoerner in den Boden einwuehlend. Doch schien es von der Qual befreit, die es vorhin durch die Lauben gehetzt hatte; es stiess nur dann und wann ein dumpfes Bruellen aus, als wollte es Hilfe herbeilocken, und war zahm und geduldig, als Andree herantrat. Drei oder vier von den anderen Burschen kamen jetzt von verschiedenen Seiten herbei, sie wechselten heftige halblaute Reden, ehe sie Anstalten machten, dem Tier wieder auf die Beine zu helfen. Andree schwieg und spaehte am Boden umher. Ploetzlich hob er mit dem Eisen seiner Waffe etwas Glimmendes vom Boden auf. Es ist richtig! sagte er, ich dachte mir's gleich und roch es, wie ich herunterkam. 's ist eins ihrer Bubenstuecke. Da seht! Er hielt ihnen ein Stueck Zunder hin, das trotz der Feuchte immer noch fortbrannte. Schandvolk! brauste er auf. Sie haben's der unschuldigen Kreatur ins Ohr gesteckt, um sie rasend zu machen. Waere sie nicht zu Fall gekommen, so haett' sich's durchgebrannt, bis ins Hirn, und sie waer' jetzt fuer den Schindanger reif. So hat sich's herausgeschuettelt, und der Bauer kann von Glueck sagen. Haett' ich den Buben, heiliges Kreuz--! Der Koebele knackte am Hahn seiner Pistole. Willst du mit mir kommen, Andree? Nein. Lass das Ding da in Ruh, gab der Bursch finster zur Antwort. Macht, dass ihr die Kuh wieder zum Stehen bringt und schafft, sie heim. Ich will allein gehen. Er sprang mit grossen Saetzen geraeuschlos durch die Weiden gegenueber und ueber das Wiesen- und Sumpfland; eine wilde Kampflust gluehte in ihm, die alle seine Sinne schaerfte. Der Regen fiel jetzt gleichmaessig und mit starkem Rauschen herab, und der Wind sauste staerker. Dennoch hoerte Andree, als er dem Stadttor naeher kam, ferne Schritte unter den Weiden und sah jetzt auch, weit voraus, zwei fliehende Gestalten und erkannte mit kaum verhaltenem Jauchzen die weissen Jacken der verhassten Feinde. Kaum hundert Schritte noch, so hatten sie das Tor erreicht. Aber sie kamen langsam von der Stelle. Der eine--er war jetzt nahe genug, es deutlich zu unterscheiden--hinkte muehsam am Arme seines Kameraden hin. Das Tier mochte sich mit seinen scharfen Hoernern zur Wehr gesetzt haben. Sie sprachen im Gehen von ihrer Untat, der Hinkende lachte eben mit einer Stimme, die dem Raecher vom Morgen her nur zu gut bekannt war. Aber das Lachen ward jaehlings zu einem Schrei des Entsetzens. Denn von einem wuetenden Schlag der Hellebarde getroffen, stuerzte der Elende in die Knie und winselte um Pardon. Ein neuer Stoss streckte ihn stumm zu Boden. Sein Geselle, der ihm beispringen wollte, wurde von zwei staehlernen Faeusten gepackt, ein wildes Ringen begann in der Finsternis, keiner sprach ein Wort, nur die Zaehne der erbitterten Gegner knirschten, und sie starrten einander dicht ins Weisse der Augen. Da sah der Soldat seinen Vorteil und draengte den Feind dicht an den Rand des Grabens, dass ihm der Fuss auf dem schluepfrigen Boden ausglitt und er ruecklings niedertaumelte. Ehe er sich wieder aufgerafft hatte, war der Weissrock entsprungen, und Andree stand einsam neben dem regungslos daliegenden Welschen, der auf alles Rufen und Ruetteln kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Er ist hin! sagte der Bursch laut fuer sich, da ihm die leblose Masse wieder aus den Armen glitt. Bei dem Ton seiner eigenen Worte schauderte er unwillkuerlich zusammen. Sein ganzes elendes Leben stand ihm ploetzlich vor der Seele. Nicht der Totschlag war es, der ihm so grauenvoll aufs Gewissen fiel. Sie waren als ruchlose Raeuber bei naechtlicher Weile eingebrochen, und was sie traf, war gerechte Rache fuer ihre Heimtuecke. Wenn der andere Weissrock, der entflohene, der ihm voellig fremd war, so vor ihm dagelegen haette mit zerschelltem Hinterhaupt, das Gesicht in die Lache seines eigenen Blutes gedrueckt, waer' es dem trotzigen Burschen wohl schwerlich nahegegangen. Aber dass es dieser sein musste, den er gehasst hatte, gehasst, weil die Moidi ihm freundlich gewesen war--seine Schwester--!--Das Blut schien ihm zu Eisklumpen zu gerinnen, wie er es jetzt zum erstenmal mit unbarmherziger Klarheit vor sich stehen sah, sein fluchwuerdiges Schicksal. Mit Rache- und Blutgedanken hatte er am Wege gelauert den ganzen Tag und die halbe Nacht. Was war ihm der Frevel an den Rebstoecken und dem unschuldigen Tier? Einen ganz anderen Frevel hatte er zu raechen: dass dieser verwegene Gesell mit dem Maedchen schoen getan, dass das Maedchen ueber seine Reden gelacht, dass sie ihn gegen den Zorn des Bruders jetzt so verteidigt hatte. Darum hatte er buessen muessen, darum lag er jetzt so still in seinem Blut, und der vor ihm stand, war kein Hueter des Gesetzes, sondern ein Moerder, geaechtet von seinem eigenen Gewissen. Der Koebele kam jetzt heran, und sein Schritt schreckte den hoffnungslos Bruetenden auf. Er sprach kein Wort auf alles, was der andere redete und rannte. Er bedeutete ihm mit stummen Gebaerden, dass sie den Toten aufheben und in das Kapuzinerkloster tragen wollten, das hart am Tor von Meran ueber die Mauer blickt. Erst dort an der Klosterpforte, als sie ihre Last auf der Schwelle abluden, sagte er dumpf: Zieh an der Glocke, Koebele, und wart, bis sie aufmachen. Kannst ihnen sagen, dass ich's getan hab'. Und behuet dich Gott; mich wirst nimmer wiedersehen.--Damit wandte er sich kurz ab und verschwand in der dunklen Strasse. Es war ihm eilig mit dem, was er vorhatte, doch konnte er nur langsam seine Glieder weiterschleppen, so schwer laehmten ihn seine Gedanken. Als er die finstern Bogengaenge der "langen Lauben" betrat, wo er vor dem Regen geschuetzt war, setzte er sich auf einen der Steinsitze und lehnte das schwere Haupt gegen den Pfeiler. Hier sass ueber Tag das alte Muetterchen, das auf seinem Kohlenofen Kastanien briet. Die Erde war noch mit Schalen bestreut, die unter Andrees schweren Naegelschuhen krachten. Wie oft hatte er hier seinen Hunger gestillt, wenn er zu stolz gewesen war, die eigene Mutter um Essen zu bitten! Und dort, wenige Haeuser aufwaerts, war der Laden des Zuckerbaeckers, dem die Moidi ihre Sparkreuzer hinzutragen pflegte. Er sah noch deutlich das grosse Herz von Biskuit, das erste Naschwerk, das sie sich selber gekauft. Sie hatte es mit ihm teilen wollen und, da er's ausschlug, in die Passer geworfen, obwohl sie es sehr gern gegessen haette; denn sie weinte, als sie es getan hatte. Noch jetzt, da er an diese kindischen Traenen zurueckdachte, fuehlte er eine triumphierende Freude, dass er so viel Gewalt ueber ihr leichtsinniges, trotziges Herzchen gehabt hatte, und in demselben Augenblicke erschrak er ueber diese seine Freude. Er sprang verstoert wieder auf und tappte sich vorwaerts in dem oeden Hallengang, bis er an das Haus kam, wo der Zehnuhrmesser wohnte. Die Haustuer war unverschlossen, der Flur mit der morschen winkligen Treppe so dunkel, dass jeder fremde Eindringling Gefahr lief, den Hals zu brechen. Andree stieg auf den Zehen hinauf, er kannte jede Stufe. Die Fledermaeuse schwirrten auf, als er oben unters Dach trat, wo der geistliche Herr sein Quartier hatte. Da stand er eine Weile an der Tuer und horchte, ob er ihn drinnen im Schlaf atmen hoerte. Darin entschloss er sich einzutreten. Das Zimmer aber war leer; auch in der anstossenden Kammer, wo er selbst als Knabe gehaust hatte, fand er ihn nicht. Und als ob er sich jetzt erst recht von Gott und Menschen verlassen fuehlte, setzte er sich auf das unberuehrte Bett und dachte von neuem an all die Jahre zurueck und bruetete ueber finsteren Entschluessen. Die grosse Katze, die Haushaelterin des Zehnuhrmessers, schlich sacht heran, denn sie hatte ihn wohl erkannt, und knurrte schmeichelnd um ihn herum. Jetzt sprang sie ihm auf den Schoss und rieb ihren weichen Ruecken gegen seine Brust. Da stuerzten ihm die Traenen mit Gewalt aus den Augen, und er begrub das Gesicht in das seidene Fell des alten Lieblings. Als er sich so erleichtert hatte, hob er das Tier sanft von den Knien herab, richtete sich auf und tastete die schwanke Stiege wieder hinunter. Denn draussen schlug es ein Uhr, und er durfte nicht zaudern, wenn er sein Vorhaben ungehindert ins Werk setzen wollte. Er schlug den Weg ein, den sein geistlicher Freund am Morgen hatte gehen wollen, nach dem Schloss hinauf, wo der Hirzer wohnte. Der Zehnuhrmesser war dort besonders gern gesehen; er mochte sich droben in geistlichen Gespraechen mit der Tante Anna oder bei einer Weinprobe verspaetet haben und ueber Nacht geblieben sein. Wenigstens wuerden sie dort wissen, wohin er sich gewendet habe. So durchschritt der Fluechtling mit freierem Fusse die Laubengasse und das Passeirer Tor und betrat den steinernen Steg ueber die wilde Passer. Der Regen rieselte jetzt weicher herab, das Gewoelk wurde luftiger, und der Wind kam lebhaft aus Nordost und klaerte schon ein Stueck des Himmels, dass schwache Mondstrahlen in die schaeumenden Wellen der Felsschlucht fielen. Da zur Linken den Berg hinauf, eine Viertelstunde Wegs, und er haette in das Fenster spaehen koennen, hinter dem seine Schwester schlief. Und hier ueber die steinerne Brustwehr hinab--ein letztes Gebet und ein rascher Sprung--und er waere aller irdischen Qual entrueckt gewesen. Aber als ob ihm vor beiden Versuchungen gleich sehr graute, schritt er nun hastiger ueber die hallenden Steinplatten der Bruecke und trocknete sich den Schweiss von der Stirn, als er drueben die Abhaenge von Obermais betrat. Die Saltner riefen ihn an, als er durch Gassen und Fusspfade hinaufstieg. Er wechselte das Zeichen mit ihnen, stand aber nicht Rede auf weitere Fragen. Immer ungeduldiger sah er zu der Hoehe auf, von der die alte Burg herniederwinkte, ein schwarzer, unfoermlicher Steinhaufen, um den die Kastanienwipfel rauschten und ringsum durch die Weingaerten die Baeche zu Tale flossen. Dieses Weges war Andree nicht mehr gegangen seit seinem siebenten Jahr, wo er einmal die Kinder des Hirzers droben aufgesucht hatte, im stillen danach verlangend, seine sanfte, blasse, schoenaeugige Pate zu sehen, die Tante Anna. Damals hatte ihn der Bauer mit unholden Worten vom Hofe weggescholten und ihm verboten, sich je wieder blicken zu lassen. Knirschend war er gegangen, und nichts haette ihn vermocht, die Schwelle wieder zu betreten. Aber die Not, in der er war, liess ihn all den alten Hader vergessen. Erst wie er droben war, nach muehseligen Irrwegen ueber die Felsen, fiel es ihm aufs Herz, dass er in dem Gewinkel des alten Baues nicht Bescheid wusste, und er stand einen Augenblick ratlos unter dem Bogentor, das in den untern Hof einfuehrt. Er sah wohl die schmale Holzstiege, die unter freiem Himmel an der verfallenen Mauer klebte und die man hinaufstieg, um in die noch wohnlich erhaltenen Gemaecher zu gelangen. Wenn er die feindseligen Maenner umsonst weckte und den geistlichen Herrn nicht fand, in welchem Lichte musste er dastehen, und was sollte er ihnen sagen, den naechtlichen Besuch zu entschuldigen? Sein Kopf war so wuest und leer, dass er Muehe hatte, sich alles zurechtzulegen. Und fast waere er wieder umgekehrt, wenn nicht das Geheul des Haushundes, der droben auf der Stiege in einem Loch der Mauer geschlafen hatte, ihn aus aller Verlegenheit gezogen haette. Denn kaum hatte der alte Waechter, der mit den Jahren zu traege geworden war, sich von der Stelle zu ruehren, aber in seinem leisen Schlaf jeden fremden Schritt im Hofe vernahm, ein paar Minuten lang verdrossen vor sich hin gebellt, so oeffnete sich dicht neben seinem Lager die kleine Tuer, und eine weibliche Gestalt erschien oben auf der Treppe. Andree hoerte, wie sie mit dem Hunde sprach und ihm seine unruhigen Traeume verwies und den Laerm, der die Tante Anna nicht schlafen lasse. Rosine! rief er hinauf. Das Maedchen erschrak und trat in die Tuer zurueck. Einen Augenblick horchte sie, auch der Hund schwieg. Als zum zweitenmal ihr Name gerufen wurde, trat sie spaehend an das Stiegengelaender vor. Wer ist drunten? rief sie mit zitternder Stimme. Bist du's, Andree? Ich bin's, gab der Juengling zur Antwort. Ist der Zehnuhrmesser droben im Haus? Sie schien die Frage ueberhoert zu haben. Im Nu war sie in das Haus zurueckgesprungen und liess ihn in zorniger Ungeduld drunten harren. Rosine! rief er ueberlaut, dass die Truemmerwoelbungen widerhallten. Da trat sie schon wieder heraus, ein Tuch uebergeworfen, und huschte an dem Hunde vorbei, die steile Treppe hinab. Andree! Ist's moeglich? fluesterte sie, hastig auf ihn zueilend. Was suchst du hier zu dieser Zeit? Ist was passiert, mit der Moidi, oder-Den Zehnuhrmesser such' ich, unterbrach er sie. Sag, ob er oben ist, oder wo ich ihn finden kann. Er ist droben, antwortete sie rasch. Komm hinauf. Ich bring' dich zu ihm, der Vater schlaeft fest, niemand soll's wissen als die Tante. Auch die nicht, herrschte der Bursch. Ich habe keine Zeit uebrig. Gut, dass du bei der Hand warst. Ich war drauf und dran umzukehren. Sie stiegen die Treppen hinauf, der Hund winselte unwirsch, aber liess sie unangefochten eintreten. Ich hab' von dir getraeumt, grad' eh' du kamst, sagte das Maedchen, waehrend sie in der Kueche, dicht neben dem Hausgang, ein Laempchen anzuendete. Es war schrecklich. Du lagst tot auf der Wassermauer; sie hatten dich aus der Passer gezogen und wollten dich wieder zum Leben bringen, und ich stand dabei und sagte immerfort: Lasst ihn doch, es hilft ja alles nichts! Und dabei wurde ich selber eiskalt uebern ganzen Leib und erschrak vor meiner eigenen Stimme, aber ich musste immer wieder sagen: Es hilft alles nichts, er ist tot--und da bellte der Hund, und nun stehst du lebendig neben mir, Andree, Gott sei gelobt! Traum kann Wahrheit werden, murmelte er zwischen den Zaehnen, aber er wollte sie nicht noch mehr aengstigen und setzte laut hinzu: Ich lebe noch, Rosine, aber ich muss fort von hier, du wirst bald genug hoeren, warum. Und diese Nacht noch muss ich gehn, sobald ich den hochwuerdigen Herrn gesprochen habe. Das Maedchen liess die Lampe aus der Hand gleiten, dass das Oel auf den Herd floss. Ihr feines blasses Gesicht roetete sich heftig, und die schoenen braunen Augen blickten verstoert auf, als haetten sie ein Gespenst gesehn. Fort willst du? sagte sie. Ist es moeglich, Andree? Die Moidi willst du verlassen und uns alle, und wann wirst du wiederkommen? Was ist denn geschehen? Hat die Mutter wieder-Schweig von der Mutter, fiel er ihr hastig ins Wort. Frag nicht weiter, es kommt alles an den Tag. Und jetzt sag, wo der geistliche Herr schlaeft. Ich habe keine Minute uebrig. Sie nahm das Laempchen mit demuetigem Stillschweigen vom Herd und ging ihm voran, durch den reinlichen Flur, von dessen weissgetuenchten Waenden ein paar uralte braune Heiligenfiguren, die der Tuencher geschont hatte, aus traurigen langgeschlitzten Augen auf sie herabsahen. Eine enge Steintreppe lief hinauf zu den oberen Raeumen; alles war durchduftet von dem Geruch schoener reifer Aepfel, die droben im Winkel aufgeschichtet lagen. Eine alte Wanduhr tickte mit hartem Pendelschlag, und die Maeuse liefen, durch die nahenden Schritte aufgeschreckt, kollernd und rappelnd in ihre Schlupfloecher zurueck. Hier! sagte das Maedchen, auf eine grosse altertuemliche Tuer zeigend. Sie gab dem Juengling die Lampe in die Hand und blieb draussen im Hausgang stehn, bis er eingetreten war. Einen Augenblick fuehlte sie sich versucht, das Ohr ans Schluesselloch zu legen. Darin schuettelte sie traurig den Kopf und schlich die Stufen wieder hinab in die oede Kueche, zu warten, bis er wiederkaeme. Er aber stand droben eine ganze Weile in dem ungeheuren, rings mit dunklem Holz ausgetaefelten Saal, wo in einer Nische dem geistlichen Herrn ein Bett bereitet war, und konnte sich nicht entschliessen, den friedlich Schlafenden zu wecken. Zum erstenmal fuehlte er es dunkel, dass sein teurer Lehrer und Seelsorger nicht die Macht hatte, Stuerme zu beschwichtigen, wie sie in seinem Gemuete tobten. Eine dunkle Angst, mit seinem beladenen Gewissen an eine sichere Stelle zu fluechten, hatte ihn hierher getrieben. Aber der Frieden, der auf diesem ruhig atmenden, leicht geroeteten Gesichte lag, war nicht fuer ihn. Wozu sollte er seine Notklagen, da niemand ihm helfen konnte. Er zog schon den Fuss zurueck, um die Halle sacht, wie er gekommen war, wieder zu verlassen, als der Schlafende, von der Flamme des Laempchens beunruhigt, eine Bewegung machte und mit noch geschlossenen Augen vor sich hin sagte: Der heurige wird gut, aber der ferndige war besser. Schau nur fleissig zu, Andree; der rote Farnatsch-Hochwuerdiger Herr, sagte der Bursch mit erhobener Stimme; ich bin hier und bitt' um Entschuldigung, wenn ich Ihre Nachtruh' stoere. Aber ich moecht' doch nicht weggehen, ohne Abschied von Ihnen zu nehmen. Erschrocken fuhr der Traeumende in die Hoehe und starrte mit weit aufgerissenen Augen den naechtlichen Besucher an. Himmlische Barmherzigkeit! rief er, was ist geschehen? Andree--bist du's wirklich, hier oben auf Schloss Goyen, bei nachtschlafender Zeit, und mit einem Gesicht, mehr tot als lebendig? 's ist mir auch danach zu Mut, Hochwuerden, erwiderte der Juengling. Ich muss mich fortmachen, wie Kain, ich habe einen Menschen erschlagen und keine Ruhe mehr auf Erden. Andree! rief der entsetzte Hoerer. Du hast--Das Wort erstarb ihm auf der Zunge; mit entgeistertem Gesicht sass er im Bette da und faltete mechanisch die Haende ueber der rotgewuerfelten Decke. Der Juengling erzaehlte mit scharfer Kuerze, wie sich alles zugetragen. Von der Schwester sagte er kein Wort. Er schloss damit, dass er nun zunaechst in einem Kloster Zuflucht suchen wolle und den hochwuerdigen Herrn bitte, ihm eine Empfehlung mitzugeben, dass man ihn nicht abwiese, wenn er ohne allen Ausweis anklopfte. Dann schwieg er und wartete mit Ungeduld, was sein Seelsorger dazu sagen wuerde. Der aber starrte in tiefen Gedanken vor sich hin. Das geht nicht an, mein Sohn, sagte er endlich mit bekuemmerter Miene. Die Gerichte werden deine Auslieferung verlangen, und da du noch keine Weihen erhalten hast, wirst du wieder zurueckgebracht werden. Und was koennen sie dir auch so Schlimmes antun? Du warst nicht der Angreifer und hast im Finstern zugeschlagen, und die arme Seele des schaendlichen Raeubers kann dich nicht verklagen vor Gottes Thron. Also mein' ich, du gehst ruhig aufs Amt und machst Anzeige und wartest ab, was das Gericht dazu sagt. Denk, wenn du landfluechtig wuerdest, was sollt' deine Schwester anfangen, die keine Stuetze hat als dich, wenn die Mutter die Augen schliesst. Die Glut schoss dem Juengling ins Gesicht, und er wandte sich ab. Es ist einmal nicht zu aendern, sagte er dumpf. Hier bleiben, Rede stehen, bestraft und bedauert werden? Lieber gleich in die Hoelle fahren, --Gott verzeih' mir die Suende! Wenn Sie mir nicht beistehen wollen, Hochwuerden, so sag' ich behuet' Gott! und geh' meiner Wege. 's ist was--fuhr er zoegernder fort--, was ich Ihnen nicht sagen kann, das stoesst mich fort von hier, dass mir ist, als muesst' ich grad' ersticken, wenn ich zwischen diesen Bergen noch laenger Odem holen sollt'. Und wenn auch alles glatt abginge beim Amt, ich bliebe doch nicht, ich ginge ins Kloster sowieso, da's unser Herrgott verboten hat, sich selbst aus der Welt zu helfen, was ich freilich am liebsten taet'. Aber irgendwo muss ich hin, wo ich fuer alle und jedermann wie tot und begraben bin und auch ganz vergesse, dass noch Menschen auf der Welt sind. Dann kann ich's vielleicht aushalten, sonst nicht, so wahr ich hier vor Ihnen stehe. Der Priester zog die duennen Augenbrauen mit einem lauschenden Ausdruck von Wichtigkeit in die Hoehe und wiegte den Kopf hin und her. Was sind das fuer secreta mysteria? sagte er missbilligend. Auch deinem Beichtvater willst du's nicht sagen? Dem wohl, erwiderte der Juengling ausweichend und immer tiefer erroetend. Aber erst wenn ich im Kloster bin. Und darum bitt' ich instaendig, Hochwuerden, dass Sie mir zur Ruhe verhelfen und mich nicht ohne Empfehlung gehen lassen. Mag's drum sein, armer Sohn, sagte der kleine Priester mitleidig. Du hast frueher einen guten Anfang gemacht in den geistlichen Studien, und ich meine, vom Latein wird dir noch einiges haengengeblieben sein. Ich will dich an den Pater Benediktus empfehlen--und er nannte ihm den Namen eines hoch im Vintschgau gelegenen Kapuzinerklosters, das wegen seiner rauhen Luft wenig besucht ward--dem sage einen Gruss von mir, und morgen will ich einen Brief nachschicken, der ihm deine Lage auseinandersetzt. Und so befehle ich dich einstweilen in den heiligen Schutz unsers Herrn Jesus und seiner gnadenreichen Mutter, und wenn dir's ums Herz ist, Andree, deine heimlichen Noete auszuschuetten, so weisst du, dass du mir schreiben kannst und jederzeit eine willige Fuersorge und Teilnahme bei mir finden wirst. Gott sei mit dir, mein Sohn! Er gab ihm in sichtbarer Bewegung die Hand, die der Juengling statt aller Antwort ehrfurchtsvoll an seine Lippen drueckte. Dann ging er mit erleichtertem Herzen hinweg und zog die schwere Tuer sacht hinter sich zu. Aber so leise er den gewoelbten Gang hinunterschritt--denn er scheute sich, obwohl er sonst keine Menschenfurcht kannte, dem alten Bauern zu begegnen--, unten horchten doch zwei klopfende Herzen auf seinen Tritt, eine schmale, blasse Hand oeffnete die Tuer einer Kammer, die neben der Kueche lag, und ein zartes, fruehgealtertes Gesicht spaehte dem Lichtschein entgegen, der ueber die enge Steintreppe herunterfiel. Die Tante Anna war aufgewacht, da sie das Maedchen am Herde hantieren hoerte, und hatte sie zu sich hereingerufen. Er will niemand sehen als den hochwuerdigen Herrn, hatte die Rosine gesagt.--Mich wird er schon sehen muessen, war die leise, aber nachdrueckliche Antwort gewesen. Und dann hatte sich die Tante mit Hilfe der Nichte in Eile angekleidet und, ohne weiter ein Wort zu sprechen, auf dem Lehnstuhl am Bett gewartet, bis der spaete Gast die Stufen herabkaeme. Sie hatten kein Licht in dem engen Gemach als den schwachen Schein des Mondes, der durch die kleinen Scheiben hereindrang. Das Kruzifix ueber dem Bett, der Betschemel in der Ecke, das saubere Geraet, das an den Waenden herumstand, alles hatte eine wehmuetige Heimlichkeit, wie sie eine alte Jungfer um ihr Tun und Wesen zu verbreiten pflegt, wenn sie mit allen Lebenshoffnungen abgeschlossen hat. Diese Kammer hatte manche Traene fallen sehen und manches heisse Gebet fluestern hoeren. Und die Rosine sah auch jetzt, dass sich die stillen Lippen der Tante bewegten, und wagte nicht, ihre andaechtigen Gedanken zu stoeren. Da erklang droben der Schritt; die Betende stand auf und trat in die Tuer. Andree! rief sie leise in den Flur hinaus. Der Juengling blieb unschluessig an der Treppe stehen. Es trieb ihn, ohne Aufenthalt seine naechtliche Wanderung anzutreten, und doch konnte er nicht mit einem fluechtigen Gruss voruebereilen, zumal da er diese stillen, liebevollen Augen nie im Leben wiederzusehen dachte. Ihr seid wach, Pate, sagte er endlich. Ich bat die Rosine doch-Ich bin voll selbst aufgewacht, antwortete sie. Aber komm herein, Andree--und sie zog ihn in die Kammer? Und jetzt sage mir, was du vorhast, und was geschehen ist, dass du zu dieser Stunde hier heraufkommst. Bist du nicht auch Saltner unten am Kuechelberg, und wie kommt's, dass du deinen Posten verlassen hast? Sie hatte seine Hand gefasst und diese Worte hastig an ihn hingesprochen, als wollte sie eine innere Angst zur Ruhe sprechen. Er sah truebsinnig zu Boden und ueberlegte, wie viel er ihr vertrauen sollte. Seit Jahren hatte er nicht mehr ein Wort mit ihr gewechselt, aber viel an sie gedacht und sehnlich gewuenscht, sie einmal allein zu treffen und ihr recht von Herzen zu sagen, wie er an ihr haenge, und wie es ihm bitter sei, sie vermeiden zu sollen. Und jetzt fuehlte er, wenn er sein heimliches Leiden irgend einem Menschen vertrauen koennte, so waere es niemand als sie. Aber die Rosine stand am Fenster, und die Zeit draengte, und ueberdies--was sollte es helfen? Auch diese Heilige hatte keine Macht, ihm den Frieden wiederzugeben. Pate, sagte er, der hochwuerdige Herr wird Euch morgen alles erzaehlen, um was ich ans der Gegend fort muss. Ich war ein elender Mensch von Geburt an, ohne Vater und Mutter, ohne Glueck und Stern. Es ist das beste, dass ich der Welt absterbe, ehe ich auch ein schlechter Mensch geworden bin. Und darum will ich in ein Kloster gehen, und es ist mir lieb, dass ich Euch noch vorher gesehen habe; denn ich habe allezeit eine grosse Liebe und Verehrung zu Euch gefuehlt, und der Himmel weiss, es stuende wohl besser um mich, wenn ich Euch oefter haette sehen und sprechen duerfen. Denn bei Euch ist mir allein auf der ganzen Welt friedfertig und stille zu Mut gewesen, und ich dank' Euch, Pate, dass Ihr mich damals, da ich ein hilfloses Kind war, aus der heiligen Taufe gehoben habt, und bitte, dass Ihr fuer mich beten wollt auch in Zukunft, damit sich der Herrgott meiner erbarme. Denn wahrlich, ich habe es noetig. Damit drueckte er ihre Haende und wollte mit einem Behuet' Euch Gott! aus der Kammer. Aber die Alte hielt ihn zurueck und sagte: Ins Kloster? Und ich soll dich nimmer wiedersehen? Ich muss alles wissen, Andree. Geh hinaus, Rosine; hol ihm auch ein Glas Wein, er ist ganz blass und kalt wie der Tod. Heilige Mutter Gottes, was ist geschehen? Schickt die Rosine nicht weg, Pate, erwiderte er aengstlich, denn er fuehlte, wenn er mit der Alten allein bliebe, wuerde sie ihm das innerste Herz auf die Zunge locken, so viel vermochte ueber ihn die sanfte Stimme und das grosse schmerzliche Auge. Seid mir nicht boese, fuhr er fort, aber Ihr koennt nichts aendern, und wenn ich denken muesste, dass ich auch Euch das Herz schwer gemacht haette mit meiner Truebsal, wuerde ich noch elender sein. Aber wenn Ihr mir was Liebes tun wollt, legt mir die Hand aufs Haupt und gebt mir Euren Segen mit, weil es ein Abschied ist fuer die Ewigkeit. Er warf sich vor ihr auf die Knie, und sie tat, um was er sie gebeten hatte. Dann hob sie ihn auf, und wie sie ihm mit Traenen in das blasse Gesicht sah, hielt sie sich nicht zurueck, zog ihn fest in ihre Arme und kuesste ihn lange und heiss auf Mund und Augen, dass auch er wie ein Kind in Schluchzen ausbrach. Sie standen eine geraumie Weile in dieser inbruenstigen Trauer, und ueber der Wohltat, sich so zu halten und zu haben, vergass die Alte ganz, was kommen sollte, und der Juengling, was hinter ihm lag. Pate, sagte er endlich, ich werd's nie vergessen, wie gut Ihr zu mir gewesen. Vergesst auch Ihr mich nicht, und so sei's genug. Die Haehne kraehen bald. Ich darf nicht weilen. Andree, mein armes Kind! hauchte die Alte und sank in den Sessel zurueck, als er ueber die Schwelle schritt. Ploetzlich fuhr sie auf, ein Gedanke schoss ihr durch den Sinn, sie rief seinen Namen, als haette sie ihm noch etwas mit auf den Weg zu geben; dann fiel ihr Blick auf das Kruzifix ueber dem Bett, sie stand still, wie ploetzlich vor einer drohenden Gefahr zurueckbebend, schuettelte traurig den Kopf und ging mit mueden Schritten ans Fenster, um durch die Nacht zu spaehen, ob sie seinen Weg verfolgen koennte. Ins Kloster! sprach sie vor sich hin. Barmherziger Gott, dein Wille geschehe! Draussen unter der Haustuer im Dunkeln stand die Rosine, die vorhin aus der Kammer geschlichen war. Andree, sagte sie, als der Bursch sich ihr naeherte, du bist ja ohne Hut und in der Saltnerjacke. Ich habe dir ein Gewand von meinem Bruder geholt und einen alten Hut von ihm. Er ist in Innsbruck und braucht's nimmer. Der Juengling griff hastig nach der Lodenjoppe und vertauschte sein Lederwams dagegen. Ich dank' dir, Rosel, sagte er. Auch du bist gut, du bist wie die Tante. Denk fein an mich, wenn ich fort bin. Die Sachen da schick' ich bald einmal zurueck. Das Maedchen schwieg, bis sie ihre ausbrechenden Traenen wieder bezwungen hatte. Weiss es die Moidi? sagte sie endlich. Nein. Du kannst es ihr sagen, Rosel. Gruess sie noch ein letztes Mal und dann--gute Nacht fuer immer, Rosel! Und er schritt, ihre zitternde Hand fluechtig beruehrend, die Freitreppe an der Mauer hinunter, eilte ueber den duesteren Hof und verschwand in der lautlosen Nacht, die nun klar und abgekuehlt ueber Bergen und Schluchten stand und einen heiteren Morgen ankuendigte. In aller Fruehe sah man den Zehnuhrmesser eilfertig von Schloss Goyen heruntersteigen, die Rosine mit ihm, die der Tante Anna ueber das blutige Abenteuer der Nacht naehere Nachrichten und der Moidi den letzten Gruss des Entflohenen bringen sollte. Sie fanden unten in Meran keine geringe Aufregung, das Landvolk stand auf der Strasse beisammen und wechselte feindselige Reden gegen die Soldaten, und Andrees Name war auf aller Lippen. Wo sich eine Uniform blicken liess, wurde das Gespraech leiser, aber die Blicke wilder und die Faeuste drohend geballt. Der kleine Mann des Friedens setzte seinen Weg mit wachsender Bekuemmernis fort. Aber sein Gesicht heiterte sich wieder auf, als er bei den Kapuzinern hoerte, dass der Welsche nicht tot sei, vielmehr nach stundenlanger Ohnmacht Augen und Lippen wieder geoeffnet habe, und dass der Arzt alle Hoffnung gebe, ihn naechstens wieder marschfertig auf die Beine zu stellen. Auch der Bescheid, den er auf der Kommandantur erhielt, war befriedigend. Man war dort sehr geneigt, die Sache niederzuschlagen, falls der Fluechtling sich einstweilen im Kloster still verhalten oder gar Profess tun wuerde. Eine schaerfere Mannszucht sollte die Wiederkehr aehnlicher boeser Haendel verhueten. Der Spiessgesell des Welschen sass im Arrest; der Bauer, dem das Weingut verwuestet war, sollte entschaedigt werden. Und so liess sich alles troestlich und versoehnlich an, und der sorgenvolle Menschenfreund konnte der Tante Anna gute Zeitung schicken und zwei schoene und erbauliche Briefe ins Vintschgau hinauf entsenden, den einen an seinen Freund, den Prior, den andern an sein Beichtkind, dem er ernstlich ins Gewissen sprach, falls er sich mit schwerer Suende belastet fuehle, nicht zu saeumen, sondern dem geistlichen Freunde seiner Jugend in einem umgehenden Schreiben offene Beichte abzulegen. Ein solches Schreiben aber blieb nicht nur in naechster Zeit, sondern alle Wochen und Monate hindurch beharrlich aus. Vom Prior freilich lief bald darauf eine freundschaftliche Antwort ein, des Inhalts, dass der Andree Ingram richtig eingetroffen, auch bereits in die Laienkutte gesteckt sei, da er seinen Entschluss, im Kloster zu leben und zu sterben, auf die dringendste Art wiederholt ausgesprochen habe. Ein spaeterer Brief, erst um Weihnachten geschrieben, erwaehnte nur kurz, dass sich der Noviz Andreas zu aller Zufriedenheit auffuehrte, schweigsam und bescheiden seinen Dienst tue und in den Stunden der Musse in den Klosterbuechern studiere, zu einem Schreiben an die Seinigen aber nicht zu bewegen sei. Von einem gebeichteten Geheimnis stand natuerlich in dem geistlichen Briefe nichts zu lesen. Ueber diese Zeitung schuettelte der kleine Hilfspriester nachdenklich den Kopf, die Tante Anna schloss sich einen ganzen Tag in ihre Kammer ein, um ungestoert unter Fasten und Gebet das Seelenheil ihres Patenkindes dem Himmel zu empfehlen, Rosine ging mit geroeteten Augen und abwesenden Gedanken im Hause herum, selbst die Mutter, die schwarze Moidi, verriet, dass sie eine menschliche Regung fuehlte und sich im stillen ueber ihre Haerte und Bosheit gegen den armen Ausgestossenen anklagte. Nur die Schwester selbst, die doch am meisten an ihm verlor, schien am wenigsten um sein Schicksal bekuemmert zu sein. Sie behauptete, es sei ihr zum Totlachen, wenn sie sich den Andree in der Kutte mit geschorener Platte vorstellen solle. Auch koenne sie's nicht glauben, dass er wirklich im Kloster hause. Er habe gar keine geistliche Gemuetsart, und das alles sei nur ausgedacht, um dem Militaergericht Sand in die Augen zu streuen. Er werde drohen im Vintschgau sitzen, Gemsen schiessen und neuen Wein trinken, und eines schoenen Tages wieder zum Vorschein kommen, ohne langen Kapuzinerbart und so weltlich, als er gegangen sei. Der Weihnachtsbrief des Priors machte sie zuerst stutzig. Drei Tage lang ging sie herum, ohne zu lachen, und setzte sich endlich hin, dem Bruder einen Brief zu schreiben, der voller Possen war, aber zum Schluss die ernsthafte Mahnung enthielt, bald wiederzukommen, da sie es "sehr notwendig nach ihm habe". Sie zeigte den Brief der Rosine, mit der sie jetzt oefter zusammenkam; denn seit der Andree ins Kloster gegangen, hatte der Bauer auf Goyen nichts mehr einzuwenden gegen den Verkehr seiner Kinder mit dem einsamen Maedchen, das ihm ganz gleichgueltig war. Rosine las den Brief stillschweigend und legte ihn wieder hin. Er war ihr lange nicht herzlich genug. Wenn er darauf nicht kommt, sagte die Moidi, so muss er einen Schatz haben, droben in den Vintschgerbergen.--Wo denkst du hin? erwiderte die andere. Der Bote von Algund hat ihn selbst in der Kutte gesehen.--Moidi wurde blass. Wenn's wirklich waere, ich graemte mich halbtot, sagte sie. Dann waere niemand dran schuld als--die Mutter, wollte sie sagen; aber sie schwieg. Denn sie hoerte die Alte im Nebenzimmer husten und stoehnen, da sie von einem jaehen Fall auf dem Glatteis schwer daniederlag. Es waren boese Tage, und jede Nacht kam das Fieber und lockte wilde, wunderliche Reden aus ihr heraus, ueber denen ihr Kind gluecklicherweise einzuschlafen pflegte. Der Zehnuhrmesser sprach fleissig vor, auch die Tante Anna stieg, da es sich auf das Fruehjahr verschlimmerte, einige Male den Kuechelberg hinauf. Dann ging ihr Neffe, der Hirzerfranz, der wieder von Innsbruck zurueckgekehrt war, bis an die Tuer des kleinen Hauses mit, und waehrend sich die Alten drinnen besprachen, fuehrte er in der ueblichen Weise ansehnlicher junger Burschen einen nachlaessigen Diskurs mit der blonden Moidi, die viel dabei zu lachen fand, obwohl alles von seiner Seite ganz ernstlich gemeint war. Moidi, sagte die Rosine eines Tages zu ihr, ist's wahr, dass du mit dem Franz im reinen bist? Er sagt's, und ich wuerde es ja gewiss wuenschen, aber ich weiss nicht, ich kann es nicht glauben.--Warum nicht? sagte die Moidi trutzig und strich sich mit gleichgueltiger Miene die Haare hinters Ohr. Einen muss ich doch einmal nehmen, und der Franz ist so gut wie ein anderer. Aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, und du weisst, Rosel, ich kann nicht fort von der Mutter. Mir eilt's auch gar nicht, 's ist nur so langweilig auf der Welt, seit der Andree fort ist, und wenn der Franz kommt und mir was Neues erzaehlt, oder auch nur da auf die Bank hinsitzt und mich verliebt anschaut und sich dabei die Nasenspitze fast verbrennt mit dem Pfeifel, hab' ich doch dabei was zu lachen. Die andere hoerte das still mit an. Sie begriff nicht, wie einem die Liebe so lustig vorkommen koenne. Darueber ward es Fruehling, die Wiesen waren laengst wieder gruen, die Kastanienbaeume trugen frische Sprossen, und die Passer rauschte mit so hohen Schneewassern unten am Damm vorbei, dass man den Laerm bis oben in dem kleinen Hause auf dem Kuechelberge donnern hoerte und die letzten Naechte der schwarzen Moidi auch fuer ihre arme Tochter schlaflos vergingen. Sie hatte dem Bruder nicht gemeldet, dass es mit der Mutter truebselig stehe. Sie wusste, er werde doch nicht kommen, und auch die Mutter bezeigte kein Verlangen, ihn vor ihrem Ende noch einmal zu sehen, obwohl sie seinen Namen in ihren Fiebertraeumen oft genug nannte. Ja, er war fast das letzte Wort, das von ihren Lippen kam, als sie in einer stuermischen Aprilnacht nach schwerem Kampfe verschied. Ihrem Kinde graute, mit der Toten die einsame Wohnung zu teilen. Sie drueckte ihr die Augen zu, betete ein paar Vaterunser und den englischen Gruss und schlich dann hinaus mit klopfendem Herzen in die gewitternde Fruehlingsnacht. Da stand sie droben und sah in das weite Etschtal hinaus, wo ueber den hochgehenden Stroemen das wetterleuchtende Nachtgewoelk hinjagte, und fuehlte sich so armselig und allein, dass sie in bitterliches Weinen ausbrach. Ein heftiger Zorn auf Andree ueberkam sie. Er konnte jetzt wohlgeborgen in seiner Klosterzelle sitzen und die hilflose Schwester, die niemand in der Welt lieber hatte als ihn, unter allen Schrecken und Noeten ihres jungen Lebens allein lassen! --Der Regen rauschte staerker herab, und der Wind strich kalt um die freien Berglehnen. Zitternd tappte das verwaiste Maedchen an den Waenden entlang bis in, den Schuppen, wo Andree als Knabe sein Lager gehabt hatte. Da in der Finsternis legte sie sich auf dieselbe Stelle, und wie sie daran dachte, musste sie heftiger weinen und schlief endlich schluchzend, hungrig und in aberglaeubischem Grauen vor der Naehe der toten Mutter auf dem Maisstrohlager ein. Aber sie verschlief mit dem Leichtsinn ihrer achtzehn Jahre alles, was sie quaelte, und als sie spaet am andern Morgen aufwachte, musste sie sich erst besinnen, dass die Mutter wirklich gestorben war. Auch konnte sie, so gern sie es gewollt haette, keine rechte Trauer erschwingen, nur ein unheimliches Gefuehl hielt sie lange zurueck, die Tuer zu oeffnen und das Haus wieder zu betreten. Sie fand aber drinnen den Zehnuhrmesser und ihre Freundin, die Rosine, und war froh, dass ihr alle weitere Sorge abgenommen wurde. Am Tage nach dem Begraebnis sonnte sie sich schon wieder auf der Bank vor dem Hause und lachte hell auf ueber ihre jungen Katzen, die sich mit einem Maiskolben auf dem Boden herumtummelten. Vierzehn Tage spaeter sass sie im leichten Waegelchen neben der Rosel; der Franz auf dem Bock kutschierte; sie fuhren die Vintschgauerstrasse hinauf, und wer ihnen begegnete, stand still, um dem schoenen blonden Maedchen nachzusehen, das in Trauerkleidern dahinfuhr, aber die lustigsten Augen von der Welt in der gruenen Fruehlingslandschaft herumschweifen liess. Erst als sie das alte Kloster droben am Berg liegen sah, auf einem kahlen, dunklen Granitkegel, ringsum nur spaerlicher Baumwuchs, und die Schlucht dahinter schon am fruehen Nachmittag schwarz und schauerlich wie ein Tor der Hoelle, wurde sie still und ernsthaft und sprach kein Wort mehr mit der Rosine, die nicht minder schweigsam zu dem schwalbenumflogenen Glockenturm emporsah. Ein armes Dorf lag unten am Fuss des Abhangs, nicht mehr mit edlen Kastanien, Weingaerten und Feigenbaeumen so lustig umwachsen wie die Doerfer um Meran. Auch das fiel der Moidi aufs Herz. Sie war nie eine Tagereise weit von Hause entfernt gewesen und hatte sich die Welt je weiter weg, je herrlicher vorgestellt. Ganz bloede und traurig stieg sie vom Wagen herab, als sie vor der Tuer der unsaeuberlichen Dorfschenke hielten. Sie mochte nicht erst hinein, sondern trieb die Rosine, sogleich mit ihr den Bergweg hinaufzugehen, um den Bruder noch vor der Nacht zu sprechen. Franz blieb bei den Pferden zurueck. Er war dem Andree schon frueher lieber aus dem Wege gegangen, als dass er ihn gesucht haette. So gingen die Maedchen allein, ihren gleichen, bequemen Bauernschritt, sich an der Hand fassend, aber beide den Kopf gesenkt und ohne ein Wort zu wechseln. Nur als sie dem grauen alten Kloster so nahe gekommen waren, dass sie das Gras sehen konnten, das auf dem Dache wuchs, stand die Moidi ploetzlich still, blickte wie ein furchtsames Kind die kahlen Mauern an und sagte tief atmend: Moechtest du da hausen, Rosel?--Ihre Freundin schuettelte nur den Kopf.--Das Herz wuerde mir's abdruecken, fuhr die andere fort; nichts Gruenes herum, keine Weinrebe, kein Kornfeld. Du wirst sehen, es ist nicht wahr, dass er den Winter ueber hier gewesen ist. Wir finden ihn gar nicht. Wer weiss, wo er steckt in der weiten Welt! Auch darauf erwiderte die Rosine nichts. Sie wusste nur zu gut, dass sie ihn finden wuerden, und fuerchtete sich davor, ohne recht zu wissen, warum. Als sie oben am Klostertor die Glocke laeuteten und den Bruder Pfoertner nach dem Andreas Ingram fragten, nickte der Alte und sah die huebschen Kinder forschend an. Er soll herauskommen, warf die Moidi rasch hin. Es sei ein Bote da von Meran. Aber sagt ihm nicht, wer. Sie setzten sich auf eine steinerne Bank neben der Pforte und warteten. Es ist richtig, Rosel, er ist doch hier; wie er's nur ueberstanden hat! sagte die Schwester. Sie strich sich mit den Haenden ueber die Stirn, die ihr gluehte, und machte sich an ihrem Anzug zu schaffen, um ihre Unruhe zu verbergen. Die Rosine sass still an die Mauer gelehnt, beide Haende im Schoss, die Augen zugedrueckt, als blende sie das Abendrot drueben an den Berggipfeln. Da klang die Pforte wieder, und mit einem Schrei: Andree, gruess dich Gott, ich bin's! stuerzte die Moidi dem Heraustretenden an den Hals. In demselben Augenblick fuhr sie aber erschrocken zurueck. Er war es und war es doch nicht mehr; der eine Winter schien ihn um zehn Jahre gealtert zu haben. Auch blieb er sprachlos vor ihr stehen und sah sie unverwandt mit finstern, angstvollen Augen an, als warte er, dass sie in den Boden versinken moechte wie ein Spukbild, oder er selber aus einem Traume erwachen. Sie hatte sich's wohl spasshaft gedacht, ihn zu necken, wenn sie ihn wirklich in der Kutte saehe. Jetzt war ihr das Weinen naeher als das Lachen. Andree, sagte sie endlich, du schaust mich so wild an. Hab' ich's ungeschickt gemacht, dass ich selber gekommen bin? Da ist auch die Rosel; sagst du ihr nicht einmal "gruess Gott"? Der Franz hat uns gefahren; morgen wollen wir wieder heim, es ist so wuest und traurig hier herum, wie hast du's nur ausgehalten? Freilich, man sieht dir's auch an, ganz hager und blass bist du worden, als haettst du schon einmal unterm Rasen gelegen. Aber es wird schon wieder werden, die Luft ist hier so herb, du musst nun wieder nach Meran kommen, der Zehnuhrmesser will's auch dein Herrn Prior schreiben, das Jahr ist ja noch lang nicht um, und dann wohnst du in unserm Haeusel droben, denn du weisst noch nicht, Andree, die Mutter ist tot. Waehrend sie sprach, hatte sich ihre Beklommenheit wieder geloest und ihre Zuege erheitert, dass es wunderlich war, wie sie das letzte, die Todesnachricht, fast mit lachendem Munde vorbrachte. Er schien sich ebenfalls gesammelt zu haben und sagte jetzt mit seinem alten Ton: Ich danke dir, Moidi, dass du selbst gekommen bist, und dir auch, Rosine. Aber dass die Mutter tot ist, aendert die Sache nicht, und heimkommen und wieder in Meran leben, daran ist kein Gedanke, eher dass ich noch weiter wegkomme, in ein Kloster drueben in Italien, oder gar nach Frankreich hinein. Denn du hast freilich recht, die Luft hier taugt mir nicht. Er sah duester und scheu vor sich hin auf den grauen Felsboden. Andree, fing sie wieder an, du darfst nicht so sprechen, wenn du mich nicht ganz traurig machen willst und boese dazu. Ich hab' gar keine Freud' gehabt ohne dich den ganzen Winter, und jetzt, sobald ich gekonnt hab', hab' ich alles im Stich gelassen und bin zu dir gereist, und nun sprichst du von Weggehen nach fremden Laendern, als wenn ich dich gar nichts anging'. Wenn ich so Reden von dir hoer', koennt' ich fast denken, die Mutter haett' recht gehabt, als sie im Fieber immer vor sich hin redete, du seist gar nicht ihr Kind, sie haett' dich ja nur einer andern abgenommen, um mit einem sauberen Buben Staat zu machen, da sie selber so wuest war. Ja denk, davon konnte sie halbe Stunden lang reden, und wenn ich sehen muss, wie wenig du auf mich haeltst, fang' ich wahrhaftig an zu fuerchten, du waerst gar mein Bruder nicht, weil du so hartherzig zu mir sein kannst. Er war unwillkuerlich einen Schritt zurueckgetreten und starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Moidi! stammelte er mit schwerer Zunge, ist das wahr? Kannst du's beschwoeren, dass das wahrhaftig der Mutter Reden gewesen sind? Sie suchte seine Hand zu ergreifen und wurde von neuem traurig, als er sie ihr hastig entzog. Er warf einen scheuen Blick auf Rosine, die vor dem Baenkchen stehen geblieben war, um die beiden erst allein sich unterreden zu lassen. Dann sah er wieder die Moidi mit einem Blicke an, der sie zittern machte. Rosel, sagte er jetzt, ich hab' mit der Moidi was zu sprechen, wir sind gleich wieder zurueck.--Damit winkte er der Schwester, dass sie mit ihm gehen solle, schritt eilig um die Ecke der hohen Klostermauer und trat durch eine andere Tuer in einen Krautgarten, wo nur drueben unter den Apfelbaeumen ein dienender Bruder grub und pflanzte. Sein Wesen war ploetzlich verwandelt, sein Gesicht gluehte ueber und ueber, er schien wieder um zehn Jahre verjuengt und schritt ruestig aus, wie damals, als er unter den Weinlauben die Wacht hatte. Jetzt, da sie allein in dein Gaertchen standen, wandte er sich zu ihr um. Moidi, sagte er mit zitternder Stimme, sag das alles noch einmal, was du von der Mutter gehoert hast, alles, und so lieb dir deine Seligkeit ist, tu nichts davon, noch dazu; Tod und Leben haengen daran. Er hatte jetzt ihre Hand ergriffen und drueckte sie fieberhaft. Ich weiss nicht, wie wunderlich du redest, sagte sie gelassen. Was ist es denn, wenn sie es auch gesagt hat? Und gesagt hat sie's freilich, Wort fuer Wort und mehr als einmal. Aber du weisst ja, dass sie einen Hass auf dich hatte. Vielleicht hat sie's nur gesagt, damit du keinen Teil an der Erbschaft bekaemst, weil sie mir alles allein goennte. Vielleicht war's auch nur so ein Geschwaetz, weil sie Reue hatte ueber das Boese, das sie dir ihr Lebtag angetan. Sie hat sich selber einreden wollen, du waerst ein fremdes Kind gewesen, weil sie dich nicht wie ihr eigenes gehalten hat. Was liegt aber daran? Besinne dich, draengte er; hat sie nicht gesagt, wer ihr das Kind uebergeben hat? Ist kein andrer dabei gewesen, als sie's gesagt hat? War's immer im Fieber, oder auch wenn sie nachts aufgewacht ist und geglaubt hat, du schliefest, und sie sprach dann mit sich selbst, wie sie ja auch sonst getan hat, als der Vater noch lebte? Wer dich zu ihr gebracht hat? Nein, davon hat sie nie geredet, erwiderte das Maedchen und suchte sich ernsthaft auf alles zurueckzubesinnen. Aber wart, es faellt mir ein, dass der Zehnuhrmesser einmal an ihrem Bette gesessen ist, als sie grad' wieder so irre sprach, und da ist sie aufgefahren und hat ihre Kleider begehrt, sie wollte zum Herrn Dekan hinunter, zum Gericht, bis an den Kaiser wollte sie gehen, dass es ueberall ausgerufen wuerde, du seiest nicht ihr Sohn. Ich kam aus der Kueche hereingelaufen, da sah ich, wie der hochwuerdige Herr ganz erschrocken bei ihr stand und sie zurueckhielt, und als er mich eintreten sah, hat er sich zu ihr niedergebeugt und ihr lange was ins Ohr gesagt, was ich nicht hab' verstehen koennen; darauf ist sie still geworden. Ob es im Fieber gewesen war oder sonst so in der Einbildung, was kann es dich kuemmern, Andree? Und wenn's wirklich so waere, musst du mich darum nimmer liebhaben? Sind wir nicht doch wie Bruder und Schwester gewesen, seit wir denken koennen, und nun waer's auf einmal aus mit uns beiden? Schau, Andree, ich koennt' mich nit so aendern. Und wenn's der Kaiser selbst ausrufen liesse, wie's die Mutter gewollt hat, du bliebst doch allezeit mein Bruder, und das Haeusel waer' dein und der Weinberg und alles. Zudem, ich werde doch nicht da wohnen bleiben. Denn du musst nur wissen, ich hab' mich mit dem Hirzerfranz versprochen, und auf den Herbst halten wir Hochzeit, und ich wohne dann droben auf Goyen. Du bist doch nicht boes darueber, dass ich dich nicht erst gefragt hab'. Sie wagte ihn nicht anzusehn, als sie das sagte, sie wusste selbst nicht warum, aber es schien ihr in diesem Augenblick wie eine schwere Suende, dass sie dem Franz ihr Wort gegeben, und sie haett' es gern ungeschehen gemacht; denn sie wusste ja, dass er mit ihrem Bruder nicht gut Freund war. Sie stand zitternd und demuetig wie ein Kind, das gescholten zu werden erwartet. Doch als er immer noch schwieg, wurde es ihr nur banger und trauriger ums Herz. Sie haette lieber gescholten sein wollen, und sich dann verteidigen und ihn endlich wieder gut machen. Aber die toedliche Stille zwischen ihnen war ihr schauerlich, und endlich traten ihr die grossen Tropfen in die Augen und rollten ueber das junge Gesicht. Da brach er das Schweigen. Moidi, sagte er, hast du's gern getan, oder haben sie dir so lange zugeredet, ihn zu nehmen, bis du endlich ja gesagt hast? Sie sah schuechtern und immer noch weinend zu ihm auf Ach Andree, sagte sie, verzeih mir's nur. Ich weiss selber nicht, wie es gekommen ist. Sie haben mich nach Goyen hinaufgeholt, als die Mutter tot war, und da hab' ich bei der Rosel geschlafen und war wie 's Kind im Haus. Und die Tante Anna hat auch gesagt, der Franz waer' ein braver Bursch, und wenn ich ihn naehm', waer's fuer alle das beste, zumal da er so unsinnig vernarrt tut, und du warst ja nicht da, dass ich dich haette fragen koennen. Und wenn ich nein gesagt haette, wuerdst du dich daruin gegraemt haben? fragte er hastig. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und sah ihn mit ruehrender Heiterkeit und Liebe an. Ich hab'ihn ja nicht so lieb wie dich, sagte sie, und tu' lieber, was du mir sagst, als was er von mir bittet. Nun ist es ein mal so gekommen, Andree, und es gaeb' eine neue Todfeindschaft, wenn ich jetzt kaem' und sagte: Ich mag ihn nicht. Sei nur wieder gut und komm selber herueber, die Tante Anna laesst dich so vielmals schoen gruessen und es verlangte sie sehr, dass du kaemst, sie haett' dir viel zu sagen, und ich mein', so heilig sie ist, waer' sie doch gar froh, wenn du die garstige Kutte wieder auszoegst, in der du gar nimmer wie der schmucke Andree ausschaust, der du ehemals gewesen bist. Tu mir's zulieb', ich hab' doch keine Freud', wenn ich denken muss, du lebst hier so traurig, und wenn dir was zustoesst, Krankheit oder so, bin ich nicht da, fuer dich zu sorgen. Versprich mir's, Andree, dass du wenigstens zur Hochzeit hinunterkommen willst und alles mit der Tante bereden. Sie streichelte ihm bei diesen Worten zutraulich das Gesicht, und er duldete es mit eingedrueckten Augen, waehrend ein leises Zittern seines Mundes den inneren Kampf verriet. Kein Wort mehr jetzt! brach er endlich schweratmend heraus. Ich komme morgen frueh ins Wirtshaus hinunter, dich noch einmal zu sehn. Dann sag' ich dir, was werden soll. Tu deine Haende weg von meinem Gesicht. Sei guten Muts, Moidi. Es wird alles werden, wie Gott will. Hab gute Nacht! Er sah sie nicht mehr an, sondern entzog sich ihr rasch, ging durch den kleinen Garten den Klostergebaeuden zu und verschwand in der Tuer, ohne nur nach ihr umzublicken. Sie aber sah ihm nach in schweren Gedanken und dachte an die wenigen Worte, die er zu ihr gesagt, ob sie nicht erraten koenne, wie er es meine, und was er vorhabe. Kopfschuettelnd und in grosser Betruebnis verliess sie endlich den Garten und suchte die Rosel wieder auf, die in aengstlichem Kummer draussen gewartet hatte. Dass die Moidi allein kam, der Andree nicht einmal daran dachte, ihr eine gute Nacht mitzugeben, schnitt ihr durchs Herz. Ich weiss nicht, was er hat, sagte die Blonde. Ich hab's wohl gewusst, ihm ist's nicht halb recht, dass ich den Franz nehme. Aber was soll ich machen? Morgen in der Frueh will er hinunterkommen und mir Bescheid sagen. Er hat mich kaum angeschaut, und von Heimkehren will er nichts wissen. Wenn ich nur wuesst', warum ich mir's so annehmen muss? Ich koennt' ihn ja machen lassen und auch tun, was ich will, ohne ihn zu fragen. Aber ich bin's so gewohnt gewesen, solange ich denken kann, und er war immer gut zu mir. Ach, warum hat alles so kommen muessen! In solchen fruchtlosen Reden stiegen sie miteinander den Berg hinab, und der Rest des Tages verging beklommen und einsilbig. Der Franz war nie ein grosser Redner gewesen, und was mit dem Andree geschehen wuerde, kuemmerte ihn nicht im geringsten. Er rauchte und trank noch wohlgemut mit den wenigen Bauern in der Schenkstube, als die Maedchen schon lange in ihren Betten lagen. Freilich schlief nur die eine, die Moidi. Rosine tat die ganze Nacht kein Auge zu. Als der Tag noch lange nicht graute, hoerte sie einen Schritt draussen ueber den Hof kommen und sich dem niedern Fenster ihrer Schlafkammer naehern. Die Hunde schlugen an, wurden aber sogleich beschwichtigt. Ihr klopfte das Herz, und sie sprang eilig aus dem Bett in banger Ahnung. Die Moidi schlief ruhig fort. Die Schritte hielten richtig am Fenster still, und eine Hand pochte leise an die Scheiben. Moidi! rief die wohlbekannte Stimme. Ich bin wach, Andree, erwiderte das Maedchen verstohlen; die Moidi schlaeft noch. Soll ich sie wecken? Tu's, Rosel. Sie soll sich fertig anziehen und geschwind machen; ich hab' ihr noch viel zu sagen, eh' ihr heimfahrt. Eine Viertelstunde verging, dann oeffnete sich leise die hintere Tuer der Schenke, und die Moidi trat heraus, das Gesicht zwischen Verschlafenheit, Neugier und Furcht gegen den Bruder gewendet. Guten Tag, sagte sie. Du kommst aber frueh. Wenn du nur Gutes bringst, Andree, wird's mich schon munter machen. Tu deinen Mantel um, sagte er statt aller Antwort. Es ist frisch, und du bist die Luft hier nicht gewohnt. Wir wollen ein paar Schritte weit gehen. Sie gehorchte willig und trat lachend in der winterlichen Vermummung wieder zu ihm hinaus. Das Schweigen ringsum, der fremde Ort, die naechtliche Oede ueber den Bergen, der Bruder ihr gegenueber in der Kapuzinerkutte, alles kam ihr abenteuerlich vor und weckte ihre alte Lachlust. Sie zog einen Zipfel des faltigen Mantels ueber den Kopf. Jetzt bin ich deine Kapuzinerin, sagte sie und nickte ihm mutwillig zu. Er fasste ihre Hand und ging schweigend mit ihr durch den Hof. Die Pferde im Stalle ruehrten sich, das Federvieh straeubte die Fluegel, ein junger Hahn kraehte voreilig den Morgen an. Die Menschen aber in den niedrigen Huetten schliefen noch, bis auf eine arme junge Seele, die in Schmerzen durch das truebe Fenster in den Hof starrte und sich mit schweren Seufzern, gluehend und froestelnd wieder zu Bett legte, um den Tag heranzuwachen. Die Sonne stand aber schon hoch, und noch waren die Geschwister nicht zurueck. Der Hirzerfranz sass mit gerunzelter Stirn im Schenkzimmer hinter der Flasche, lief alle Augenblicke auf die Strasse hinaus, ob von seiner Braut noch immer nichts zu erspaehen sei, und schirrte endlich die Pferde wieder ab, mit drohenden Fluechen gegen den Andree. Die Rosel sprach kein Wort, es war ihr zum Sterben traurig ums Herz; es mochte nun geschehen, was da wollte, fuer sie war es mit aller Freude und Hoffnung vorbei. Endlich gegen zehn Uhr brachte einer der Klosterbrueder einen Brief, den Andree schon in der Nacht an die Rosel geschrieben, drin stand, dass er einen Bussgang zu einem Gnadenbilde gelobt habe, fuer die Seele seiner Mutter zu beten. Er denke wohl, die Moidi werde ihn begleiten, sie sollten daher ihre Zurueckkunft nicht abwarten, sondern nach Haus fahren. Seinerzeit werde sie schon wieder in Meran eintreffen. Als der Franz den Brief gelesen hatte, schlug er mit der Faust auf den Tisch, dass die Glaeser klirrten, und wollte im ersten Jaehzorn auf und davon und dem Andree nachsetzen. Da aber die Kirche, zu der sich der Buesser verlobt, nicht in dem Brief angezeigt war, auch der Kapuziner nichts anderes wusste, als dass der Prior dem Bruder Andreas Urlaub gegeben habe, musste der Grimm und Hass des Burschen sich auf eine spaetere Gelegenheit vertroesten und einstweilen an den Rueckzug denken. Es war eine harte Reise fuer die arme Rosine, neben dem zornmuetigen Bruder, der immer von neuem gegen den heimtueckischen Verfuehrer loswuetete und sich hoch verschwor, wenn die Moidi erst seine Frau sei, dem Andree die Tuer zu verschliessen, wie es auch sein Vater all die Jahre her gehalten habe. Er habe gleich Einspruch getan gegen die dumme Reise zu dem nichtsnutzigen Findling, da er ja nicht einmal sein rechter Schwager werden wuerde. Aber die Weiber haetten sich's in den Kopf gesetzt, die Tante Anna an der Spitze. Ein Narr sei er gewesen, dass er nachgegeben habe. Aber die Moidi wuerde es noch zu hoeren bekommen, und der Tante schenk' er es auch nicht. Vor allem aber sei sie, die Rosine, daran schuld; sie haette schon am Morgen nicht leiden duerfen, dass er mit der Moidi abzog--und dann eine Flut von bruederlichen Scheltreden, die freilich der Schwester nicht tief gingen. Denn ein viel haerterer Kummer hatte ihre Seele gepanzert. Der Sommer kam, die Reben am Kuechelberg hatten laengst abgeblueht, und die Weinbeeren schwollen und roeteten sich, die erste Feigenernte war vorueber, und noch immer blieben die beiden Wallfahrer aus. Als auch die Weinlese verging und keine Spur der Entflohenen irgendwo zu Tage kam, gab es wenige, die noch geglaubt haetten, sie wuerden ueberhaupt jemals wieder auftauchen. Da niemand so recht sich vorstellen konnte, was den Andree in die Welt hinausgelockt habe, auch die meisten an seinem Tun und Lassen nur geringen Anteil genommen hatten, war bald von dem Schicksal der Geschwister nicht mehr die Rede. Anfangs freilich hatte man viel darueber hin und her geraetselt. Denn das befremdlichste war nicht die vorgespiegelte Wallfahrt, da die Tiroler ein busswanderungslustiges Voelkchen sind, sondern dass eine Stunde ueber das Kloster hinaus jede Spur der beiden jungen Leute wie weggeblasen war. Der Ziegenhirt des Dorfes hatte sie noch gesehen, wie sie langsam und in eifrigem Gespraech einen Saumpfad die Hoehen hinangingen. Das Paar war auffallend genug, der blasse junge Novize mit dem ernsthaften Gesicht und das schoene blonde Maedchen im Bauernmantel an seiner Seite. Und doch als nach einigen Wochen auf des Zehnuhrmessers Andringen in den naechsten Gebirgsdoerfern nachgeforscht wurde, wohin die zwei ihre Schritte gelenkt haetten, entsann sich kein Schankwirt und kein Bauer, dass ein solches Paar an seine Tuer geklopft habe. Die Hilfe der Landpolizei wurde in Anspruch genommen, mit nicht besserem Erfolg. Die Geschwister blieben verschwunden, als haette sich der Berg gespalten, um sie fuer immer in seinen geheimen Kammern dem Blick der Menschen zu entziehen. Als diese wundersamen Nachrichten von dem kleinen Hilfspriester auf Schloss Goyen hinaufgetragen wurden, erregten sie einen Aufruhr der verschiedensten Leidenschaften. Nur der alte Hirzer trank ruhig seinen Wein aus und sagte, es sei ihm lieb, dass er nun hoffentlich von der ganzen Ingrams-Sippschaft sein Lebtag kein Wort mehr hoeren werde. Wenn das leichtsinnige Ding, die Moidi, sich je unterstuende, wieder ueber seine Schwelle zu treten, so solle sie ihn kennenlernen--und ein Fluch dazu, mit dem er sonst in der Naehe des Zehnuhrmessers sich nicht gern versuendigte. Dem Sohn befahl er gleich morgenden Tags sich aufzumachen und um eine reiche junge Witwe in der Nachbarschaft zu freien, deren Gueter ihm gerade bequem lagen. Franz nahm die Sache nicht so kaltbluetig auf Die Moidi hatte es ihm wirklich angetan; sie war der einzige Gedanke, der seine traege Natur jemals in Flammen gebracht hatte. Also liess er den Befehl des Vaters einstweilen auf sich beruhen und lueftete seinen Grimm auf alle erdenkliche Art, so dass die Seinigen viel Not mit ihm hatten. Die Tante Anna verschwand auf mehrere Tage in ihrer Kammer, legte Trauerkleider an, denn es stand ihr fest, dass die beiden verunglueckt seien, wo sie nicht gar Hand an sich selbst gelegt haetten, und so weinte sie Tag und Nacht und wollte niemand sehen als den hochwuerdigen Herrn und die Rosine. Mit dieser stillen Dulderin sass sie schlaflose Naechte hindurch am Herde, einen Rosenkranz zwischen den blassen Fingern, halb im Gebet, halb im Gespraech die Stunden hinbringend. Das Maedchen allein blieb steif und fest dabei, dass die beiden noch am Leben seien, und suchte es der Tante immer wieder glaubhaft zu machen. Dass sie freilich je wiederkommen wuerden, hatte sie seit dem Abschied im Vintschgau keinen Augenblick mehr geglaubt. Am gelassensten blieb trotz seiner alten seelsorgenden Freundschaft der kleine geistliche Herr. Ja, es schien foermlich, als waere ihm durch diese Selbstverbannung seines Zoeglings eine Last vom Herzen genommen. Er sprach noch immer fleissig vor auf Goyen, hoerte jeden nach seiner verschiedenen Gemuetsart mit Wohlwollen an, sprach ueberall zum Guten und wusste das Gespraech bald auf die heurige Lese und die Hoffnungen auf einen ausgesucht edlen Jahrgang zu lenken, ein Gegenstand, den er mit tiefster Wissenschaft ergruendet hatte und selbst den theologischen Eroerterungen mit der Tante Anna entschieden vorzog. Und so war es hoher November geworden, das leere Haus oben auf dem Kuechelberg stand winterlich zwischen den kahlen Rebengaerten, unten in der Stadt Meran wogte das geschaeftige Treiben eines der jaehrlichen Schlacht- und Viehmaerkte durch die engen Gassen, das Samstagsgelaeut war verhallt, und der Zehnuhrmesser, der den Abend nicht mehr auszugehen dachte, hatte seine alte Geige von der Wand genommen, um in der Daemmerung noch ein Stueck vor sich hin zu phantasieren, ehe die Magd mit dem Nachtessen ihm das Licht heraufbrachte. Der Kater lag behaglich schnurrend im Lehnstuhl, ein erstes Feuerchen knisterte im Ofen, da die Nacht kuehl zu werden versprach, vom Fenster her, wo ein paar schoene Geraniumtoepfe standen, kam ein suesser Duft, den die feine Nase des geistlichen Herrn behaglich einsog, und waehrend er in den gluecklichsten Flageolettoenen alle Waldvoegel auf seiner Geige ueberbot und taktmaessig zwischen seinen niedrigen vier Waenden auf und ab schritt, hatte er so seine gottwohlgefaelligen Gedanken, wie ihm doch eigentlich zur vollkommenen Glueckseligkeit nichts Wesentliches mangle, zumal da ihm einer seiner Amtsbrueder drunten in Sankt Valentin eine Probe des kostbaren Roten heraufgeschickt hatte, den die frommen Brueder in ihrem sonnigen Tal am Fuss des Ifinger ziehen, und der heute abend sein bescheidenes Mahl verherrlichen sollte. Da klopfte es an seiner Tuer, und in der Meinung, es sei eben nur die Magd mit dem Gast von Sankt Valentin, rief er "Herein!", ohne sein Spiel zu unterbrechen. Aber der Bogen fiel ihm fast aus der Hand, als die Tuer aufging und wie ein Schatten aus einer andern Welt die Gestalt des verschollenen Andree vor ihm stand. Erschrecken Sie nicht, Hochwuerden, ich bin's, sagte der Juengling, indem er vollends hereintrat. Da sehen Sie, der Kater kennt mich wieder, der wuerde wohl das Fell straeuben, wenn ich nur ein Spuk waere. Ich haette mich angemeldet, aber von wo wir kommen, gibt's halt keine Briefpost. Er beugte sich zu dem schmeichelnden Tier herab, um seine Bewegung zu verbergen. Es war eine Weichheit und Sanftmut in seinem Wesen, die ihn ganz verwandelt erscheinen liessen. Der geistliche Herr war mitten im Zimmer stehen geblieben; es ueberlief ihn kalt und heiss. Alles, was er in der ersten Bestuerzung sagen konnte, war: Und die Moidi? Sie ist auch hier, Sie sollen alles wissen, denn ich habe niemand als Sie, und wenn Sie mir nicht raten koennen, bin ich ein elender Mensch in dieser und in jener Welt. Indem hoerten sie die Schritte der Magd auf der Treppe, und waehrend die Alte, die den Andree mit nicht geringerem Schrecken, aber freudiger, wiedererkannte, den Tisch zum Nachtmahl ruestete, die Kerze hinstellte und ihrer Ueberraschung in wunderlichen Ausrufungen Luft machte, hatten die beiden Maenner Zeit, sich zu sammeln und auf das Gespraech, das nun folgen sollte, im stillen vorzubereiten. Die Magd ging zoegernd wieder hinaus. Sie haette gern auf hundert Fragen Bescheid gehabt. Indessen fuerchtete sie sich vor der ungewoehnlich feierlichen Miene ihres hochwuerdigen Herrn, der hinter dem Tische Platz genommen hatte, sich oefters die Stirn mit dem bunten Taschentuch trocknete und stumm das erste Glas des roten Valentiners einschenkte, aber ohne es mit dem gewohnten Kennerzug an die Lippen zu fuehren. Denn seine Zunge war bitter von dem Vorgeschmack vieler unliebsamer Worte, die nun in der naechsten Zeit gesprochen werden mussten. Andree aber brach das Schweigen und sagte: Sie verzeihen wohl, hochwuerdiger Herr, wenn ich mich setzen muss. Aber wir sind heut vierzehn Stunden ueber die Berge gewandert, und dazu die Angst und Not mit dem armen Weib, und Hunger und Kummer,--die Knie wollen mich nimmer tragen. Wenn Sie wuessten, Hochwuerden, was wir ausgestanden haben, so saehen Sie wohl nicht so strenge von nur weg, denn Sie sind allezeit ein barmherziger Herr gewesen und haben keinen reuigen Suender ohne Trost und Staerkung von sich gelassen. Der kleine Seelsorger schien von diesen demuetigen Worten getroffen zu werden. Er hob das Glas, liess es erst gegen die Kerze in seiner roten Glut spielen, trank einen bedaechtigen Schluck, und reichte es dann seinem Zoegling, dem er jetzt zum erstenmal gerade ins Gesicht zu sehen wagte. Trink einmal, Andree, sagte er; du wirst's brauchen koennen. 's ist Valentiner aus den besten Lagen, kaum vier Wochen von der Kelter weg, ich hab' ihn heut erst bekommen. Andree nahm das Glas, trank es mit einer ehrerbietigen Verbeugung gegen den geistlichen Herrn auf einen Zug aus und sagte, indem er es wieder ueber den Tisch reichte: Ich dank' Ihnen, Hochwuerden. Aber was ich fragen wollte, und worauf Sie mir vor Gottes Angesicht antworten muessen: Bin ich der Maria Ingram--Gott hab' sie selig!--ihr Sohn, oder bin ich's nicht? Damit war er wieder aufgestanden, trotz seiner Erschoepfung litt es ihn nicht in der Ruhe, er stemmte die geballten Faeuste beide auf einen Teller, der vor ihm stand, und heftete den traurigen Blick gespannt auf das Gesicht seines geistlichen Freundes, der in nicht geringer Unruhe auf seinem Armsessel hin und her rueckte. Mein Sohn, sagte er jetzt, wenn du mir versprechen willst, keine weiteren Fragen zu tun, will ich die eine dir beantworten: Deine Mutter hat nur ein Kind zur Welt gebracht, die Moidi. Nun du das weisst, gib dich ueber alles andere zufrieden; denn mehr zu sagen, verbietet mir mein kirchlicher Gehorsam, und wuerde dir auch zu nichts frommen. Die Spannung auf dem Gesicht des jungen Mannes liess ploetzlich nach, und die Zuege wurden nur kummervoll und hoffnungslos. Ich dank' Ihnen, sagte er, aber es hilft mir nicht viel, denn das hab' ich schon gewusst. Auch wenn mir's niemand gesagt haett', meine Mutter koennt's nicht gewesen sein. Und ich wuerde mich auch damit zufriedengeben, denn am Ende, wenn meine Eltern ohne mich fertig werden koennen, muss ich mich wohl auch ohne sie behelfen lernen, und hab's schon lange genug getan. Aber das arme Weib, Hochwuerden, das Tag und Nacht keine Ruh' hat, weil sie meint, es waer' alles nur gelogen von der Mutter, weil sie mich zu sehr gehasst hat, und von mir, weil ich meine Schwester zu lieb gehabt haette--nein, Hochwuerden, da hilft nichts als Brief und Siegel, sonst fuercht' ich, sie macht's nimmer lang, denn es ist gar erbaermlich, wie sie sich's zu Gemuete gezogen, und Sie wissen wohl, sie hat eine schwache Stelle irgendwo in ihrem Kopf, mit der nichts anzufangen ist. Er setzte sich wieder mit dem Ausdruck tiefer Ermuedung. Der Hilfspriester ass und trank mechanisch, mehr um seine Verwirrung zu verbergen, als weil ihn die Speisen gelockt haetten, von denen er keinen Bissen schmeckte. Erzaehl erst, sagte er, wie's so weit gekommen ist. Hernach wollen wir dann schauen, was sich noch gutmachen laesst. Wo hast du die Monate her gesteckt, dass kein Hahn nach dir kraehen konnte? Nicht in der Kutte, hochwuerdiger Herr, sagte der Bursch, und seine Zuege heiterten sich in der Erinnerung an gefaehrliche und listige Abenteuer ein wenig auf. Sehen Sie, fuhr er fort, als mir die Moidi zuerst sagte, ihre Mutter habe mich als einen Findling oder Gott weiss woher von der Alm mit heruntergebracht, da war mir's, als kaeme ich ploetzlich aus gluehenden Ketten und Banden los, die ich allezeit mit mir geschleppt hatte, und die auch im Kloster droben nicht von mir abfallen wollten. Denn nicht einmal in der heiligen Beicht' hat mir's ueber die Zunge gewollt, was ich die letzten Jahre her von wegen der Moidi ausgestanden hab', und dass ich's nicht ueberleben wuerde, wenn ein anderer sie heimfuehrte. Und das wusst' ich ja wohl, dass es eine Todsuende war, wenn ich wirklich der Sohn ihrer Mutter gewesen waere; und doch konnt' ich's nicht von mir abtun, denn es war staerker als mein bisschen Verstand und Religion und alles, was ich von Ihnen gelernt und in den heiligen Buechern gelesen hatte. Als ich's aber mit Haenden greifen konnte, dass ich mich die langen Jahre unnuetz abgehaermt hatte und gar nichts Suendhaftes dabei sei, wenn ich das Maedchen lieber als mein Leben haette, da bin ich ploetzlich ganz lustig in mir geworden und hab' mir sogleich vorgesetzt, mein muesst sie werden, und wenn der Kaiser selbst uns wollt' auseinanderreissen lassen. Denselben Abend aber hab' ich mir noch nichts merken lassen, nur wie ich in meiner Zellen gesessen bin, da haett' ich singen und jauchzen moegen so laut, dass man's bis nach Meran hinunter haette hoeren sollen. Ich hab' aber allerhand Sachen herzurichten gehabt, auch den Brief geschrieben an die Rosine, und so ist die Nacht auch endlich herumgegangen. Und dann, da es noch kaum daemmerig war, stand ich schon unten und holte das arme Ding ab, das keine Ahnung hatte, was werden sollte. Ich tat auch zu Anfang ganz vernuenftig, bis wir ein paar Stunden weit weg waren, redete immer von der Wallfahrt, und sie war nicht boese drueber, dass ich sie mit mir nahm. Denn sie haette gern noch ein Stueck weiter in die Welt hineingeschaut. Als wir aber hoch oben zwischen den Bergen waren und sie immer neugieriger fragte, wo's denn hinginge, liess ich sie ein wenig niedersitzen ins Moos, trat hinter einen Felsen und kam gleich darauf wieder hervor, aber nicht mehr als Kapuziner, sondern in der Jacke und Hosen und allem, wie ich's getragen hatte in der Nacht, als ich von Goyen wegfloh; denn die Sachen, die dem Franz gehoerten, hatte ich noch immer nicht wieder zurueckgeschickt. Da lachte sie erst ueber die Massen und sagte, ich gefiele ihr viel besser so als in dem langen Klosterrock, und wir assen zusammen auf, was ich heimlich mitgenommen hatte. Dann aber wurde sie auf einmal still, und ich musste ihr wohl ganz besonders vorkommen, denn sie nahm mich scharf ins Gebet, und als ich endlich in meiner Herzensfreude damit herausplatzte, ich wuerde nimmermehr in die Kutte zurueckkriechen, auch gar nicht wallfahrten gehen, sondern sie als mein Weib in die weite Welt entfuehren, erschrak sie gewaltig und fing heftig an zu weinen. Ich aber gab ihr die besten Worte und blieb ganz ruhig, damit sie nur nicht wieder einen Anfall bekaeme von ihren alten Kraempfen; und so, waehrend ihr die Traenen immer langsamer flossen, setzte ich ihr auseinander, dass es gar nicht anginge, erst wieder nach Meran zu gehen und bei Pontius und Pilatus anzufragen, ob sie auch nichts dagegen haetten. Das gaebe einen noch viel groesseren Laerm, als wenn wir gar nicht wiederkaemen, und wenn wir endlich doch einmal Heimweh nach unserm Haeusel erleiden sollten und kaemen in Meran wieder zum Vorschein als Mann und Frau, so muessten's eben alle hinnehmen, wie's waere. Sie sollt' nur einmal an den alten Hirzer denken und den Franz, wie die aufbegehren wuerden, wenn ich ploetzlich vor sie hintraete und sagte: Die Moidi ist mein, und ich geb' sie nimmer heraus. Und die Tante Anna und der Herr Dekan und die ganze Stadt, die uns so lang' als Bruder und Schwester gekannt hatten, und das Geschrei und Geschreibe beim Amt und allen Teufeln! Und zuletzt spielt' ich den besten Trumpf aus und sagte: Wenn ihr freilich der Franz lieber waere als ich, so moecht' sie's nur dreist sagen, es waer' noch nicht zu spaet, umzukehren und dann Abschied zu nehmen auf Nimmerwiedersehen. Da hielt sie's nicht laenger aus und fiel mir uni den Hals und rief unter Lachen und Weinen, dass sie keinen andern Willen haette als den meinigen, und hernach half sie mir selbst grosse Steine ueber die Kutte waelzen, dass niemand sie finden und unsern Weg darnach aufspueren sollte. Und denselben Tag sind wir noch viele Stunden weit gewandert, seelenvergnuegt und immer in der Einsamkeit, und haben manchmal zurueckgeschaut nach der Gegend, wo Meran liegen musste, und ueber den Franz unsere Schadenfreude gehabt, der nun ohne Braut nach Hause fahren und den Spott aller Leute erdulden musste. Ich hab' auch wohl an Sie gedacht, Hochwuerden, dass Sie mir's uebelnehmen koennten, und an meine Pate und die Rosel, die es immer gut mit mir gemeint haben. Aber das hielt nicht lange vor. Denn wenn ich die Moidi neben mir ansah, die ich nun herzen und kuessen durfte, soviel ich wollte, und die geduldig dazu stillhielt--nun, Sie koennen das freilich nicht wissen, Hochwuerden, wie's einem ist, wenn er mit seinem Schatz so mutterseelenallein unter freiem Himmel hinwandert; aber wenn Sie es auch einmal so gut gehabt haetten, zumal nach so langer Not, wuerden Sie uns beiden die Suende nicht so schwer anrechnen, sondern uns das bisschen Glueck wohl goennen, das so nicht lange gedauert hat.-Er verstummte wieder und sah traurig vor sich hin. Der Hilfspriester schob den Teller zurueck, seufzte einmal recht von Herzen auf und schenkte das Glas wieder voll, um es seinem Beichtkind hinzureichen. Der Bursch trank, seufzte dann ebenfalls und fuhr in seiner stillen, eintoenigen Weise fort: Die erste Nacht haben wir auf einer Alm geschlafen, wo uns der Senner zu essen gab, auch nicht weiter fragte, wer wir waeren; denn wie es zwischen uns stand, mochte er leicht erraten. Er hat uns auch am andern Morgen versprochen, keiner Menschenseele zu sagen, dass er uns in seiner Huette beherbergt habe, und so gingen wir guten Muts weiter im Hochgebirg und waren noch glueckseliger und verliebter als den Tag vorher. Die Gegend war mir ganz fremd, ich wusste aber, wenn wir immer gegen Westen zu wanderten, kaemen wir zuletzt in die Schweiz, und weil sie da Freiheit haben, zu leben, wie sie wollen, und keine Polizei, dacht' ich einstweilen da zu bleiben, hatte auch keine Furcht, dass sie uns an der Grenze um unsern Pass fragen wuerden; denn wo wir gingen, hoch unter der Schneide der Berge hin, von Sennhuette zu Sennhuette, ist's den Herren Landjaegern zu abschuessig, und wir sind auch kein einzig Mal angehalten worden. Nun muss ich aber noch sagen, dass wir an jenem zweiten Tag an eine Stelle kamen, wo ein steiler Grat mitten aus den Wiesen aufsteigt, weit hoeher als die Muttspitz oder der Ifinger. Da redete ich der Moidi zu, hinaufzuklettern und von da oben in die Welt hinauszuschauen. Ich hatte aber eine Absicht dabei; denn um die Ferner und Schneefelder war mir's gar nicht zu tun. Auf der Spitze naemlich stand ein Kreuz, und hing auch der Herr Christus daran, ein grobes Schnitzwerk, wie's einmal ein Senner mit dem Brotmesser zustande gebracht haben mochte. Mir aber war's gut genug. Denn als wir droben waren und die Moidi still und zufrieden um sich schaute, nehm' ich sie sacht bei der Hand und knie mit ihr vor dem Kreuz hin. Zuerst beten wir miteinander, hernach wollte sie aufstehen. Ich aber sag': Bleib noch knien, Moidi; 's ist noch nicht zu Ende. Und da fang' ich an und sage auf Lateinisch alles her, was notwendig ist, um eine richtige Ehe zu schliessen, und hernach zieh' ich ihren silbernen Ring vom Finger und geb' ihr den meinigen dafuer und lege meine Hand auf ihren Kopf und ihre auf meinen, waehrend ich den Segen spreche; ich dacht' eben, man muss sich zu helfen wissen, und wie's eine Nottaufe gibt, mag's ja auch einmal eine Nottrauung geben, nichts fuer ungut, Hochwuerden, und spaeterhin koennt's immer noch ordentlich und richtig gemacht werden. Sie mochte das auch bei sich denken, denn sie liess mich machen, was ich wollte, und kniete andaechtig vor dem Kreuz. Wie ich nun mit meinem Latein zu Ende war, kuesste ich sie von Herzen und sagte: Nun bin ich dein Mann und du bist mein Weib, und nur der Tod soll uns scheiden!--Sie nickte, und das Herz lachte ihr aus den Augen, und darauf standen wir von den Knien auf und blieben noch eine Weile droben stehen, und es war uns wundervoll zu Mut in der grossen Stille und Heimlichkeit, wie wir da mitsammen an die hundert Meilen weit auf Laender, Staedte und Fluesse hinuntersahen, und niemand war bei uns als unser Herrgott, vor dessen Angesicht wir uns eben Treue bis in den Tod gelobt hatten. Sie kennen ja die Moidi, Hochwuerden, und dass sie lieber lacht als weint, auch fuer ihr Alter noch immer zu viel Kinderpossen im Kopf hatte. Aber an unserm ganzen Hochzeitstag haben wir gar nicht gelacht, auch nicht viel geredt miteinander, sondern sind so feierlich, als wenn das ganze Gebirg nur eine grosse Kirche waere, in der schoenen Sonne hingewandert, nur dass die Moidi im Gehen Blumen pflueckte und mir einen hochzeitlichen Strauss an die Jacke steckte, sich selbst aber ein Kraenzel band und an den Arm hing. Geld hatten wir auch noch und konnten in der naechsten Huette uns auftragen lassen, was der Senner nur hergeben wollte. So war's eine ganz lustige Hochzeit, und weder sie noch ich dachten mehr daran, was dahinter lag und was noch kommen sollte. Das fiel uns alles zuerst wieder ein, als unser Geld auf die Neige gegangen war; es mocht' eine Woche inzwischen verstrichen sein, und von der Schweiz waren wir noch weit, da wir keine Strasse einhielten, sondern gingen, wo es uns lustig schien. Am ersten Abend, als wir uns mit leeren Taschen nach einem Nachtlager umsahen und wollten eben in einen Heustadel kriechen, fiel mir ein grosser Einoedhof in die Augen, und ich dacht': Da versuchst noch einmal dein Heil. Wir fanden da auch richtig ein Unterkommen, aber aus der einen Nacht wurde ein halbes Jahr. Denn der Hof gehoerte einer Witfrau zu, die dort mit ein paar Knechten und Maegden hauste, und den Oberknecht hatte sie eben heiraten wollen, da hatte er sich beim Holzmachen verfallen, und die Baeuerin trauerte um ihn wie um ihren ersten Mann. Als ich ihr nun erzaehlte, ich haette fluechtig gehen muessen, weil ich einen Welschen erschlagen, und meine Schwester da--denn dafuer gab ich sie aus, weil die Baeuerin sich mit Eheleuten wohl nicht beladen haette--die Moidi also haette mich nicht allein ziehen lassen wollen, und nun seien wir ohne einen Kreuzer, da bot sie mir an, bei ihr in. Dienst zu treten, und fuer meine Schwester gebe es auch Arbeit. Das waren wir natuerlich zufrieden, und nur die Moidi machte mir hernach Vorwuerfe, dass ich sie nicht fuer mein Weib anerkannt' haett', und ich hatte Muehe, sie wieder zu versoehnen. Also blieben wir, und der Sommer verging, und wir hatten ueber nichts zu klagen. Denn dass die Baeuerin ein Auge auf mich geworfen hatte, wie ich nach und nach merkte, und mich zum Oberknecht machte, um mich hernach wohl auch noch weiter zu befoerdern, konnte ich mir ja ruhig gefallen lassen und zur rechten Zeit noch immer nein sagen. Aber auf einmal wurde es mit der Moidi so traurig, dass ich Tag und Nacht keine Ruhe mehr hatte. Es war vor etwa einer Woche, da maehte ich auf der obersten Wiese und sehe ploetzlich mein Weib heraufkommen, mit einem ganz verwilderten Gesicht. Und wie sie droben ist, faellt sie vor mir nieder und beschwoert mich mit aufgehobenen Haenden, ich sollt' sie umbringen aus Gnad' und Barmherzigkeit, sie koenne nicht leben mit der Suende auf dem Gewissen, sie trage ein Kind unterm Herzen, und diese Nacht sei ihre Mutter ihr im Traum erschienen und habe ihr zugeraunt: Der Andree ist doch mein Sohn, und dein und sein Kind wird verflucht sein in alle Ewigkeit. Sie koennen sich nun denken, Hochwuerden, wie ich erschrocken bin; denn da sie steif und fest dabei blieb, ist mir's selber zuletzt ganz angst und bange worden, weil ich keine rechten und klaren Beweise hatte, es sei alles doch so, wie wir's bisher geglaubt, und der Traum nur eine Einbildung gewesen. Herrgott, dacht' ich, wenn's dennoch wahr waere! Und es ueberlief mich eiskalt, und ich dachte wahrhaftig einen Augenblick, wie ich das arme haenderingende Weib vor mir auf der Erde liegen sah: Das beste waer', du gingest mit ihr auf und davon, und wo's recht jaeh in einen Abgrund hinunterschiesst, druecktet ihr die Augen ein und spraenget geradewegs in die Hoelle. Hernach wurde ich freilich fuer meinen Part wieder ruhig; ich ueberlegte alles noch einmal und blieb zuletzt dabei: Es kann nicht sein! Aber das arme Weib war nicht damit zu getroesten. Sie verlangte nicht mehr zu sterben, da's eine doppelte Suende waer' wegen des Kindes, aber nach Meran zurueck, und hier muesse sich's entscheiden. Mir selbst war's ein saurer Gedanke; ich wusste wohl, dass es ohne Laerm hier zu Hause nicht abgehen wuerde. Aber da die Moidi immer verwirrter aus den Augen schaute, zudem auch die Baeuerin was Unrechts witterte und mir antrug, die Schwester wegzuschicken, mich aber zu behalten, da war schon nichts anderes zu machen, als unser Buendel zu schnueren und den harten Bussweg anzutreten. Ich will Sie nicht damit langweilen, Hochwuerden, wie jaemmerlich uns unterwegs zu Mut war, wenn wir an so manche Stelle kamen, die uns vor sechs Monaten angelacht hatte, und wo nun das arme Weib in jedem Wind Stimmen zu hoeren glaubte, die sie anklagten und verdammten. Wenn wir Suende getan hatten, dass wir ohne jemand zu fragen und ohne den Segen der Kirche als Mann und Frau in die Welt gegangen waren, so haben wir's auf dem Heimweg hundertfach abgebuesst, zumal ich selber, da ich's fuer sie mitzutragen hatte. Und denken Sie nur, als wir wieder an die Bergspitze kamen, wo ich uns im Fruehling zusammengegeben hatte, war das Kreuz verschwunden. Wahrscheinlich haben's die Stuerme hinuntergerissen. Aber der Moidi fiel es aufs Herz, wie wenn das damals nur ein Blendwerk des Teufels gewesen waere, der uns in die suendhafte Ehe haette verlocken wollen, und sie fiel mir ohnmaechtig in die Arme, und eine Stunde lang hatt' ich zu tun, sie wieder zu sich zu bringen.-Er schwieg, und es ueberschauerte ihn sichtbar wie ein Fieberfrost, in der Erinnerung an alle ueberstandenen Drangsale. Der geistliche Herr war laengst aufgestanden und hatte hin und her wandelnd die Beichte mit angehoert, waehrend er in immer kuerzeren Pausen aus seinem Doeschen von Birkenrinde schnupfte. Die letzte Prise hielt er lange zwischen Daumen und Zeigefinger und stand dabei still vor einem grossen Kupferstich, die Magdalene in der Wueste darstellend, dem einzigen Schmuck seiner kahlen vier Waende. Er getraute sich nicht, dem Rat- und Hilfesuchenden das Gesicht zuzuwenden, denn der Fall war so schwierig, dass er wenig Hoffnung hatte, alles gluecklich hinauszufuehren. Wo ist sie jetzt? fragte er endlich kleinlaut. Droben in unserm Haeusel auf dem Kuechelberg, versetzte der Bursch. Wir sind vor ein paar Stunden angekommen, ueber Dorf Tirol, und die Leute haben uns wiedererkannt und mit Fingern auf uns gezeigt, und wie ich allein unten durch die Lauben kam, mochten sie's schon wissen, denn sie sind mir ausgewichen, als haette ich eine Seuche und Pestilenz an mir. Droben aber sitzt das arme Weib und wartet, dass ich Sie mit heraufbringe, und wenn Sie keinen Trost fuer sie haben, steh' ich fuer nichts. Denn es ist ein verzweifelter Geist, der ihr aus den Augen sieht, und ihr armer Verstand haengt an einem duennen Faden. Noch ein Riss, so faellt er ins Bodenlose; darauf verlassen Sie sich, Hochwuerden. Drei Wochen koennen's weit bringen mit so einem armen Weib. Er stand nun auch auf, als wollte er dadurch den schweigsamen geistlichen Herrn zu einem Entschlusse treiben. Der aber blieb noch eine ganze Zeitlang vor dem Kupferstich, obwohl er kaum einen Strich davon an der dunklen Wand unterscheiden konnte. Erst die achte Stunde, die es vom Turm schlug, schien ihn zu mahnen, dass Gefahr im Verzuge sei. Er kehrte sich von der Wand ab, machte dem Andree ein Zeichen, dass er sogleich wiederkommen wuerde, und stieg, das einzige Licht vom Tisch mitnehmend, die Treppe hinab, immer tiefer und tiefer, bis der letzte Schimmer verschwand. Aber kein Vaterunser lang waehrte es, so tauchte der Lichtschein wieder auf, und der wuerdige Herr erschien mit eilfertigem Keuchen und trug eine Massflasche, mit einem zartgelben Wein gefuellt, wie einen Saeugling im Arm, die Magd hinter ihm mit reinen Glaesern. Siehe, sagte er zu Andree, der zerstreut und ungeduldig dareinschaute, dieses ist der wahre Seelentrost und Mitstreiter, und ehe wir andere troesten, geziemt es, unser eigenes Gemuet zu kraeftigen. Trink, armer Sohn; du wirst ihn noch wiederkennen. Er ist herber geworden seit den zehn Jahren, aber reifer und gesetzter; da schau, er wirft keine Blaeschen mehr. Und mit heiterem Gesicht hielt er das reine Gold gegen das Licht, ehe er trank, und stiess mit seinem bekuemmerten Pflegling herzlich an. Ich hoff', es soll noch gut werden, sagte er, denn schon uebte die Naehe des edlen Trunkes ihre ermutigende Wirkung. Gaudete in Domino semper, stehet geschrieben, und darum trink, mein Sohn, und hernach wollen wir auch der armen Buesserin ein Flaeschlein fuellen, denn sie wird es brauchen koennen. Nun sprachen sie kein Wort mehr zusammen, sondern der Zehnuhrmesser ging immer auf und ab, wie ein General in seinem Zelt, der ueber den Schlachtplan nachdenkt, und trank dazwischen in grossen Zuegen und setzte das Glas jedesmal mit einem herzhafteren Ruck wieder auf den Tisch. Als die grosse Flasche halb leer war, nahm er mit einem raschen Griff die Geige von der Wand und fing an, immer auf und ab wandelnd, eine schoene alte italienische Kantate zu streichen, mit vielen krausen Fiorituren verbraemt, ein Stueck, das er immer an wichtigen und bedeutsamen Tagen zu spielen pflegte, auch des Katers Leibstueck, der mit freudigem Schnurren auf den Tisch sprang, um das Licht herumwandelte und mit den grossen gruenen Augen den Andree ansah, als wollte er ihn auffordern, ebenfalls guter Dinge zu sein. Dem aber brannte vor Ungeduld der Boden unter den Fuessen, und nur seine Ehrfurcht und das eigene Schuldbewusstsein hielten ihn ab, den geistlichen Herrn in seinem Konzert zu unterbrechen und daran zu erinnern, dass die Moidi die Minuten zaehle, bis er ihr Trost braechte. Endlich aber legte der geistliche Herr die Geige weg, trocknete sich mit dem Aermel seines Hauskleides die Stirn und fuhr dann rasch in sein schwarzes Gewand. Die Magd kam, goss den Rest des Terlaners in ein Flaeschchen, das Andree einstecken musste, brachte dem Herrn seinen Hut und leuchtete ihnen die Treppe hinunter. In der Laubengasse war es indessen stiller geworden, nur aus den Schenken hoerte man das Singen und Lachen der welschen Maurer und Tageloehner und hie und da Streit und heftige Reden, und die Waechter sassen bei den offenen Buden und ruesteten sich auf die Nacht, die kalt zu werden versprach. Als sie auf den Platz kamen, wo die Kirche steht, blieb der Zehnuhrmesser stehen und sagte: Geh jetzt voraus, mein Sohn; ich hab' erst noch beim Herrn Dekan ein Geschaeft, zu dem ich dich nicht mitnehmen kann. In einer halben Stunde komm' ich nach; und sag einstweilen der Moidi, dass ich gesagt haett', es wird noch alles gut. Er reichte dem Andree die Hand, die dieser ehrerbietig kuesste, und stand dann noch eine Weile unten am Pfarrhaus, ehe er sich entschliessen konnte, hinaufzugehen. Aber der Terlaner half ihm, und nur mit einigem Herzklopfen, wegen der steilen Steintreppe, langte er droben in der Pfarrwohnung an. Was er dort an jenem Abend gesprochen, und was ihm geantwortet worden, hat er niemand verraten wollen. Als er aber eine Viertelstunde spaeter wieder hinunterstieg, war sein Wesen sehr verwandelt, der Geist des Terlaners von ihm gewichen und eine tiefe Niedergeschlagenheit dafuer eingetreten. Er seufzte oft, waehrend er die rauhe Strasse zum Kuechelberg hinanstieg, und als er endlich droben das Haeuschen liegen sah, ans dessen kleinen Fenstern ein schwacher Lichtschein daemmerte, seufzte er noch staerker und waere am liebsten wieder umgekehrt. Aber wenn er nicht helfen konnte, wollte er die Armen wenigstens nicht allein lassen in ihrem Unglueck, und so oeffnete er ohne anzuklopfen die niedrige Tuer und trat ueber die wohlbekannte Schwelle. Er fand das junge Paar in der Kueche, wo die Mutter gestorben war; der Andree stand am Herd und blies eben das Feuer an, um eine Polenta zu kochen, die Moidi sass still und teilnahmslos auf dem Bett drueben an der Wand, den Mantel noch umgeschlagen, in welchem sie die weite Wanderung gemacht hatte, als sei sie noch nicht zu Hause und werde auch nirgends wieder eine Heimat finden. Als der geistliche Herr an sie herantrat und ihr guten Abend sagte, fuhr sie zusammen, machte ein Bewegung, als wollte sie aufstehn, sank aber wieder auf das Bett zurueck und sass in sich geschmiegt, die Haende vors Gesicht gedrueckt, ohne einen Laut von sich zu geben. Moidi, sagte der kleine Herr, kennst du mich nicht mehr? Sie nickte hastig vor sich hin. Willst du mir nicht einmal ins Gesicht sehen, und hast kein Vertrauen zu mir? Sie antwortete nicht, aber er sah, wie ihr ganzer Leib zitterte. Er schuettelte traurig den Kopf. Andree, sagte er, geh einstweilen in die Kammer, ich habe mit der Moidi allein zu reden. Der Bursch gehorchte ohne Verzug, trat aber nicht in die Kammer, sondern ging ins Freie; es war ihm zu eng und schwuel in dem Hause, wo er so viel Leids erfahren hatte. Nun, meine Tochter, fing der Zehnuhrmesser wieder an, nun fasse ein Herz zu mir und hoere, was ich dir sage. Ihr habt freilich Suende getan, und wenn es euch hart ergangen ist, so habt ihr's als eine gerechte Zucht und Busse vom Herrn hinzunehmen. Aber so schwer ist eure Suende nicht, dass ihr sie nicht wieder gutmachen koennt, und was dich am meisten aengstigt und dein Gewissen beschwert, kann ich--dem Himmel sei Dank--von dir nehmen, indem ich sage und bezeuge: Andree ist nicht deiner Mutter Sohn, und der Segen der Kirche darf und wird euch zu christlichen Eheleuten machen. Also sei getrost und erhebe dein Angesicht und betruebe mich und den Andree nicht mit deinen Einbildungen, die das Uebel nur aerger machen und dem boesen Feind entstammen, der die Seelen verderben will. Er erwartete, dass sie auf diese Worte ruhiger werden und endlich ein Wort sprechen wuerde. Aber sie blieb unbeweglich sitzen, als gaelte alles, was er sagte, nicht ihr. Er trat noch naeher zu ihr heran und nahm ihr mit sanfter Gewalt die Haende, die kalt und feucht waren, vom Gesicht. Da sah er, dass ihre weichen, kindlichen Zuege in den kurzen Monden schmerzlich verwandelt waren. Sie hielt die Augen fest geschlossen, die Augenbrauen waren gespannt, wie von einem heftigen Seelenkampf, die Lippen halb offen, und die blassen Wangen, deren Umrisse feiner und schaerfer erschienen, uebergoss ploetzlich eine tiefe Roete, als der geistliche Herr ihr die Haende wegzog. Er betrachtete sie mit tiefem Mitleiden. Sprich ein Wort, Moidi, sagte er mit Nachdruck. Ich kann dir nicht helfen, wenn ich nicht weiss, wo es dir fehlt. Ist es dir nicht genug, dass ich dir beteure, der Andree ist nicht dein Bruder? Da schuettelte sie heftig den Kopf und oeffnete die Augen mit einem starren, wilden Wesen, das ihn erschreckte. Ich weiss es besser, sagte sie dumpf vor sich hin. Die Mutter hat mir's gesagt, ich soll mich nicht irremachen lassen, sie haette alle betrogen, die geistlichen Herren und das Amt und alle. Aber den Herrgott betruegt niemand. Wie sollt's auch anders sein? Wo ist denn seine Mutter, und warum hilft sie ihm nicht, jetzt da er elend ist? Ich weiss es besser, uns hilft niemand, niemand wird uns zusammengeben als der Tod, und nun geht und lasst mich allein, was sucht Ihr hier? Ich muss nur erst das Kind-Da stockte sie, und es schuettelte sie wieder ueber den ganzen Leib, und sie schloss die Augen von neuem. Ploetzlich wurde sie wieder stiller, als sinne sie ueber etwas nach. Ist es wahr, sagte sie mit furchtsamem Ton, in die Kirche soll ich mit ihm, und Ihr wollt den Segen ueber uns sprechen? Ja, wenn das anginge, das waere wohl schoen. Aber ich weiss es besser, ihr seid alle betrogen; wenn Ihr's tun wolltet und es kaem' die Stelle, ob jemand Einspruch zu tun haette, dass der Andree und die Moidi ein Paar werden sollen, da wuerdet Ihr's erleben, da wuerde ploetzlich die Mutter am Hochaltar stehn und lachen, dass sie Euch betrogen hat, und Ihr koenntet den Segen nicht sprechen. So wird es kommen; ich weiss es besser! Moidi, sagte der geistliche Herr mit fester Stimme, du bist ein unwissendes Ding, und was du da schwatzest, ist alles eine Vorspiegelung des boesen Feindes, um dich in noch groessere Suende zu verstricken. Ist es dir nicht genug, wenn ich dir sage, ich weiss, wer des Andree Mutter und Vater sind, und ich darf's nur nicht sagen, weil es mir von denen verboten ist, denen ich Gehorsam schuldig bin? Sie sah ploetzlich gross auf zu ihm, ohne ein Wort ueber die Lippen zu bringen. Aber in ihrem Gesicht lag ein so angstvolles Flehen, dass er tief davon erschuettert wurde und sich abwenden musste, um sich wieder zu fassen. Da hoerte er, wie sie leise hoehnisch vor sich hinlachte. Seht Ihr wohl, sagte sie, Ihr koennt mir nicht dabei ins Gesicht sehn, es ist alles erlogen, nur damit ich wieder froh werden soll; der Andree wird Euch darum gebeten haben, es geht ihm so zu Herzen, aber wer kann uns helfen? Wenn Ihr wuesstet, wer seine Eltern sind, wuerdet Ihr wohl zu ihnen gehn und ihnen davon sagen, dass man mit Fingern auf die Moidi und den Andree zeigt, weil die Leute sagen, sie seien Bruder und Schwester und haetten doch ein Kind. Aber Ihr koennt die Eltern nicht rufen, denn wo sind sie? Die Mutter kenne ich wohl, sie hat mir's im Traum gesagt, mich macht niemand irre, ich weiss es besser!-Da widerstand er nicht laenger. Hoere mich an, sagte er und trat dicht an ihr Bette. Ich kann deine armseligen Reden nicht mehr hoeren und will dir sagen, was ich weiss, und was so wahr ist, wie dass ein barmherziger Gott im Himmel wohnt. Aber gelobe nur erst bei deiner armen Seele, dass du nie einem Menschen, am wenigsten dem Andree, das wiedersagen willst, was ich dir gegen meine Pflicht und kirchlichen Gehorsam vertrauen werde, weil dein Geist schwer verstoert ist und es noch schlimmer werden moechte, wofern ich schwiege. Willst du mir auf das heilige Sakrament versprechen, es fuer dich zu behalten? Sie nickte dreimal mit aufmerksamer Miene, in der ein schwacher Schimmer von Hoffnung aufdaemmerte. Siehe, fuhr er fort, der Andree bedarf's nicht; er hat keine Zweifel und Gewissensqual und wird dich ohne Furcht in die Kirche fuehren. Und ich denke wohl auch, dass dann seine Mutter mit unter den anderen sitzen und im stillen den Segen mitbeten wird, aber nicht der abgeschiedene Geist der Maria Ingram, deiner armen Mutter, sondern--und er neigte seinen Mund dicht an ihr Ohr--die Tante der Rosine, die Anna Hirzer, die ihn aus der Taufe gehoben, die wird mitbeten und wahrlich keinen Einspruch tun. Er hatte die Worte mit hastigem Fluestern herausgestossen und fuhr, wie von seiner eigenen Rede erschreckt, in die Hoehe, ob kein dritter sie gehoert habe. Das junge Weib sass still und starr; es war, als haette die Enthuellung dieses Geheimnisses keinen Eindruck auf ihre verstoerte Seele gemacht. Nun du so viel weisst, meine Tochter, fing der kleine Priester nach einer Pause wieder an, sollst du auch wissen, wie das alles gekommen ist, denn sonst daechtest du, auch das sei nur eine Vorspiegelung. Du weisst aber wohl, dass deine Mutter den kleinen Andree damals von der Alm mit heruntergebracht hat. Auf selbiger Alm hat ihn die Anna Hirzer geboren. Ein Jahr zuvor naemlich ist ein fremder Herr aus Deutschland nach Innsbruck gekommen, ein Offizier, der hatte einen Feldzug gegen den Napoleon mitgemacht, und wie seine Wunden geheilt waren, schickten ihn die Aerzte ins Tirol hinein, weil die Luft droben, wo er zu Hause war, ihm nicht guttat. Nun, da hat er die Anna Hirzer auf der Strasse gesehen, und es ist bald richtig zwischen ihnen geworden, denn er war ein rascher und ritterlicher Herr, und was er sich in den Kopf gesetzt hatte, das musste geschehen, grad wie der Andree es von klein auf gemacht hat. Aber die Sache hatte noch einen schlimmen Haken, denn der Offizier--du hoerst doch, was ich sage, Moidi? Sie nickte rasch mit dem Kopf und hob beide Haende auf, als wollte sie ihn bitten, sich nicht ueber ihr starres Wesen zu verwundern, sondern ruhig fortzuerzaehlen. Ja siehe, Kind, sagte er, der Herr war sonst ein wackrer Herr, von Adel und reich, und gedachte die Anna auch zu heiraten. Aber er war ein Lutheraner und wollte von unserer heiligen Kirche nichts wissen, und die Anna weinte Tage und Naechte, dass sie ihn in der Verdammnis wissen und ihm nicht helfen sollte. Und als sie merkte, dass ihr Bitten und Beten nichts ueber ihn vermochte, ist sie zu ihrem Beichtvater gegangen, der hat ihr geraten, ihr Herz Gott zum Opfer zu bringen und vor dem Versucher zu fliehen. Und weil sie ein frommes und heiliges Gemuet hatte, ist sie auch wirklich von Innsbruck weg, ganz heimlich, dass es ihr Braeutigam erst erfuhr, als sie schon wieder auf Goyen angekommen war, bei ihrem Bruder. Der hat sie sehr gelobt, dass sie lieber geflohen war, als das schwere Aergernis zu geben; denn du weisst, dass die Hirzers allezeit eifrig gewesen sind fuer unsern katholischen Glauben, und der Joseph pflegte zu sagen, lieber den rechten Arm wollt' er missen, als ein Glied seiner Familie verlorengeben an die Ketzer und Widerchristen. Die Anna aber hatte sich doch zuviel zugetraut, denn schon nach ein paar Tagen glich sie sich selber nicht mehr und ging wie ein Schatten herum, nahm auch kaum einen Mund voll Speise, dass ich dachte, sie wird ausgehn wie eine Lampe, der man kein Oel nachschuettet. Sie hing schon allzusehr an dem Fremden, und Gott weiss, was ich drum gegeben haette, wenn sich die armen Leutchen haetten ehelich verbinden koennen. Ich hab' auch mit dem Herrn Dekan damals viel verhandelt, aber zuletzt zerschlug sich's immer wieder, weil die Kinder nicht auch verdammt sein sollten, das haette auch die Anna nicht uebers Herz gebracht. Und so vergingen sechs oder sieben Tage; da kommt der Joseph eines Morgens zu mir, feuerrot vor Wut und Aerger, und erzaehlt mir, der Ketzer, der Braeutigam, sei ihr nun wirklich nachgereist und wohne auf Schloss Trautmannsdorf, weil er mit dem Grafen bekannt sei. Was nun werden solle?--Ich wieder zum Dekan, und wieder der alte Bescheid; und dann zur Anna hinauf und von der zu dem Fremden--an die Tage will ich denken, so alt ich werden mag, die haben mich nicht wenig Schweiss und Herzblut gekostet. Aber waehrend wir noch alle mit Sorgen und Reden und Raten zu schaffen hatten und ich fast glaubte, wir wuerden an dem Fremden, der ein sehr ehrerbietiges Benehmen gegen mich hatte, der Kirche einen verlornen Sohn zufuehren, wusste sich der trotzige und wagehalsige Mann heimlich des Nachts auf Schloss Goyen zu schleichen und trotz der Wachsamkeit des Joseph seine Liebste wiederzusehen. Wohl vier Wochen lang dauerte die Heimlichkeit. Eines Morgens aber, noch lang vor der ersten Messe, als er in der grauen Daemmerung eben wieder fortwollte und zwar wie immer zum Fenster hinaus, wo neben der rauhen Burgmauer die Fichte so dicht stand, dass er sich wie an einer Leiter hinunterschwingen konnte, da war der Joseph Hirzer frueher als sonst aufgewacht und sah die Gestalt herabklimmen und wusste alles. Da gab es einen wilden Kampf in der stillen Schlucht droben, wo's nach der Naif zu steil abfaellt, und die Anna musste aus ihrem Fenster mit ansehn, wie der Bruder den Braeutigam zuletzt niederrang und ihn mit den Fuessen trat. Der Fremde war aber gegen einen Felsen gefallen und hatte sich so schwer verletzt, dass er sich nur muehselig, eh' es Tag wurde, bis nach Trautmannsdorf schleppen konnte und dort elendiglich darniederlag. Er verlangte gleich, sobald er zur Besinnung kam, fort, und so liess ihn der Graf in seinem eigenen Wagen nach Venedig bringen, und kaum drei Wochen war er dort, so kam die Nachricht, dass er gestorben sei. Der kleine Priester schwieg ein wenig, nahm bedaechtig eine Prise aus dem Rindendoeschen und sagte dann, vor sich hin blickend: Friede sei seiner Seele! Er war ein feiner und edelmuetiger Kavalier und stattlich von Gesicht und Statur. Der Andree ist sein wahres Ebenbild, nur dass er kleiner ist und die Augen von der Mutter hat. Niemals ist mir's so nah gegangen wie damals, zu denken, warum doch der verschiedene Glaube unter den Menschen bestehen muss und der eine verdammen, der andere selig machen. Aber Gott hat es so eingesetzt, und wir kurzsichtigen Menschen muessen es hinnehmen. Ich war es selbst, der aus Venedig die Nachricht der Anna bringen musste. Das war auch ein saurer Gang, meine Tochter! Es ist aber hernach wieder friedlich droben zugegangen, der Joseph und die Anna haben sich kein boeses Wort drueber sagen duerfen, sie hatten sich beide was zu vergeben. Und wie der Sommer kam, ist die Anna zum Schein nach Bozen abgereist, heimlich aber ging sie auf die Alm zu deiner Mutter, denn ausser uns fuenfen hat nie eine lebendige Seele erfahren, was in jener Nacht geschehen. Nicht einmal auf Trautmannsdorf wussten sie, zu wem der fremde Herr bei Nacht auf Besuch ging. Und als alles vorbei war und deine Mutter den Knaben von der Alm mit nach Hause gebracht hatte, da liess die Anna ihr Testament aufsetzen und verschrieb ihr halbes Vermoegen der Kirche von Meran und die andere Haelfte der Kirche in Innsbruck, wo sie ihren Braeutigam zum erstenmal gesprochen hatte, und stiftete jaehrlich eine Anzahl heiliger Messen fuer die Seele des Toten, ob der Herrgott sich seiner erbarmen moechte. Das ist nun alles so gekommen und nicht mehr zu aendern, und ist besser, das alte Aergernis, das nunmehr eingeschlafen ist, nicht aufzuwecken. Auch wuerde es dem Andree uebel anstehn, das Testament anzufechten und die Seele seines Vaters der kirchlichen Gnaden zu berauben. Also ist es auch fuer ihn heilsamer, er erfaehrt sein Lebtag nichts von Vater und Mutter, zumal er ja auch kein Verlangen danach traegt. Du aber, meine Tochter, wirst dessen eingedenk sein, was du mir gelobt hast, und dann wird die heilige Mutter Gottes Fuerbitte tun, dass eure Suenden euch vergeben werden und ihr ein friedliches und Gott wohlgefaelliges Leben miteinander fuehren koennt nach so mancherlei Pruefung. Amen! Er hatte die letzten Worte in feierlich ermahnendem Ton mit erhobener Stimme gesagt und wartete jetzt, ob sie noch eine Frage zu tun oder einen Einwand vorzubringen hatte. Sie aber sass mit geschlossenen Augen ganz still auf dem Bette, den Kopf an die Wand zurueckgelehnt, die Haende im Schoss gefaltet. Die aengstliche Wildheit war aus ihrem Gesicht gewichen, die Stirn unter dem wirren blonden Haar geglaettet und heiter, ihre Brust atmete friedlich. Nach einer kleinen Weile neigte sich das Haupt auf die Schulter, und die verschlungenen Haende loesten sich. Die Erzaehlung des kleinen Seelsorgers hatte sie wie ein Wiegenlied eingelullt, und sie war nach den Muehen und Beschwerden der letzten Zeit zum erstenmal wieder in einen tiefen, traumlosen Schlaf gesunken. Der Hilfspriester stand auf, mit zweifelhafter Miene; eine solche Wirkung seiner Seelsorge hatte er nicht erwartet. Es fiel ihm jetzt erst wieder aufs Gewissen, dass er einem armen gestoerten Wesen, das schwerlich ganz zurechnungsfaehig sei, das bedenkliche Geheimnis in die Hand geliefert habe. Und sie hatte nicht einmal ihr Geluebde, zu schweigen, selber abgelegt und nur zu allem genickt mit zerstreutem Blick und vielleicht tauben Ohren. Aber was geschehen, war nicht zu aendern, und so viel wenigstens gewonnen, dass sie schlief und also fuer diese Nacht kein Unheil stiften konnte. Morgen liess sich dann weiter sorgen. Leise trat er von dem Bette zurueck und ging aus der Tuer. Andree sass noch draussen auf der Bank, stand aber nicht auf, als der geistliche Freund herauskam. Auch er, da er sein armes Weib in treuer Flut wusste, hatte die ueberwachten Sinne nach so langer Anspannung endlich wieder sich selbst ueberlassen, und so war der Schlaf ueber ihn gekommen, der beste Seelsorger der Jugend. Zu derselben Stunde dachte droben auf Schloss Goyen niemand an Schlaf. Am spaeten Abend war ein Bursch aus Dorf Tirol, der auch vorzeiten der Moidi nachgegangen war, zum Franz gekommen und hatte ihm die Neuigkeit von der Heimkehr der beiden Verschollenen und wie es um die Moidi stehe, hinterbracht. Es sei ein grosser Zorn unter allen Leuten und ein allgemeines Gerede, das duerfe, nicht geduldet werden, die Geistlichkeit muesse einschreiten und solchen Greuel mit Bann und Feuer von der Erde tilgen, zum furchtbaren Exempel fuer alle Zeiten. Den Franz traf diese Nachricht gerade in der uebelsten Laune. Er war frischweg von einem Braeutigamszwist mit der jungen Witwe nach Haus gekommen, und da man ihm droben in solchen Stimmungen sorgfaeltig aus dem Wege ging, griff er begierig nach dem neuen Anlass, seine Galle zu erleichtern. Er konnte sich's nicht versagen, in das Zimmer zu treten, wo der Vater hinter der Flasche und einem alten Zeitungsblatt, die Tante und die Rosine an ihren Spinnraedern sassen, um hier im derbsten Stil die saubere Historie von den beiden Landfahrern zum besten zu geben. Niemand erwiderte ihm ein Wort, es war ihm aber schon eine Genugtuung zu sehen, dass die Tante totenblass wurde und der Rosel in die Arme sank. Sie hatte immer dem Andree das Wort geredet; nun mochte sie's erleben, dass er auf die elendste Art zu Grunde ging. Mit einem hoehnischen Gute Nacht! ging er aus der Tuer und strich mit seinem Gesellen die steilen Pfade hinab durch die laublosen Kastanienwaelder der Stadt zu, um dort die Nacht zu verzechen und finstere Plaene zu schmieden. Die drei, die auf Goyen zurueckblieben, sassen wohl eine Viertelstunde schweigend beisammen, die Tante, die sich rasch wieder erholt hatte, schien zu beten, Rosel sah, keines eigenen Gedankens faehig, auf den Vater, der unveraendert auf das Zeitungsblatt starrte und heftig rauchte. Endlich stand er auf, klopfte die kleine Holzpfeife bedaechtig aus und befahl der Tochter, zu Bett zu gehen. Als er mit der Anna allein war, trat er dicht vor sie hin und sagte: Lass einmal das Beten! Man betet nichts weg, was einem der Teufel auf den Weg gelegt hat. Du hast gehoert, dass der Landstreicher--ich mag ihn nicht nennen--wieder einpassiert ist. Kann wohl sein, dass er Wind davon hat, wie er auf die Welt gekommen ist, und Laerm machen will, um sich aus der Klemme zu helfen. Ich sag' dir aber, ueber meine Schwelle darf er mir nicht, weder er noch seine Dirne. Unsere Familie soll nicht an die vierzig Jahre in Ehren bestanden haben, um ueber Nacht den Schimpf zu erfahren, dass solch ein lutherischer Findling sich bei uns eingedraengt und des Joseph Hirzer eigene Schwester auf ihre alten Tage in der Leute Maeuler bringt. Wenn all dein Beten und Heiligsein zu weiter nichts gut gewesen waer', als dich nach zwanzig Jahren zum Kinderspott zu machen, so wollt' ich, du--Er schluckte die Fluchrede hinunter, die er schon auf der Zunge hatte, denn sie sah ihm geradeaus und mit ernsthaftem stolzen Blick in die Augen.--Es ist schon gut, fuhr er in etwas gelinderem Tone fort, wir brauchen darueber nicht viel Redens zu machen, du weisst so gut wie ich, was alles kommen wird, wenn du nicht Vernunft behaeltst. Ich lasse morgen frueh anspannen und fahre mit dir nach Lana, erst in die Messe, hernach zu unserm Vetter, wo du so lange bleiben kannst, bis hier wieder reine Luft ist. Denn ich denke, es soll nicht lange hergehen. Ich will die Hand in die Tasche stecken und ihm ein Abstandsgeld anbieten lassen, wenn er sich verpflichtet, das Weite zu suchen und nimmer heimzukommen. Allenfalls koennte man ihm das Haus samt den Guetern abkaufen und die Dirne in den Kauf geben, so waere man ihn los und haette sich nichts gegen ihn vorzuwerfen. Ich will das noch ueberlegen, 's ist Zeit genug morgen auf der Fahrt, und zu Mittag komm' ich dann heim und kann mit dem Zehnuhrmesser den Handel abkarten, der vermag noch das meiste ueber den Tollkopf und wird selber einsehen, dass alles Aufsehen vermieden werden muss. Handelst du aber meinem Willen zuwider, Schwester, so lass dir's gesagt sein: Ich treib's, soweit ich kann, damit ich dir nicht einen Kreuzer herauszuzahlen brauch', und muesst' ich mich unter die Erde prozessieren. Nun weisst du's, und nun sei gescheit und rede mir nichts drein und such keine Finten und Umwege. Denn es waere umsonst; darauf magst du das Sakrament nehmen. Er ging aus dem Zimmer, ohne eine Antwort abzuwarten, und sie hoerte, wie er noch einmal in den Keller hinabstieg, um sich einen Schlaftrunk zu holen, den er trotz seiner festen und zuversichtlichen Rede wohl brauchen mochte. Die Rosine schlich wieder herein und sah die Tante mit scheuen, verweinten Augen an. Komm, sagte die Alte, wir wollen in meine Kammer gehen; ich habe dir was zu sagen. Sie stand ruhig auf von ihrem Spinnrad, und ihre Hand, die das Licht ergriff, um es ueber den Flur an ihr Bett zu tragen, zitterte nicht. Waehrend der Bruder ihr seinen harten Willen eroeffnet hatte, war auch in ihr ein unerschuetterlicher Wille erstarkt. Sie war auch eine Hirzerin, und der Bruder wusste es wohl. Und darum brauchte er den Schlaftrunk, denn trotz seiner drohenden Sicherheit ahnte ihm nichts Gutes. So hatte ihn die Anna nur einmal im Leben angeblickt: als er ihr zum erstenmal nach jenem naechtlichen Kampf wieder unter die Augen zu treten wagte. Der Schlaftrunk aber tat seine Schuldigkeit. Als unten in Meran die Glocken zur Fruehmesse gelaeutet wurden, lag der Herr von Schloss Goyen noch im tiefen Schlaf und ueberhoerte es auch, dass der alte Hofhund freudig aufbellte und mit der Kette rasselte. Auch der Franz konnte es nicht hoeren, er hatte die Nacht in Meran zugebracht. So stiegen die beiden weiblichen Gestalten in ihren dunklen Sonntagsgewaendern unbemerkt die Holzstufen an der Mauer herab und traten ihren Weg durch die neblige Winterfruehe schweigend und eilfertig an. Sie hatten beide die Nacht durchwacht und den Morgen herbeigesehnt. Denn die Alte hatte der Jungen alles erzaehlt, was diese bisher nur dunkel ahnte und aus einzelnen aufgefangenen Worten des Vaters, wenn er im Rausch war, sich zusammenreimen konnte. Das geheimste Fach ihres grossen Wandschrankes war aufgeschlossen worden, und alte Briefe, ein kleines Bildnis des Toten und die verblichenen Geschenke, die sie von ihm bewahrte, kamen zum erstenmal vor andere Augen als die beiden, die nicht muede wurden, ueber sie zu weinen. Nur in dieser Nacht vergossen sie keine Traene; sie leuchteten vielmehr von einem schoenen Heldenmut, der das ganze Gesicht wunderbar verjuengte, die Wangen roetete und auch jetzt, da sie durch den Morgen hinschritt, ihren Gang jugendlich befluegelte, dass die Junge der Alten nur mit Muehe zur Seite bleiben konnte. Es lag aber ein Nebel ueber den Taelern der Naif und Passer, dass sie wie in einer Wolke wandelten und drueben den Kuechelberg und die Truemmer der alten Zenoburg nur mit den obersten Zinnen ueber den Dunst heraufragen sahen. Noch immer klang das Gelaeut und dazwischen das Tosen der Passer, und auf den vielen Fusspfaden links und rechts hoerten sie Kirchgaenger, die ihnen im Nebelduft unsichtbar blieben, eifrig miteinander reden und dann und wann die beiden Namen nennen, die ihnen das Herz klopfen machten. Unten am steinernen Steg war es bereits lebhaft von Maennern und Weibern, die ehrfurchtsvoll gruessten, als die Anna Hirzer, die Heilige, in ungewohnter Hast durch sie hindurchschritt. Auch standen alle still und steckten die Koepfe zusammen. Denn die Alte wandelte nicht wie sonst mit dem Strome der uebrigen links durch das graue Stadttor der Kirche zu, sondern man sah sie in die steile Strasse zur Rechten einbiegen, die auf den Kuechelberg fuehrt. Viele gingen ihr nach, zumal die Strasse ungewoehnlich belebt war, als seien droben wundersame Dinge zu schauen. Stieg doch die Anna Hirzer hinauf, die Heilige, des Andree Pate. Was wird sie dem verirrten Paar, das in Schmach und Suende wieder heimgekommen ist, zu sagen haben? Will sie mit ihrer Heiligkeit die armen Suender gegen geistliches und weltliches Gericht beschuetzen, oder selbst das Wort der Verdammnis ueber sie aussprechen? So raunten die Bauern und ihre Weiber untereinander. Die Anna aber sah nicht rechts noch links, erwiderte auch die Gruesse kaum mit einem leisen Kopfnicken, sondern ging die steinige Fahrstrasse hinan, als waere sie schon ein abgeschiedener Geist, der weder irdische Beschwerde fuehlen, noch Menschenrede achten koenne. Dicht hinter ihr schritt die Rosine mit de in stillen Gesicht, das alle gewohnt waren. Nur war es heute so bleich, dass mitleidige Weiber es sich mit Achselzucken und Kopfschuetteln zeigten, waehrend das Gesicht der Alten von einem frischen Rot angehaucht war. Sie nahm sich auch nicht die Zeit, auf der halben Hoehe auszurasten, wo eine Bank am Felsen stand. Es war, als triebe sie die Ahnung vorwaerts, dass sie keine Minute zu verlieren habe. Und freilich hatte die Nacht Unheil gebraut und gegen Morgen ein drohendes Gewitter um das kleine Haus auf dem Kuechelberg zusammengezogen. Bald nach Mitternacht war der Schlaefer vor der Tuer aufgewacht, von der Kaelte geschuettelt. Er hatte sich sacht in den Flur geschlichen, und als er sein armes Weib sanft eingeschlafen fand, vor den Herd gestreckt, um noch ein paar Stunden auszuruhen. Als er von seinen bangen Traeumen im Zwielicht des weissen Morgennebels erwachte, hoerte er Stimmen vor dem Fenster und sah Gestalten durch die Scheiben hereinspaehen, die dann wieder verschwanden, um anderen Platz zu machen. Er horchte durch die Haustuer, die er zum Glueck in der Nacht verriegelt hatte, und vernahm abgerissene Worte, die ihn nicht zweifelhaft liessen, was draussen umgehe. Aber wenn er erst durch den Nebel haette blicken und die Strassen und Gaerten ueberschauen koennen, waere ihm vollends das Herz gesunken und das Haar zu Berg gestanden. Denn draussen hatte sich die halbe Bevoelkerung der Doerfer Tirol, Gratsch und Algund, durch welche sie tags zuvor in ihrem elenden Aufzug gewandert waren, in dichten Massen angesammelt, und keinem kam es darauf an, die erste Messe zu versaeumen. Was sie hier suchten und weshalb sie das Haus umstanden, wusste so eigentlich niemand. Bei allen regte sich nur das dunkle Gefuehl, dass sich etwas Unerhoertes mit zwei Menschen ereignen muesse, die so unerhoert sich versuendigt, die Neugier, wie sich die Obrigkeit dem Greuel gegenueber benehmen wuerde, bei sehr wenigen das Mitleiden. Denn was die blonde Moidi etwa an Teilnahme der Nachbarn genoss, wurde durch die geringe Gunst, die sich der wortkarge Andree erworben, ja durch die Feindseligkeit, zu der sein herrisches Wesen die jungen Burschen gereizt hatte, voellig wieder aufgewogen. Und so hoerte man unter den Haufen der Neugierigen nur finstere Reden und sah nur strenge Gesichter. Von Meran herauf gesellten sich nicht wenige hinzu, auch ein stattlicher Trupp von den Weissjacken, die des Andree Abenteuer mit ihrem welschen Kameraden noch nicht vergessen hatten, und je laenger das Gelaeut zur Kirche anhielt, desto zahlreicher stroemte drueben aus den Passeirer Doerfern das Landvolk die steilen Bergpfade herauf Denn seitdem man Reben am Kuechelberg gezogen und Wein gekeltert hatte, war manche wilde und blutige Tat und mancher empoerende Frevel geschehen, aber einer Todsuende, die so frei und frank sich vor das Auge der Menschen gewagt haette, konnte sich niemand entsinnen. Waehrend nun das Summen und Murren der Volksmenge immer noch anwuchs und doch keiner wusste, was werden sollte, hoerte man ploetzlich, da gerade die Glocken eben verhallten, eine rauhe Stimme ueberlaut rufen: Schlagt die Tuer ein! Mit den Faeusten will ich ihn herausschleppen, den Lump, den elenden, in Stuecke will ich ihn zerfetzen, hin muss er werden, 's ist ihm geschworen, so wahr ich der Hirzerfranz bin, mit vier Rossen soll er zerrissen werden und Glied vor Glied in die Passer geschmissen, so gehoert sich's dem Hoellenhund, und wer was dawider hat, der soll's mit mir zu tun kriegen. Eine lautlose Stille hatte sich auf einen Schlag ueber die Kopf an Kopf gedraengte Menge gelagert. Die tausend neugierigen Augen richteten sich auf die Strasse, auf der der Hirzerfranz daherschwankte, rechts und links von einem seiner Zechkumpane gefuehrt, mit denen er die Nacht drunten in der Schenke zusammengesessen hatte. Er war ohne Hut, das Gesicht stark geroetet, aber sein Gang und Wesen nicht wie eines Trunkenen. Der Hass und das Bewusstsein, der Wortfuehrer der grossen Menge zu sein und eine preiswuerdige Rachetat zu vollziehen, hatten ihn nach kurzem Schlaf voellig wieder ernuechtert. Der Gefangene im Hause drinnen hoerte die wuetenden Worte deutlich und gleich darauf das orkanartige Brausen der tausend Zurufe, die von allen Seiten losbrachen und den Vollstrecker des Strafgerichts ermunterten. Er hoerte, wie das Gewuehl naeher heranschwoll, und es ueberlief ihn todeskalt. Sein eigenes Leben haette er immerhin darangegeben; die Welt war ihm feindlich gewesen von Jugend auf. Aber das arme junge Geschoepf, das drinnen so ahnungslos von der wochenlangen Muehsal ausruhte, wie konnte er es retten, wie ertragen, dass es um seinetwillen ein furchtbares Martyrium erlitt? Sollte er hinaustreten, um sich zu opfern und alle Schuld auf sich allein zu nehmen? Aber wer wuerde ihn anhoeren, wer ihm glauben, selbst wenn er sich auf das Zeugnis seines geistlichen Freundes berief? Und doch musste es versucht werden, auf alle Gefahr, denn das Getuemmel draussen erhitzte sich mit jeder Minute. Er hoerte jetzt auch, wie sein alter Geselle, der Koebele, sich ins Mittel zu legen und den Franz wegzudraengen versuchte. Sie sollten warten, was das Amt beschliessen wuerde, der Herr Dekan solle gerufen werden oder der Zehnuhrmesser, der der Beichtvater der schwarzen Moidi gewesen sei, es sei nicht richtig mit dem Handel, die Gerichte wuerden's schon ausweisen. Und dann wieder die ueberlaute Fluch- und Greuelrede des Franz, und dazwischen Geschrei welscher Soldaten, das Ruheheischen einiger alter Maenner, Zeter und Wehklage der Weiber und bis zu den fernsten Gruppen hinueber der dumpfe Widerhall einer empoerten Menschenmenge, die von blinden Leidenschaften hin und her gerissen wurde. Der Gefangene gab sich verloren. Schon bedachte er, ob er nicht die Moidi wecken und dann seinen Stutzen von der Wand nehmen und sie und sich erschiessen sollte, um sie vor Aergerem zu bewahren; da wurde es draussen auf einmal stiller, und er hoerte ein vielfaches Beschwichtigen und Ruhegebieten, dem nur der Franz nicht gehorchte. Aber auch dessen Stimme verstummte ploetzlich, und statt ihrer vernahm der Lauscher drinnen im Flur die sanfte, aber feste Stimme der Tante Anna, die jetzt nur noch wenige Schritte von dem Hause entfernt sein konnte. Du solltest dich schaemen, Franz, hoerte er sie sagen, hier am heiligen Sonntag zu toben und zu fluchen und die anderen Leute aufzuhetzen, die alle nicht wissen, was sie hier tun. Geh heim, auf der Stelle, und zieh dein Feiertagsgewand an, und dann komm wieder herab zur Kirche und bete zu unserm Heiland auf den Knien, dass er dir deine Suenden nicht schwerer anrechne als dem Andree und der Moidi da drinnen, die du armseliger Mensch zu Gericht ziehen willst, als waerest du der Richter, und bist selbst nur ein unwissender, suendiger Mensch, wie wir alle sind. Steh mir hier nicht laenger im Weg, fuhr sie mit erhobener Stimme fort, und ihr andern geht auch eurer Wege; nur ich habe ein Recht, an diese Tuer zu klopfen, denn dass ihr es nur wisst, da drinnen wohnt mein Sohn, den ich mit Schmerzen geboren und lange Jahre verleugnet habe, weil ich ein schwaches Weib gewesen bin und die Schande vor der Welt gefuerchtet habe. Jetzt aber sage und bezeuge ich vor dem Angesicht Gottes des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und vor den Ohren aller, die hier versammelt sind: Mein ist er, und wer ihn anklagen oder schmaehen will, der klage mich an, denn ich habe es verschuldet, dass er in Schuld und Elend gefallen ist, weil ich ihn nicht an meiner Hand gehalten habe, wie eine Mutter ihr Kind halten soll, sondern habe ihn einer Fremden ueberlassen, die ihn nicht lieben konnte. Nun wisset ihr's, und nun gehet in die Kirche hinunter und betet fuer eine grosse Suenderin, die ihr fuer fromm und gerecht gehalten und geehrt habt, und die von allen Frauen die letzte und verachtetste sein muss, wenn Gott sich ihrer Reu' und Leiden nicht in Gnaden erbarmen will. Als sie das gesprochen hatte, blieb alles stumm, und niemand regte sich von der Stelle, ausser dem Franz, der verstoert zurueckwich und jetzt unter der Menge verschwand. Die Anna aber pochte an die Tuer des Hauses, die sich alsbald oeffnete. Auf der Schwelle stand der Andree wie ein Traeumender. Da sah er die Augen der Mutter auf ihn gerichtet und sah, wie sie ueberflossen und wie ihr die Knie wankten, als sie einen Schritt ihm entgegen tat, und sie waere vor ihm niedergefallen, wenn er nicht beide Arme fest um sie geschlungen und sie wieder aufgerichtet haette, dass sie an seiner Brust sicher ruhen und sich ausweinen konnte. Jetzt erst kam wieder Leben unter die Volkshaufen; aber sie loesten sich geraeuschlos auf, untereinander fluesternd, die Weiber drueckten ihre Tuecher gegen die Augen, die Maenner gingen schweigsam hinweg. Viele blieben zurueck und starrten in die offene Tuere, in der die Mutter mit ihrem Sohn verschwunden war. Es waehrte auch nicht lange, so traten sie wieder heraus, die Mutter in der Mitte, der Andree zu ihrer Rechten, die Moidi zur Linken, alle drei Hand in Hand. Sie sprachen nicht miteinander, sie blickten mit stillen Gesichtern wie verklaert vor sich hin. Und als die Moidi draussen der Rosel ansichtig wurde, liess sie auf einen Augenblick die Hand der Mutter los und fiel der Getreuen mit weinenden Augen um den Hals. Dann zog sie die Freundin mit sich fort, und die vier wundersam verbundenen Menschen gingen durch die stillen Haufen des Volks die Strasse hin, die nach der Stadt hinunterfuehrt. Ein lautloser Strom Andaechtiger schloss sich ihnen an. Unten aber, wo der Marktplatz von Menschen wimmelte, oeffnete sich ihnen eine breite Gasse. Das Geruecht war ihnen vorausgeeilt, an allen Haustueren und Fenstern standen die Buerger und Bauern, um die Anna Hirzer zu sehen, die Heilige, die ihren Sohn einherfuehrte, um ihn der ganzen Stadt zu zeigen und Zeugnis abzulegen, dass sie grosse Suende getan und der Barmherzigkeit ihres Gottes beduerftiger sei als mancher, der sie heilig gesprochen. Und eine Stunde spaeter, als die Zehnuhrmesse eingelaeutet wurde, kniete die Mutter mit ihren beiden Kindern ganz vorn zwischen den Stuehlen auf dem kalten Stein. Der Geistliche am Altar sah sie wohl. Seine Stimme zitterte, als er die ersten Worte sprach. Dann toente sie immer voller und freudiger durch den hohen Raum, und als die Orgel zum Schluss einfiel, sah er mit einem Blick nach oben, als wolle er allen Segen des Himmels auf das gebeugte graue Haupt und die beiden jugendlichen ihm zur Seite herabflehen. Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Der Weinhueter, von Paul Heyse. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, DER WEINHUETER *** This file should be named 7whtr10.txt or 7whtr10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7whtr11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7whtr10a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. 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